Gedankenlesen im Gehirn?

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Bewusstsein verschwindet nicht

Egal, wie tief Neurowissenschaftler auch in Gehirne blicken, sie werden dort keine Gedanken finden, keine Träume, keine Wünsche, kein Bewusstsein. Diese Ansicht vertreten in der Philosophie die Antireduktivisten. Gedanken, Träume, Wünsche, Bewusstsein und so weiter, die in der Philosophie unter dem Begriff „psychische“ oder „mentale Zustände“ subsumiert werden, sind nicht auf physische Vorgänge wie zum Beispiel Neuronenaktivität reduzierbar, so die allgemeine Kernaussage des Antireduktivismus. Oder wie Michael Pauen, Professor für Philosophie des Geistes an der Humboldt-Universität zu Berlin, es bei der ersten philCOLOGNE im Juni 2013 im Kölner Stadtgarten formulierte: “Das Bewusstsein verschwindet nicht in dem Moment, da wir die neuronalen Prozesse verstehen.”

Die Art der Reduktion psychischer Vorgänge auf physische kann im Detail zum Beispiel als Identität beschrieben werden (“Psychische Zustände sind physische Zustände.”), als Funktionalität (“Psychische Zustände sind funktionale Zustände.”) oder eliminativ (Eliminativismus bzw. eliminativer Materialismus: “Psychische Zustände gibt es gar nicht.”).

Neurojournalistischer Reduktionismus

Wenn neurowissenschaftliche Erkenntnisse heute in Wissens- oder Wissenschaftsmagazinen, -Zeitungen oder -Zeitschriften unter eine mehr oder weniger breite Leserschaft gebracht werden sollen, liegt den Berichten und Artikeln oft eine Form von Reduktivismus zugrunde, also die Annahme, dass man nur tief genug im Gehirn nachsehen muss, um psychischen Phänomenen wie Gedanken auf die Spur zu kommen. Eine Form, die als reduktivistisch angesehen werden kann, ist die Supervenienz. Philosophie-Professor Christian Nimtz erklärt den Fachterminus in einer Vorlesung zur Philosophie des Geistes so: “Mentale Eigenschaften supervenieren über physischen Eigenschaften gdw. gilt: Zwei Dinge, die sich in ihren physischen Eigenschaften nicht unterscheiden, können sich auch in ihren mentalen Eigenschaften nicht unterscheiden.”

Ein Beispiel für neurojournalistischen Reduktionismus aus der jüngsten Vergangenheit: eine Studie niederländischer Forscher um Sanne Shoenmakers vom Donders Institute for Brain, Cognition and Behavior der Radboud University in Nijmegen. Unter dem Titel “Linear reconstruction of perceived images from human brain activity” beschreiben die Wissenschaftler im Fachmagazin Neuroimage, wie sie mithilfe eines Computerprogramms aus Hirnscans von Probanden entzifferten, welche Buchstaben sie gerade betrachtet hatten. Vom Bildschirm durch die Augen in das Gehirn der Probanden erzeugte das Lesen der Buchstaben ein neuronales Aktivitätsmuster im visuellen Cortex. Von diesem Muster ausgehend schlossen die Forscher wieder zurück auf die Ausgangsbuchstaben.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschrieb die Bedeutung dieses Studienergebnisses am vergangenen Mittwoch (28. August 2013) als “einen Schritt näher” hin zu dem Ziel des Gedankenlesen-Könnens.

Etwas bescheidener klingt die Überschrift der Pressemitteilung der Radboud University Nijmegen: “Computer can read letters directly from the brain”. Allerdings ist auch hier im Text die Rede von einer “Rekonstruktion von Gedanken” – dabei ist höchst fraglich, ob es sich bei dem Lesen der einzeln präsentierten (!) Buchstaben “B”, “R”, “A”, “I”, “N” um einen Gedanken handelt oder darum, was man normalerweise unter Gedanken versteht; und ebenso ist fraglich, ob die Rekonstruktion von Buchstaben aus Aktivitätsmustern im Gehirn mit dem gleichgesetzt werden kann, was man normalerweise unter Gedankenlesen versteht. Der Blogger “Neuroskeptic” hält es außerdem für wenig verwunderlich, dass der Output durch die einzeln präsentierten Buchstaben irgendwie “‘lettery’ features” habe. Etwas belustigt formuliert “Neuroskeptic” das Ergebnis der Studie als: “Brain Reading Reads ‘Brains’ From A Reading Brain“.

 

Sprachliche Verwirrung in den Neurowissenschaften

Der australische Neurowissenschaftler Max Bennett und der britische, emeritierte Philosoph Peter Hacker setzen sich in ihrem Buch Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften” intensiv mit der Sprache über neurowissenschaftliche Befunde auseinander. Im englischen Original ist das Buch bereits 2003 erschienen. Sie wollen aufräumen mit begrifflichen Verwirrungen, zu denen in ihren Augen vermutlich auch der Fall des Gedankenlesens von oben zählen würde. Dazu gehört auch das Ausräumen von in der Philosophie so genannten mereologischen Felschlüssen, das heißt in diesem Fall, dem Gehirn (einem Teil des ganzen Menschen) Eigenschaften zuzuschreiben, die man sinnvoll nur dem ganzen Menschen selbst zuschreiben kann: das Gehirn denkt, das Gehirn arbeitet, das Gehirn liest – ?

In einer Vorlesung über das Denken schreibt Peter Hacker: We reason from premisses, derive conclusions from evidence, draw inferences from data, deduce consequences. We form plans (think what to do and when to do it), and reflect on means (think how to do it). Thinking here is solution-seeking and problem-solving. So it is activity-like, but it is at best misleading to conceive of it as an activity of the mind or brain. Nevertheless, it is something one does.

