Die komplizierte Geschichte des Großen Sterbens

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Die rätselhaftesten Episoden in der Geschichte des Lebens sind die Massensterben, die den Planeten in regelmäßigen Abständen heimgesucht haben. Das größte derartige Ereignis fand vor 251 Millionen Jahren statt und seine Ausmaße waren kataklysmisch: Über 90 Prozent allen Meereslebens starb aus und mit ihm ein kaum geringerer Anteil aller Lebewesen an Land.

ResearchBlogging.orgPaläontologen nennen diese Episode das Große Sterben. Doch es gibt keine geologisch einzigartige Katastrophe, die diesen globalen Untergang zu jener Zeit schlüssig erklären könnte – die fossilen Hinterlassenschaften zeigen eine erstaunlich komplexe ökologische Krise am Übergang vom Perm zur Trias. Mit Hilfe der geologischen Spuren können wir jedoch ein ungefähres Bild dessen zeichnen, was damals auf der Erde geschah.

Wir wissen zum Beispiel, dass sich die Chemie der Ozeane drastisch verändert haben muss – was sonst könnte die Lebensgemeinschaften in einem so diversen Lebensraum so gründlich ausgelöscht haben? Und vor allem, warum hat es geschlagene fünf Millionen Jahre gedauert, bis sich im Meer wieder etwas gerührt hat?

2011 ist das Jahr, in dem wir schließlich einige Antworten bekommen, zuerst einmal aus den Sedimenten aus jener Zeit, die unter anderem in den Alpen und Südchina aufgeschlossen sind. In der Ära der Krise waren große Teile der Weltmeere praktisch frei von Sauerstoff, vergleichbar den Todeszonen, die in modernen Küstengewässern zeitweilig durch Überdüngung entstehen. Die chinesischen Gesteine zeigen, dass die Ursache zur Zeit des Massensterbens eine sehr ähnliche war, denn die biologische Produktivität der Meere war eben nicht reduziert.

Ozeane: Tot aber produktiv
Die Überreste des Mereresbodens aus der Zeit der permischen Katastrophe zeigen nämlich eine sehr charakteristische Signatur, sie enthalten deutlich mehr Kohlenstoff-12 im Vergleich zu Kohlenstoff-13 als moderne Sedimente. Und es gibt vor allem einen bedeutenden Prozess, der das erreichen kann: Leben. Bei der Photosynthese bauen grüne Pflanzen Kohlendioxid in organische Materie um, und zwar solches mit leichtem Kohlenstoff schneller als solchen mit schwerem. Deswegen enthält biologisches Material immer einen deutlichen Überschuss an leichtem Kohlenstoff[1].

Das Bild, dass die fossilen Überreste für die Meere des Massensterbens zeichnen ist auf den ersten Blick ein wenig paradox: Wir haben einen Weltozean, der weitgehend frei von Sauerstoff und entsprechend biologisch tot ist, dessen Produktivität die modernen Ozeane jedoch bei weitem übertraf. Statt also auf breiter Front zu veröden, wie sich das für ein anständiges Massensterben gehört, hat die biologische Aktivität im Meer in den fünf Millionen Jahren nach dem Untergang enorm zugenommen – aber seltsamerweise ohne dass man eine Rückkehr klassischer mariner Ökosysteme sehen könnte.

Auch an Land spielte sich Dramatisches ab: Die Koniferenwälder des Perm und ihre Synapsiden verschwanden, dafür übernahmen nach einer kurzen Unterbrechung Farne und die Vorfahren der Dinosaurier die Regie. Es gab aber keinen globalen Feuerbrand, der da allem, was da kreucht und fleucht aufs Haupt gefallen wäre. Tot sind sie trotzdem.

Pilz-Apokalypse in den Koniferenwäldern
Nun gehört es zu den goldenen Regeln der Fossilkunde, dass Dinge an Land nur äußerst selten versteinern, man braucht dazu Wasser, in dem sich Schicht um Schicht Schlick ablagern kann. Zum Glück landet bekanntlich alles, was so von der Plastiktüte bis zum Castor-Behälter an Land rumliegt, früher oder später im Meer. Das war auch vor 250 Millionen Jahren nicht anders, nur dass es damals noch keine Plastiktüten waren, sondern seltsame fadenartige Strukturen, die sich weltweit in diesen Gesteinen erhalten haben, unter anderem in den Alpen. Man nennt diese Strukturen Reduviasporoniten, sie sind fädige, verzweigte Strukturen, offensichtlich aus Zellen aufgebaut. Melanin färbt sie dunkel, und sie kommen in Gesteinen am Übergang vom Perm zur Trias erstaunlich häufig vor, sie machen teilweise bis zu 90 Prozent der Biomasse aus.

