Regividerm und die Verschwörungen der Pharmaindustrie

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Zu den Studien, mit denen die angebliche Wirkung der Psoriasis-Salbe Regividerm belegt worden sein soll, ist anderswo schon genug gesagt worden. Der zweite Claim der erfolgreichen Marketingkampagne dagegen ist ein bisschen unter den Tisch gefallen: Die angebliche Verschwörung der Pharmaindustrie. Die soll sich nämlich erfolgreich dagegen gewehrt haben, dass die Salbe in Deutschland auf den Markt kommt.

Was von dieser Theorie zu halten ist wird spätestens dann klar, wenn man sich anguckt was das eigentlich ist, „die Pharmaindustrie“. Die meisten Leute werden dabei Giganten wie Merck oder BASF vor Augen haben, aber das Bild trügt. Zahlenmäßig dominierend sind kleine und mittelständische Firmen. Knapp über tausend Pharmaunternehmen gibt es laut statistischem Bundesamt allein in Deutschland, und von denen haben etwa 70 Prozent weniger als 20 Mitarbeiter. Die und ihre über 100.000 Beschäftigten, glaubten z.B. Süddeutsche, Spiegel Online, Fefe und so ziemlich der Rest der Welt (Stationäre Aufnahme hat das Elend dokumentiert) unbesehen, stecken alle unter einer Decke. Verschwörung!

Was geht hier vor? Offenbar funktioniert die moderne Medizin inzwischen so zuverlässig, dass immer mehr Leute unheilbare Krankheiten  als etwas so unerhörtes verstehen, dass da nur eine große Verschwörung hinter stecken kann. Nämlich der Pharmaindustrie, die uns ja heilen könnte, aber nicht will.

Das findet anscheinend inzwischen nicht nur ein Großteil der Bevölkerung unbesehen plausibel, sondern auch der durchschnittliche Journalist. Das hat natürlich so seine Gründe. Der Ruf der Branche ist nachhaltig ruiniert, dank Vioxx-Skandal, gekaufter Fachzeitschriften und manipulierter Studien etcetera.

Dergleichen Vorgänge sollten doch eigentlich allgemein zu größerer Wachsamkeit gegenüber irgendwelchen Heilungsversprechen animieren. Aber das ist seltsamerweise keineswegs der Fall, im Gegenteil: Sobald irgendwo von der großen bösen Pharma-Verschwörung die Rede ist, setzt der Verstand aus, die Message wird geschluckt und das Produkt gekauft. Funktioniert praktisch immer. Regividerm ist ja nur das neueste Beispiel.

Kann man aus der ganzen tragischen Affäre etwas lernen?  Deutlich wird, dass man das wachsende Glaubwürdigkeitsproblem der medizinischen Forschung nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Intransparenz und Manipulation zu Lasten der Patienten haben viel Vertrauen in die Medizin zerstört und dauerhaften Schaden angerichtet. Der anhaltende Erfolg dubioser „alternativer“ Methoden trotz ihrer nachgewiesenen Nutzlosigkeit speist sich aus der gleichen Quelle wie Leichtgläubigkeit gegenüber der Regividerm-Kampagne.

Regividerm demonstriert aber auch die Macht des modernen Marketings: Eine Lüge reist um die Welt, bevor die Wahrheit auch nur ihre Stiefel angezogen hat.[1] Und das ist nicht die Schuld der Pharma-Industrie.
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[1] Mit Dank an T.P.

17 Kommentare

  1. Zu den Studien

    … ist anderswo wenig erhellendes gesagt worden. Nach meinem Eindruck sind die beiden Studien von Stücker et al. methodisch so gut oder so schlecht wie andere derartige Studien auch. Natürlich erlaubt die geringe Patientenzahl (rund 60) noch keine abschließende Bewertung von Wirksamkeit und Sicherheit. Doch mit den bisherigen Ergebnissen ließen sich meines Erachtens durchaus weitere Studien rechtfertigen.

    Aber das ist ein anderes Thema.

  2. Die Studien

    sind nicht “so gut oder so schlecht wie andere derartige Studien auch”, sondern einfach grottenmies, selbst gemessen am wenig goldigen Standard solcher klinischer Studien allgemein.

    Es geht ja auch gar nicht so sehr um die Salbe selbst, sondern um die dreiste und verlogene Marketingkampagne und diejenigen, die sie unreflektiert nachgeplappert haben.

  3. Butter bei die Fische

    einfach grottenmies

    Na, dann zeigen Sie doch mal auf, was beispielsweise an der kleinen Multicenter-Studie alles “grottenmies” war. Würde mich echt interessieren.

    Auf dem von Ihnen verlinkten Blog

    http://www.scienceblogs.de/…-zur-wirksamkeit.php

    habe ich jedenfalls nichts gefunden. Die Mängel, die Tobias Maier dort aufführt, lösen sich bei näherem Hinsehen in Nichts auf.