Something one does also, und nicht, something one’s brain does. Die Übertragung von menschlichen Fähigkeiten auf das menschliche Gehirn ist laut Hacker und Bennett unsinnig, denn ein Gehirn kann einfach nicht denken, auch keine Entscheidungen treffen oder Bewusstsein haben. Dies alles sind Eigenschaften und Aktivitäten, die man sinnvollerweise nur einem Menschen selbst zuschreiben kann, was in guter Wittgenstein’scher Tradition allein ein Blick auf den alltäglichen Gebrauch der Wörter zeige –- einmal abgesehen von einem Großteil neurojournalistischer Berichterstattung, die ja inzwischen auch fast zum alltäglichen Gebrauch zählt. Wir sagen einfach nicht: “Mein Gehirn hat entschieden, dass ich jetzt zum Strand gehe.”, “Mein Gehirn denkt.”. Selbst im metaphorisch übertragenen Sinn sei eine solche Redeweise bedeutungsleer. Stattdessen sagen wir: “Ich denke.” und “Ich habe entschieden, zum Strand zu gehen.”.

Unterschiedliche Beschreibungsebenen

Michael Pauen erklärte bei der philCOLOGNE daher auch, dass es sich bei Geist und Materie oder Psychischem und Physischem aus seiner Sicht schlicht um unterschiedliche Beschreibungsebenen eines Phänomens, zum Beispiel des Denkens, handle. “Wenn man auf molekularer Ebene Wasser verstanden hat, dann heißt das noch lange nicht, dass man nicht mehr von Wasser sprechen kann.” Daher müsse man die Frage nach dem Bewusstsein bei einer Simulation von Gehirnfunktionen, wie sie zur Zeit zum Beispiel in dem Human Brain Project (HBP) zu erreichen versucht wird, “zunächst ausklammern”. Wie dabei noch das offizielle Ziel des HBP erreicht werden soll, einen “tiefen Einblick in das zu geben, was uns menschlich macht“, bleibt für den ein oder anderen dabei vielleicht fragwürdig.

Neuroskeptizismus: Nichts Neues

Abschließend sei kurz bemerkt, dass die Frage nach den Möglichkeiten des Gedankenlesens im Gehirn natürlich nicht besonders neu ist. Eines von vielen Beispielen ist der Artikel bei Gehirn und Geist des Bloggerkollegen Stephan Schleim von 2006:Zeig mir dein Hirn – und ich sag dir, was du denkst“. Die offenbar unveränderte Schreibweise in der Berichterstattung zeigt jedoch, dass die Kritik von Bennett und Hacker auch aktuelle Adressaten hat.

 

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Weiterführende Links

* Zum Rätsel des Bewusstseins siehe auch: Bewusstsein auf dasgehirn.info vom braincaster Arvid.

* Auch empfehlenswert: Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes des Bielefelder Philosophen Ansgar Beckermann.

* Bloggerkollege Christian Hoppe macht sich Gedanken über Gedanken und Wirklichkeit.

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Bachelor-Studium "Philosophie, Neurowissenschaften und Kognition" in Magdeburg. Master-Studium "Philosophie" und "Ethik der Textkulturen" in Erlangen. Freie Kultur- und Wissenschaftsjournalistin: Hörfunk, Print, Online. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Abteilung Philosophie, Fachbereich Medienethik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

117 Kommentare

  1. Nicht Reduktion, aber Korrelation

    Wenn Reduktion Elimination bedeutet, dann liegt der Reduktionismus falsch. Dass Hirnaktivität (elektrisch,stoffwechselmässig, etc) aber im Zusammenhang mit Hirnleistung und Erlebnis des Probanden steht, daran zweifelt wohl kein Neurowissenschaftler. Gedankenlesen mit Neuroimaging oder EEG beruht heute meist auf der Korrelation von Messdaten mit einem vorher erhobenen Trainingsset. Die Testperson liest also Buchstaben unter kontrollierten Bedingungen wobei Hirnaktivität aufgezeichnet wird. Beim späteren freien Lesen wir durch Vergleich der aktuellen Hirnaktivität mit den gefundenen Mustern im Trainingsset die beste Übereinstimmung bestimmt.

    Immerhin zeigt uns die Analyse dieser simplen Form des “Gedankenlesens” folgendes:
    – Hirnaktivität korrelliert mit dem subjektiven (auch objektivierbaren) Vorgang des Lesens
    – Der Messvorgang hat das Hirn als Objekt und nicht etwa den ganzen Menschen oder z.B. den Bauch (die alten Griechen sprachen oft vom Bauch als Denkorgan)

    Nun kommen wir zu den linguistischen und semantischen Problemen:
    Was macht den Unterschied aus zwischen “ich denke, ich habe mich entschlossen” und “mein Hirn denkt, mein Hirn hat sich entschlossen”. Meiner Ansicht nach darf man die zweite Art des Sprechens nicht allzu ernst nehmen. Gerade jemand, der locker drauf ist, sagt vielleicht: “Eigentlich wollte ich heute ja studieren, aber meine grosse Zeh hat sich anders entschieden”. Etwas was nicht todernst gemeint ist.

    Sicher richtig ist folgendes:
    (Zitat von hier)“Wenn man auf molekularer Ebene Wasser verstanden hat, dann heißt das noch lange nicht, dass man nicht mehr von Wasser sprechen kann.”

