“im Wesentlichen Diebstahl” – Krebsmedikamente für Indien

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Wie man jetzt wieder lesen kann, vergibt die indische Regierung Lizenzen für Dinge, die ihr gar nicht gehören: Medikamente westlicher Hersteller. Der jüngste Fall geht gerade durch die Presse und betrifft das 2006 zugelassene Krebsmedikament Nexavar. Dessen Eigentümer Bayer ist natürlich gar nicht amüsiert, und Bayer-CEO Dekkers hat im Dezember gerade demonstriert, wofür es professionelle Pressesprecher gibt.

Die sagen nämlich nicht ohne nachzudenken Dinge wie “Wir haben das Medikament nicht für Inder entwickelt, sondern für Patienten aus dem Westen, die sich das leisten können” (Dekkers am 3. Dezember).

Das ist nicht nett, aber Unternehmen müssen halt sehen, wo die Kohle herkommt.

Andererseits, wenn er das so sagt, frage ich mich: Warum der Aufstand? Wenn Bayer das Nexavar eh nicht an Inder verkaufen will, dann verlieren sie schließlich auch kein Geld, wenn jemand Anderes das Medikament für Inder herstellt.

Gut, so einfach ist es natürlich nicht. Und Dekkers macht es sich wiederum zu einfach, wenn er die indische Praxis als “im Wesentlichen Diebstahl” bezeichnet. Die Zwangslizenzen der indischen Regierung sind im Prinzip so legal wie Steuern. Das Verfahren ist außerdem an Bedingungen geknüpft – zum Beispiel, dass der Hersteller verpennt hat, das Medikament in Indien zu einem fairen Preis anzubieten. Laut Bloomberg hat zum Beispiel Roche für sein Medikament Herceptin diesen Weg gewählt und sich eine indische Partnerfirma gesucht.

Im Grunde sind sich ja auch alle Beteiligten (inklusive Pharmafirmen) einig, dass der Zugang zu lebensrettenden Medikamenten nicht nur auf den reichen Westen beschränkt sein darf. Der Streit dreht sich letztendlich um die Frage, was genau das bedeutet und wer die Kontrolle darüber hat, wann welches Medikament wem zu welchem Preis zur Verfügung steht.

Viagra und Haarwuchsmittel – die Zukunft der Pharmaindustrie?

Und da darf man halt nicht vergessen: Alles für alle und umsonst funktioniert nicht. Man kann sich jetzt zwar die Illusion machen, mit derartigen Zwangslizenzen und reduziertem Patentschutz für Medikamente nur den reichen Pharmaunternehmen etwas wegzunehmen. Aber ein neues Medikament zu entwickeln kostet nun mal sehr viel Geld, das irgendwann irgendjemand bezahlen muss.

Konkret heißt das: Wenn man bei der Zwangslizenzen-Geschichte nicht aufpasst (zum Beispiel auf Reimporte aus Indien nach Europa), dann wird es irgendwann unwirtschaftlich, Medikamente wie Nexavar zu entwickeln. Und dann werden Unternehmen diese Medikamente auch nicht mehr erforschen. Das Problem haben wir unter anderem mit Antibiotika: Das wirtschaftliche Potenzial ist aus verschiedenen Gründen so gering, dass kaum noch neue Wirkstoffe erforscht werden. Und das ist ziemlich unerfreulich.

Wenn das nach und nach mit allen Medikamentenklassen passiert, dann gucken wir irgendwann doof, wenn alle Pharmaunternehmen nur noch in Viagra und Harwuchsmitteln machen.

Wir zahlen so oder so

Jetzt könnte man sagen, na gut, dann übernimmt halt der Staat die Forschung, wenn die Unternehmen nicht mehr wollen. Das hat erstens schon bei den Antibiotika nicht geklappt und zweitens bedeutet das dann, dass wir die teure Forschung eben doch wieder bezahlen. Nur halt direkt per Steuern und nicht über die Medikamentenrechnung.

Insofern wäre es sicher sinnvoller, wenn sich alle Beteiligten sich darauf einigen, wie man den Armen der Welt Zugang zu Medikamenten geben kann, ohne dass an endlosen Prozessen Hunderte Anwälte reich werden und die Pharmaunternehmen sich neue Geschäftsfelder suchen müssen. Denn was das für ein Theater in Bild & Co. gibt, wenn die Inder dereinst ein vom deutschen Steuerzahler finanziertes Medikament zwangslizensieren, das will ich mir nicht mal vorstellen.