Reduviasporoniten. Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Imperial College London

Was diese Dinger genau sind weiß niemand. Es können Algen oder Pilze gewesen sein, aber ihre schiere Masse zeigt, dass an der Grenze zwischen Perm und Trias etwas sehr ungewöhnliches passiert ist. Meine Lieblingshypothese stammt aus einem neueren Geology-Paper, dessen Autoren feststellen, dass die Mikrofossilien in einigen Punkten den modernen Rhizoctonien ähneln. Die sehen den Fossilien ziemlich ähnlich, bis hin zur Gestalt der Zellen, und sie bilden spezifische Sklerotien, eine Dauerform zum Überstehen widriger Umstände, die man fast genau so auch zwischen den Fossilien entdeckt.

Das Interessante daran ist, dass Rhizoctonien bekannte Pflanzenpathogene sind, und zwar oft ziemlich aggressive. Es gibt eine direkte Beziehung zwischen der Anzahl-Rhizoctonia-Sklerotien in einem Boden und der lokalen Prävalenz von Pflanzenkrankheiten. Aus diesen Indizien zeichnen die beteiligten Forscher das Bild einer wahren Pilzapokalypse, die Koniferen des späten Perm hereingebrochen ist.

Man muss sich das wahrscheinlich nicht so vorstellen, dass die Pilze plötzlich aus einer dunklen Höhle hervorgebrochen sind und alle Bäume vernichtet haben. Es ist viel plausibler, dass sie auch vorher schon da waren. Auch heute leben ähnliche Arten mit und an gesunden Bäumen, deren Immunsystem sie in Schach hält wie unsere eigene Bakterienflora, zu der auch unter normalen Umständen so unerfreuliche Vertreter wie Staphylococcus aureus gehören. Sie warten. Und das, worauf sie gewartet haben, ist vor 250 Millionen Jahren dann passiert, weltweit und in ganz großem Stil.

Natürlich haben Wissenschaftler längst den wahrscheinlichen Auslöser dieses ökologischen Weltkollaps auf dem Schirm. Die Ursache war, da zeichnet sich ein Konsens ab, ein gigantischer Vulkanausbruch, der über eine Million Jahre hinweg Lava über das heutige Zentralsibirien ergoss. Vulkane stoßen aber, und das ist der entscheidende Punkt, auch Gase aus, und derart extreme Mengen, wie sie bei der Entstehung solcher Trapps freiwerden, verändern die Atmosphäre nachhaltig und letal. Bis heute bedecken dort mehrere hundert Meter dicke Lavaströme ein Gebiet so groß wie Europa, aber zur Zeit ihrer Entstehung dürften die Sibirischen Trapps, wie die Überreste der Eruptionsmassen heute genannt werden, mehr als die vierfache Fläche überdeckt haben.

Der Täter: Ein Vulkan wie kein anderer
Das ist schon ziemlich beeindruckend, aber in der Erdgeschichte bei weitem nicht einzigartig. Weltweit sind über ein Dutzend dieser Lavaprovinzen bekannt, sie liegen in Indien, dem Ostpazifik, Afrika und anderswo. Viele dieser Mega-Vulkanausbrüche treffen zeitlich mit globalen Massensterben zusammen, das Ausmaß der Apokalypse ist im Fall der Sibirischen Trapps allerdings einzigartig.

Einzigartig ist auch der Ablauf der Ereignisse, denn es hat sich erwiesen, dass es keineswegs der eigentliche Lavaschub war, der das Unglück über die Welt gebracht hat. Das große Sterben war kein Einzelereignis, sondern eine Abfolge von mindestens drei kleineren Massenaussterben, von denen nur das letzte mit den Flutbasalten zusammenfiel. Die anderen beiden fanden – zumindest nach einigen Analysen – 10 und 20 Millionen Jahre früher statt.