    Ein Reduktionismus, der unser bisheriges Sprechen invalidiert, ist meist ein fragwürdiger, weil allzu übergriffiger -ismus. Hier haben wir eigentlich das tiefere Problem der monistischen Theorien, also von Theorien, die alles mit einem Prinzip erklären wollen. Solche Monismen sind nichts anderes als ultimative Reduktionismen. Der heute aktuellste Monismus ist der ontologische Materialismus, auch Physikalismus genannt. Meiner Meinung nach ist ein solcher ontologischer Materialismus, wenn er so vertreten wird wie von Bunge und Mahner in ihrem Buch “Über die Natur der Dinge” eine der plausibelsten Erklärungen unserer Realität indem es jede Form der Realität letztlich in der Realität der Dinge, in der materiellen Welt verwurzelt. Dies zu tun scheint mir beinahe notwendig, denn es gibt keine belegbare Realität ohne Physis. Nichts Phantastisches, Fiktionales, Supernaturales existiert ohne Menschen und kein Mensch existiert ohne eine materielle Basis.

    Was viele Materialisten und noch mehr Anti-Materialisten, Antireduktionisten aber falsch sehen, beziehungsweise falsch sehen wollen (bei den Anti-Materialisten anzutreffen) sind die Konsequenzen aus dem ontologischen Materialismus: Die Konsequenz, dass aller Realität materielles, physikalisches zugrundeliegt bedeutet nicht, dass jede Art der Entität identisch ist mit einer Kollektion von Atomen (oder sonstwie materiellem). So liest man von nicht wenigen Antimaterialisten/Antireduktionisten als Widerlegung des Materialismus: Der Mensch bestehe über sein Leben nicht aus denselben Atomen, also könne er nicht auf eine Kollektion von Atomen reduziert wären und somit sei auch der ontologische Materialismus widerlegt. Doch wie wohl selbst diejenigen wissen, die dieses Argument vorbringen, handelt es sich hier nur um einen Straw Man, also ein konstruiertes Gegenargument, das einen Materialismus behauptet wie er von ernsthaften Vertretern eines Physikalismus nie vertreten wird. Vielmehr gilt: “Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile”.

    Um nun wieder auf die Neurowissenschaft zu sprechen zu kommen. Was wir in unserer Umgangssprache Gedanken, Träume, Vorstellungen nennen wird sicherlich mit Hirnaktivität zusammenhängen. Doch die simple Vorstellung, es gebe eine 1:1-Beziehung zwischen den mentalen Zuständen, die die meisten unserer Sprachen kennen und Hirnaktivitätsmustern, ist sicherlich falsch. Warum sollte etwas was nicht einmal zwischen verschiedenen Sprachen klappt, nämlich die wörtliche Übersetzung, in der Welt der Neurowissenschaft funktionieren?
    Wohl nur deshalb, weil einige Philosophen und Geisteswissenschaftler in den Naturwissenschaftlern nur Simplizisten und Handwerker sehen wollen und sie nicht zu den Denkern hinzuzählen wollen, zu denen sie sich selbst zählen.

  2. Informationsverarbeitung

    Das fMRT-Experiment mit den Buchstaben zeigt, dass beim Erleben/Lernen eines Reizes bestimmte Areale des Gehirns aktiv sind, beim Erinnern dieser gelernten Erfahrung sind dann die gleichen Areale wieder aktiv. Erinnern einer Erfahrung ist demnach nichts anderes als die Herstellung des ursprünglichen, beim ursprünglichen Lernen vorhandenen, Zustandes: ein Wiedererleben einer bestimmten Situation.
    Allerdings sagt dieses Experiment nichts darüber aus, wie eine Information wahr genommen, gelernt und im Gedächtnis abgespeichert wird.

  3. @KRichard

    Vielen Dank für Ihren Beitrag.
    Wenn ich die Studie richtig verstanden habe, war der Aufbau noch ein bisschen anders. Probanden bekamen Buchstaben im fMRT-Scanner präsentiert. Aus den daraus entstandenen Hirnscans schlossen die Forscher dann mithilfe eines Computerprogramms wieder zurück auf die ursprünglich präsentierten Buchstaben. Es ging also nicht darum, Erinnern oder Lernen zu erfassen, sondern um die Rekonstruktion von wahrgenommenen Buchstaben aus fMRT-Bildern.
    Ich denke außerdem schon, dass Wissenschaftler inzwischen ganz gut sagen können wie Informationen wahrgenommen und verarbeitet werden — auf biologischer, neuronaler und molekularer Ebene. Dass zum Begriff der Wahrnehmung aber mehr gehört als bloß physikalische Beschreibungen, davon bin ich momentan ziemlich überzeugt.

  4. Gedanken

    Schöner Beitrag!

    Wenn wir das Gehirn eines Tages materialiter verstanden haben, verschwindet das Bewusstsein nicht – wie einst der élan vital oder das Phlogiston. Es lässt sich wahrscheinlich auch nicht erklären als “Aufsummierung” elementarer physikalischer Eigenschaften der zugrunde liegenden materiellen Hirnprozesse (wie beim Wasser). Der antireduktionistische Standpunkt ist zumindest verständlich. Bist Du denn Antireduktionistin??

    Am Ende, scheint mir, ist die einzig interessante philosphische Frage: Was sind Gedanken? Alle Wissenschaften, die sich mit dem beschäftigen *worüber* wir nachdenken, durften und mussten historisch gesehen letztlich aus der Philosophie entlassen werden, damit diese letzte und im Grunde einzige genuin philosophische Frage ganz klar zutage tritt.

    Ich habe mir in einem kürzlichen Blogpost Gedanken über Gedanken gemacht.

