H3N8: Was macht eine Vogelgrippe zur Pandemie-Gefahr?

Sehen wir gerade das nächste pandemische Grippevirus? Gestern kam ja die Meldung, dass sich in der chinesischen Provinz Guangdong ein Mensch an dem Vogelgrippe-Subtyp H3N8 gestorben ist. Es war die dritte Infektion bei Menschen binnen eines Jahres, und seither haben Fachleute diesen Erreger als mögliches Problemvirus auf dem Schirm. Nun springen zwar immer mal wieder irgendwelche Vogelgrippeviren auf Menschen über, aber dieser Fall ist etwas anders gelagert. Es gibt gute Gründe, diesen speziellen Grippe-Subtyp etwas genauer anzugucken.

Auf den ersten Blick ist der Fall nicht allzu aufregend. Er fügt sich in das – grundsätzlich durchaus gefährliche – Hintergrundrauschen der immer wieder auftretenden zoonotischen Ansteckungen mit Vogelgrippe ein. Beispiele aus der letzten Zeit sind H7N9, H9N2, H5N8 und zuletzt auch in Europa mit H5N1, einem Virus, das schon seit ner Weile ganz oben auf der Liste der Pandemiekandidaten steht.

Das Auftreten von H3N8 wirft allerdings ein paar interessante Fragen über die Evolution und das Pandemiepotenzial solcher Vogelgrippeviren auf. Der Unterschied zwischen diesem Virus und den anderen sporadischen Vogelgrippe-Fällen ist der H3-Teil. Das H steht für Hämagglutinin, eines der drei Membranproteine des Virus und jenes, mit dem Influenza an Wirtszellen bindet. Die Zahl steht für den Subtyp. Es gibt bisher 18 bekannte Hämagglutinin-Subtypen, die Mehrzahl von ihnen kommt – sofern bekannt – nur bei Vögeln vor.[1]

H3N8 kann sich gut an Säugetiere anpassen

Der spannende Teil ist, dass Epidemien unter Menschen bisher exklusiv von Grippeviren mit drei Hämagglutinin-Subtypen ausgingen: H1, H2 und eben H3. Der aktuell weltweit dominante Grippe-Subtyp gehört wie H3N8 in die letztere Gruppe, es ist H3N2. Das N, in dem sich die beiden unterscheiden, steht hier für die Neuraminidase, ein weiteres Oberflächenprotein des Grippevirus, das mehrere Funktionen erfüllt, unter anderem bei der Freisetzung der Viren. Bisher sind elf N-Subtypen bekannt, epidemisch bei Menschen traten bisher nur Nummer 1 und 2 auf.

Viren mit der Kombination H3N8 sind nun keine Unbekannten. Sie haben bereits gezeigt, dass sie gut bei Säugetieren funktionieren. Ein solches Grippevirus zirkuliert zum Beispiel schon seit langer Zeit unter Pferden und sprang 2004 von denen auf Hunde über, wo das Virus jetzt ebenfalls Epidemien verursacht.

Bei den aktuellen Fällen bei Menschen reden wir wiederum über ein ganz anderes Virus. Es ist zwar ebenfalls H3N8, aber auch innerhalb einzelner Subtypen kann es große Unterschiede geben, zum Beispiel an welche Rezeptoren das Hämagglutinin bindet. Denn auch Säugetiere unterscheiden sich biochemisch untereinander. Menschen können sich zwar mit der Pferdegrippe infizieren, geben das Virus aber nicht weiter, weil das Pferde-H3 schlecht an den menschlichen Rezeptor bindet. Daran scheint sich auch über Jahrzehnte nichts zu ändern.

Das muss aber eben nicht für das neue Virus gelten. Aus Experimenten weiß man, dass Schweine sich nicht mit Pferde-H3N8 anstecken können, sehr wohl aber mit Vogel-H3N8. Auch das Virus, das jetzt von Vögeln auf Menschen übergesprungen ist, bindet auch nicht dolle an menschliche Zellrezeptoren, ist aber viel flexibler als das Pferdevirus: beim ersten bekannten infizierten Menschen, einem vierjährigen Jungen, trugen sowohl Hund als auch Katze der Familie den Erreger ebenfalls in sich. Wer da wen angesteckt hat, ist bis heute unklar, aber ein vielseitiger neuer Erreger hat natürlich auch mehr Potenzial, zum Problem zu werden.

Sind manche Subtypen für Menschen ungeeignet?

