Kröten für die Erdbebenvorhersage: Gute Story, schlechte Wissenschaft

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Die Erdbeben erahnenden Kröten aus Italien hat in den letzten Tagen schon das eine oder andere Medium aufgegriffen. Bei uns auf spektrumdirekt taucht diese Meldung allerdings mit einiger Verspätung erst am heutigen bedeutungsvollen Datum auf, was hinreichend darüber Aufschluss geben dürfte, was wir von der Geschichte halten.

Die Pressemitteilung zum Paper jedenfalls ist nicht dazu angetan, die Meldung seriös erscheinen zu lassen: Gravitationswellen, heißt es da, sollen vor Erdbeben angeblich die Ionosphäre stören – das wären gute Nachrichten für die Astrophysiker, die gerade versuchen, Gravitationswellen-bedingte Längenänderungen von wenigen Bruchteilen eines Atomkern-Durchmessers zuverlässig zu messen. Aber auch nachdem ich mich vergewissert habe, dass es sich wohl nicht um einen Aprilscherz handelt[1], bin ich von dieser Arbeit absolut nicht überzeugt, und da bin ich nicht der einzige.

Worum es bei der ganzen Geschichte geht, habe ich in meinem Artikel für spektrumdirekt schon zusammengefasst. Eine britische Wissenschaftlerin behauptet, Kröten dabei erwischt zu haben, wie sie ein Erdbeben fünf Tage im Voraus bemerken, und sie hat auch schon eine ganze Menge Hypothesen, warum das so sein könnte.

Das offensichtliche Problem bei der Sache ist, dass es sich trotz der ach-so-wissenschaftlichen Darstellung um eine bloße Anekdote handelt, die nach ihrem Zustandekommen zu einer Ursache-Wirkungs-Beziehung umgedeutet wurde. Daran ändern auch die zusätzlich herangezogenen Ionosphärendaten nicht viel – wer weiß in wie vielen Datensätzen die Forscherin nach passenden Mustern gesucht hat? Schließlich gibt es kaum ein natürliches Phänomen, das nicht schon mal als Erdbeben-Indikator im Gespräch war.

Wir wissen schlicht nicht, wie sich die Kröten ohne das Erdbeben verhalten hätten. Die Autorin versichert uns zwar, dass Kröten so etwas „normalerweise“ nicht machen, aber wer weiß schon sicher, ob die einzige Abweichung von der Normalität das Erdbeben war? Ich bin auch wenig begeistert von der Analyse, laut der es keine Korrelation zwischen Wetter und Verhalten gibt – ein Blick in die Daten demonstriert jedenfalls das Gegenteil: Am Tag nach dem ersten größeren Regenschauer des Monats sind die Kröten wieder in voller Mannschaftsstärke vor Ort.

In letzter Konsequenz ist es doch so: Ein einmaliges Zusammentreffen erlaubt überhaupt keine Schlussfolgerungen. Selbst wenn man die kausale Verbindung zwischen Kröten-Exodus und Erdbeben einmal als Arbeitshypothese akzeptiert, bleiben zu viele Fragen offen: Passiert das auch bei anderen Erdbeben, und wenn ja, mit welcher Zuverlässigkeit? Verkriechen sich die Kröten nur bei Erdbeben oder gibt es andere Einflusse mit vergleichbarer Wirkung? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Art und Stärke des Erdbebens und dem Krötenverhalten? Was ist mit Subduktionsbeben, die einem ganz anderen Mechanismus gehorchen?

Ich bin geneigt, mich dem Urteil der hier von Michael Reilly zitierten Seismologin anzuschließen: Das Paper einfach unbrauchbar. Ohne eine lange, zuverlässige Zeitreihe und reproduzierbare Daten entbehren die vorgebrachten Hypothesen und Spekulationen jeglicher Basis – ein Datenpunkt und ein Haufen Spekulation sind nun mal noch keine Wissenschaft.
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[1] oder zumindest um einen so liebevoll gemachten, dass es eine Schande wäre nicht darauf reinzufallen.

6 Kommentare

  1. Eines dürfte sicher sein: In der Eso-Sphäre wird es nun Mode werden, sich eine Kröte im Gartentümpel zu halten. Schließlich sind die Viecher in Grimms Märchen auch schon als weise dargestellt, und jetzt das. Da muß ein Zusammenhang bestehen. 😉

  2. Wissenschaftlichkeit

    Eine einzelne aktuelle Veröffentlichung ist sowieso nie Wissenschaft in dem Sinne, dass man sie ab Erscheinen für gesicherte Erkenntnis halten könnte. Erst einmal handelt es sich um einen Beitrag zum Wissenschaftsprozess. Ob es ein relevanter Beitrag war, der zum Fortschritt beigetragen hat, wird man erst später rückblickend beurteilen können.