  5. @Martin Holzherr

    Vielen Dank für Ihren Kommentar und die Ergänzungen. Ich stimme Ihnen auf jeden Fall zu: wenn wir denken, dann passiert etwas im Gehirn. Das finde ich aber wenig verwunderlich. Komisch, wenn es nicht so wäre. Denn, wenn wir denken, passiert auch etwas in unserem Herzen, in unserer Lunge, in den Muskeln, im Bauch und so weiter. Nun hat man seit einiger Zeit eben hübsche Techniken gefunden, die Aktivität im Gehirn auf besondere Weise zu erfassen und vielleicht auch deshalb wird nun manchmal suggeriert, der Mensch bestehe im Wesentlichen nur noch aus Gehirn.
    Die Analogie mit der Übersetzung von Sprachen finde ich gut. Aber auch dann müsste man präzisieren, wie die Sprache des Mentalen genau aussieht und funktioniert und wäre dann wieder vor die bekannten dualistischen oder monistischen Herausforderungen gestellt.

    Und außerdem sollte man aus meiner Sicht die sprachliche Verwirrung in der neurojournalistischen Berichterstattung nicht allzu “locker” nehmen und als sprachliche Flapsigkeit abtun. Genau davor warnen auch Hacker und Bennett. Bei anderen Dingen legen wir doch auch Wert auf Genauigkeit — insbesondere bei der Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse ist daher eine korrekte, einfache Sprache aus meiner Sicht sehr angebracht.

  6. @Christian Hoppe

    Danke für den Beitrag und den Verweis auf Deinen post.
    “Bist Du denn Antireduktionistin??” Gute Frage. Ich glaube zumindest eher das als alles andere. Ich habe meinen Standpunkt aber noch nicht für mich präzisiert. Momentan kann ich nur sagen, was mir auffällt an Schreibweisen etc. Bei der Frage “Was sind Gedanken?” scheinen mir literarische und lyrische Texte oft bessere Antworten geben zu können als wissenschaftliche Erkenntnisse.

  7. Gedanken

    Naturwissenschaften müssen naiv voraussetzen, dass es Gedanken gibt und dass sie sind, was sie sind – Gedanken sind aber kein Gegenstandsbereich der Naturwissenschaften. In den kognitiven Neurowissenschaften (sprich: Psychophysiologie und Neuropsychologie, also: Psychologie) können wir allenfalls feststellen, dass Gedanken empirisch nur unter bestimmten materiellen Bedinungen auftreten – was keinesfalls irrelevant ist, aber am Ende eben tatsächlich wenig darüber sagt, was Gedanken sind.

    Schade ist, wenn Philosophie sich in einem Nachbeten naturwissenschaftlicher Erkenntnisse – wir machen jetzt mal ein schönes Weltbild aus all dem! – erschöpft, zu der eigentlich philosophischen Frage aber gar nicht durchdringt. Ich empfinde Texte von Naturalisten meist so.

    Und ich stimme Dir zu: Gedanken in actu findet man vor allem in der Literatur, dann auch in Musik, Tanz, Kunst überhaupt. Man kann hier “Gedanken” studieren – und dabei erleben und erkennen, dass ihr Wesen sich einem einfachen Zugriff durch das sprachlich-begriffliche Wissen entzieht.

  8. Gedanken und Gehirn

    »Egal, wie tief Neurowissenschaftler auch in Gehirne blicken, sie werden dort keine Gedanken finden, keine Träume, keine Wünsche, kein Bewusstsein. Diese Ansicht vertreten in der Philosophie die Antireduktivisten. «

    Dann haben sie ja mit den allermeisten Neurowissenschaftlern was gemeinsam. Denn die suchen im Gehirn nicht nach Gedanken, Träumen und Wünschen, sondern versuchen lediglich, etwas Gedachtes aus einem Aktivitätsmuster zu rekonstruieren. Das ist, finde ich, etwas ganz anderes. Das subjektive Erleben ist nicht beobachtbar. Das weiß eigentlich jeder, der mit der Materie etwas vertraut ist.

    Oder wie Michael Pauen […] formulierte: “Das Bewusstsein verschwindet nicht in dem Moment, da wir die neuronalen Prozesse verstehen.”

    Ich habe Michael Pauen bislang nicht als „Anti-Reduktionisten“ wahrgenommen. Und auch dieser zitierte Satz deutet doch darauf hin, dass er meint, dass es im Prinzip möglich sei, die neuronalen Prozesse, die dem Phänomen “Bewusstsein“ zugrunde liegen, zu verstehen.

    Dazu gehört auch das Ausräumen von in der Philosophie so genannten mereologischen Felschlüssen, das heißt in diesem Fall, dem Gehirn (einem Teil des ganzen Menschen) Eigenschaften zuzuschreiben, die man sinnvoll nur dem ganzen Menschen selbst zuschreiben kann: das Gehirn denkt, das Gehirn arbeitet, das Gehirn liest – ?

    Worin genau soll denn hier die falsche Schlussweise bestehen?

    Wir sehen einen denkenden Menschen und fragen uns, mittels welchen Organs er denkt. Und finden, fürs Denken ist das Gehirn zuständig. Zu sagen, das „Gehirn denkt“, ist in meinen Augen nichts weiter als eine griffige Formulierung, mit der zum Ausdruck gebracht wird, wo das Denken stattfindet. Hier von einem „mereologischen Fehlschluss“ zu reden, halte ich für baren Unsinn, zumindest aber für einen Fehlschluss.

    …denn ein Gehirn kann einfach nicht denken, auch keine Entscheidungen treffen oder Bewusstsein haben.

    Wenn es das Gehirn nicht kann, dann kann es auch der Mensch nicht.

  9. @ Balanus

    “Wenn es das Gehirn nicht kann, dann kann es auch der Mensch nicht.”

