Die Supernova und der Viren-Boom

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Nicht alles, was zusammenpasst, gehört auch zusammen. Ein hübsches Beispiel dafür habe ich die Tage in einer Veröffentlichung entdeckt, die gerade in den »Astrophysical Journal Letters« erschienen ist. Da behaupten drei Fachleute, dass eine erdnahe Supernova vor zwei bis drei Millionen Jahren einen Evolutionsschub bei Fisch-Viren ausgelöst haben könnte. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, eine kuriose und sehr steile These. Wie sie zustande kommt, lohnt sich genauer anzugucken.

Erstmal aber geht es in dem wissenschaftlichen Artikel um etwas ganz anderes. Und zwar gibt es im Energiespektrum der kosmischen Strahlung einen seit Jahrzehnten rätselhaften Knick, »Knie« genannt. Die beteiligten Fachleute, Caitlyn Nojiri, Noémie Globus und Enrico Ramirez-Ruiz von der University of California in Santa Cruz, kommen zu dem Schluss, dass die Explosion eines nahen Sterns vor rund zwei bis drei Millionen Jahren diese Besonderheit erklären kann. Diese Supernova hätte die Erde eine ganze Weile in harter Strahlung gebadet, deren Nachglühen man quasi noch messen kann.

Ausgangspunkt der ganzen Überlegung ist die nähere kosmische Umgebung der Sonne. Das Sonnensystem wandert derzeit durch eine Art Blase mit rund 1000 Lichtjahren Durchmesser, die mehrere Supernova-Explosionen während der vergangenen paar Dutzend Millionen Jahre ins interstellare Gas gesprengt haben. Die Sternexplosionen hinterließen auch Spuren auf der Erde in Form des Isotops Eisen-60, das nicht natürlich auf der Erde vorkommt, aber in solchen energiereichen Explosionen entsteht.

In Sedimenten des Meeresbodens kann man nachweisen, dass die bislang letzte dieser erdnahen Explosionen vor etwa zwei bis drei Millionen Jahren statt fand, vermutlich entweder in etwa 200 oder 400 Lichtjahren Entfernung. Diese bereits bekannte Supernova könnte nun also, schreibt die Arbeitsgruppe um Nojiri, das Spektrum der kosmischen Strahlung innerhalb der Blase samt des mysteriösen »Knies« erklären. So weit so gut.

Vom Knie zum Virus

Das modellierte Strahlungsprofil legt aber nahe, dass die kosmische Explosion auch auf der Erde Auswirkungen hatte. Und zwar, indem die hochenergetischen Teilchen DNA schädigten. Über solche kosmischen Auswirkungen auf die Evolution diskutiert man schon lange. Es gibt zum Beispiel die Hypothese, dass eine nahe Supernova oder ein Gammastrahlenausbruch das große Massenaussterben am Ende des Devon vor rund 360 Millionen Jahren auslöste. Anhand ihrer Kalkulationen des Strahlenspektrums vor zwei bis drei Millionen Jahren kommt das Team zu dem Schluss, dass die Explosion zu schwach gewesen sei für ein Massenaussterben, aber rund 100 000 Jahre lang die Strahlendosis an der Erdoberfläche hinreichend erhöhte, um die Rate an DNA-Schäden zu steigern.

Nun hatte  2024 eine Arbeitsgruppe um Vincenzo A. Costa von der University of Sydney festgestellt, dass vor ebenfalls zwei bis drei Millionen Jahren ein Evolutionsschub bei Viren einsetzte, die im Tanganjikasee in Ostafrika Buntbarsche befallen. Aus diesem zeitlichen Zusammentreffen folgert das kalifornische Team nun messerscharf: Da gibt es möglicherweise einen Zusammenhang. Im Paper heißt es: »Es wäre erfreulich, besser zu verstehen, ob man das auf den Anstieg der Strahlungsdosis zurückführen kann, die wir vorhersagen.« Noch viel erfreulicher wäre allerdings gewesen, wenn die Arbeitsgruppe sich Gedanken gemacht hätte, ob die Geschichte überhaupt plausibel ist.

Ist sie nämlich nicht. Um Zweifel an der Idee zu bekommen, hätte es gereicht, mal in das Costa-Paper zu gucken. Für den viralen Evolutionsschub braucht man nämlich gar keine kosmische Erklärung. In ihrer Veröffentlichung merkt die Arbeitsgruppe um Costa nämlich an, dass etwa zur gleichen Zeit auch die Artenvielfalt der Buntbarsche dramatisch zunahm. Das bezeichnet man als explosive Artenbildung, und in der Evolution der Buntbarsche im Tanganjika-See kommen solche Episoden immer wieder vor. Die Viecher sind das klassische Beispiel dafür. Und gibt es plötzlich mehr eng verwandte Fischarten, finden auch mehr Viren Unterschlupf.