    Nichts ist anstößig oder unwissenschaftlich daran, neben Versuchsergebnissen auch Einzelbeobachtungen oder Spekulationen in den Wissenschaftsprozess einzubringen. Wichtig ist nur, dass die Darstellung korrekt ist und dass der Beitrag interessant ist, und darum kümmert sich das Peer-Review-Verfahren.

    Dass Journalisten solche Veröffentlichungen gerne mal verdrehen zu: “Wissenschaftler haben herausgefunden, …” und darin von Pressestellen tatkräftig unterstützt werden, steht auf einem anderen Blatt.

  3. „Wissenschaftliches“ Lachen

    Es gehört öfter zur Wissenschaft, dass man über neue Erkenntnisse lächelt… Gut, ich stimme allerdings auch zu: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer – aber sie ist ein deutlicher Vorbote.
    Und so hatte ein japanischer Prof. nach einem Erdbeben die Bevölkerung gefragt – und jede Menge Informationen zusammen getragen, die eine gestaffelte Information vor einem Erdbeben bringen. Ein FS-Film erläuterte einige Einzelheiten.
    So wäre es wohl auch interessanter, aussagekräftiger gewesen, den Kreis um die Krötenforschung größer zu ziehen. Nach dem Tsunami vom 26.12.2004 hat man auch zahlreiche Informationen über die Tierreaktionen zusammen getragen. Hätte man es „vorher gewusst“ – besser, nicht verlernt und beachtet, wäre die Opferzahl bedeutend geringer ausgefallen.
    Eine gute Voraussage klapp in der Praxis noch eher selten. Zu dem Beben vom 27.07.1976 in China hat ein Professor ein mittleres Beben vorausgesagt und die Behörden informiert. In einer Provinz hat man die Bevölkerung evakuiert, eine andere reagierte nicht. Der Professor hatte sich insofern geirrt, dass das Beben kein mittleres sondern ein großes war, Stärke 8,2. Die eine Provinz hatte vergleichsweise wenige Tote die andere in Tangshan um 250.000 zu beklagen.
    Zu einer Voraussage gehört auch eine Umsetzung – und je besser die Voraussage – umso weniger Opfer.
    Solche wissenschaftlichen Lacher gab es auch am St. Helen 1980. Einer der Wissenschaftler hatte aber ein Dokument aus der Sowjetunion ausgewertet, die einen seitlichen Ausbruch eines Vulkans in ihrem Land analysiert hatten. Auf Grund des Baus des St. Helen schlussfolgerte er auch hier auf einen seitlichen Ausbruch – seine Kollegen lachten ihn nur aus – bis es zu spät war und die Nordseite den Ausbruch verzeichnete – und damit alle „seriös-wissenschaftlichen“ Pläne „zuschüttete“, s. a. Irrtümer der Wissenschaft: http://www.deistung.de/…l/veroffentl/irtumer.htm

  4. Begriffsverwirrung

    Die folgende Anmerkung scheint mir hier jedenfalls noch angebracht:

    In der Pressemitteilung ist von “gravity waves” die Rede, was mit “Schwerewellen” zu übersetzen wäre und ein Phänomen in der Fluid Dynamik bezeichnet. Etwa für Meteorologen und Ozeanographen ist so etwas bedeutsam.

    Die verzweifelt gesuchten “Gravitationswellen” heissen auf Englisch “gravitational waves”. Dass die ähnlich lautenden Bezeichnungen immer wieder zu Verwechslungen führen liegt praktisch auf der Hand. Der fragliche Kontext scheint aber darauf zu deuten, dass hier tatsächlich wohl nur die Schwerewellen gemeint sind.

  5. Bäh!

    @Chrys: Stimmt, ein Übersetzungsfehler meinerseits.

    @Türpe:
    Was dieses Paper unwissenschaftlich macht ist, dass es eben nicht nur eine Einzelbeobachtung und die zugehörigen Daten präsentiert, sondern wild in der Gegend herumdeutet und selektiv zur vorgefassten Deutung passende Daten zusammenträgt.

    Abgesehen davon sind derartige Beobachtungen bereits zehntausendfach publiziert worden. Das ist nicht neu. Neu wäre eine systematische Studie.

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