Für dieses Potenzial spricht auch, dass H3-Influenza in Form des Subtyps H3N2 bereits bei Menschen etabliert ist. Das heißt, anders als bei H5N1 wissen wir, dass sich solche Viren prinzipiell effektiv von Mensch zu Mensch verbreiten können. H3N8 selbst ist einer der möglichen Kandidaten für die “Russische Grippe” von 1890. Hintergrund der Idee sind Versuche in den 1960er Jahren, in denen viele alte Menschen einen Immunschutz vor H3-Erregern hatten, obwohl kein solches Virus zirkulierte. Das deutet darauf hin, dass sie in ihrer Jugend mit so einem Erreger in Kontakt gekommen waren.

Das wirft natürlich die Frage auf, ob bestimmte Subtypen von vornherein dafür geeignet sind, sich unter Menschen auszubreiten, während andere es grundsätzlich nicht können. Ist es reiner Zufall, dass – soweit bekannt – bisher nur die Subtypen H1, H2 und H3 Epidemien unter Menschen ausgelöst haben? Oder bilden diese Viren einen exklusiven “Menschen-Club”? Gibt es andersherum womöglich eine fundamentale biologische Barriere, die H5N1 oder H7N9 als Menschengrippe ungeeignet macht? Das ist bisher unbekannt. Zumindest aber scheinen Grippeviren, die besonders tödlich für Vögel sind, es bei Menschen schwer zu haben. Man bezeichnet solche Erreger als HPAI (highly pathogenic avian influenza), und es gibt anscheinend keinen Zusammenhang zwischen schweren Epidemien bei Geflügel und Pandemien bei Menschen.

Dabei sollte man, naiv gedacht, eigentlich erwarten, dass sehr viel infiziertes Geflügel mit starken Symptomen auch leichter Menschen ansteckt. Dennoch stammen alle Grippeviren, die sich effektiv unter Menschen ausbreiten, bisher von gering pathogenen Vogelgrippeviren (LPAI) ab. Zu dieser Gruppe gehört auch H3N8. Insofern ist es nicht abwegig, hinter diesem Unterschied einen biologischen Grund zu vermuten.

Was Hämagglutinin können muss

Warum zum Beispiel H5-Viren grundsätzlich ungeeignet für Menschen sein sollten, ist natürlich nicht klar. Aber für die effektive Ausbreitung unter Menschen reicht es nicht, dass das Hämagglutinin gut an menschliche Rezeptoren bindet. Das H-Protein hat eine weitere Funktion: nachdem nämlich das an die Zelle gebundene Virus in einer Lysosom genannten Membranblase in die Zelle gezogen wurde, wird der “Kopf” des Hämagglutinins abgespalten, der darunter liegende “Stiel” baut sich durch das saure Milieu in der Zelle um und sorgt dafür, dass der Virusinhalt aus dem Lysosom ins Zellinnere gelangt.

Außerdem ist das Hämagglutinin ursprünglich in einer inaktiven Form. Damit das Virus Zellen infizieren kann, muss zuerst ein Teil des Proteins von Enzymen des Wirtsorganismus abgeschnitten werden. Passiert das aber zu früh, bappt das neu gebildete Virus womöglich schon an der Zelle fest, aus der es gerade rausgekommen ist. HPAI-Viren sind mutmaßlich deswegen so aggressiv bei Vögeln, weil die Schutzkappe besonders schnell abgeschnitten wird. Vielleicht ist gerade diese Eigenschaft im Menschen eher hinderlich.

Beim HPAI H5N1 wissen wir inzwischen genauer, warum dieses Virus bei Menschen weniger ansteckend ist. Dort sehen wir zwei weitere Faktoren, die einen Unterschied machen. Viren vermehren sich nicht in allen Zellen gleich gut, selbst wenn der Rezeptor passt. Und H5N1 bevorzugt Zelltypen, die vor allem in den unteren Atemwegen von Menschen vorkommen, und damit verbreitet es sich naturgemäß weniger effektiv als menschliche Grippeviren, die sich in den oberen Atemwegen gut vermehren und dadurch permanent ausgehustet werden.

Manche mögens heiß

Hinzu kommt ein weiteres Hindernis. Das Virus kommt ja aus Vögeln, und die haben mit 41 Grad eine deutlich höhere Körpertemperatur als wir. Entsprechend ist H5N1 ziemlich wärmeliebend und Vermehrt sich bei den rund 33 Grad, die in den oberen Atemwegen herrschen, weit schlechter als im Körperinneren. Der Grund ist, dass viele Enzyme  eine optimale Betriebstemperatur haben und jenseits davon schlechter funktionieren. Und die Enzyme der Vogelgrippe sind eben an die deutlich wärmeren Vögel angepasst.