    Ich denke, die Frage bleibt wohl die, ob sich der Mensch seines Hirns als Organ/Werkzeug bedient. Freilich sehe ich da einen gewissen Dualismus: wer oder was bedient sich des Hirns? Sie gehen sicher davon aus, daß das Hirn sich ein “Ich” konstruiert hat, welches seinen Ursprung in der Hirnfunktion hat und das Hirn sich über das konstruierte “Ich” sich selbst bespiegelt. Dann weiß ich aber nicht so recht, wie wir überhaupt etwas wissen können, denn das Hirn wäre dann in einem zirkulären Prozeß und damit in einer Illusion gefangen. Dann wäre nicht nur das “Ich” eine Illusion, sondern das Hirn selbst auch, da das Hirn dem “Ich” vorgestellt wird, welches vom Hirn selbst erzeugt wurde.

  10. Gedanken lesen

    Ich habe den Eindruck, dass man hier wieder versucht, etwas, was wir einfach noch nicht verstehen, mit Metaphysik zu erklären. Was können Gedanken anderes sein als das Resultat physischer Prozesse? Ich meine die Frage ernst, denn ich verstehe die Erklärungen nicht. Und warum wäre das eigentlich schlimm, wenn unsere Psyche, unsere Identität ausschließlich auf physischen Prozessen beruht?

  11. Es kann

    schon sein, dass das Sprachzentrum dahingehend abgelesen werden kann, welcher Vokal oder Konsonant als nächstes “herausgepresst” werden wird.

    Allerdings kann es so nicht zu Gedankenlesen kommen, denn Aussagen, die Sachen oder Konzepte referenzieren, sind ein wenig komplex, so dass die beobachtenden Geräte keine Diktierapparate ersetzen können.

    Aber die Trennung von Geist und Hirn ist ja Allgemeingut das Erkennen betreffend.
    Anderes zu glauben, wäre ‘reduktionistisch’, korrekt?

    MFG
    Dr. W

  12. @Balanus

    “Lesen”, “Entscheidungen treffen” usw. sind meines Wissens bisher keine etablierten PHYSIOLOGISCHEN Konzepte – insofern wird PSYCHOLOGISCHE Terminologie metaphorisch ins Gehirn übertragen, wenn man von lesenden oder entscheidenden Gehirnen spricht.

    Vielleicht ist das in 100 Jahren anders und es gibt sinnvolle PHYSIOLOGISCHE Konzepte des Lesens, Entscheidens usw. – z.B. im Sinne klar erfassbarer Netzwerkdynamiken. Die Analogie wäre dann weitgehender, aber letztlich vergleichbar mit der (heute ebenfalls noch problematischen) Rede von “Informationsverarbeitung” im Gehirn (die z.Zt. allenfalls Signalverarbeitung genannt werden sollte).

  13. @Balanus: Bin ich mein Hirn?

    Am Satz:“Meine Leber ist beschäftigt” .. es war eine lange Party mit vielen Drinks gestern stört sich kaum jemand.

    “Ich bin traurig” aber umzuformulieren als “Mein Hirn ist traurig” ist jedoch offensichtlich problematisch, denn ein solcher Satz ist eine Form von Dissoziation, also ein Akt der Distanzierung von sich selbst indem man etwas was die ganze Person betrifft in ein Organ abspaltet.

    Da tut sich offensichtlich ein Abgrund auf – wenn wir unsere Person mit unserem Hirn gleichsetzen. Trotzdem haben sie insoweit recht, dass das Hirn durchaus das Organ ist, mit welchem wir denken. Gerade der von mir referenzierte Artikel Dissoziation eignet sich gut um das Sprechen über Empfindungen und Gefühle als Sprechen über das Gehirn am praktischen Beispiel vorzuexerzieren (Zitat)
    “Im Gehirn wird eine Erlebensspur aus einer Vielzahl von Eindrücken, nämlich visuellen, auditiven, taktilen, olfaktorischen, gustatorischen, propriozeptiven und kinästhetischen Signalen generiert. Hierfür müssen die an unterschiedlichen Orten im Gehirn eintreffenden Signale verarbeitet und integriert werden. Die dabei entstehende Erlebensspur wird nach Raum und Zeit geordnet und im Gedächtnis gespeichert. Aufgrund der hohen Verarbeitungs- und Integrationsfähigkeit des menschlichen Gehirns werden diese unterschiedlichen Prozesse vom Individuum als Einheit erlebt. In Wirklichkeit jedoch sind viele Faktoren notwendig, damit mentale Prozesse und Inhalte miteinander verbunden werden können und somit diese erlebte Einheit erhalten bleibt. Sind zwei oder mehr mentale Prozesse oder Inhalte nicht mehr miteinander verbunden, obwohl dies normalerweise der Fall ist, so spricht man von Dissoziation. Diese kann im Alltag als normales dissoziatives Phänomen vorkommen, aber auch als psychische Störung auftreten und die Funktionsfähigkeit des Individuums erheblich beeinträchtigen.”

    Es gilt aber trotzdem oder gerade erst recht: Wenn nicht sie, sondern nur ihr Gehirn traurig ist, dann stimmt etwas nicht mehr mit ihnen. Und zwar stimmt dann nicht nur etwas mit ihrem Gehirn nicht mehr, sondern sie als Person sind dann betroffen oder gar krank.

  14. Gut gesprochen

    »Michael Pauen erklärte bei der philCOLOGNE daher auch, dass es sich bei Geist und Materie oder Psychischem und Physischem aus seiner Sicht schlicht um unterschiedliche Beschreibungsebenen eines Phänomens, zum Beispiel des Denkens, handle.«

    Diese Sicht drückt im wesentlichen doch die vernünftigste Hypothese aus, von der jeder Ansatz zu einer wissenschaftl. Beschäftigung mit dem Geist/Hirn Problem unbedingt ausgehen sollte. Dass es sich zwei Beschreibungsebenen handelt, ist bereits durch die Formulierung der Problemstellung vorgegeben. Und dass es sich um Beschreibungen ein und desselben Phänomens handelt, ist dann die einfachstmögliche Annahme, d.h. diejenige, die alle vermeidbare Metaphysik und spekulative Deutungen auch tatsächlich vermeidet.

