Schavans “Atom-Studie”: Eine nationale Perspektive für die Energieforschung

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Im Zuge des Wahlkampfes ging kürzlich unter der Bezeichnung “Atomstudie” das u.a. von der Leopoldina für die Forschungsministerin Schavan erstellte “Konzept für ein integriertes Energieforschungsprogramm” durch die Medien. Als klar war, dass es als Wahlkampfmunition nicht taugt, verschwand es bald darauf wieder unter der Oberfläche. Das ist schade, denn wenn so etwas wirklich mal im Wahlkampf diskutiert würde, könnte man Politik und ihre Protagonisten glatt man wieder ernst nehmen.

Es ist auf jeden Fall sehr bezeichnend, dass die Ministerin sich nicht traut, Wahlkampf mit einer strategischen Perspektive auf einem der wichtigsten Politikfelder überhaupt zu machen. Womit denn sonst? Man kann kaum deutlicher zeigen, was für ein inhaltsleeres Kasperletheater derzeit auf der politischen Bühne abgezogen wird. Dass Massenmedien genauso wie Blogger das Thema offensichtlich nur interessiert, wenn es Klamauk hergibt, spricht ebenfalls Bände.

Im Grunde enthält das Papier keine echten Aufreger, schon weil es nicht um eine politische Agenda geht, sondern zu allererst mal um eine Forschungsstrategie. Die komplette Studie soll 2011 erscheinen. Der bereits im Juni vorgestellte Arbeitsentwurf stellt die nach Meinung der Autoren wichtigsten Fragestellungen zusammen, die im Rahmen einer umfassenden Strategie zur Energieforschung aufkommen. Dass dabei auch unbequeme Themen bearbeitet werden müssen, versteht sich eigentlich von selbst. Man kann über einzelne Punkte streiten, die rein gehört hätten oder nicht rein gehören, aber insgesamt ist der Ansatz erfrischend vernünftig.

Im Papier heißt es unter anderem:

Um den Weg für die Umsetzung zukünftiger Technologieoptionen und Maßnahmen offenzuhalten, muss die Forschung dabei die Unabhängigkeit besitzen, auch über längere Zeiträume Aspekte zu bearbeiten, die gegenwärtig nicht im Mittelpunkt der politischen Handlungsoptionen liegen.

Die Analyse zielt nicht darauf ab, der Politik einen Königsweg der Energiepolitik aufzuzeigen, sondern sicherzustellen, dass in zukünftigen, weitgehend unvorhersehbaren Szenarien möglichst viele Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Das läuft unter dem Stichwort der “Energiezukünfte”, die auf unterschiedlichen Annahmen über technische und politische Gegebenheiten innerhalb und außerhalb Deutschlands basieren. Der Schlüsselbegriff ist hier die “systemische Perspektive” die von den Autoren eingefordert wird. Dazu gehört auch, dass sich die Energieforschung nicht nur an den vermeintlich besten technischen Lösungen für irgendetwas herumschraubt, sondern eben auch untersucht, was unter bestimmten Bedingungen eine gute technische Lösung überhaupt ausmacht.

Energiezukünfte und No-Regret-Schwerpunkte
Im Rahmen der Studie werden Energiesysteme als Prozessketten betrachtet, und in diesem Bild ist die Energiequelle nicht mehr unabhängig davon, was anschließend mit der Energie passiert. Betrachtet man die Effizienz des gesamten Systems, können geeignete Systeme für Transport, Speicherung und Verbrauch der Energie deutlich größeren Einfluss auf die Nachhaltigkeit bestimmter Verfahren zur Bereitstellung von Energie haben als die Bilanz der Energiequelle selbst. Ganz neu ist diese Einsicht nicht, die Betrachtung der gesamten Prozesskette ist unter anderem der Grund dafür, dass kaum noch jemand vom Wasserstoffauto redet.

Dementsprechend nehmen Überlegungen zur Energieinfrastruktur einen großen Raum ein. Diese in der Studie “No Regret”-Schwerpunkte bezeichneten Forschungsthemen sind nach Ansicht der Verfasser in jedem Fall entscheidende Aspekte aller betrachteten Energiezukünfte und sollten daher uneingeschränkte Priorität genießen. Zum Beispiel das Stromnetz. Was da teilweise noch in der Landschaft rumsteht hat, um es vorsichtig auszudrücken, schon einiges erlebt. Aber es geht nicht nur um die fällige Generalüberholung von Strommasten, sondern um ein Netzkonzept für das 21. Jahrhundert. Das betrifft einerseits die Struktur des Netzes, das in Zukunft mit stärker schwankenden Strommengen und anderen Störungen zurechtkommen muss, und andererseits die Speichertechnologien, mit deren Hilfe in Zukunft Lastspitzen ausgeglichen werden sollen. Fest steht: Das Stromnetz der Zukunft wird anders aussehen.

