Kick it like Einstein: Der Klimawandel kommt nach Kalundborg

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Dass die Klimaforschung für Dänemark eine besondere Bewandtnis hat, liegt nahe. Einerseits hat das Land mit Grönland einen ganz substanziellen Fuß in der Tür, wenn es um die Erschließung der zunehmend eisfreien Arktis geht, zum anderen liegt eben dort auch der zweitgrößte Eispanzer des Planeten, der für sich allein genommen den Meeresspiegel um sieben Meter steigen lassen könnte.

Das wiederum ist für den Rest Dänemarks relevant, denn das Land zwischen Nord- und Ostsee ist streng genommen kaum mehr als ein Stück Rasen auf Meeresniveau. Der höchste Berg ist knapp 171 Meter hoch, und weite Teile des Landes liegen weniger als zwanzig Meter über dem Meer. Es war nicht ganz einfach, von Dänemark eine Höhenkarte zu bekommen – es lohnt einfach nicht…

Für ein solches Land hat Wasser natürlich eine ganz entscheidende Bedeutung, die sich unter anderem im internationalen Projekt BaltCICA – Climate Change: Impact, Costs and Adaptations widerspiegelt, an dem von dänischer Seite der Geological Survey of Denmark and Greenland, der dänische Technologierat und die Kommune Kalundborg beteiligt sind.

Kalundborg ist eine Stadt mit fast tausendjähriger Geschichte an der Westseite der Insel Seeland, auf der auch die Hauptstadt Kopenhagen liegt. Das Stadtgebiet selbst hat etwa 20000 Einwohner, ein Bisschen Industrie und ein ziemlich typisch dänisches Umland mit Windrädern, Landwirtschaft und Ferienhäusern voller versoffener deutscher Abiturienten.

Man erkennt schon an den Kooperationspartnern, dass es bei den Projekten von BaltCICA nicht mehr um Klimaforschung geht, sondern um konkrete Strategien, mit den sich ankündigenden Veränderungen umzugehen. Im Fall von Kalundborg betrifft das vor allem das Wasser. Die Dänen orientieren sich an der Prognose A2 des IPCC, die davon ausgeht, dass sich an der Zunahme der Treibhausgasemissionen über die nächsten Jahrzehnte nichts Wesentliches ändern wird.

Wasser allüberall
Ein Aspekt ist natürlich der steigende Meeresspiegel. Bis zum Jahr 2090 erwarten die Dänen einen Anstieg um etwa 80 Zentimeter. Dazu kommen Sturmfluten, die wegen erwartet stärkerer Winde ebenfalls etwas höher auflaufen werden. Der zu erwartende Höchststand für ein alle 50 Jahre auftretendes Extremereignis liegt dabei zweieinhalb Metern über dem heutigen Normalnull – ein Wasserstand, bei dem nicht nur die Innenstadt von Kalundborg absaufen würde, sondern weite Teile des in der Studie betrachteten Gebiets. Der See Tissø, fünf Kilometer Landeinwärts gelegen, würde zur Meeresbucht. Außerdem verstärkt ein höherer Meeresspiegel die Erosion der Küste insgesamt.

Auch die Niederschläge werden sich ändern. Für die gesamte Ostseeregion wird im Winter etwa ein Drittel mehr Niederschlag erwartet, während das Sommerhalbjahr entsprechend trockener wird. Die saisonal konzentrierten Regenfälle erhöhen die Wahrscheinlichkeit für zeitweiligen Wassermangel einerseits und Überflutungen andererseits, zumal Starkregenereignisse unter wärmeren Bedingungen wohl mehr Wasser mit sich bringen.

Die Region Kalundborg ist für diese Veränderungen besonders verwundbar, weil große Teile des Gebietes selbst für dänische Verhältnisse tief liegen. Und für die 1170 gegründete Stadt sind die paar Jahrzehnte, bis der Klimawandel dort ein echtes Problem wird, kaum mehr als ein Wimpernschlag.

Das Untersuchungsgebiet, mit Überschwemmungen bei einem Wasserstand von zwei Metern über NN. Roter Kreis: Kalundborg. Screenshot aus flood.firetree.net, Daten: NASA

Deswegen ist die Kommune samt ihrer Bevölkerung eng in das Projekt eingebunden. Der Geological Survey hat im Vorfeld detaillierte Analysen der lokalen Konsequenzen möglicher und wahrscheinlicher Ereignisse bereitgestellt und Gefahrenpotentiale aufgelistet, die als Basis der Entscheidungsfindung dienen. Auf dieser Grundlage veranstalteten Technologierat und Kommune einen zweitägigen Workshop mit Vertretern von Landwirtschaft, Industrie und anderen Gruppen.

