Chemie-Nobelpreis 2025 für Nachhaltigkeit?

Es ist wieder Nobelpreis-Saison, und niemand hat eine Ahnung, wer es wird. OK, streng genommen ist das immer so, aber in den letzten Jahren hatte man öfter das Gefühl, dass es bei bestimmten Themen nur eine Frage der Zeit ist. Zum Beispiel bei den Lithiumionenakkus (Nobelpreis 2019), CRISPR-Cas9 (Nobelpreis 2020), mRNA-Technologie (Nobelpreis 2023 für Medizin) oder den KI-Verfahren hinter Alphafold2 (Nobelpreis 2024).
Diesmal gibt es keine herausragenden Favoriten mehr. Stattdessen haben wir ein enorm weites Feld preiswürdiger Themen, die zum Teil seit Jahren fester Bestandteil der Nobel-Saison sind. Außerdem kommen immer wieder neue spannende Sachen dazu, die man vorher gar nicht auf dem Schirm hatte.
2025 sind das die biomolekularen Kondensate, die derzeit das Verständnis der Zellbiologie grundlegend verändern. Das sind kleine Ansammlungen aus Proteinen, RNA und anderen Biomolekülen, die sich durch eine physikalische Phasentrennung vom Zellplasma abscheiden. Sie bilden Tröpfchen, in denen dann entscheidende regulatorische Vorgänge ablaufen. Das Thema tauchte dieses Jahr bei den Citation Laureates auf, und bei Spektrum gibt es einen ausführlichen Artikel dazu. Preisträger wären da Anthony Hyman und Michael Rosen. Allerdings ist das Forschungsgebiet im Moment sehr dynamisch. Da sehe ich einen Nobelpreis erst in ein paar Jahren, und auch eher in Medizin als Chemie.
Schon sehr lange dabei ist dagegen Omar Yaghi, Erfinder der Metal Organic Frameworks (MOFs), einer Klasse von Gittermaterialien, die aus ganz verschiedenen Bauteilen zusammengesetzt und entsprechend mit vielen gewünschten Eigenschaften ausgestattet werden können. Die Dinger können unglaublich viel – CO2 einfangen, Wasserdampf aus der Luft gewinnen, Reaktionen katalysieren und so. Der Haken: Das ist alles theoretisch. In der Technik warten die MOFs trotz aller Potenziale noch auf den großen Durchbruch. Und deswegen glaub ich nicht, dass es einen Nobelpreis dafür gibt. Eine Möglichkeit wäre, dass man MOFs mit Zeolithen zusammenfasst, die ein bisschen ähnlich sind, aber zusätzlich für das Cracken von Rohöl in der petrochemischen Industrie große Bedeutung haben. Die Erfinderin Edith Flanigen ist außerdem ziemlich cool und hätte den Preis verdient. Außerdem ist sie fast 100, also wenn, dann jetzt. Weder Zeolithe noch MOFs reichen aus meiner Sicht allein für den Preis, aber beide zusammen wären ein angemessener Chemie-Nobel.
Ebenfalls seit einiger Zeit auf meiner Liste ist Next Generation Sequencing, ein Verfahren, mit dem man durch paralleles Auslesen kurzer DNA-Stränge und leistungsfähige Computerverfahren sehr schnell ganze Genome auslesen kann. Die wichtigsten Forscher auf dem Gebiet sind Shankar Balasubramanian und David Klenerman. Heutzutage untersucht und vergleicht man Genome von Individuen und Populationen, Tumoren oder unterschiedlichen Virusvarianten, als stünden sie im Beipackzettel. Aber tatsächlich wäre all das ohne NGS nicht möglich; bevor das Verfahren aufkam, dauerte es Wochen oder Monate und enormen Aufwand, auch nur ein Erbgut zu entschlüsseln. Definitiv ein zukünftiger Nobelpreis und einer der Favoriten dies Jahr.
Ein zentrales Thema in der Chemie ist außerdem Nachhaltigkeit. Fast jede Konferenz hat das Thema derzeit auf der Agenda und die Industrie macht gefühlt auch kaum noch was anderes. Ohne passende chemische Verfahren wird es weder eine globale Energiewende noch eine nachhaltige Stoffwirtschaft geben. Angesichts seiner großen Bedeutung wäre das Thema reif für einen Nobelpreis. Das Problem ist, dass da kaum ein einzelnes Forschungsgebiet gleichzeitig weit genug entwickelt und bedeutend genug ist. Das Nobelkomitee könnte sich aber entschließen, das Konzept der Green Chemistry zu würdigen, das von John Warner und Paul Anastas entwickelt wurde, und das heute in der Forschung und Industrie eine wesentliche Rolle spielt.
Eine weitere Option, grüne Technologien zu würdigen, wären die Materialwissenschaften. Spezialwerkstoffe mit besonderen Eigenschaften sind absolut zentral für alle Nachhaltigkeitsanwendungen. Eines der prominentesten Beispiele sind die Neodym-Supermagnete, erfunden von Sagawa Masato und John Croat, die heute in Windturbinen und Elektromotoren, aber auch in Computern und Lautsprechern zum Einsatz kommen. Eher ein Außenseitertipp, aber warum nicht? Zumal wenn man vielleicht noch Superalloys oder so dazu nimmt.