Reinlichkeit, Moral und sexueller Missbrauch von Katzen

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What, will these hands ne’er be clean? […]
Here’s the smell of the blood still: all the perfumes of Arabia
will not sweeten this little hand. Oh, oh, oh!

 

– Shakespeare, Macbeth, Act V, Scene I

Moral und saubere Finger gehen Hand in Hand, das wissen wir nicht erst seit Lady Macbeth und ihrer unguten Obsession: Das als Macbeth-Effekt bekannte Motiv des Waschens taucht schon im Matthäus-Evangelium auf:
„Da aber Pilatus sah, daß er nichts schaffte, sondern daß ein viel größer Getümmel ward, nahm er Wasser und wusch die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten, sehet ihr zu!“
Wissenschaftler demonstrierten 2006, dass die Verbindung zwischen moralischer und körperlicher Reinheit mehr ist als nur eine hübsche Metapher: Ist unsere moralische Reinheit in Frage gestellt, reagieren wir mit Waschzwang.

Damit ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Wenn man Simone Schnall, Jennifer Benton und Sophie Harvey von der Universität Plymouth glaubt, funktioniert die Sache nämlich auch in die andere Richtung: Sauberkeit beeinflusst moralische Werturteile.

Die Forscher testeten in einer Studie an 40 Studenten, wie sich die bloße mentale Präsenz von Reinheitskonzepten einerseits und physische Reinlichkeit in Form frisch gewaschener Hände andererseits auf moralische Werturteile auswirkt.

Sauber und mild

Im ersten Experiment durften die Studenten die Worte von Sätzen wieder in die richtige Reihenfolge bringen, wobei die Hälfte der Probanden Formulierungen mit Reinlichkeitsbezug vorgesetzt bekam. Derart vorgebildet, bewerteten die Studenten eine Liste von teils sattsam bekannten, teils neuen moralischen Dilemmata. Die Geschichte mit den Bauarbeitern auf der Eisenbahnstrecke (Szenario "Trolley") dürfte bekannt sein, während die Idee, sich mit Hilfe eines Kätzchens sexuell zu stimulieren (Szenario "Kitten") zumindest für die Moralphilosophie einen eher innovativen Ansatz darstellen dürfte. Wenn Kant das noch erlebt hätte…

Jedenfalls zeigte sich, dass die Sauberkeits-Gruppe die moralischen Grenzüberschreitungen deutlich milder beurteilte. Besonders die Sache mit dem Kätzchen, die von der Kontrollgruppe noch als besonders verwerflich gesehen wurde: Der Evil-Score dieses Szenarios sank von 8,25 auf 6,70, doppelt so stark wie in den anderen Szenarien.

Aber nicht nur vor Reinheits-Vokabeln müssen sich Kätzchen in Zukunft fürchten, sondern offensichtlich auch vor dem Film Trainspotting, der im zweiten Teil des Experiments eine Rolle spielte. Die Probanden bekamen einen kurzen, widerwärtigen Abschnitt aus dem Film vorgespielt (welche Szene, weiß ich nicht, aber es gibt einige Kandidaten), mit dem Resultat, dass auch die ungewaschene Kontrollgruppe den sexuellen Missbrauch von Pelzträgern erheblich weniger verwerflich fand als die Teilnehmer des ersten Experiments.

Das widerspricht nicht nur früheren Studien, sondern auch der Prämisse des Experiments: Es ist eigentlich gut belegt, dass Ekel moralische Werturteile verschärft. Vergleicht man allerdings jeweils die Kontrollgruppen aus den Experimenten eins und zwei, sieht man kein solches Resultat. Immerhin – saubere Hände stimmten auch hier die Probanden milde.

Aus der Forschung in die Praxis?

Werden jetzt also in Zukunft Richter und Schöffen vor der Urteilsfindung ihre Hände unter notarieller Aufsicht waschen, um einen fairen Prozess sicherzustellen? Womöglich noch, nachdem man ihnen die heißen Getränke weggenommen hat, weil die ebenfalls unbewusst Werturteile verfälschen? Ganz so weit ist es dann doch noch nicht, zumal fast alle Unterschiede in den moralischen Bewertungen wegen der geringen Teilnehmerzahl noch innerhalb der jeweiligen Standardabweichungen liegen (Ausnahme: Das Kätzchen). Um einen Zufall handelt es sich allerdings nicht, dazu sind Trend und Größe des Effekts zu deutlich.

Es ist also möglicherweise eine gute Idee, den Seitensprung nach dem Duschen zu beichten.

Schnall, S., Benton, J., & Harvey, S. (2008). With a Clean Conscience: Cleanliness Reduces the Severity of Moral Judgments Psychological Science, 19 (12), 1219-1222 DOI: 10.1111/j.1467-9280.2008.02227.x

3 Kommentare

  1. Katharsis

    Interessant. Schöner Beitrag.

    Schade, dass das nicht auch ANDERSHERUM geht.

    Ich gucke gerade nicht ohne Scham auf meine Fingernägel, die noch deutlich die Spuren des Getriebefettwechsels gestern abend an der NSU tragen. Die NSU ist Baujahr ’38, das Fett war vermutlich seither da drin und von entsprechender Konsistenz und Farbigkeit.

    Jetzt sitz’ ich hier und denke ganz hochmoralisch und ethisch darüber nach, dass ich eigentlich was arbeiten sollte, und keine Kommentare schreiben: Aber die schwarzen Ränder unter den Nägeln geh’n davon nicht weg.

  2. Na das wär’s doch:

    Gesundbeten war gestern – der neue Trend: Sauberphilosophieren.

    Fahr vorsichtig. Grad neulich ist wieder ne Foren-Bekanntschaft von mir mit seiner Maschine unter nem Laster gelandet.

  3. @ Wicht

    Nun denn, wenn Du Dich demnächst selbstkritisch fragst, ob Du ein guter Arbeiter, der seines Lohn wert ist, bist oder ein guter Ehemann, ein guter Vater usw. dann wasch Dir vorher kräftig die Hände und Du kannst Dir beruhigt auf die Schulder klopfen. 😉

    Die arme NSU. Was kommt denn da für ein Fett rein? Modernes? Dieses Fett wird bestimmt das alte Metall wegätzen. Stell schonmal das Sägemehl bereit.

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