Krebsforschung im molekularen Labyrinth

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Im Jahr 2002 kam mit dem Wirkstoff Imatinib (Handelsname: Glivec) ein Medikament auf den Markt, das eine Krebserkrankung ursächlich bekämpft, nämlich durch Unterdrückung des schadhaften Genprodukts. Das feierten Forscher und Ärzte als Paradigmenwechsel, und seither ruhen die Hoffnungen von Forschern, Ärzten und Millionen Patienten auf der molekularen Krebstherapie, die die Krankheit an ihrer biochemischen Wurzel packen soll.

Im Zentrum dieses Ansatzes stand bisher die Identifizierung von Onkogenen, also den Genen, deren Mutation das ungebremste Zellwachstum auslöst. Neue Ergebnisse zeigen allerdings, dass die Forschung mit der Betonung der Onkogene wohl einen alten Fehler der Molekularbiologie wiederholt hat.

Die mechanistische Betrachtung des Genoms als Blaupause und der einzelnen Gene als Komponenten mit genau definierter Funktion ist noch lange nicht tot, sondern beeinflusst nach wie vor aus dem Hintergrund die Erwartungen von Wissenschaftlern und Öffentlichkeit. Die schlechten Erfahrungen mit der "Ein-Gen-Ein-Protein"-Hypothese haben niemanden gehindert, Erkenntnisse der Krebsforschung auf der impliziten Basis einer „ein-Krebs-ein-Onkogen“-Annahme zu diskutieren.

Das ist mehr als nur ein akademischer Punkt, sondern hat konkrete Folgen für die Medikamentenentwicklung, die sich derzeit intensiv mit Onkogenen befasst. Die sind möglicherweise das falsche Therapieziel. Zwei Beispiele aus der aktuellen Forschung demonstrieren das nachdrücklich.

Die Entscheidung, ob eine Zelle zur Krebszelle wird, fällt oft nicht beim Onkogen selbst, sondern in den Signalwegen, die mit dem Onkogen zusammenhängen.

Krebs: komplexer als erwartet
Leberflecken und bösartige Melanome entstehen aus pigmentproduzierenden Zellen, den Melanozyten.  In vielen Fällen verursacht die gleiche Mutation, nämlich eine Punktmutation im Protein BRAF, die Entstehung beider Phänomene. Dadurch wird das Molekül, das als Teil einer Signalkaskade Zellwachstum und Teilung reguliert, in deutlich größerer Menge gebildet. Ist BRAF in dieser Weise mutiert, teilt sich der Melanozyt häufiger und ein dunkler Fleck entsteht. Meistens ist an dem Punkt Schluss, nur manchmal entwickelt sich aus der Affäre ein Melanom: Hautkrebs.

Warum dieser Unterschied, schließlich ist die Mutation doch die gleiche? Michael Green von der Universität Massachusetts fand heraus, dass Melanozyten einen sehr effektiven Schutzmechanismus besitzen: Sobald zu viel BRAF vorhanden ist, gibt die Zelle ein anderes Protein in seine Umgebung ab, das Melanozyten dazu bringt, Selbstmord zu begehen. Eine BRAF-geschädigte Zelle, die sich teilt, leitet so direkt ihren eigenen Untergang ein. Erst wenn dieser Mechanismus nicht funktioniert, entsteht ein Melanom. Das Onkogen BRAF ist also gar nicht der springende Punkt.

Im Fall des Glioblastoms, eines aggressiven Hirntumors, zeigten Forscher, wie gefährlich die Konzentration möglicher Therapieansätze auf die Onkogene sein kann. In vielen dieser seltenen, aber gefährlichen Tumore identifizierten Krebsforscher das Onkogen STAT3. Eine ganze Reihe Forschungen befasste sich in der Folge mit Möglichkeiten, STAT3 medikamentös auszuschalten. Azad Bonni aus Harvard allerdings fand jetzt heraus, dass das keine wirklich gute Idee ist.

STAT3 ist nämlich nicht das eigentliche Onkogen, sondern wird nur von einem anderen Gen namens EGFR dazu gemacht. Dessen Proteinprodukt interagiert mit STAT3 und macht es zu einem Onkogen.

Onkogene als Therapieziel: unkalkulierbare Risiken?
Ganz anders im Falle des Tumorsuppressorgens PTEN. Wenn das beschädigt ist, übernimmt STAT3 die Aufgabe, das Zellwachstum in Schach zu halten und verlangsamt das Wachstum des Tumors. In dieser Situation STAT3 als molekulares Ziel eines Hemmstoffes zu wählen wäre fatal.

Überraschend sind derartige Entdeckungen keineswegs. Sie bestätigen, was sich schon seit einer Weile abzeichnet: Jeder Tumor ist anders. Die Hoffnung, eine gemeinsame Grundlage aller Krebsformen zu finden, die sich ursächlich behandeln ließe, hat sich zerschlagen. Und damit auch die Aussicht auf einen schnellen und universellen Ersatz für die Chemotherapie. Im Gegenteil, es scheint als sei die molekulare Medizin dabei, sich auf der Suche nach neuartigen Therapien in einem Labyrinth aus möglichen Zielmolekülen und Regulatorgenen zu verzetteln.

Denn so wertvoll die neuen Erkenntnisse über Krebs sind, vom medizinischen Standpunkt deuten sie nicht auf neue Therapieziele, sondern vielmehr auf ein verschlungendes Netz untereinander abhängiger Regelmechanismen der Zellteilung, in dem irgendwo zu irgendeinem Zeitpunkt ein Fehler aufgetreten ist. So lange diese Netzwerke nicht grundlegend verstanden sind, bleibt die ursächliche Therapie von Krebserkrankungen ein Glücksspiel mit unkalkulierbaren Risiken.

3 Kommentare

  1. Sehr schön geschrieben! Die Problematik mit den verschlungenen Stoffwechselwegen zeigt sich nicht nur bei Krebs, sondern auch bei vielen anderen Krankheiten.

    Aber es bleibt die Hoffnung, daß durch neuere, effizientere Methoden der Analytik wie zum Beispiel RNAi-Screenings irgendwann auch diese Geheimnisse gelöst werden.

  2. Wichtiges Hintergrundwissen

    für viele Betroffene und falls man sich für eine “Therapie” entscheiden muss, sollte man sich dann – angesichts dieser Ergebnisse – lieber auf seine Selbstheilungskräfte verlassen?

  3. Keinesfalls! Es gibt ja noch die klassische Chemotherapie, die in vielen Fällen hervorragend wirkt, und dazu eine ganze Reihe weiterer moderner Ansätze, Tumore direkt zu bekämpfen.

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