Ähnliches gilt für die Mobilitätsinfrastruktur, die langfristig wohl elektrisch stattfinden wird. Auch hier mahnen die Wissenschaftler bessere Speicherformen an, zumal wir um – Zitat – “die Integration von Elektrofahrzeugen in die Netzinfrastruktur” nicht herumkommen werden. Man kann sehr deutlich zwischen den Zeilen lesen, dass nach Meinung der beteiligten Wissenschaftler Energie auf Verbraucherebene noch viel mehr als heute gleichbedeutend mit Elektrizität sein wird.

Das ist an und für sich keine neue Entwicklung. Der Vorschlag der Wissenschaftler geht über bisherige Ansätze jedoch weit hinaus. Ziel ist eine – Zitat – “vernetzte Energieoptimierung”, was man getrost als Umkehrung der bisherigen Verhältnisse in der Energieversorgung betrachten kann: Statt die Energieinfrastruktur an die Bedürfnisse der Verbraucher anzupassen, entwickelt man eine Verbrauchsinfrastruktur, die die vorhandene Energie möglichst effektiv nutzt. Das Wort “Ökosystem” taucht in dem Zusammenhang nicht auf, man sollte diese Analogie aber im Hinterkopf behalten. Nahrungsnetze sind gut darin, begrenzte Ressourcen effektiv zu nutzen.

Die Rolle der Stadt in solchen Szenarien ist durchaus ambivalent. Einerseits ist es sehr (Energie-)aufwändig, solche großen Ansammlungen von Menschen und Infrastruktur zu versorgen, so dass man sie eher als Minus in der Nachhaltigkeitsbilanz verzeichnet. Dem gegenüber steht das enorme Effizienzpotential von Städten. Nirgends gibt es so viele unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten für Energie auf einem Haufen. Mit Hilfe moderner Regulierungstechnik und kreativer Energienutzung zusammen mit energieoptimierter Architektur und dem, was man so schön als nachhaltige Mobilitätskonzepte (a.k.a. Öffentlicher Nahverkehr) bezeichnet, kann die Stadt theoretisch zur effizientesten Siedlungsform überhaupt werden.[1] Das Papier spricht sich jedenfalls nachdrücklich dafür aus, solche vernetzten “Energie-Ökosysteme” intensiv zu erforschen.

Atomkraft und erneuerbare Energien
Andere Teile der Agenda sind sowohl zeitlich als auch organisatorisch näher an der Gegenwart. Ein Punkt, der in Energiediskussionen immer wieder gerne übersehen wird, ist das Problem der ungelegten Eier, speziell bei den erneuerbaren Energien. Der tatsächliche Stand der Technik hinkt hier hinter den in der öffentlichen Debatte gerne verwendeten Modellrechnungen noch ganz erheblich hinterher – positiv formuliert: In diesen Techniken steckt noch sehr viel Potential. Die Experten empfehlen jedenfalls dringend, die Forschung an Solarenergie, Windkraft, Biomasse und Geothermie mit aller Kraft voranzutreiben. Wieviel Aufwand noch nötig sein wird, das Potential dieser Techniken voll nutzbar zu machen, lässt sich nur schwer schätzen.

Die Studie spricht sich an diesem Punkt deswegen ganz klar dagegen aus, sich vorschnell aus der Weiterentwicklung konventioneller Techniken zu verabschieden. Zum Beispiel der Kernkraft, bei der das Expertengremium zu Recht hohen Forschungsbedarf sieht. Dieser Passus hat im Vorfeld ja einigen Wirbel verursacht, weil er böswillig falsch widergegeben wurde. Tatsächlich geht es in der Studie um eine ganz simple Wahrheit: Auch wenn man ganz, ganz doll gegen die böse Atomkraft ist, wird sich davon der schon vorhandene Atommüll nicht in Wohlgefallen auflösen. Wir brauchen also allein schon deswegen Nuklearforschung, weil wir den ganzen Dreck loswerden müssen. Hier verweist die Studie auf Untersuchungen zur Endlagerung in Tongesteinen statt in Salzstöcken, was ich für wesentlich sinnvoller halte. Schon weil die Mobilität von Actiniden in Ton wesentlich stärker eingeschränkt ist als in Salzen.

In letzter Konsequenz geht es den Leopoldina-Wissenschaftlern hier vor allem darum, dass die ideologisierte Diskussion um die Kernenergie für die Energieforschung insgesamt alles andere als hilfreich ist. Ganz abgesehen davon dass dank der leidigen Affäre tonnenweise strahlende Abfälle in der Landschaft herumstehen (stört das die Endlager-Gegner eigentlich gar nicht?), ohne dass es eine vernünftige Perspektive gäbe. Sie empfehlen quasi, in der öffentlichen Diskussion um Chancen und Risiken der Kernkraft noch mal bei Null anzufangen, was zwar wünschenswert, aber angesichts der bisher gemachten Fehler kaum realistisch ist.

Neben der Kernkraft gibt es noch die nicht-konventionellen fossilen Brennstoffe wie Ölsande oder Methanhydrat, deren Erforschung die Experten auch weiterhin für sinnvoll halten. Damit das ganze halbwegs klimaverträglich ist, empfehlen sie anschließend, mit Hochdruck an der Entcarbonisierung dieser fossilen Energieträger zu arbeiten. Erneuerbare Energien seien zwar schön und gut, heißt es da sinngemäß, aber es dauert halt noch ein paar Jährchen, bis wir ohne Kohle und Co. klarkommen. Dementsprechend müsse man sich intensiv mit solchen Sachen wie CCS befassen oder anderen Methoden, Kohlendioxid schneller aus der Luft zu kriegen als Vattenfall und Co. es reinpusten. Bäumchen pflanzen und dergleichen. Ich bewundere ihren Optimismus.