Unplausibel ist das ganze auch, weil Viren widerstandsfähiger gegen ionisierende Strahlung sind als lebende Zellen. Außerdem geht es um Fisch-Viren im mehr als einen Kilometer tiefen Tanganyika-See. Wasser schirmt energiereiche kosmische Strahlung ab. Mithin hätte Strahlung, die diese Viren überhaupt beeinflusst, bei an Land lebenden Wirbeltieren schon ziemlich dramatische Effekte gehabt. Dafür gibt es keine Indizien.

Was die ganze Story interessant macht ist, dass man hier einen weit verbreiteten, aber meist nicht so offensichtlichen Effekt sieht. Wenn die Supernova-Strahlung den Knick im Strahlungsspektrum erklärt, folgt aus dem Modell direkt eine hohe Strahlendosis an der Erdoberfläche. Da ist es natürlich naheliegend, in der Literatur nach möglichen Auswirkungen zu gucken.

Wenn dann auch noch ein passendes Paper auftaucht, ist die Versuchung groß, das zu zitieren und den Details nicht so genau hinzugucken. Derlei Cherrypicking kommt nicht nur in der Forschung dauernd vor – in politischen und anderen Argumentationen gilt so ein Zusammentreffen gerne mal als »Beweis« für irgendwas. In dieser Veröffentlichung ist das kurios und auf amüsante Weise offensichtlich. Aber oft muss schon sehr genau hingucken, um nicht auf solche Schein-Zusammenhänge reinzufallen.

 

7 Kommentare

  1. Danke Lars, das ist eine sehr schöne Geschichte.

    Letztlich ist es ja eine klassische Verwechslung von Korrelation / Kausation. Oder auch: Ich google so lange, bis ich etwas finde, das meine Meinung bestätigt. Das ist wohl menschlich, auch in der Wissenschaft.

    Schamlose Eigenwerbung zum Massensterben in Devon durch eine Supernova: Ich hatte mir das im Podcast mal sehr ausführlich angesehen. Eisen-60 (Halbwertszeit: 2,6 Millionen Jahre) kann man ja leider nur für ein Ereignis vor >360 Millionen Jahren nicht verwenden. Und bislang haben sich Geologen und Physiker dusselig gesucht nach einem Radionuklid, mit dem man das Ereignis nachweisen könnte. Es sieht so aus, das es ihnen vielleicht nie gelingen wird:

    https://astrogeo.de/toedliche-sterne-wenn-explosionen-ein-massensterben-ausloesen/

  2. Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung hat noch nie einer in Lotto gewonnen, denn die plausibelste Erklärung ist immer, dass er die Millionen geerbt hat. Und wenn man alle Lottogewinne der Weltgeschichte auf diese Weise widerlegt hat, hat es nie einen Präzedenzfall gegeben, und die Wahrscheinlichkeit von Lottogewinnen sinkt auf Null.

    Wieso spielen dann Leute trotzdem Lotto?

    Ich sehe hier nur, dass die Artenvielfalt von Barschen wie Viren gleichzeitig mit kosmischer Strahlung zunahm. Und weil ich weiß, dass die Mutationsrate mit der Strahlung zunimmt, passen beide Theorien vage zusammen: die Strahlung spielt über Bande, sie verändert die Fische, sie die Viren.

    Man müsste also das Ganze mit den Veränderungen des Gesamtsystems abgleichen – ist da sonst noch viel mutiert? Es muss ja nicht die ganze Welt sein, hier verändert sich ein Barsch, da ein Pilz, das bringt ökologische Nischen durcheinander und die natürliche Auslese startet lokale Forschungsreihen, die Fisch-Volksparteien spalten sich in mehrere Kleinstparteien auf, die im Wettstreit ein neues Ökosystem etablieren.

    Artenvielfalt entsteht durch Evolutionsdruck, Veränderungen erzwingen Veränderungen, und Strahlung ist nur eine Form davon. Bei uns steigt ja auch die Krebswahrscheinlichkeit allein dadurch, dass wir sehr lange hohen Stress ertragen müssen und wir bringen das globale Ökosystem zum Kollaps in weiser Voraussicht, aus Angst, das globale Ökosystem würde kollabieren: Die Wirkung tritt schon vor der Ursache auf.

    Am Ende sehe ich ein komplexes System – die Sorte, die sich nicht um Schmetterlinge schert, wenn sie stabil ist, doch von Schmetterlingen regiert wird, wenn sie sowieso schon taumelt, mit Kaskaden, Wellen, dem ganzen Pipapo, der bewirkt, dass wir sie für gewöhnlich nur mit Statistik greifen können. In einem instabilen System passiert es häufig, dass alles nur eine Ursache hat, aber wenn ein Niesen ein Haus umwirft, werden Sie auch eine Vorgeschichte finden. In einem stabilen System tritt die Wirkung jeder Ursache zeitverzögert auf, verbunden durch überlange und vernetzte Kausalketten, sie wird mehrmals gestreut und gebündelt, sodass Sie eventuell keinen Zusammenhang zwischen beiden feststellen werden.

