“Ob jemand meinen Türgriff schön findet, ist für die ästhetische Bedeutung irrelevant.”

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Club der toten Philosophen

Prof. Dr. Georg Lohmann, Dr. Rainer Totzke und Dr. Ramiro Glauer vom Institut für Philosophie der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg diskutieren über die heikle Frage “Was ist schön?”. Dazu verkörpern sie die toten Philosophen Karl Rosenkranz (KRGL), Friedrich Nietzsche (FNRT) und Ludwig Wittgenstein (LWRG).

Karl Rosenkranz wurde in Magdeburg geboren und hat sich stark mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel auseinandergesetzt. KRGL hat grob eine Hegel-upgrade-Auffassung von Schönheit, dass nämlich das Schöne per definitionem das Hässliche beinhalte, sich also stets nur in Abgrenzung des Hässlichen definieren könne, wie Rosenkranz in seiner Ästhetik des Hässlichen schreibt. Durch Prof. Dr. Georg Lohmann verkörpert sagt Rosenkranz:

“Schön nennen wir das, was gefällt. Wenn Sie hier zum Einkaufscarrée kommen, dann steht da drüber: ‘Schön, dass Sie jetzt kommen.’ oder so. Das meint noch etwas anderes. […] Aber wenn ich sage, es ist schön, wie Du da sitzt, oder wie Sie hier sitzen, so elegant, so lässig, so einfach, so futuristisch… dann würde ich sagen, so gebrauchen wir den Ausdruck schön und was meinen wir damit: Es gefällt mir.”

Ludwig Wittgenstein, der durch die Verkörperung durch Dr. Ramiro Glauer der Ansicht ist, oft fehlinterpretiert worden zu sein, kontert gegen Rosenkranz:

“Wie man meinen kann, das Schöne spiele eine so wichtige Rolle in der Kunst und dann eine so hässliche Theorie aufzustellen, ist mir ein Rätsel.”

Wittgenstein ist der Ansicht, dass der Gebrauch der “normalen” Sprache an vielen Stellen erhellend sein kann, wenn man der Bedeutung von Wörtern auf den Grund gehen will. Anstatt also Bedeutungen von Wörtern wie Gegenstände in der Welt zu suchen, die man mit ihnen verknüpfen kann, vertreten die Anhänger der Ordinary Language School eine Beleuchtung des Sprachgebrauchs, der auch dazu führen kann, dass ein und dasselbe Wort in verschiedenen Kontexten (Wittgenstein: “Sprachspielen”) unterschiedlich verwendet wird. Den Ausdruck “schön” akzeptiert LWRG demgemäß nicht als ästhetisches Urteil, sondern als Ausdruck eines Gefühls.

Nachdem KRGL den “Schlag in die Magengrube” verkraftet hat (FNRT: “Zum Glück sind unsere Magen nur noch virtuell.”) und nachdem die “Mittoten” einen Exkurs KRGLs in die Geschichte der Ästhetik erlaubt haben, mischt sich schließlich auch FNRT ein, der resigniert zugeben muss, dass er sich in vielem geirrt hat, zum Beispiel darin, dass Richard Wagner ein großer Künstler war und vielleicht auch darin, dass Wittgenstein ein Nietzscheianer “vor dem Herrn” ist.

Doch auch LWRG lässt ein wenig Verbitterung durchblitzen, wenn er von seinen vielen Berufen berichtet (Architekt, Gärtner, Lehrer usw.), die auch ihre schönen Seiten gehabt hätten. Kühl weicht LWRG jedoch sämtlichen privaten Seitenhieben von KRGL aus, ob auf seinen “Zettelchen” nicht auch etwas über ästhetische Urteile gestanden habe, ob er seinen Freund schön gefunden habe und ob er überhaupt die Schön- wie Hässlichkeit Wiens zu seiner Zeit wahrgenommen habe. LWRG wischt diese Sticheleien mit einem Satz vom Tisch:

“Sie verstehen überhaupt nicht meinen Punkt, das ist wirklich ganz erstaunlich.”

Immerhin verstanden sich die “toten Philosophen”, die mittlerweile angeblich sogar im Himmel über Google und FB eifrig die Sekundärliteratur zu ihren eigenen Werken beobachten, so gut, dass sie miteinander ein fruchtbares Streitgespräch (Teil 1) inszeniert haben (hier ist Teil 2), das sowohl informativ als auch unterhaltsam ist.

 

Weiterführende Links:

* Hegel denken mit Prof. Dr. Petra Gehring, TU Darmstadt.

* Von Magdeburg bis Königsberg. Aufzeichnung Karl Rosenkranz’ auf zeno.org.

* Mehr Literatur von Karl Rosenkranz online.