    In anderen Worten besagt diese Hypothese nur, dass das Psychische nicht im Widerspruch steht zum Physischen und umgekehrt. Nicht mehr und nicht weniger. Und wer im Ansatz etwas anderes fordert, macht bereits etwas falsch.

  15. @Holzherr

    Ihr Satz ´Ich bin traurig´ ist sehr interessant: Denn Feten weinen schon ab der 20. Schwangerschaftswoche und auch bei Babys kann man Emotionen aller Art erkennen – wogegen eine ICH-Erkenntnis erst im 2. Lebensjahr entsteht (z.B. Spiegeltest als Nachweis).
    Nun stellt sich die Frage; wer ist denn hier traurig – wenn ICH noch gar nicht exisitiere?

  16. Chrys

    , blöd nur, dass

    Michael Pauen erklärte bei der philCOLOGNE daher auch, dass es sich bei Geist und Materie oder Psychischem und Physischem aus seiner Sicht schlicht um unterschiedliche Beschreibungsebenen eines Phänomens, zum Beispiel des Denkens, handle.

    …die individuelle Welt des Geistes eine Erscheinung ist, die sich dem die Datenlage Betrachtenden nicht ergeben muss bis nicht ergeben kann.

    Ischt ein wenig so wie mit der Welt, die, sei sie serialisierbar, historisierend in der Discworld in der Magischen Bibliothek in unzähligen Lochkartenrollen gehalten werden könnte, ohne dass der individuelle Geist jemals herausspringen würde.

    MFG
    Dr. W

  17. @Dietmar Hilsebein

    »Sie gehen sicher davon aus, daß das Hirn sich ein “Ich” konstruiert hat, welches seinen Ursprung in der Hirnfunktion hat und das Hirn sich über das konstruierte “Ich” sich selbst bespiegelt. «

    Ich denke nicht, dass sich das Gehirn über das konstruierte “Ich” selbst bespiegeln kann. Das konstruierte „Ich“ dient primär zur Abgrenzung der Außen- von der Innenwelt. Dass der Mensch sich seines „Ichs“ bewusst ist, tut eigentlich nichts zur Sache. Hat aber zur Folge, dass er sich in schöne Zirkel hineindenken kann.

  18. @Christian Hoppe

    Die psychologische Terminologie stammt wohl zu einem Gutteil aus dem Lebensweltlichen. Was sinnvoll aus der Psychologie (als Metapher) in die Hirnforschung übernommen werden kann, dürfte sich mit der Zeit herauskristallisieren.

    Es liegt aber doch auf der Hand, dass unsere Sprache und Begrifflichkeiten nicht für die speziellen Anforderungen der Hirnforschung geschaffen sind. Das war für die Zell- und Molekularbiologie doch nicht anders. Und da mokiert sich so gut wie keiner über bildhafte Begriffe wie z.B. Transkription, genetische Information, und dergleichen.

    Es sollte Philosophen eigentlich nicht schwerfallen, Begriffe und die damit bezeichneten Prozesse auseinanderzuhalten. Michael Plauen schafft das ja auch… 😉

  19. @Dietmar Hilsebein, Nachtrag

    »Ich denke, die Frage bleibt wohl die, ob sich der Mensch seines Hirns als Organ/Werkzeug bedient. «

    So würde ich das nicht formulieren. Ein Organismus „bedient“ sich nicht seiner Organe, um etwas zu bewerkstelligen. Jeder Organismus muss als ein Ganzes, als eine funktionale Einheit gesehen werden. Der Organismus Mensch besitzt das Organ Gehirn, das unter anderem dazu dient, sein Verhalten zu steuern. Mehr ist nicht.

  20. @Balanus: Die Sprache

    »Ich denke, die Frage bleibt wohl die, ob sich der Mensch seines Hirns als Organ/Werkzeug bedient. «

    So würde ich das nicht formulieren. Ein Organismus „bedient“ sich nicht seiner Organe, um etwas zu bewerkstelligen.

    Fragt Hilsebein nicht nach etwas anderem? Danach, ob der Mensch, also die Person (das Psychologische Subjekt), sich seines Hirns bedient und nicht danach, ob der Organismus (das Biologische Subjekt) des Menschen sich seines Oragans Hirn bedient?

    Jeder Organismus muss als ein Ganzes, als eine funktionale Einheit gesehen werden. Der Organismus Mensch besitzt das Organ Gehirn, das unter anderem dazu dient, sein Verhalten zu steuern. Mehr ist nicht.

    Vom hiesigen Bibelforscher wurde unlängst das Thema Suizid angerissen. Verstehen Sie diesen solchen dann als eine Form der ‚Selbstabschaltung‘?

  21. @Balanus

    »Wir sehen einen denkenden Menschen und fragen uns, mittels welchen Organs er denkt.«

    Nein, sehen wir nicht. Wir sehen nur einen sich irgendwie verhaltenden Menschen und unterstellen ihm allenfalls aufgrund seines wahrnehmbaren Verhaltens, dass er denkt. Denken wird nicht beobachtet, sondern in Form einer sprachlichen Konvention zugeschrieben.

    Und die Frage, mit welchem Organ jemand denkt, ist dann im wahrsten Sinne des Wortes einfach hirnrissig.

