Bloggewitter: Mit der Gesamtsituation unzufrieden

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Hätte man zehn beliebige der über 150.000 protestierenden Schüler und Studenten gefragt, was das hauptsächliche Ziel des Bildungsstreiks 2009 ist, man hätte wohl zehn verschiedene Antworten gekriegt. Und wäre kein bisschen schlauer. Wie auch? Schon der Aufruf zum Bildungsstreik liest sich wie ein Dokument der Ratlosigkeit. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass Schüler und Studenten Hörsäle schließen, Rektorate besetzen und Straßen blockieren – mit dem primären Ziel, eine Diskussion über das Bildungssystem anzustoßen. Das dürfte eine Premiere in der Geschichte der Massenbewegungen sein.

Bologna

Das Problem ist vertrackt: Alle Beteiligten wissen, dass im Bildungssystem viel im Argen liegt. Nur wo genau das Problem liegt, ist nicht so ganz klar. Die Bologna-Reform ist jedenfalls nicht die Ursache, sondern eher ein Symptom. Die Umsetzung der Reform jedenfalls lässt grundsätzliche Mängel des deutschen Bildungssystem deutlich hervortreten. Zum einen fehlt schlicht das Geld, um die neuen Studiengänge angemessen zu betreuen. Das bestätigen selbst erklärte Befürworter wie Michael Wink. Aber das hervorstechendste Kennzeichen des Bologna-Prozesses in Deutschland war das Chaos bei der Einführung, das bis heute nachwirkt.

Seit dem Debakel der Anfänge hat sich einiges getan, doch nach wie vor beklagen Schüler und Studenten die schlechten Bedingungen im Allgemeinen. Die Forderungen der Streikenden jedenfalls sind ein Sammelsurium unterschiedlichster Ziele, das in seiner Gesamtheit mehr als nur ein bisschen Diffus ist. In bildungsfernen Schichten kursiert deswegen die Interpretation, auch dieser Streik sei nur Protest um des Protests willen, eine – Zitat – „gestrige“ Angelegenheit. Das allerdings ist reines Wunschdenken einer politische Klasse, für die Bildung, Wissenschaft und Technik bestenfalls notwendige Übel sind. Und hier liegt meines Erachtens der springende Punkt.

Es geht schon lange nicht mehr um einzelne Missstände an einzelnen Schulen Universitäten, oder spezifischen Problemen bei der Umsetzung der Reform. Hintergrund der Proteste ist vielmehr die Einsicht, dass Bildung und Forschung seit Jahren systematisch ans untere Ende aller Prioritätenlisten geschoben werden. Banken werden gerettet, Renten erhöht und Subventionen an alles verteilt, was nicht bei drei auf dem Baum ist – während in den Hörsälen der Putz von der Decke bröckelt und sich 70 oder mehr Studenten einen Dozenten teilen müssen. Es ist die Wahrnehmung, dass Schulen und Universitäten, mithin die Zukunft des Landes selber, Gesellschaft und Politik kaum einen feuchten Furz wert sind. Deswegen gehen Studenten seit Jahren immer wieder auf die Straße.

Und das zu Recht.

12 Kommentare

  1. Eignungstest für Kultusminister

    Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Beruf des ‘Kultusministers’ nicht zwingend ein spezifisches Fachwissen in Fragen der Pädagogik voraussetzt. Die ‘Reformen’ der KMK auf die PISA-Ergebnisse waren ja gerade nicht die, die beim Vergleich der Bildungssysteme als zielführend ausgemacht wurden – kleine Klassen, individuelle Förderung, späte Selektion – sondern fast das genaue Gegenteil.

    Man kann die ideologischen Diskussionen mit den immergleichen Argumenten fast auswendig herunterbeten – sich dem Thema sachlich zu nähern, stellt für Politiker in einem Der/Die-braucht-auch-noch-ein-Ministerium offenbar eine Überforderung dar.

    Konstruktive Kritik ist da unerwünscht,Beleg: der Ba-Wü-Ku-Min live im DLF, 18.06.2009: Da die OECD die ‘Interpretationshoheit’ über die PISA-Ergebnisse für sich reklamiere, habe die Kultusministerkonferenz beschlossen, solange nicht mehr an der Studie teilzunehmen, bis die OECD sich ‘gesprächsbereit’ zeige.

    Wer sich beharrlich (Jahrzehnte) derartig beratungsresistent verhält, dem liegt offenbar wenig an den offiziell verlautbarten Zielen. Das legt die Vermutung nahe, dass, weil ‘Dumme’ sich bequemer regieren lassen, Entscheidungen bewusst gegen ein besseres Bildungssystem gefällt werden.

    Am Ende steht eine handvoll Ausgesiebter, der man zur Befriedung den Topf Honig ums Maul schmiert, sie seien die ‘Elite’. Unter denen rekrutiert man sicher auch den politischen Nachwuchs. Divide et impera.