Ein lokaler Ansatz
Ziel der Veranstaltung war es, konkrete Visionen zu entwickeln, wie die gemeinschaftliche Reaktion der Bevölkerung aussehen könnte. Anfang 2011 soll dann ein großer Bürgergipfel mit 500 Teilnehmern in Kalundborg stattfinden, der die Bevölkerung in den Entscheidungsprozess einbeziehen und letztendlich alle Einwohner zu Teilhabern des Anpassungsprozesses machen soll.

Es ist dieser wirklich hyperlokale Ansatz, gekoppelt mit einer heutzutage leider selten gewordenen langfristigen Perspektive, die derartige Projekte von den Klimadesastern der staatlichen Akteure unterscheidet. Um der Bevölkerung ihre eigene Betroffenheit nahezubringen, haben die Macher der Fallstudie Kalundborg extra drei kurze Geschichten geschrieben, in denen ein fiktiver Journalist vor dem Hintergrund einer extremen Sturmflut im Jahr 2091 auf die Maßnahmen seiner Kommune im 21. Jahrhundert zurückblickt.

Die drei Szenarien beschreiben drei unterschiedliche Ansätze, wie eine Gemeinde wie Kalundborg auf konkrete Veränderungen durch den Klimawandel reagieren kann. Das erste Szenario ist eine Politik des Laufenlassens, in der weder Staat noch private Akteure Vorsorgemaßnahmen treffen und nur auf konkrete Bedrohungen reagieren. Dagegen beschreibt das zweite Szenario eine Politik, in der der Schutz bestehender Werte und Einrichtungen oberste Priorität hat, also in der großer Aufwand getrieben wird, um auch in Zeiten des Klimawandels in jeder Hinsicht weitermachen zu können wie bisher.

Szenario Nummer drei ist das der schlauen Anpassung. Hier soll bestehendes aufgegeben werden, wenn seine Bewahrung zu teuer oder langfristig zwecklos ist, zum Beispiel küstennahes Bauland. Landwirtschaft und Infrastruktur werden hier den Erfordernissen der neuen Gegebenheiten angepasst.

Ihr seid ja nicht doof und könnt euch ungefähr denken, was in den einzelnen Szenarien so drinsteht: Im ersten Fall kommt die große Flut, spült Ferienhäuser weg, ersäuft Äcker und macht alles ganz furchtbar. Wie das halt so ist, wenn man sich nicht um den Klimawandel kümmert. Die zweite Variante hält das Wasser ab, aber natürlich muss man sich sorgenvoll fragen, ob die Folgen für die Umwelt und vor allem die Kosten vertretbar sind und ob man sich für immer und ewig eindeichen kann. In Szenario drei kommt zwar die Große Sturmflut, aber das macht nichts weil man sich ja an den Klimawandel angepasst hat und überall Wein und exotische Früchte wachsen, während glückliche Kühe in den naturgeschützten Salzmarschen grasen. Ich übertreibe nur geringfügig.

Was die Autoren erreichen wollen ist natürlich klar, und die Texte sind so geschrieben, dass die Botschaft selbst in den dicksten dänischen Sturkopf vordringt. Es dürfte auch nur wenige Einwohner in Kalundborg geben, die das nicht als die Propaganda erkannt haben, die sie ist. Trotzdem glaube ich, dass die Texte ihre Wirkung nicht verfehlen werden, denn dahinter steht solide Wissenschaft, und das ganze Projekt ist darauf ausgerichtet, jeden einzelnen direkt anzusprechen: Es ist nicht irgendein Fluss, der möglicherweise über die Ufer tritt, sondern der, in dem Du heute Morgen noch geangelt hast. Es wird sich nicht nur ein bisschen Geographie verändern, es werden die Orte Deiner Kindheit verschwinden. Der Klimawandel ist auch Dein Problem. Aber Du kannst etwas dagegen unternehmen.

4 Kommentare

  1. Antizipation

    “Der Klimawandel ist auch Dein Problem. Aber Du kannst etwas dagegen unternehmen.”

    Wie die drei Szenarion zeigen, kann man sich auf unterschiedliche Weise anpassen.

    Die Mitigationsstrategien des IPCC dagegen mit einem Post-Kioto-Vertrag umsetzen, davon sind wir noch weit entfernt. CO2-Emissionen reduzieren ist eben nicht so einfach. Für uns Europäer wohl noch am einfachsten, für China und Indien praktisch unmöglich. Und es funktioniert ja nur, wenn alle grossen CO2-Sünder mitmachen.