    (ist zwar nicht das Thema hier, aber wissenschaftlich gesehen mindestens ebenso wichtig wie die angebliche Pharma-Verschwörung, finde ich 🙂

  4. Eine Multicenter-Studie…

    …mit nur 50 Teilnehmern, über 8 Wochen, bei ner Krankheit wie Neurodermitis? Die Verblindung ist völlig unklar und dann dieser seltsame Score als Endpunkt. Also Bitte. Da wollte es jemand nicht so ganz genau wissen.

  5. Fünfzig Patienten

    mit atopischer Dermatitis sind völlig ausreichend, um in einer doppelblinden, randomisierten Studie im Halbseitenvergleich gegenüber Placebo nach 8 Wochen einen statistisch signifikanten Effekt nachweisen zu können. Der dabei benutzte branchenübliche Score transportiert zwar eine Menge Subjektivität, aber das betrifft beide Behandlungsseiten und ist somit hinnehmbar.

    Die Verblindung ist völlig unklar…

    » Study design
    The study was conducted as a multicentre (Bochum
    and Potsdam, Germany), placebo-controlled, double-
    blind, prospective, randomized phase III clinical trial
    with intraindividual left ⁄ right comparison.
    […]
    The placebo cream con-
    tained the colouring agent E122 azurubin. The appear-
    ance, feel and smell of the active medication was
    indistinguishable from that of placebo. All study
    personnel and participants were thus blinded to treat-
    ment assignment for the duration of the study. «

    Was ist daran unklar?

    Da wollte es jemand nicht so ganz genau wissen.

    Den Studienautoren dürfte es ziemlich egal gewesen sein, was bei der Studie rauskommt. Man verpflichtet sich ja nicht beim Sponsor, ein positives Ergebnis abzuliefern. Und letztlich ist es natürlich eine Kostenfrage, wie aufwendig man eine Studie konzipiert.

    Wenn das alles war, was Sie zu bemängeln haben, dann ist die Wertung “grottenmies” wohl ein wenig überzogen, finden Sie nicht?

  6. Na klar

    Wenn es uns völlig egal ist, dass die Creme ein potentielles Allergen enthält und die Studie völlig ungeeignet ist, auch nur mittelmäßig häufige Nebenwirkungen festzustellen, dann kann man das so akzeptieren. Von einer Arzneimittelprüfung kann und sollte man mehr erwarten.

    Und bei der Verblindung bin ich absolut nicht überzeugt, dass es ausreicht, dass die Cremes gleich aussehen. Zumal hier subjektiv bewertet wird und die Verblindung bei sowas extrem kritisch ist. Das kann man nicht mal eben so lässig abhandeln.

    Eine Kostenfrage ist es immer. Den Preis zahlen dann halt die Betroffenen.

  7. Vorschlag zur Güte

    Formulieren wir es so: Salben, die man kleinen Kindern auf die Haut schmiert, sollten wesentlich besser geprüft werden. Es ist vollkommen unangemessen, die vollmundigen Marketing-Aussagen aus den Presseberichten mit dieser Studie zu rechtfertigen.

    Finden Sie das besser?

  8. naja…

    ganz unrecht haben sie sicher nicht: vor allem fragte man sich während der sendung, warum der typ das zeugs nicht einfach selbst produziert hat- hätte sich eine cortisonfreie salbe innerhalb von 3 tagen zur verkaufssensation entwickelt, an der ohnehin niemand vorbeigekommen wäre.

    zum missverständnis “heilung” sollten sie genauer hinsehen: nicht ein einziger betroffener erwartet von der salbe HEILUNG: das was die menschen, von denen wohl alle eine schier endlose odyssee durchgemacht haben, sich wirklich versprechen ist: cortisonfreie LINDERUNG der symptome.

    wenn in zwei monaten die ersten benutzererfahrungen vorliegen – und die pharmabranche kann nicht mehr stimmen abgeben, als die betroffenen (welche es sicher machen werden) – dann wird sich entscheiden, ob die offensichtliche kampagne zum guten geführt hat, oder ein riesiger betrug war…

    wenn ja, dann ließe sich wiederrum fragen, warum vertreter der pharma-lobby sich “revolutionär” vor laufender kamrera hinsetzen, und von linderung beim eigenen sohn sprechen!?

    wenn es scheitert, könnte man einen noch fieseren verdacht schöpfen: der “gute” erfinder selbst ist ein produkt der medienabteilungen der pharma-industrie: wenn der nämlich als scharlatan entblößt werde sollte, werden die normalen patienten resignieren, und kaum noch an “alternativen” frei von ausbeutung durch die pharmaindustrie glauben…

    für mich derzeit die wahrscheinlichste theorie… ich kauf mir das zeugs, und ich werde berichten… wenn es wirkt, dann so, dass niemand es übelesen kann!

  9. ..

    Ich persönlich finde dieses ganze drama um die pharmaindustrie absolut irrelevant. das einzig wichtige ist doch, mehr möglichkeiten zu haben gegen die neurodermitis vorzugehen anstelle von cortison. und ich persönlich bin dankbar für jede möglichkeit die mir geboten wird. ausserdem ist der erfolg der cremen ja von mensch zu mensch absolut unterschiedlich und ein allheilendes wundermittel wirds eh nie geben.

