Noch mal zu Atomkraftwerken und Tsunamis

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Ich hatte nach dem Unfall von Fukushima ja darüber geschrieben, dass Tsunamis auch Atomkraftwerke in Europa bedrohen. Das eigentliche Problem liegt allerdings in anderen Weltgegenden, die geologisch ungleich aktiver sind als unsere vergleichsweise ruhige Region. Kürzlich bin ich auf eine interessante Studie gestoßen, die zeigt, wie enorm hoch das Risiko eines zweiten Fukushima tatsächlich ist.

Die beteiligten Wissenschaftler haben sich einfach mal angeguckt, welche Atomkraftwerke so an den klassischen Tsunami-Küsten herumstehen. Also an solchen, an denen Subduktionszonen die stärksten Erdbeben überhaupt auslösen und die benachbarten Strände ziemlich regelmäßig mit Monsterwellen fluten. Es wird euch nicht überraschen zu hören, dass das sogar recht viele sind.

Subduktionszonen gibt es weltweit und entsprechend damit auch Küsten, die durch die von ihnen ausgelösten Tsunamis gefährdet sind. Allerdings stehen nicht an allen von ihnen Atommeiler: Sowohl die Westküste der Amerikas als auch die Tsunamiregionen des Mittelmeeres sind laut dieser Analyse frei von Atomkraftwerken. Ich konnte das erst nicht so recht glauben, habe aber kein Gegenbeispiel gefunden.

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Tsunami-gefährdete Atomkraft-Standorte aus Rodriguez-Vidal et al, Natural Hazards 63(2) 2012, S. 1273-1278, DOI: 10.1007/s11069-012-0162-0. Die Ziffern in Klammern bezeichnen jeweils die Zahl an Reaktoren.

Auf jeden Fall stehen nach dieser Analyse nahezu alle ernsthaft Tsunami-gefährdeten Kraftwerke in Ostasien, abgesehen von Madras in Indien und Kanupp in Pakistan. Insgesamt geht es um 23 verschiedene Standorte, von denen dreizehn derzeit im Normalbetrieb sind. Die anderen zehn? Die werden grad erweitert oder – an sieben Standorten – ganz neu gebaut.

Ich bin nicht ganz sicher ob ich darüber lachen oder weinen soll. Selbst in Japan, wo man die Lektion ja nun gelernt haben sollte, wird grad ein neuer Reaktor mit Blick auf den Tiefseegraben gebaut. Das zeigt nicht nur, dass die Menschen nicht lernen, sondern dass der japanische “Atomausstieg” von Anfang an nur Schnack war. Die meisten neuen Tsunami-Ziele baut allerdings China, insgesamt fünf, die letzte Baustelle ist in Taiwan.

Der Schönheitsfehler bei dieser ganzen Untersuchung ist allerdings, dass die Autoren nicht viel mehr gemacht haben als zwei Karten übereinanderzulegen, nämlich die mit dem Tsunami-Risiko und die Übersicht über die Atomkraftwerke weltweit. Das heißt, die Aussagekraft ist begrenzt, einerseits im Hinblick auf natürliche Gegebenheiten, die das Tsunami-Risiko mindern oder erhöhen, wie trichterförmige Flussmündungen oder vorgelagerte Inseln und dergleichen. Das hätte man ohne großen zusätzlichen Aufwand noch nachgucken können, hab ich bei meinem Blogbeitrag ja auch gemacht.

Der zweite Punkt ist natürlich, dass eben doch die Möglichkeit besteht, dass irgendwer aus Fukushima gelernt hat, und dass die Anlagen jetzt alle eilig umgerüstet werden, um sie Tsunami-fest zu machen. So richtig glaub ich da aber auch nicht dran. Schließlich sind ja per Definition alle Atomkraftwerke sicher, bis halt zum Beweis des Gegenteils. Die nächste Welle kommt jedenfalls bestimmt.

(via Chris Rowan)

12 Kommentare

  1. ok – tsunamis sind etwas furchtbares. AKWs, die von tsunamis getroffen werden, sind gefährlich. es wäre gut, wenn es sie nicht gäbe.

    trotzdem muss man darüber nachdenken, ob auf der liste der dinge, die man durchsetzen muss, um naturkatastrophen weniger tragisch enden, das abschalten von AKWs wirklich ganz oben steht. tausende leute sind in japan durch den tsunami gestorben. an strahlung aus dem AKW fukushima sind nach aller wahrscheinlichkeit ungefähr null personen gestorben. das macht atomkraft weder ungefährlich noch wünschenswert – aber panikmache hilft auch niemandem.