  2. @ Lars

    “In bildungsfernen Schichten kursiert deswegen die Interpretation, auch dieser Streik sei nur Protest um des Protests willen, eine – Zitat – „gestrige“ Angelegenheit.”

    Um diesen Satz, Lars, um diese Art, Ohrfeigen auszuteilen, beneide ich Dich.

    Chapeau!

    Kannst Du mir – da Du das ja offenbar kannst – sagen, wie ich auf den Beitrag des bildungspolitischen Sprechers der SPD-Fraktion im Bundetag reagieren soll? Ich las seinen Beitrag und frug mich, ob entweder sein Ghostwriter betrunken war, als er das schrieb, oder er selbst, als er das autorisierte.

    Die klassische Symptomentrias der politischen Rede: Schwurbelosis permagna, Floskulitits gravis, Sententia nebulosa.

    Was hat’n der GESAGT?

  3. Bildungsfern

    Was meinst Du eigentlich mit “bildungsfernen Schichten”? Gemeint ist ja Annette Schavan. Diese hat Abitur und studiert und auch einen Dr. phil. Wo ist die bildungsfern?

  4. @ Wicht

    Der bildungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion sagte, daß Bologna nicht rückgängig gemacht werden sollte und kann, aber der Bologna-Prozess korrigiert werden muß.

    Es sollen nicht alle Studiengänge, vorallem in der Studiendauer, in dieses Bachelor/Master Schema gepresst werden. Auch muß es möglich sein Auslandssemester zu belegen, was auch mit einer Verlängerung des Studium einhergeht. Das BAFöG soll erhöht werden, damit auch Arbeiterkinder studieren können und auch das Förderungsalter. Zudem soll mehr Geld vom Staat in Bildung investiert werden.

    Das ist so im Groben bei mir hängengeblieben.

  5. @ Blisset

    “Divide et impera”

    SO hab ich das noch nie betrachtet. Hat aber was. Ein schönes, aber böses Argument: die Politiker als Profiteure der Verdummung der Masse.

    “Cui bono?” sollte man ohnehin öfters fragen, wenn man sich den Bologna-Prozess anschaut. Da gibts das schöne, böse Wort (nicht von mir) von der “Transformationsfunktionärsfraktion”, die ihre ganze Daseinsberechtigung und ihre Gehälter aus diesem Prozess bezieht.

  6. ein Tropfen zu viel

    Ich denke, die Schüler und Studenten sind die vielen Reformen langsam leid. Gerade das Bildungssystem scheint seit Jahren Spielwiese für Reformkünstler zu sein: Rechtschreibreform, Ganztagsschulen, Studiengebühren, Bologna, etc.
    Und mit jedem neuen Element wird das Chaos größer, da die alten Bausteine noch nicht richtig verarbeitet sind.
    Vor allem die finanzielle Belastung einiger Studenten ist mittlerweile so hoch, dass viele einfach überfordert sind. In einigen Bundesländern sind es ja nicht nur die 500 Euro Studiengebühren pro Semester. Es kommen noch die Studienbeiträge hinzu (z.B. in Hannover 256 Euro). Das sind pro Jahr 1512 Euro. Wie soll ein Bafög-Empfänger, der 500 Euro monatlich erhält, das bezahlen? Für Studenten aus ärmeren Elternhäusern ist das nicht einfach zu schultern. Zu diesen Beiträgen kommen in vielen Studiengängen noch weitere Kosten hinzu. In der Geographie sind beispielsweise Exkursionen verpflichtend, die teilweise mit 2.000 Euro ins Gewicht fallen. Das sich da Protest regt, ist eigentlich verständlich. Und da die Politik die Demonstrationen der letzten Jahre immer ignoriert hat (man erinnere sich nur an die Verhöhnungen von Studiengebührengegnern durch Roland Koch), ist es auch verständlich, dass die Aktionen der Studenten mit mehr Härte ausgetragen werden.

  7. Besser kommunizieren!

    Dass “Bildung und Forschung seit Jahren systematisch ans untere Ende aller Prioritätenlisten geschoben werden” (Lars Fischer) ist in der Tat anzuprangern. Es wäre aber zu einfach, den schwarzen Peter allein den Politikern zuzuschieben. Wissenschaft und Forschung verkaufen sich nämlich oft auch nicht besonders pfiffig, machen nicht klar, warum sie wichtig sind. Ihre Protagonisten – vom BA-Student bis zum Hochschulrektor – sind allzu häufig nicht in der Lage, die Bedeutung ihres Tuns für die Gesellschaft so zu kommunizieren, dass die Message ankommt. Ja, viele kommunizieren am liebsten gar nicht “nach außen”. Ich bin sicher: Sogar die so genannten “bildungsfernen Schichten” könnte man erreichen und für Anliegen und Themen der Wissenschaft erwärmen. Dazu bedarf es neben (natürlich, wie immer) Geld vor allem Ideen und Kompetenz in Sachen Kommunikation. Und genau diese fehlt!