* Austrian Ludwig WIttgenstein Society.

* Nietzsche contra Wagner.

* Uni Heidelberg: Nietzsche als Kritiker Wagners.

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Bachelor-Studium "Philosophie, Neurowissenschaften und Kognition" in Magdeburg. Master-Studium "Philosophie" und "Ethik der Textkulturen" in Erlangen. Freie Kultur- und Wissenschaftsjournalistin: Hörfunk, Print, Online. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Abteilung Philosophie, Fachbereich Medienethik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

7 Kommentare

  1. Vom Ende her ge…schönt

    Leonie Seng schrieb (16. Mai 2013, 06:39):
    > […] geirrt hat, zum Beispiel darin, dass […] Wittgenstein ein Nietscheianer “vor dem Herrn” ist.

    Ich weiß, dass ich darüber nichts weiß, außer, dass ich darüber so gut wie nichts weiß und dass da sicherlich noch ein “z” fehlt.

    Um mich zumindest dessen zu vergewissern, wenn nicht sogar abzuhelfen, und weil ich den vorliegenden SciLog-Artikel an sich schon recht informativ als auch unterhaltsam fand …

    > […] dass sie miteinander ein fruchtbares Streitgespräch (Teil 1) inszeniert haben […]
    … gibt’s das auch als Transkript bzw. Libretto (zum eventuell gefälligen Copy-n-Pasten)?

    Antwort:

    “…und dass da sicherlich noch ein “z” fehlt.”

    Danke, das habe ich behoben 🙂

    “… gibt’s das auch als Transkript bzw. Libretto (zum eventuell gefälligen Copy-n-Pasten)?”

    Ein Protokoll habe ich leider nicht, und ich vermute, dass auch keiner der Herren Philosophen mitstenographiert oder im Nachhinein transkribiert hat. Darf ich fragen, warum Ihnen die Videos nicht genügen? Ich finde die Performance an sich auch sehr unterhaltsam, allein mit Worten könnte man das vermutlich nicht so gut wiedergeben.

  2. Ansicht ist Ansichtssache

    Leonie Seng schrieb (nach 16.05.2013, 16:29):
    > Darf ich fragen, warum Ihnen die Videos nicht genügen?

    Na, wenn’s eine schriftliche (sogar schon maschinenlesbare! 😉 Form davon leider (noch) nicht gibt, dann werden die Videos eben genügen müssen.

    Ob und wie ich das mit meinem Konsum von Fernseh- und Radioprogrammen und sonstigen audio-visuell aufmerksamkeitsfordernden Beschäftigungen vereinbaren möchte oder kann, ist für mich noch nicht abzusehen.

  3. @Frank Wappler

    “…dann werden die Videos eben genügen müssen.”
    Ich werde einmal nachfragen, ob zufällig jemand transkribiert hat. Ob ich demnächst dazu käme, kann ich noch nicht abschätzen — sind immerhin fast zwei Stunden Gespräch! Außerdem nimmt das Lesen ja auch Zeit in Anspruch 🙂

    “Ob und wie ich das mit meinem Konsum von Fernseh- und Radioprogrammen […] vereinbaren möchte […]”

    Eine Alternative: Video in mp3 konvertieren und ab damit in die Sonne (sofern vorhanden) und ins Grüne 🙂

  4. Aufwühlend

    Sie brennen hier wahrlich wieder ein echtes Feuerwerk Der Neuronen ab. Ihr Blog hat zurecht diesen Untertitel. Man fühlt sich als Frau schon beim ersten Lesen hin- und hergeschleudert, wie eine Feuerwerkerin, der ihr (logisches) Equipment überraschend um die Ohren fliegt. Aber so wirken nunmal mutige Gedanken auf viele Menschen, die es nicht gelernt haben, sich so furchtlos in das weite Feld der Erkenntnis hinauszuwagen.

  5. @Imke

    Vielen Dank für den Kommentar — obschon ich ja nicht weiß ob ich es als Lob auffassen soll, wenn mir mein “logisches Equipment” um die Ohren fliegt; das klingt eher unkontrolliert. 😉
    Zudem möchte ich betonen, dass ich in diesem Fall ja “nur” rezensiert habe. Mein “Feld der Erkenntnis” beschränkt sich in diesem Fall also auf meine visuelle und auditive Wahrnehmung eines Youtube-Videos. 🙂
    A propos Erkenntis: Meine bisherigen Erfahrung mit der Erkenntnistheorie ist außerdem, dass letztendlich doch alle mit den selben erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten konfrontiert sind, auch wenn sie noch so plausible Theorien aufzustellen vermögen. Insofern ist jede Furcht vor dem weiten Feld der Erkenntnis aus meiner Sicht unbegründet.

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