  22. @Ano Nym

    »Fragt Hilsebein nicht nach etwas anderem? Danach, ob der Mensch, also die Person (das Psychologische Subjekt), sich seines Hirns bedient und nicht danach, ob der Organismus (das Biologische Subjekt) des Menschen sich seines Oragans Hirn bedient? «

    Ich denke eben, dass diese Aufspaltung in psychologisches und biologisches Subjekt/Objekt künstlich und wenig hilfreich ist, wenn es um die hier diskutierten Fragen geht. Wenn man sich zum Organismus Mensch eine „Person“ hinzudenkt, dann sind damit eben diverse Fragen verbunden, auf die man (d. h. der Neurobiologe) keine Antwort hat. Unterschiedliche Beschreibungsebenen, ja, aber bitte keine dualistische Aufspaltung des unteilbaren Individuums.

    »Vom hiesigen Bibelforscher wurde unlängst das Thema Suizid angerissen. Verstehen Sie diesen solchen dann als eine Form der ‚Selbstabschaltung‘?«

    Ich verstehe nicht recht, worauf Sie hinaus wollen. Menschen können ihr Leben (ihr „Selbst“) aktiv und gewollt beenden, was man vielleicht auch „Selbstabschaltung“ nennen könnte, im Sinne einer bewusst durchgeführten „Abschaltung“. Normalerweise „tut“ ein Gehirn ja alles dafür, dass es nicht zu einer “Abschaltung” kommt.

  23. @ Balanus @ Ano Nym

    Mir ging da freilich wieder Kant durch den Kopf. Soweit ich es überblicke, widerspricht die Hirnforschung Kant nicht -auch für die Hirnforschung entsteht eine Rose erst im Hirn. Das Hirn nun, welches der zu erforschende Gegenstand ist, entsteht ja dann auch erst im Hirn. (->kopernikanische Wende in der Metaphysik) Ich sehe da ein Problem. Denn um empirisch forschen zu können, muß eine Theorie vorhanden sein, da ja sonst nicht klar ist, was empirisch bestätigt oder widerlegt werden soll. Diese Theorie entwirft nun ein Hirn über das Hirn. Ich bin mir nicht sicher, ob das von Erfolg gekrönt ist.

  24. @Hilsebein: Realitätsskepsis +Hirn

    Sie scheinen grundsätzlich skeptisch zu sein, was die menschliche Erkenntnisfähigkeit angeht, wenn sie schreiben:
    “Soweit ich es überblicke, widerspricht die Hirnforschung Kant nicht -auch für die Hirnforschung entsteht eine Rose erst im Hirn. Das Hirn nun, welches der zu erforschende Gegenstand ist, entsteht ja dann auch erst im Hirn. .. Diese Theorie entwirft nun ein Hirn über das Hirn. Ich bin mir nicht sicher, ob das von Erfolg gekrönt ist.”
    Hier formulieren sie einen Kerngedanken des Konstruktivismus, der die objektive Erkenntnisfähigkeit generell in Frage stellt, da unsere innere Welt , die auch die einzig uns zugängliche äußere Welt ist, konstruiert sei. Der neue Stern am Philosophenfirmament Markus Gabriel, der einen neuen Realismus vertritt, sieht übrigens bereits Kant, den sie ja auch erwähnen, als Konstruktivisten. Eines von Markus Gabriels besten Argumente gegen die Erkenntnisskepsis der Konstruktivisten geht so: Woher wollen die Konstruktivisten wissen dass ihre Theorie richtig ist, wenn es doch überhaupt keine Theorie gibt, die in der Realität verankert ist, wenn doch alles nur konstruiert ist. Ist die letzte Konsequenz des Konstruktivismus nicht die Augabe, der Verzicht auf objektive Erkenntnis und damit der Vericht auf Wahrheit und Theorie überhaupt, auch auf die konstruktivistische Theorie?

  25. Herr Holzherr

    Ist die letzte Konsequenz des Konstruktivismus nicht die Au[f]gabe, der Verzicht auf objektive Erkenntnis und damit der Ver[z]icht auf Wahrheit…

    Der Konstruktivismus ist diejenige Sicht, die davon ausgeht, dass dem Erkenntnissubjekt als Systemteilnehmer ohne umfängliches Systemwissen nur die weitere bewusste Sichtenbildung übrig bleibt. Das gute alte Höhlengleichnis dürfte die erste dbzgl. Überlieferung hierzu sein, ein beachtenswertes Gedankenexperiment, das den Realismus in Frage stellt, widerlegt.

    Der Konstruktivismus ist von der modernen wissenschaftlichen Methode zu trennen, auch wenn er diese nahelegt.

    …und Theorie überhaupt, auch auf die konstruktivistische Theorie?

    Offensichtlich nicht, wenn die bewusste Sichtenbildung (“Theoretisierung”) vom Konstruktivismus promoviert wird.

    MFG
    Dr. W

  26. PS:

    Woher wollen die Konstruktivisten wissen dass ihre Theorie richtig ist, wenn es doch überhaupt keine Theorie gibt, die in der Realität verankert ist, wenn doch alles nur konstruiert ist.

    So kann der ‘neue Stern am Philosophen-Firmament’ kaum gefragt haben, oder?

  27. @Dr. Webbaer: Platon != Konstruktivismus

    Zitat:” Das gute alte Höhlengleichnis dürfte die erste dbzgl. Überlieferung hierzu sein, ein beachtenswertes Gedankenexperiment, das den Realismus in Frage stellt, widerlegt.”