Ein wichtiger Faktor bei der Temperaturabhängigkeit ist die Polymerase, die virale RNA herstellt. Ist es zu kalt oder zu warm, kommt die Herstellung des viralen Erbguts durcheinander. Aber auch das Oberflächenprotein Hämagglutinin wird von der Temperatur auf verschiedene Arten beeinflusst. So ist der Umbau des Stiels und das Eindringen in die Zelle temperaturabhängig, und auch die korrekte Faltung des Proteins bei der Herstellung der neuen Viruspartikel hängt von der Umgebungstemperatur ab.

Es gibt also eine ganze Menge Dinge jenseits der bloßen Bindung an die Zelle, die bei so einem Hämagglutinin genau richtig funktionieren müssen. Und während sich Viren natürlich anpassen können, machen viele Mutationen das Protein unbrauchbar. Speziell der Stiel des Proteins ist evolutionär stark konserviert, was darauf hindeutet, dass hier wenig Raum für Anpassung ist.

Insofern ist es durchaus denkbar, dass tatsächlich nur Subtypen mit H1, H2 oder H3 bei Menschen überhaupt gut funktionieren können – oder zumindest, dass für die anderen bei Menschen aufgetretenen Vogelgrippe-Subtypen (H5, H6, H7, H9 und H10) die evolutionären Hürden sehr viel höher sind. [2]

Ist es doch alles Zufall?

Was wir jedenfalls wissen ist, dass solche Viren es bisher nicht geschafft haben, sich an Menschen anzupassen, trotz zweifellos vieler Gelegenheiten. Am anderen Ende der Skala steht H1N1 mit gleich drei Pandemien binnen 100 Jahren. Es gibt da also anscheinend erhebliche Unterschiede im Potenzial, sich an Menschen anzupassen, und – um zum ursprünglichen Thema zurückzukommen – H3N8 sieht nach einem Erreger mit vergleichsweise hohem Potenzial aus.

Unglücklicherweise wissen wir einfach nicht, ob diese Überlegungen stimmen. Wie das alles funktioniert und was eine Vogelgrippe zu einem möglichen Pandemievirus macht, ist nach wie vor das große Geheimnis der Influenza-Evolution. Zumal nicht mal klar ist, ob Vogelgrippe überhaupt erfolgreich direkt auf Menschen überspringen kann oder vorher in einem geeigneten Zwischenwirt mit Säugetier-Grippe rekombinieren muss. Und neben solchen evolutionären Besonderheiten spielen ja auch Wirtsfaktoren eine Rolle – insbesondere mögliche kreuzreaktive Antikörper gegen H3. Immerhin ist H3N2 der bei Menschen dominierende Grippeerreger der letzten Jahre. [3]

Und wie gesagt, vielleicht ist es auch reiner Zufall, dass in den letzten Jahrzehnten nur drei H-Subtypen unter Menschen zirkuliert sind. Wir wissen ja auch nichts über die Grippe-Subtypen der Jahrhunderte davor. Man kann also genauso gut argumentieren, dass alle Grippeviren, die Menschen infizieren, gefährlich sind und unter den aktuellen Umständen H5N1 und H7N9 die akuten Pandemiekandidaten sind. H3N8 wäre dann trotz der immerhin drei menschlichen Ansteckungen binnen eines Jahres nur Teil des üblichen Hintergrundrauschens.

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[1] Die Hämagglutinine 17 und 18 gibt es bisher nur bei Fledermäusen, und sie binden an einen völlig anderen Rezeptor als alle anderen, nämlich den MHCII-Komplex.
[2] Eine vergleichbare Diskussion könnte man natürlich umgekehrt auch für die Neuraminidase aufmachen, von der sogar nur zwei Subtypen bei Menschen auftauchen. Allerdings sind erstens deren Struktur und Funktion weniger komplex als die des Hämagglutinins – das Ding schneidet im Wesentlichen Teile von Molekülen ab. Und zweitens scheint eher das Hämagglutinin zu entscheiden, welche Neuraminidase für ein bestimmtes Virus optimal ist, weil dessen Schneidfähigkeit zur Bindungsstärke des Rezeptors passen muss. Unglücklicherweise gibt es zur Menschen-Tauglichkeit der Neuraminidase schlicht weniger Forschung als beim Hämagglutinin.
[3] Allerdings unterscheidet sich das H3 des neuen Virus stark von dem des unter menschen zirkulierenden H3N2, deswegen ist keineswegs sicher, dass da ein nennenswerter Schutz existiert.

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