Für so einen Mantelhotspot sind ein paar Millionen Jahre natürlich keine allzu lange Zeitspanne, schließlich gibt es den Jan-Mayen-Hotspot, der das Massensterben ausgelöst hat, bis heute. Wieso allerdings das Massensterben vor 250 Millionen Jahren der sichtbaren vulkanischen Aktivität so deutlich vorausging, hat erst kürzlich ein Nature-Artikel erhellt. Mineralogische Untersuchungen an den sibirischen Trapps zeigen nämlich, dass die Lava eher ungewöhnlich zusammengesetzt ist. Sie enthält mit etwa 20 Prozent einen sehr hohen Anteil aufgeschmolzener ozeanischer Kruste.


Heißes Magma verdünnt die Lithosphäre von unten. Animation: A. Sobolev,
Linking mantle plumes, large igneous provinces and environmental catastrophes, Nature 477,312–316 (15 September 2011), 10.1038/nature10385

Das hat zwei Folgen. Zum einen ist ozeanische Kruste, ob geschmolzen oder nicht, sehr dicht und verringert den Auftrieb der Gesteinsschmelze. Und deswegen drang der Mantelplume von Sibirien auch nicht durch seine geringe Dichte gen Oberfläche, sondern durch seine hohe Temperatur. Normale Plumes sind leichter als das umgebende Gestein und drücken deswegen die darüberliegende Kruste in die Höhe, bis sie auseinander reißt und der Lava den Weg frei gibt. In diesem Fall jedoch war die Schmelze nicht leicht genug – das heiße Material riss keine Gräben auf, sondern erodierte die Erdkruste von unten.

Langsame Schmelze, schnelles Gas
Das dauert natürlich ein Bisschen und erfordert sehr viel mehr Material als der bisher vermutete Mechanismus. So gigantisch die Lavaströme an der Oberfläche sein mögen, sie sind nur die Spitze des Eisbergs, und die von ihnen freigesetztem vulkanischen Gase waren nur ein Bruchteil der Gesamtmenge, die damals die Lufthülle des Planeten veränderte. Während das 1600 Grad heiße Magma von unten die Lithosphäre anfraß, stiegen die im Plume enthaltenen Mengen unvorstellbaren Mengen vulkanischer Fluide, angereichert durch Halogene und Wasser aus dem aufgeschmolzenen Meeresboden, nach oben und gelangten durch die Erdkruste in die Atmosphäre.

Diese Gase sind nach dem vorherrschenden Szenario das vereinigende Element aller Vorgänge an der Grenze zwischen Perm und Trias. Schwefelsäure und Chlorwasserstoff zogen um den Planeten, Kohlendioxid und Methan veränderten das Klima und beide Effekte leiteten den Niedergang der globalen Wälder ein. Die geschwächten Bäume wurden Opfer von Pilzen und Parasiten, ganze Ökosysteme brachen zusammen und die von ihnen abhängigen Lebewesen starben.

Die giftigen Gase veränderten auch die Chemie der Ozeane – die Meere wurden saurer und Nährstoffreicher. Gleichzeitig stand ungleich mehr Kohlendioxid für die Fotosynthese zur Verfügung. Die aufgeheizte Atmosphäre nahm mehr Wasser auf, mehr Niederschläge erodierten das entwaldete Land und schwemmten gigantische Mengen Mineralien in die Ozeane – und die kippten daraufhin einfach um, wie ein überdüngter Tümpel, der unter einer dicken Schicht Algenschleim erstickt. Es dauerte fünf Millionen Jahre, bis der Überschuss an Nährstoffen abgebaut war und sich in den Weltmeeren wieder höheres Leben regte.
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[1] Deswegen können wir auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Erdöl aus biologischen Quellen und nicht etwa aus anorganischen Prozessen stammt.

Sobolev, S., Sobolev, A., Kuzmin, D., Krivolutskaya, N., Petrunin, A., Arndt, N., Radko, V., & Vasiliev, Y. (2011). Linking mantle plumes, large igneous provinces and environmental catastrophes Nature, 477 (7364), 312-316 DOI: 10.1038/nature10385

Visscher, H., Sephton, M., & Looy, C. (2011). Fungal virulence at the time of the end-Permian biosphere crisis? Geology, 39 (9), 883-886 DOI: 10.1130/G32178.1

Meyer, K., Yu, M., Jost, A., Kelley, B., & Payne, J. (2011). ´13C evidence that high primary productivity delayed recovery from end-Permian mass extinction Earth and Planetary Science Letters, 302 (3-4), 378-384 DOI: 10.1016/j.epsl.2010.12.033

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