    Ich lasse also die Frage nach Viren und Strahlung offen. Wie sagte mein weiser alter Sensei, die künstliche Superintelligenz Commodore64? ?out of data error?

    • Schon das mit dem Lotto stimmt schlicht nicht. Da ein Lottogewinn mit einer spezifischen Zahlenfolge verknüpft ist, muss man nur genug zufällige Zahlenfolgen durchprobieren, vulgo genug Spielende haben. Dann geht die Chance auf einen Gewinn insgesamt gegen 1.

  3. Lars Fischer schrieb (21. Feb. 2025):
    > […] dass die bislang letzte dieser erdnahen Supernova-Explosionen vor etwa zwei bis drei Millionen Jahren […]
    > […] dass etwa zur gleichen Zeit auch die Artenvielfalt der Buntbarsche dramatisch zunahm. Das bezeichnet man als explosive Artenbildung, und in der Evolution der Buntbarsche im Tanganjika-See kommen solche Episoden immer wieder vor.

    Offenbar ist (dafür) auch die Bezeichnung “explosive Artbildung” geläufig.
    Die in diesen Bezeichnungen genannte Explosivität ist dabei aber (sicherlich) rein metaphorisch gemeint; nämlich als überdurchschnittlich bis dramatisch hoher Wert der (durchschnittlichen) Artbildungsrate bzw. Diversifikationsrate bestimmter Lebewesen, in der betreffenden Episode ihrer Evolution.

    Entsprechend der Definition der allgemeineren Größe Änderungsrate, beschreibt die entsprechende (mittlere) Artbildungsrate (sicherlich) jeweils die Zunahme der Anzahl der Arten bestimmter Lebewesen in der betreffenden Episode ihrer Evolution, im Verhältnis zur Dauer dieser Episode:

    Nun sind bestimmte Anzahlen der unterscheidbaren Arten bestimmter Lebewesen (etwa: innerhalb einer bestimmten Klasse von Lebewesen) ja ausdrücklich Zahlen(-Werte), die sich für jeden Teil (bzw. “Moment”) des Verlaufs ihrer Evolution bestimmten lassen, und zwischen denen sich ggf. ohne Weiteres Differenzwerte berechnen lassen (die ihrerseits auch Zahlenwerte sind). Demnach:

    Artbildungsrate[ Klasse K, Episode EKp ] :=
    (ArtenAnzahl[ K, Ende[ EKp ] ] - ArtenAnzahl[ K, Anfang[ EKp ] ]) /
    Dauer[ Anfang[ EKp ], Ende[ EKp ] ].

    Wollte man also z.B. die Werte der Artbildungsrate hinsichtlich der selben bestimmten Klasse K von Lebewesen für zwei bestimmte Episoden EKp und EKq des Verlaufs ihrer Evolution miteinander vergleichen (etwa um zu entscheiden, in welcher Episode die Artbildungsrate “dramatisch und explosiv” gewesen wäre, und in welcher nicht),
    könnte (müsste ?) man den Zahlenwert des Verhältnisses

    (Dauer[ Anfang[ EKq ], Ende[ EKq ] ] / Dauer[ Anfang[ EKp ], Ende[ EKp ] ])

    bestimmen, und den Zahlenwert des Produktes

    (ArtenAnzahl[ K, Ende[ EKp ] ] - ArtenAnzahl[ K, Anfang[ EKp ] ]) *
    (Dauer[ Anfang[ EKq ], Ende[ EKq ] ] / Dauer[ Anfang[ EKp ], Ende[ EKp ] ])

    mit dem Zahlenwert

    (ArtenAnzahl[ K, Ende[ EKq ] ] - ArtenAnzahl[ K, Anfang[ EKq ] ])

    vergleichen.

    Die im verlinkten Wikipedia-Artikel angegebene Formel bezieht sich aber (offenbar) auf eine bestimmte (Zahlen-)Parametrisierung “t” eines Verlaufes …

    Daher meine (unverschämt allgegenwärtige, und daher ggf. auch vorgriffige) Frage:

    Wie ist zu bestimmen, ob eine (monotone) reelle Parametrisierung eines Verlaufs (als geordnete Menge von “Momenten” bzw. “Anzeigen”) isotachisch ist ?

  4. Wieviele der erwähnten Buntbarsche leben in 1000m Wassertiefe und sind damit samt ihrer Viren vor kosmischer Strahlung sicher?

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