Anatomie eines Supersturms

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Nein, nicht Haiyan. Oder vielleicht eben gerade Haiyan, wenn der jüngste Taifun in den nächsten Wochen und Monaten mit den neuesten Methoden der Forschung aufgearbeitet wird. Aber erstmal geht es um Sandy, den Supersturm vom letzten Jahr, der New York so spektakulär flutete. Rechtzeitig zum Jahrestag der Katastrophe gibt es jetzt extrem hochaufgelöste Simulationen, die all jene Faktoren und Details zeigen, die aus einem tropischen Wirbelsturm einen neunmal so großen, einzigartig zerstörerischen Hybridwirbel machte.

Dass Sandy ein ungewöhnlicher, ja kurioser Sturm werden würde, zeichnete sich schon ab, als er noch ein ganz normaler Hurrican in der Karibik war. Allein in den USA starben über 150 Menschen und entstanden insgesamt über 65 Milliarden Dollar Schaden. Angesichts dieser Zahlen lohnt sich der Aufwand, den sich das Forscherteam mit den Berechnungen gemacht hat.

Hochaufgelöste Simulation des Hybridsturms Sandy. Temperaturen an der Wolkenoberseite und das Windfeld.

In solchen Wettermodellen verwendet man normalerweise eine Auflösung im Bereich von mehreren Kilometern – über zehn Kilometer große Zellen in weniger interessanten Bereichen, vier Kilometer dort, wo es wirklich interessant wird. In dieser Simulation aber haben die Zellen über das gesamte Gebiet (also die komplette US-Ostküste) eine Kantenlänge von nur fünfhundert Metern. Entsprechend brauchte das Ding 60 Stunden Rechenzeit auf einem Supercomputer. Das ist natürlich etwas zu lang für eine Wettervorhersage.

Für einen ungewöhnlichen Sturm wie Sandy (oder demnächst auch Haiyan) lohnt es sich allerdings, die Vorgänge im Detail zu berechnen, um zu sehen, was gerade dieses Wettersystem so zerstörerisch machte. Denn am Anfang was Sandy auch nur einer von den vielen Wirbelstürmen der atlantischen Hurricansaison. Wohlgemerkt, das Ding hat da schon auf den karibischen Inseln über hundert Menschen getötet. Ein normaler Hurrican ist alles andere als harmlos. Sandy war noch mal ne Nummer größer.

Der Sinn der neuen Simulationen ist es denn auch, herauszufinden, wie es dazu kam. Als Sandy vom 26. Bis 29. Oktober nordwärts zog, interagierte Das Sturmsystem mit zwei Trögen – Tiefdruckgebieten, die in südwärts gerichteten Schlaufen des Jetstreams arktische Luft weit nach Süden führen. Im Bezug auf Stürme hat es mit den Trögen eine besondere Bewandtnis. Sie nämlich liefern den kalten Stürmen der mittleren Breiten ihre Energie – und in diesem speziellen Fall eben auch dem Wirbelsturm Sandy. Sandy sog nämlich aus einem dieser Tröge kalte Luft ein, die sich um das noch warme Hurricanzentrum legte. Statt aus Mangel an Wärme von unten langsam quasi zu verhungern (wie das Hurricane in mittleren Breiten normalerweise tun), gewann der Sturm durch die großen Druck- und Temperaturunterschiede auf kurzen Distanzen noch einmal enorme Energie.

Dass Sandy eben nicht den erwarteten extratropischen Übergang eines Tropischen Wirbelsturmes durchmachte und dabei an Kraft verlor, hatte allerdings nicht den einen zentralen Grund. In der Veröffentlichung zu den neuen Simulationen identifizieren die beteiligten Forscher eine Reihe unterschiedlicher Effekte, die alle schon lange bekannt sind, sich in diesem Fall aber verhängnisvoll gegenseitig verstärkten.

Neben der Kaltluft, die sich um den warmen Kern des Sturms wickelte, trug noch ein zweiter Faktor entscheidend dazu bei, den Sturm im entscheidenden Moment mit zusätzlicher Energie zu beliefern. In gewisser Hinsicht verhielt sich Sandy wie eine Superzelle, einer Gewitterfront, in der Tornados entstehen. Nur in sehr viel größerem Maßstab. Die Simulationen zeigen parallel zur Küste eine Walze rotierender Luft, angetrieben durch das Temperaturgefälle zwischen dem warmen Golfstrom und benachbartem kühlerem Wasser. Dieser gigantische rotierende Zylinder hob sich durch den sich nähernden Sturm in die Vertikale. In einer Superzelle kann sich aus diesem rotierenden schlauch ein Tornado bilden – im Fall von Sandy ging der Drehimpuls einfach in die Gesamtenergie des Sturmes ein und verstärkte ihn.

Dass Sandy so ungewöhnlich groß wurde, erweist sich als Konsequenz zweier Effekte. Zum einen nehmen Hurricane generell an Durchmesser zu, wenn sie die Tropen verlassen und in kältere Regionen ziehen. Außerdem erzeugte der Wirbel kalter Luft, der sich vom nördlichen Trog aus um Sandy schlang, eine zweite, weit vom eigentlichen Kern des Sturms entfernte Zone starker Winde, deren Effekte man noch in großer Entfernung spürte. Am meisten Schaden richtete allerdings nicht der Wind selbst an, sondern die Sturmflut, die er vor sich her trieb – dafür ist nicht nur die Windstärke entscheidend, sondern auch der Bereich, über den der Wind wirkt. Wie man in der Simulation gut sehen kann, war Sandy so groß, dass Wind über den kompletten Ozean hinweg Wasser in die New York Bay drückte, mit den bekannten Resultaten.

Hochaufgelöste Simulation der Windstärken des Hurricans Sandy. Man erkennt, wie sich über dem Atlantik zwei Bereiche Hoher Windstärken in unterschiedlicher Entfernung vom Sturmzentrum bilden.

Natürlich interessiert uns an alldem nicht so sehr der Sturm von gestern, sondern die Stürme von morgen, und was uns zukünftige Simulationen über sie sagen können. Zum Beispiel die noch offene Frage, ob Stürme wie Sandy oder Haiyan durch den Klimawandel häufiger oder seltener werden. Das nämlich hängt von der zukünftigen Balance zwischen zwei gegenläufigen Effekten ab: Höhere Temperaturen verstärken Stürme, sie verstärken aber auch die Windscherung in der oberen Atmosphäre, die Stürme auflöst. Welcher Mechanismus überwiegt, können nur hochaufgelöste Modelle beantworten.

Die Sandy-Simulation mit ihrer Maschenweite von nur 500 Metern zeigt auf jeden Fall, dass das inzwischen nicht nur möglich, sondern auch sehr sinnvoll und informativ ist. Insofern würde ich davon ausgehen, dass ab jetzt auch andere Gruppen die Rechenzeit für solche Modelle freischaufeln – als erstes wahrscheinlich für den neuesten ungewöhnlichen Supersturm, Haiyan.

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