Manchmal kommen sie wieder – wie tot sind ausgestorbene Arten wirklich?

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Zu Beginn gibt es von der fraglichen Tierart noch einen ganzen Haufen Individuen, doch werden es immer weniger. Irgendwann kommt sie auf die berühmte Rote Liste und bald hört man gar nichts mehr von ihr. War’s das? Wieder 50 Punkte für die Menschheit im Evolutions-Egoshooter? Erstaunlicherweise nicht immer. Über ein Drittel aller Säugetierarten, die als verloren galten, ist irgendwann wieder aufgetaucht, darunter durchaus große Arten wie der Guadalupe-Seebär, die eigentlich gar nicht so einfach zu übersehen sind.

Sören Schewe

Woher weiß man aber eigentlich, dass ein Tier wirklich ausgestorben ist? Als grobe Richtlinie galt bis 1995 ein Zeitraum von etwa 50 Jahren, in denen die betreffende Kreatur nicht mehr gesichtet wurde. Davon ist man ein bisschen abgekommen, weil die Welt ziemlich groß ist und viele gefährdete Arten in Regionen leben, in denen botanisierende Westler damit ausgelastet sind, sich Blutegel von den Genitalien zu klauben oder gerade an irgendeinem scheußlichen Parasiten eingehen. Und im Unterholz verstecken können sich seltene Tiere natürlich auch[1].

Es ist also kaum verwunderlich, dass immer wieder verloren geglaubte Arten auftauchen, teilweise Jahrzehnte oder Jahrhunderte nach ihrem Verschwinden. Inzwischen ist die IUCN (die mit der Roten Liste) auch wesentlich vorsichtiger mit der Formulierung "ausgestorben" und verlangt als Kriterium, dass jemand hingegangen ist und sorgfältig gesucht hat, und zwar echte Zoologen mit blutegelfester Unterwäsche.

Aber auch die können keine letzte Sicherheit bieten, und so werden auch in Zukunft noch verloren geglaubte Arten aus der Versenkung auftauchen. Die Frage ist natürlich, ob der allgemeine Artenschwund dadurch nicht massiv überschätzt wird – kann man irgendwelche Aussagen machen, welche Arten unter welchen Bedingungen wiederkehren könnten? Eine solche Untersuchung haben kürzlich Fisher et al. durchgeführt, und zwar anhand der Säugetiere, die relativ gut zu beobachten und auch zahlenmäßig überschaubar sind.

Es gibt ungefähr 5000 Säugetierarten, von denen 187 seit dem Jahr 1500 verschwunden sind. Davon wiederum sind 67 Arten irgendwann wieder aufgetaucht (von denen eine, das Wüstenrattenkänguruh, ein paar Jahre nach ihrer Wiederentdeckung endgültig plattgemacht wurde). Zu all diesen fast oder ganz verschwundenen Tieren sammelten die Forscher Daten über Größe und Art des Lebensraumes, Lebensweise, Populationsdichte, menschliche Besiedelung des Lebensraumes, den wahrscheinlichen Hauptgrund fürs Verschwinden und wie oft anschließend nach dem Tier gesucht wurde. Bemerkenswerterweise ist nach Angaben der Forscher keiner der Datensätze zu weniger als 94 Prozent vollständig – Säugetiere sind recht gut erforscht.

Die statistische Analyse dieser Datensätze zeigt, dass bestimmte verschwundene Tierarten tatsächlich mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder auftauchen als andere. Naheliegend ist, dass ein großer Lebensraum die Chancen verbessert. Tiere mit Verbreitungen bis zu einer Million Quadratkilometer tauchten 26-mal so häufig wieder auf wie Tiere, die mit einem Quadratkilometer auskommen mussten. Was niemanden wirklich wundern dürfte. Auch die Art der Bedrohung macht einen Unterschied, und zwar einen, der eine gute Nachricht ist. Die meisten Tiere tauchen auf der Roten Liste auf, weil ihr Lebensraum schwindet, aber Tiere, die wegen schwindenden Lebensraum als ausgestorben galten, kehren auch am häufigsten wieder.

Wesentlich nachhaltiger ausgerottet sind dagegen solche Tiere, die vom Menschen oder den von ihnen eingeschleppten Arten vertilgt werden. Die verschwundenen Pelztiere des 19. Jahrhunderts sind mit ziemlicher Sicherheit futsch, und auch die Zukunft der meisten endemischen Arten auf Inseln ist dank Katzen, Ratten und Mäusen tendenziell ziemlich düster.

Die Daten geben auch Aufschluss darüber, wie viel Mühe man sich für eine verloren geglaubte Art sinnvollerweise machen sollte. Nach den allermeisten Säugetieren haben ein oder zwei Expeditionen gesucht, mit mäßiger Erfolgsquote, die bei der dritten bis sechsten Suche stark ansteigt. So oft ziehen die Leute allerdings eher selten los, und nur nach einem halben Dutzend dieser Tierarten haben Forscher noch häufiger gesucht, jedes mal ohne Erfolg.

Die Forscher empfehlen, die Suche nach diesen prominenten Arten – darunter der Beutelwolf und das Wildpferd – aufzugeben und die Ressourcen zu verwenden, um andere "ausgestorbene" Tiere wiederzufinden und effektiv zu schützen. Denn für viele von ihnen ist es noch lange nicht zu spät.
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[1] Abgesehen vielleicht von den Nashörnern.

Fisher, D., & Blomberg, S. (2010). Correlates of rediscovery and the detectability of extinction in mammals Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences DOI: 10.1098/rspb.2010.1579

4 Kommentare

  1. Nashörner

    Hi Lars,

    das mit den Nashörnern stimmt nicht so ganz: Das Java-Nashorn konnte sich jahrzehntelang in Zentralvietnam im Regenwald verstecken, ohne dass man es entdeckte ;-). Es hat dort sogar die Vietnamkriege überlebt – aber wohl leider nicht sich impotent fühlende Menschen, die dafür sorgten, dass die letzten Einhörner Vietnams erlegt wurden.

    Ansonsten interessante Sache – ich lese gerade ein Buch, in dem es auch um die Wiederentdeckung von Vögeln (natürlich :-)) geht, die teils über 100 Jahre verschollen waren.

  2. Urwald

    Ja – in Vietnam und Laos verbirgt sich da noch mehr, wenn man sich anguckt, wie viele große Säugetiere da in den letzten Jahrzehnten entdeckt worden waren: Saola, Muntjaks…

  3. Beim Aye-Aye auf Madagaskar war es glaube ich ganz ähnlich. Das Tier wurde vor 20 Jahren kaum bis gar nicht mehr gesichtet, heute scheint sich der Bestand ein bisschen erholt zu haben und man trifft die Fingertiere wieder auf der ganzen Insel an.

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