    Die Klimawandel wird den Dänen in dem hier besprochenen Projekt fiktiv erfahrbar gemacht. Aber Fiktion und Realität sind zwei paar Schuhe. Sich Nass machen und sich vorstellen, nass zu werden, sind doch nicht ganz das gleiche.

    Menschen bereiten sich wenn schon nur auf sehr wahrscheinliche Projektionen der Zukunft vor – in der Vergangenheit waren das sehr oft Kriege, denn früher waren Kriege wiederkehrend und man wusste womit man zu rechnen hatte. Die Klimakatastrophe – wenn sie denn eintritt – kriegt wohl keine Chance zur Wiederholung.

  2. Kioto…

    Ich denke auch, dass der sehr abstrakte globale Ansatz für eine ganze Reihe Probleme und letztendlich das Scheitern der Klimapolitik verantwortlich ist. Wahrscheinlich wäre es strategisch günstiger gewesen, erst auf lokaler Ebene Bedrohung und mögliche Maßnahmen zu diskutieren und die Bevölkerung konkret einzubinden. Auf dem lokal entstandenen Bewusstsein hätte man dann nationale und globale Maßnahmen aufbauen können.

    So haben einfach sehr viele Leute das Gefühl, von ihren Regierungen mit abstrakten Bedrohungsszenarien über den Tisch gezogen zu werden, und das ist natürlich fruchtbarer Boden für die Verschwörungstheorien der Klimaleugner.

    Heißt es nicht: “Alle Politik ist lokal”? Anscheinend hat die Klimapolitik das irgendwann vergessen.

  3. @Fischer KIOTO und das falsche Denken

    Kioto und der Post-Kioto-Vertrag, der in Kopenhagen hätte zustande kommen sollen, haben das Denken in eine vollkommen falsche Richtung gelenkt: nämlich das Feilschen um Reduktionsquoten und das Denken in Handelssystemen mit Emissionsrechten.

    In den Köpfen der Menschen muss aber etwas ganz anderes ankommen, nämlich die Gewissheit, dass wir unser Leben und unsere Wirtschaft vollkommen dekarbonisieren müssen und dass Kohlendioxid und damit Kohle und andere fossile Stoffe für die Zukunft der Menschheit sogar gefährlicher als radioaktive Abfälle sind.

    Wäre dieses Bewusstsein vorhanden, dann wäre schon passiert, was Al Gore erwartet:
    “I can’t understand why there aren’t rings of young people blocking bulldozers, and preventing them from constructing coal-fired power plants.”
    und es gäbe international bekannte Organisationen mit der Bezeichnung:
    Coalition against Coal und einen Jihad against Coal

    Die UNO hätte eine Organisation namens ICEA gegründet (Internation Coal-Exit Agency) und Deutschland die geplanten 26 Kohlekraftwerke definitiv vom Tisch genommen (statt dessen hat Deutschland feste Lieferverträge für Kohle mit Australien abgeschlossen).

  4. Die Grünen und die Kohle

    Die Partie der Grünen hat ihren Ursprung im Kampf gegen AKW’s. Kohlekraftwerke galten ursprünglich als bessere Alternative.
    Auch heute noch hat das Abschalten von AKW’s Priorität vor irgendwelchen Emissionsreduktionen.
    So verwundert es nicht, dass das Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg kein Hindernis für die Koalition Grüne CDU war.

    Die Grünen verkörpern die Tatsache, dass das CO2-Problem nur bei wenigen im Zentrum des Denkens steht. Das Klimaproblem wird unter der Kategorie Umweltprobleme subsumiert.

    Es liegt in der Natur der Sache, dass das Klimaproblem noch nicht die prominente Rolle im Denken einnimmt, das ihm gebühren würde. Es handelt sich ja um ein Problem der Zukunft und sowohl die Stärke der Klimaerwärmung als auch die Konsequenzen sind noch umstritten.

    Sollen wir uns heute schon um unsere Zukunft kümmern? Das tun wir doch auch in anderen Bereichen als dem Klimaschutz nicht: Die finaniellen Schulden müssen die Nachkommen begleichen, mit Rohstoffen wird nicht sparsam umgegangen, den Nachkommen wird schon etwas einfallen, und so weiter.

    Es ist also sehr gut möglich, dass unsere Nachkommen einmal sehr froh sein werden um Möglichkeiten wie Geoengineering, denn es wird ihnen vielleicht gar keine andere Wahl bleiben.

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