Besonders freut mich, dass in diesem Überblick auch die Materialwissenschaften auftauchen. Wie ich ja im Zusammenhang mit Sondermetallen schon geschrieben habe, hängt ein beträchtlicher Teil solcher Szenarien schlicht davon ab, ob Materialien mit den gewünschten Eigenschaften zur Verfügung stehen. Zum Beispiel für Batterien, Brennstoffzellen oder Hochtemperaturteile für Turbinen: Der Wirkungsgrad von Wärmekraftmaschinen hängt von der Temperaturdifferenz ab.

Alles nur fromme Wünsche?
Die technische Seite ist allerdings nur ein Aspekt der Energiezukunft. Mindestens genau so wichtig sind politische und rechtliche Steuerungsinstrumente, mit denen sich die Energienachfrage ebenso beeinflussen lässt wie Erfolg oder Misserfolg von Technologien. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist ein Beispiel, wie der Staat diese Entwicklungen beeinflussen kann. Weitere Forschungen müssen zeigen, wie solche Instrumente systematisch erfolgreich eingesetzt werden können und wie sie sich in langfristige Governance-Strategien einfügen.

Damit die deutsche Energieforschung nicht Stückwerk bleibe, empfiehlt die Studie, ein zentrales Institut einzurichten, dass die divergierenden Forschungsbemühungen bündelt und koordiniert. Dieses Zentrum, als Vorbild werden die Helmholtz-Zentren genannt, soll eng mit bestehenden Universitäten und Einrichtungen zusammenarbeiten, nicht zuletzt, um die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Energieforschung zu garantieren.

Entscheidend für den Erfolg einer solchen Infrastruktur sind natürlich die Ressourcen. Zum Nulltarif ist eine zukunftsweisende nationale Energieforschung nicht zu bekommen. Und daran wird das ganze wohl auch scheitern.
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[1] Jedenfalls wenn man nicht zu genau auf Landwirtschaft und Wasserverbrauch guckt…

5 Kommentare

  1. *Ächz*

    Danke für die Aufbereitung. Ich wollte das zwar auch lesne, hatte aber keine Lust auf soviel Text^^

    Leider ist das hier nur ein kleiner Funken im Haufen der wilden Diskussionen, die meist ohne jeden Verstand geführt werden.

  2. Dann ist ja gut das mein erster Instinkt war, mich aus der Diskussion und Mies-Machunung, vor allem aus Grüner Richtung, heraus zu halten.

    Es bestätigt mal wieder die Vorwürfe die Grünen seien Forschungsfeindlich. Leider. Weil wenn man ihnen das so zeigt, würden die meisten das wohl nicht so schlecht finden.

  3. Nachdenkliches

    Vielleicht wäre mal vor ‘forschen, forschen und noch mehr forschen’ ein Blick auf’s Ganze erforderlich. Ich habe die Angaben im folgenden Dokument noch nicht nachgeprüft, aber wenn sie auch nur in etwa stimmen, dann müßte ein solches Energieforschungsprogramm sich doch zuallererst mal diesen Konsequenzen stellen.

    http://www.thebulletin.org/…y-storage-technology

    Davon ist allerdings überhaupt nichts zu lesen, eher klingt das alles so, als gäbe es in Bezug auf technische Verbesserungen gar keine absoluten Grenzen.

  4. @ Wolfgang:

    Die Angaben im Artikel stimmen, aber ich sehe das Problem nicht. Die Erkenntnis, dass Kohlenwasserstoffe als Energieträger weit überlegen sind ist ja alles andere als neu. Deswegen ja auch Biodiesel, BtL, CtL und was es da noch so gibt.

    Abgesehen davon sind nahezu beliebig verfügbare Energiespeicher mit extrem hoher Energiedichte m.E. vor allem ein Convenience-Problem. 500 Kilometer am Stück mit hundert Sachen sind dann halt nicht mehr drin. Na und?

    @Paula:
    Ich finde es vor allem ärgerlich, dass sich offenbar niemand die Mühe gemacht hat, das Papier zu lesen.

  5. Politik

    Theorie und Praxis.

    BMWI & BMBF sind nicht nur gute Freunde, sondern vor allem nicht EE freundlich. Im Gegenteil. EE-Forschung ist bei denen meist Verhinderungsforschung. Nichts anderes!

    Da wird Forschungsbedarf angemeldet, nur um zu belegen, dass bestimmte Technologien noch nicht marktreif sind.

    Insofern kann ich diejenigen, die hier hinter schönen Worten eine einseitige Ausrichtung im Sinne der EVU Lobbyisten vermuten – sehr gut verstehen.

    Ein schönes trojanisches Pferd – mehr nicht.

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