Krebs im Gleichgewicht

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Wenn eine Zelle zur Krebszelle mutiert, dann beginnt sie sich unaufhaltsam zu teilen, der Tumor wächst und wächst, bis der Patient irgendwann tot ist. Das ist das ungefähre Bild, das sich Forscher und Öffentlichkeit bisher von der Krebsentstehung gemacht haben.

Doch es gab schon seit einiger Zeit Indizien dafür, dass dieses Bild zu einfach ist. Das Immunsystem kann bereits vorhandene Krebszellen in Schach halten, möglicherweise über sehr lange Zeiträume.

Einen solchen „schlafenden“ Tumorzustand haben amerikanische Forscher um die Biochemikerin Catherine Koebel von der Washington University jetzt bei Mäusen nachgewiesen und eingehend untersucht. In einer aktuellen Vorabveröffentlichung auf der Homepage von Nature beschreiben sie die Ergebnisse ihrer Versuche.

Sie spritzten Mäusen die krebserregende Chemikalie 3-Methylcholanthren, die auch in Zigarettenrauch enthalten ist, und sonderten die Mäuse aus, bei denen sich Tumoren entwickelten. Von den restlichen Versuchstiere, die keinen Krebs hatten, behandelten sie die Hälfte mit Antikörpern gegen T-Lymphozyten. Diese Immunzellen greifen körperfremde Zellen wie Bakterien, aber auch Tumorzellen an. Durch die Antikörper wurden sie deaktiviert. Daraufhin bekamen die bis dahin gesunden Mäuse ebenfalls Krebs. In darauf folgenden Untersuchungen fanden die Forscher auch in den gesunden Mäusen kleine Krebsnester mit Tumorzellen in normalem Gewebe.

Diese Nester wuchsen allerdings nicht weiter – sie wurden vom Immunsystem in Schach gehalten. Die Krebszellen dort haben eine ähnliche Form wie die in wachsenden Tumoren und aktivieren ebenfalls das Immunsystem. Zwischen ihnen fanden die Wissenschaftler jedoch Immunzellen, darunter auch die T-Lymphozyten, die das Tumorwachstum offenbar unterdrücken. Zwischen Krebszellen und Immunsystem herrscht ein dynamisches Gleichgewicht: Die Immunreaktion tötet so genau so viele Tumorzellen wie neue gebildet werden.

Ein derartiges Gleichgewicht ist ausgesprochen prekär, denn sobald das Immunsystem die Kontrolle über den Krebs verliert, wächst der Tumor unaufhaltsam. In den Tierversuchen traten beide Fälle auf. Bei den überlebenden Mäusen entstanden nicht nur dann Tumore, wenn die Wissenschaftler die T-Zellen mit Antikörpern außer Gefecht setzten, sondern in wenigen Fällen auch spontan ohne äußeren Anlass. Das führen die Forscher auf Krebszellen zurück, die der Immunabwehr entwischt waren.

Die Entdeckung der amerikanischen Krebsforscher hat weitreichende Auswirkungen darauf, wie in Zukunft Krebs behandelt wird. Man könnte schlafende Krebszellen mit wachsenden Tumoren vergleichen und so verstehen, durch welche Umstände Krebs dem Immunsystem entkommen und zu einem echten Tumor heranwachsen kann. Vielleicht lässt sich der Prozess ja umkehren.

Außerdem sehen Koebel und ihre Kollegen die Möglichkeit, das Immunsystem durch gezielte Maßnahmen zur Produktion von tumorspezifischen T-Zellen anzuregen und auf diese Weise wachsende Geschwulste einzudämmen.

Auch die bisherigen Therapien müssen jetzt wohl überdacht werden: Zum Beispiel ist bekannt, dass die Bestrahlungstherapie bei Krebs das Immunsystem schwächt. Die Therapie hat möglicherweise den Nachteil, dass sie schlafende Tumoren an anderen Stellen des Körpers aufwecken kann.

Wie auch immer, jedenfalls zeigen diese Untersuchungen, dass wahrscheinlich jeder von uns ein paar Krebszellen mit sich herumträgt – und dass das im Grunde auch nicht weiter tragisch ist.

4 Kommentare

  1. Eine mögliche Nutzung der Entdeckung bzw. eine Fragestellung fehlt mir hier: Wenn es diesen inaktiven Krebs gibt, in wie vielen Fällen geht er dem aktiven Krebs voraus, und wie lange dauert dieses Stadium im Schnitt?

    Wenn die Antwort eine hohe Prozentzahl, bzw. relativ lange Zeit ist wäre es lohnend, nach den Krebsnestern zu suchen und sie zu bekämpfen, bevor der Krebs entsteht.

  2. Diese Fragen lassen sich mit den gegenwärtigen Ergebnissen nicht sicher beantworten.

    Im Mausmodell ist der Krebs allerdings bei den meisten Tieren recht schnell aufgetreten, dementsprechend würde ich vermuten, dass dieser inaktive Krebs nur sehr selten als Vorläufer von aktivem Krebs in Erscheinung tritt, sondern eher einen “gescheiterten Krebs” darstellt.

  3. Krebszellen

    “Wie auch immer, jedenfalls zeigen diese Untersuchungen, dass wahrscheinlich jeder von uns ein paar Krebszellen mit sich herumträgt – und dass das im Grunde auch nicht weiter tragisch ist.”
    Aber dies war doch schon bekannt? Ich hab es im Kochkursus unserer Schule gelernt – mit dem Rat, nicht so viel Schweinefleisch zu essen, dies würde diese Krebszellen “aktivieren”… Klang für mich damals sehr plausibel. Wie ist es mit dieser Theorie?

  4. Wie gesagt gibt es schon seit einiger Zeit Hinweise darauf, zum Beispiel Tumorbildung in transplantierten Organen. Die Idee, dass es schlafende Krebsnester geben könnte, ist also tatsächlich nicht neu. Allerdings war das bis dato pure Spekulation.

    Die Geschichte mit dem Schweinefleisch und der Tumoraktivierung ist jedenfalls eher dem Reich der Legenden zuzuordnen…

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