  2. @Oliver

    San Onofre ist aus einem ganz einfachen Grund nicht vermerkt: Dort liegt vor der Küste keine Subduktionszone, die Megabeben auslösen könnte. Das ist das Kriterium, das die Autoren verwendet haben.

  3. AKW-Bau sollte von IAEA genehmigt werden

    Der AKW-Bau sollte mindestens so streng und international geregelt sein wie der Betrieb von Flugzeugen. Zumal ja regionale bis globale Auswirkungen von Unfällen möglich sind, genügen nationale Sicherheitsbehörden nicht, denn diese urteilen möglicherweise nicht allein aufgrund von Sicherheitskriterien sondern berücksichtigen auch die nationalen Interessen. Ideal wäre eine weitere Stufe in der Genehmigungspraxis: Bereits von den nationalen Behörden genehmigte AKW’s sollten zusätzlich eine letzte, abschliessende Genehmigung von einer internationalen Behörde benötigen.

    Eigentlich müsste das im Interesse auch der AWK-Befürworter liegen, denn umso weniger ernsthafte Unfälle es gibt, umso mehr wird der Technik langfristig vertraut.

  4. Monju

    Auf der anderen Seite von Japan (links oder westlich), wo gerade zufällig kein Erdbeben und kein Tsunami war, befindet sich der Brutreaktor Monju.

    Dort sind im Jahre 1995 ganz ohne Erdbeben und Tsunami versehentlich drei Tonnen flüssiges Natrium-Metall ausgelaufen.

    Wenn die 220 Tonnen flüssiges Natrium-Metall im Kühlkreislauf von Monju zufällig mit Wasser in Kontakt kommen sollten, dann ergibt das eine praktisch unlöschbare Feuersäule, die den radioaktiven Inhalt des Reaktors bis in die Stratosphäre schleudert.

  5. Natrium

    “praktisch unlöschbare Feuersäule” ist ein schönes Harun-Farocki-Beinahezitat. 🙂
    Natrium ist aber auch ein Sauzeug. Als ich mal an der Uni war, ging die Legende, bei “den Chemikern” hätte jemand Natrium ins Klo entsorgt und dann sei jemand anderes gekommen und hätte abgezogen …

  6. Fehler

    Wenn es keine natürliche Bedrohung gibt , sorgt halt der Mensch für eine solche , Paradebeispiel Tschernobyl.

    Atomkraft ist nicht fehlerfreundlich und damit nicht haltbar.

    Vielleicht braucht jede Region ihren eigenen Gau , um sich zum Umsteuern durchzuringen.

  7. Unlöschbar

    Womit man Natrium-Brände nicht löschen kann:

    Wasser, Kohlendioxid, Natriumhydrogencarbonat (ist in Pulverlöschern), Halogenkohlenwasserstoffe (sind in Halonlöschern), und vieles anderes mehr.

    Erlaubt sind fast nur trockenes Kochsalz und trockener Sand.

    Es wird natürlich schwierig sein, rund 200 Tonnen trockenen Sandes zu beschaffen, und aus der Luft abzuwerfen.

  8. Schade …

    … aber bisher fand ich diesen Blog sehr gut. Ich werde ihn bestimmt auch weiterhin mit Interesse verfolgen, aber diesen Artikel empfinde ich als einen Tiefpunkt.

    Keine Frage, der Vorfall in Fukushima war schlimm, aber ihn nun so zu verallgemeinern ist nicht richtig. Ein Kernkraftwerk kann sehr wohl auch in Erdbebenzonen oder Tsunamiregionen sicher betrieben werden. Und auch in Fukushima wäre es nicht zu einem GAU gekommen, wenn einfachste Maßnahmen realisiert worden wären.

    Ferner wurde eben auch Schlimmeres verhindert, weil japanische Techniker schnell und entschlossen gehandelt haben. Und genau hier verstehe ich auch den Ansatz: die Kernenergie als solche ist sehr sicher geworden. Und selbst wenn es zu einer Katastrophe kommt, so verfügen wir bei dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik über die Mittel, die Folgen so gering als möglich zu halten.

    Nun aber zu fordern, nirgendwo mehr in solchen Regionen ein KKW zu bauen, wäre so, als würde man, nur weil einige wenige nicht ordentlich Auto fahren, ein generelles Fahrverbot fordern.

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