Die Rolle des Hämoglobin bei der Regulation des Blutdrucks

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Gunter Dueck schrieb kürzlich von Arbeitnehmern, die neuerdings statt einer einzelnen Aufgabe immer mehr unterschiedliche Rollen übernehmen müssen – Role Overload. Ein ähnliches Phänomen taucht nun auch in der Biologie auf.

Früher, in der guten alten Zeit, hatte ein Biomolekül genau eine Aufgabe, wie ein Zahnrädchen in einem Uhrwerk. Neuerdings jedoch entdecken Wissenschaftler, dass selbst Stoffe mit zentraler Bedeutung für den Organismus an unerwarteten Stellen Hilfsdienste leisten.

Zum Beispiel Hämoglobin. Der rote Blutfarbstoff spielt im Körper eine genau definierte Rolle: An der Lunge nimmt er Sauerstoff auf, transportiert ihn in die bedürftigen Gewebe und gibt ihn dort wieder ab. Hämoglobin ist ein in jeder Hinsicht hochinteressantes Molekül, dessen Wechselwirkungen mit anderen Stoffen eigentlich gut bekannt sind.

Denn Hämoglobin ist nur ein Teil eines Molekül-Netzwerkes, das als Gesamtheit dafür sorgt, dass Sauerstoff in den Körper gelangt. Damit, dachte man, wäre das Molekül auch hinlänglich ausgelastet. Das hat sich allerdings als Irrtum erwiesen.

Zwei heimliche Nebenjobs des Hämoglobins, beziehungsweise seines Zentralteils, dem Häm, kamen kürzlich durch aktuelle Artikel ans Tageslicht. Der Physiker Daniel Kim-Shapiro von der Wake Forest University deckte vor ein paar Wochen in Nature Chemical Biology die Rolle des Hämoglobins bei der Regulation des Blutdrucks auf, wie ich schon Anfang November einigermaßen ausführlich berichtet habe.[1]

Das Eisen im aktiven Zentrum des Proteins setzt Nitrit zu einer anderen Verbindung um, die in die Gefäßwände wandert und dort den Botenstoff Stickstoffmonoxid freisetzt. Der ungewöhnliche Reaktionsweg entging den Forschern über Jahrzehnte, weil sie ihn mit den gängigen Untersuchungsmethoden schlicht nicht sehen konnten.

Das Häm-Zentrum. Bild: Yikrazuul, Public Domain

Noch ein ganzes Stück spektakulärer ist allerdings, was Srilatha Raghuram und einige Kollegen jetzt in Nature Structural & Molecular Biology berichten. Als Sauerstofftransporter und als Reaktionszentrum in einigen Enzymen wie der Katalase kennt man das Häm ja. Nach den neuesten Erkenntnissen führt das Molekül jedoch eine bislang geheime Existenz – als Hormon. Laut diesen Ergebnissen ist das Häm an der Steuerung des Circadianen Rhythmus, der inneren Uhr, beteiligt.

Der Circadiane Rhythmus steuert die täglichen Schwankungen in Körpertemperatur, Verhalten und Stoffwechselaktivität. Seine Grundlage ist eine Rückkopplungsschleife zwischen mehreren Genen: Die Proteine BMAL1 und CLOCK aktivieren die Expression von cryptochrome– und period-Genen.[2] Die von diesen codierten Proteine CRY und PER wiederum hemmen ab einer bestimmten Konzentration das BMAL1/CLOCK-System. Erst wenn genug CRY und PER abgebaut ist, geht der Zyklus von vorne los.[3]

Die genaue Länge des Zyklus hängt recht empfindlich von der vorhandenen Menge an BMAL1 ab. Und da kommt das Häm ins Spiel. Bevor es ins Hämoglobin[4] eingebaut wird, fungiert die Verbindung als Signalstoff. Raghuram et al. zeigen, dass Häm nukleäre Hormonrezeptoren (nuclear hormone receptor, NHR) aktiviert. Diese Proteine greifen in die Genregulierung ein, indem sie sich direkt an bestimmte Abschnitte des Erbguts anlagern. Der von Häm aktivierte NHR namens REV-ERB kontrolliert auf diesem Wege die Bildung von BMAL1.

Im Gegensatz zum Menschen sind Biomoleküle anscheinend mühelos in der Lage, mehrere sehr unterschiedliche Jobs nebeneinander zu machen. Jedenfalls bewältigt das Häm alle seine Aufgaben tadellos, egal ob es Sauerstoff zu transportieren oder Gene zu regulieren gilt.

Vielleicht liegt es daran, dass sein Handy nicht dauernd klingelt.
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[1] Weshalb ich das Thema hier nur kurz zusammenfasse.

[2] Der Konvention nach werden Proteinnamen in Versalien, Gennamen klein und kursiv geschrieben.

[3] Das ist natürlich nur ein Teil der Geschichte. Zum Thema Cryptochrome siehe auch den Beitrag „Der Mond und die Fortpflanzung“

[4] Oder in eines der Redox-Enzyme

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