    Zum Glück tut sich aktuell hier und da etwas. So gibt es verschiedene Anstrengungen, Wissenschaftler für den Austausch mit verschiedenen Zielgruppen zu sensibilisieren und auch ganz praktisch auszubilden. Auch werden Anreize dafür geschaffen – was leider immer noch nötig ist. Interessanterweise gehen die entsprechenden Impulse aber nicht etwa von den Hochschulen oder den zuständigen Ministerien aus, sondern von Stiftungen, etwa der VolkswagenStiftung und der Klaus-Tschira-Stiftung, die sich beide – neben der Förderung von Wissenschaft – löblicherweise auch der Förderung des “Gesprächs” über Wissenschaft verschrieben haben.

  8. Ich – Demonstrant

    Ich verstehe nicht ganz, was an den Forderungen so unklar und schwammig sein soll. Meiner Meinung nach sind diese recht deutlich formuliert worden.

    Bologna als Idee ist gut, aber falsch umgesetzt. Es wäre schön, wenn man, wie es gedacht war, leichter die Uni wechseln und Scheine anerkennen lassen kann, das ist aber nicht der Fall. Ich sehe dort die Fachbereiche in der Pflicht, ein einheitliches System zu schaffen, was allerdings verständlicherweise einige Zeit dauern könnte. Natürlich zunächst auf Bundesebene – mit dem europäischen Ausland wird das schon schwieriger aber letztendlich ist das das Ziel.

    Warum dauert der Bachelor überall 6 Semester wenn auch (gemäß Bologna) 8 drin sind! Das liegt, soweit ich weiß, in der Macht der Unis und kann geändert werden. Die “Verschulung” ist angesprochen – es geht hier immernoch um Universitäten, also unter anderem um selbstständiges lernen. Wer nicht selbst entscheiden kann, ob eine Vorlesung wichtig für ihn ist oder nicht hat hier meiner Meinung nach nichts zu suchen. Meine Konsequenz daraus ist allerdings nicht, dass diese Leute von der Uni geschmissen werden sollen, sondern, dass man diese Entscheidungsfähigkeit möglichst schon in der Schule erlernen sollte.

    Die Abschaffung der Studiengebühren ist auch keine zweideutige Forderung. Und Gründe gibt es reichlich.

    Mitbestimmung der Schüler-/Studentenschaft an Schulen/Unis ist für jeden verständlich.

    Soziale Ungerechtigkeiten im Bildungssystem, frühe Selektierung (mit 11!!!), zu große Klassen. Es fehlt an Lehrern, aber wer will in einem solchen System schon auf Lehramt studieren? Ich nicht! Respekt vor den mutigen und in 20 Jahren gefrusteten Lehrämtlern.

    Nebenbei gehen die Proteste der ErzieherInnen in die gleiche Richtung, Bildung fängt schon bei ihnen an. In Frankreich bekommen Kindergärtner das gleiche Gehalt wie Lehrer.

    Es mangelt insgesamt nicht an Ideen, es ist nur traurig zu sehen, wie die Verantwortlichen die berechtigten Proteste einfach als jugendliches Bedürfnis, sich mal auszutoben, abstempeln.

  9. @ Helmut:

    Mir mangelt es einfach an der nötigen Contenance, mir derartige Bemerkungen zu verkneifen. *g*

    Wirde dir ja gerne mit dem Herrn von der SPD weiterhelfen, aber ich habe nach den ersten ca. 5 Sätzen ein bisschen den Mut verloren. Außerdem bin ich krank und damit vorerst entschuldigt.

    @Martin:
    Schavan mag studiert haben (– diesen Kommentar habe ich mir verkniffen –), das sagt allerdings noch lange nichts über ihre Wertschätzung von Bildung und Wissenschaft.

    @Carsten
    Das stimmt natürlich. Eigentlich sollten die Universitäten systematisch Lobbyarbeit betreiben. Aber oft reichts ja nicht mal für ne ordentlich ausgestattete Pressestelle…

  10. @ Fischer

    Ok, dann meinst Du damit die Wertschätzung von Bildung und Wissenschaft. Üblicherweise wird es für die “Unterschichten” gebraucht.

  11. Unterschicht…

    …und bildungsferne Schicht überschneiden sich oft (soziale Selektion ist ja auch ein Dauerthema bei den Studienprotesten). Aber dass beide gleichbedeutend wären, kann man nicht sagen.

    …behaupte ich jetzt mal als stolzer Teil des akademischen Prekariats.

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