Auch Krebse fühlen Schmerz

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WG-Besichtigung in der Heidelberger Altstadt: Eine wackelige Holztreppe führt zu einer Art Bretterverschlag, der mal als Dachboden gedient hat. Jetzt wohnen dort Studenten. Die Küche: Ein alter Herd, daneben eine transportable Duschkabine. Eine nackte Leuchtstoffröhre beleuchtet das Grauen. „Aber man wohnt immerhin nah an der Uni.“

Das nennt man dann auf Neudeutsch einen Trade-off. Wieviel Unannehmlichkeit bin ich zu ertragen bereit, bevor ich schreiend rauslaufe? Viele Organismen treffen solche Entscheidungen auf der Basis eines definierten Schwellenwertes, wir dagegen wägen die Alternativen gegeneinander ab: Wenn die Alternative das Sichtbeton-Schlafzimmer unter der Neckarbrücke ist, handeln wir anders als wenn wir noch Geld für ein Hotel haben.

So flexibel sind allerdings auch andere Tiere, unter anderem solche, von denen man es nicht unbedingt erwarten würde. Einsiedlerkrebse zum Beispiel hätte man bis dato strikt in die Schwellenwert-Gruppe eingeordnet. Es hat sich aber gezeigt, dass es so einfach nicht ist.

Dazu haben Wissenschaftler von der Universität Belfast Schneckenhäuser unter Strom gesetzt. Die Einsiedlerkrebse darin waren natürlich nicht so wahnsinnig begeistert, aber da sie keine andere Behausung hatten, trotzten sie, vergleichbar den Heidelberger Studenten, den Stromschlägen. Allerdings taten sie das nur bis zu einer gewissen Stromstärke. Oberhalb eines Schwellenwertes ergriffen sie sofort die Flucht.

So weit, so erwartungsgemäß. Interessant wird es allerdings, wenn man den Tierchen eine Entscheidung abverlangt, hier indem man ihnen einen unterkritischen Elektroschock in den Hintern gibt und einige Zeit später eine alternative Behausung anbietet. Dann nämlich schreiten die  Tierchen zielstrebig zur Wohnungsbesichtigung und ziehen mit wesentlich höherer Wahrscheinlichkeit um als ihre nicht geschockten Artgenossen. Offensichtlich erinnern sich die Krebse an den Stimulus und vergeben dafür genauso Minuspunkte wie für eine zu kleine Schale.

Nun ist es ein großer Unterschied, ob ein Einsiedlerkrebs das Schneckenhaus wechselt, weil die neue Behausung im direkten Vergleich Vorteile hat, oder wegen eines zurückliegenden negativen Erlebnisses. Im letzteren Fall muss das Tier nämlich in der Lage sein, Ereignisse zu bewerten und diese Bewertung gegen andere Bewertungen abzuwägen.

Ein Elektroschock provoziert demnach nicht direkt eine Reaktion (also einen Reflex), sondern erzeugt im Einsiedlerkrebs einen internen Zustand, der zu einer zukünftige Vermeidungsreaktion führt. So etwas nennen wir im allgemeinen Schmerz. Ein Gefühl, das Wirbellosen bisher meistens noch nicht zugetraut wird.

Elwood, R., & Appel, M. (2009). Pain experience in hermit crabs? Animal Behaviour, 77 (5), 1243-1246 DOI: 10.1016/j.anbehav.2009.01.028

8 Kommentare

  1. Das habe ich auch noch so während des Biostudiums gelernt. Die nächsten Fragen wären:
    1. Sind es spezielle sensorische Nervenzellen, welche die Schmerzen übertragen?
    2. Wie wird das Signal im Krebs ZNS verarbeitet?
    3. Gibt es Sensoren für Hitze?
    4. Wann startet PETA eine Kampagne zum Schutz der Hummer vor dem Kochtopf?

  2. Lars schrieb: “WG-Besichtigung in der Heidelberger Altstadt: Eine wackelige Holztreppe führt zu einer Art Bretterverschlag, der mal als Dachboden gedient hat. Jetzt wohnen dort Studenten. Die Küche: Ein alter Herd, daneben eine transportable Duschkabine. Eine nackte Leuchtstoffröhre beleuchtet das Grauen. ‘Aber man wohnt immerhin nah an der Uni.’ “

    Du hast gerade die WG meines Bruders beschrieben. In Heidelberg.

  3. @ Alexander

    Richtig, blockqoute gibt es in den Kommentaren nicht. <strong>, <em> und <a> sind die drei Tags, die in den Kommentaren erlaubt sind.

  4. @Tobias

    Für die Fragen 1 und 2 müsste man die Tierchen wohl aufschneiden, Frage 3 ist m.W. nicht mal für den Menschen zufriedenstellend beantwortet und 4 würd ich nicht so laut Fragen, sonst hast du den Verein morgen vor der Institutstür. 😉

  5. @Alexander

    Das kann gut sein. ^^ Wo wohnt dein Bruder? Das Zimmer hier im Text war ein Dachboden ziemlich am Anfang der Plöck, auf der Neckarseite.

  6. @Fischer

    Die genaue Adresse weiß ich nicht, und auch der Zustand seiner WG ist nicht ganz so extrem wie du beschrieben hast. Er wohnt so ca. 4-5 Häuser schräg oberhalb der Bib in der Grabengasse.

  7. ein interessanter Vergleich zwischen Studenten und Krebsen … Ich hoffe nur, daß jetzt niemand auf die Idee kommt, Studenten in ihrer Wohnung Elektroschocks zu verpassen, um zu ergründen, ob sie ähnlich den Krebsen auch eine neue Wohnung suchen.

    *verbarrikadier schonmal die Tür* 🙂

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