  10. @ LF: Vorschlag zur Güte

    Ich verteidige keineswegs die Markteinführung der Creme und schon gar nicht diese spezielle Form des Marketings. Und behaupte auch nicht, die Creme sei ausreichend getestet worden. Das ist sie mit Sicherheit nicht (aber die Creme ist ja auch nur ein Medizinprodukt, kein Arzneimittel).

    Mich stört nur diese Undifferenziertheit in der Kommentierung – und das in einem Wissenschaftsblog. Was hat die fragwürdige Präsentation eines Produkts in den Medien im Jahre 2009 mit der Qualität der vor acht Jahren durchgeführten Studien zu tun? Das muss man doch getrennt sehen. Das primäre Ziel der fraglichen Multicenter-Studie war, die Wirksamkeit der Creme nach 8 Wochen Anwendung zu untersuchen. Das hat sie getan, nach allen Regeln der Kunst und “in accordance with the ICH Guideline for Good Clinical Practice”, soweit man das von außen überhaupt beurteilen kann.

    Wenn Sie das einsehen, bin ich’s zufrieden 😉

  11. Regividerm könnte der Druchbruch sein.

    Nun die Geschichte der Regividerm Salbe nimmt nun kein Ende unter http://www.top-artikel-datenbank.de/…ng-gag.html hatte auch wir uns schon der Story angenommen. Denn eins ist Sicher hier sollten wir wirklich die Kraft von Blog und Verlinkungen nutzen um eine Starke Lobby für die Neurodermitis und Schuppenflechte Erkrankten zu bekommen. Denn sollte die Vitamin B12 Salbe wirklich helfen dann braucht man hier jede Stimme!

  12. Prioritäten setzen

    Ich finde ja, dass in den ganzen Diskussionen die Betroffenen etwas kurz kommen. Ähnlich wie kathi. Egal wer hier ein Produkt mit welchem Marketing-Konzept auf den Markt bringt und welches möglicherweise skandalöses Verhalten von den Pharmaunternehmen vorliegt. In erster Linie ist es doch wichtig, dass die Salbe den Neurodermitis Betroffenen wahre Erleichterung verschafft. Tut sie das, dann kann es jedem egal sein, wie es zur Markteinführung kam. Ich denke mal, jeder der mit dieser Hautkrankheit leben muss, zahlt den Preis für eine wirksame Salbe gerne. Völlig egal, wer an der ab November (http://www.mycare.de/glossar/regividerm) in den Apotheken erhältlichen Salbe sich einen dickes Konto verdient.

  13. Hi Forum!

    Balanus: “Mich stört nur diese Undifferenziertheit in der Kommentierung – und das in einem Wissenschaftsblog. Was hat die fragwürdige Präsentation eines Produkts in den Medien im Jahre 2009 mit der Qualität der vor acht Jahren durchgeführten Studien zu tun? Das muss man doch getrennt sehen. Das primäre Ziel der fraglichen Multicenter-Studie war, die Wirksamkeit der Creme nach 8 Wochen Anwendung zu untersuchen. Das hat sie getan, nach allen Regeln der Kunst und “in accordance with the ICH Guideline for Good Clinical Practice”, soweit man das von außen überhaupt beurteilen kann.

    Wenn Sie das einsehen, bin ich’s zufrieden ;-)”

    Ich zumindest seh es ein und kann Ihnen nur zustimmen.

    Was mir aufgefallen ist: Es gibt sehr viele Patente der Klingelhöller-Salbe, in denen die Inhaltsstoffe variiert werden, insbesondere das Vitamin B12 und seine Derivate. Aber ein Bestandteil ist stets gleichgeblieben: das Avocadoöl. Welche medizinische Wirkung hat eigentlich Avocadoöl? Warum konnte das nicht durch Olivenöl, Traubenkernöl, Sonnenblumenöl … oder ähnliches ersetzt werden?

    mfg
    Luchs

  14. Danke, dieser Kommentar hat mir gefehlt.

    An der ganzen Affäre erschüttert mich am meisten, wie vielen Konsumenten so ein Propagandafilmchen reicht, um sich völlig blindgläubig auf diese angebliche Wundersalbe zu stürzen und sie wütend vor jeder Kritik zu verteidigen.

    Wirkungsnachweise? Nicht so wichtig, irgendwelche Studien gibts ja. Arzneimittelsicherheit? Wurscht! Glauben, kaufen, draufschmieren und passt. Hauptsache, es ist irgendwie “alternativ” und gegen die böse, böse Pharmaindustrie. Da setzt jeder Verstand aus, jeder Funken Skepsis gilt schon als Verrat und Beweis, dass man mit “denen” unter einer Decke steckt.

    Für die Regividerm-Vermarkter sollten natürlich dieselben strengen Standards gelten, die man auch der verhassten “big pharma” auferlegt haben will!

  15. Je verwandter, desto verdammter.

    Der Mann hatte so viel Verstand, daß er fast zu nichts mehr in der Welt zu gebrauchen war.

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