5 Kommentare

  1. So gross ist dieses Problem nicht und die Ungerechtigkeit, dass bestimmte Medikamten nur den Wohlhabenden zugänglich sind hält ja höchsten 15 Jahre lang an, denn nach 15 Jahren ist der Patentschutz abgelaufen.
    Viele wichtige Medikamente sind heute bereits als Generika erhältlich. Letztlich sind das alle Medikamente, die vor 1998 entwickelt wurden. Dazu gehört beispielsweise Acetylsalicylsäure (Aspirin), die meisten Diruetika und viele Herz-Kreislaufmedikamente. In China, Indien, Brasilien und Russland decken Generika bis zu 80% des Arzneimittelmarktes ab. Im Wikipedia-Artikel zu Generika liest man, dass 2012 Patente mit einem Umsatzvolumen von 37 Milliarden US-Dollar auslaufen.
    Wenn aber Länder wie Indien auch Medikamente kopieren, die noch unter Patentschutz stehen, dann besteht tatsächlich die Gefahr, dass sie den Markt kaputtmachen und Forschung sich nicht mehr lohnt. Was dann auf die Kopisten-Länder zurückfällt.Kurzfristiges Denken lohnt sich eben global gesehen nicht. Nur ein paar Wenige profitieren von solchen Verstössen gegen geltendes Recht. Wenn es wirklich lebenswichtige Medikamente gibt, die noch unter Patentschutz stehen und bei denen eine weitere Verbreitung vielen auch ärmeren Menschen helfen würde, dann müsste man dafür eine Art Schiedsstelle schaffen und die betroffenen Firmen daran beteiligen oder ihnen Kompensationen anbieten. Einfach geltendes Recht brechen mit dem Vorwand man wolle nur Gutes tun, ist zu einfach.

  2. “Die Dauer des Patentschutzes für ein Patent beträgt, gerechnet ab dem Anmeldetag des Patents, maximal 20 Jahre. Allerdings muss man über die gesamte Laufzeit des Patents die Jahresgebühren bezahlen und es darf nicht für nichtig erklärt werden. Außerdem muss das Patent erteilt worden sein. Danach ist der Patentschutz abgelaufen.”
    Nachzulesen unter http://www.patent-page.de/patentschutz-dauer .
    Das Problem liesse sich teilweise lösen, indem die Pharmafirmen in den “Entwicklungsmärkten” auf Patentschutz verzichten und mit lokalen Produzenten zusammenarbeiten. Der Reimport wäre durch die EU- etc. Patente verboten, für den lokalen Markt dürfte jedoch produziert werden.
    Bleibt noch das Probelm des Technologietransfers, was sich aber lösen lassen sollte (z.B. über Halbfabrikate, die zu günstigen Konditionen geliefert werden.)
    Die Aktionäre werden zwar aufschreien, da das höchste Gut (Dividendenmaximierung) damit verringert wird, jedoch sollte es den Pharmafirmen die dringend benötigte gute Presse sichern. Auch gutes Image ist ein Wert.

  3. “Und dann werden Unternehmen diese Medikamente auch nicht mehr erforschen.”

    Machen Sie ja wie du selbst festgestellt hast jetzt schon nicht, da wo nicht genug Profite winken.
    z.B.: auch bei Hautkrankheiten
    Ganz gross ist im Moment nach Zweit- und Drittverwertungen schon zugelassener Medikamente zu suchen. So Nebenwirkung reloaded. Kostet nicht so viel und lässt sich neu schützen.

    Ist es aber nicht ein etwas merkwürdiges Konzept zu versuchen, eine Handvoll Konzerne, über staatlich garantierte Monopol Profite zu verantwortungsvollem Handeln zu bewegen?
    Diese Konzerne, auch wenn das für viele Mitarbeiter anders aussehen mag, haben in Ihrer Gesamtheit nicht das Ziel wirksame Medikamente zu entwickeln, die haben das Ziel Ihre Profite zu maximieren.
    Und wenn da die BWLer/Berater mal wieder Ihrem neuesten dämlichen Spleen nachrennnen, dann rennt der ganze Konzern mit. Und die anderen Konzerne mit ziemlicher Sicherheit gleich hinterher.

  4. Das ist einerseits richtig, aber man muss das Patentsystem mit realistischen Alternativen vergleichen und nicht mit dem, was man gerne hätte. Es kann uns relativ egal sein, aus welcher Motivation so ein untrernehmen arbeitet, so lange das Ergebnis stimmt. Pharmaforschung für umme und zum reinen Wohl der gesamten Menschheit ist eh eine Illusion, das werden auch Staaten oder Privatleute nicht tun.

    Mit dem Patentsystem haben Unternehmen einen Anreiz, möglichst weit verbreitete medizinische Probleme zu lösen, um während der Patentlaufzeit möglichst viel Geld zu scheffeln. Zusammen mit Staatlicher Regulierung und anderen Mechanismen hat dieses System haufenweise nützlicher Pharmazeutika hervorgebracht.

    Was sind die Alternativen, und was können sie leisten? Und nicht zuletzt: Wer zahlt die Rechnung?

  5. Das jetzige System ist schon im Großen und Ganzen gut. Man könnte aber noch an ein paar Feinheiten schrauben. Z.B. den Patentschutz für Medikamente weniger verbreiteter Krankheiten ausweiten und bei ökonomisch bedeutsameren Leiden zeitlich kürzen (weil es sich evtl. auch so lohnt) bzw. nach einem gewissen Maximalumsatz (der höher ausfällt bei großem unabhängig eingestuften Nutzen des Medikaments) den Patentschutz streichen – bzw. den Patentschutz je nach internationalen politischen Gesundheitszielen Bereichs-gestaffelt festlegen.
    Kann aber natürlich sein, dass die damit einhergehende Bürokratie den Wert einer solche Änderung untergrübe, aber eine Idee wär’s.

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