    In der Philosophie geht es nicht nur um das Verhältnis und die Festlegung, was Realität ist, sondern auch um die Wahrheit und Wirklichkeit. Platons Ideenlehre (Ideen als eigenständige, dem Bereich der sinnlich wahrnehmbaren Objekte ontologisch übergeordnete Entitäten) sieht in Ideen das eigentlich Wirkliche. Was wir dagegen über unsere Sinne wahrnehmen und im Alltag erleben sind nur “Schatten”.
    Viele auch moderne Physiker sind Platoniker, weil sie ebenfalls daran glauben, dass die Theorien mit denen sie hantieren und die sie selber aufstellen wirklicher, wahrer sind als die Phänomene, die die Theorien beschreiben. Mit dem Konstruktivismus hat das aber überhaupt nichts zu tun. Inhärent im Konstruktivismus ist ein Skeptizismus und die implizite Behauptung: Die Wahrheit, die Wirklichkeit gibt es gar nicht, es gibt nur (hinfällige) Konstrukte. Hier versteckt sich aber gerade ein Paradox: Wenn es die Wahrheit nicht gibt, warum soll der Konstruktivismus dann die Wahrheit sein.

  28. Herr Holzherr

    Inhärent im Konstruktivismus ist ein Skeptizismus und die implizite Behauptung: Die Wahrheit, die Wirklichkeit gibt es gar nicht, es gibt nur (hinfällige) Konstrukte. Hier versteckt sich aber gerade ein Paradox: Wenn es die Wahrheit nicht gibt, warum soll der Konstruktivismus dann die Wahrheit sein.

    Offensichtlich soll der Konstruktivismus weder die ‘Wahrheit’ sein, noch sich um diese bemühen.

    Die ‘Wahrheit’ gibt es in tautologischen Systemen wie der Mathematik/Logik (geeignete Eigenschaftenwerte vorausgesetzt) und in der politischen Konfrontation, als Metaphorik oder Gag.

    Auch bezüglich derartiger Aussagen – ‘In der Philosophie geht es nicht nur um das Verhältnis und die Festlegung, was Realität ist, sondern auch um die Wahrheit und Wirklichkeit.’ – möchten Sie sich fitten.

    Die Realität (“Sachlichkeit”) ist ein Konstrukt, das Sachen oder Dinge als unabhängig vom Subjekt vorhanden zu sein meint, zur Wahrheit bzw. zur vollkommenen Erkenntnis: siehe oben & die Wirklichkeit (ein doitscher Begriff, der gerne auch recherchiert werden darf) ist, das was wirkt, sich dem Subjekt über dessen Sinne oder indirekt über eine geeignete Gerätschaft ergibt.

    Da sind keine Paradoxien feststellbar.

    MFG
    Dr. W (der sich nun auszuklinken hat, danke, es war wieder schön)

  29. @Dr.Webbaer: Gedanken im Original

    Sie schreiben zurecht:“So kann der ‘neue Stern am Philosophen-Firmament’ kaum gefragt haben, oder?”
    und beziehen sich damit auf meine Aussage:

    Woher wollen die Konstruktivisten wissen dass ihre Theorie richtig ist, wenn es doch überhaupt keine Theorie gibt, die in der Realität verankert ist, wenn doch alles nur konstruiert ist.

    Markus Gabriel gewährt sich selbst für seine Gedanken, die ich mit obiger Aussage allzu frech verkürzt habe in der Tat mehr Raum. Hier das Original (Zitat aus “Warum es die Welt nicht gibt”):
    “… diejenigen [Konstruktivisten], die meinen, dass wir uns von der Welt nur ein Bild, Modelle oder Theoien machen können. In diesem Fall wären natürlich alle Tatsachen, die den Konstruktivismus betreffen, ebenfalls relativ auf ein System, relativ auf den Konstruktivismus selbst. Doch dies würde bedeuten, dass wir die folgende sehr verschachtelte Situation einer unendlichen Tatsache erhielten:

    {[(T is relativ auf S) ist relativ auf S] ist relativ auf S} it relativ auf S ….


    In diesem Modell kann es nichts geben, worauf alles relativ ist. Alles ist relativ, aber es ist nicht der Fall, dass alles dieses Relative auf etwas, auf ein Letztes, relativ ist. Die unendliche Kette des Relativen hängt sozusagen in der Luft. Doch der universale Konstruktivismus soll die These sein, dass alles relativ ist. Wenn daraus aber folgt, dass es nichts gibt, worauf alles relativ ist, ergibt sich eine einzige, unendlich verschachtelte Tatsache. ….
    In einem Wort: Die Tatsache, dass alles konstruiert ist, erzwingt an irgendeinem Punkt eine unkonstruierte Tastsache. Wenn sie selbst konstruiert wäre, wäre die Allausssage, dass alles relativ ist, nicht einlösbar, da es gar keine Totalität von Bezugssystemen gäbe, kein “Alles”, von dem man dann behaupten könnte, es sei auf irgendetwas relativ. “

    Ich hab das zur Aussage verkürzt (und zugleich zugespitzt):“Woher wollen die Konstruktivisten wissen dass ihre Theorie richtig ist, wenn doch alles nur konstruiert ist, auch die Theorie des Konstruktivismus”
    Fazit: Ein zu radikaler und totaler Skeptizismus (wozu auch der Konstruktivismus gehört) muss sich konsequenterweise letztlich selbst in Frage stellen und stellt sich implizit selbst in Frage.

  30. PS:

    In diesem Modell kann es nichts geben, worauf alles relativ ist. Alles ist relativ, aber es ist nicht der Fall, dass alles dieses Relative auf etwas, auf ein Letztes, relativ ist. Die unendliche Kette des Relativen hängt sozusagen in der Luft.

    War das vom ‘Stern am Firmament’?

    Ischt natürlich Blödsinn, denn das Relative hat naturgemäß Bezugspunkte, auf der einen Seite die wie auch immer festgestellte/empfundene Datenlage, auf der anderen das Subjekt.

    MFG
    Dr. W (der nun aber wirklich…)

  31. @Holzherr, @Webbaer

    Ich empfehle sehr die Lektüre des Buches “Die Wirklichkeit der Wahrheit” des Theologen und Mathematikers William Hoye.

    Vergessen Sie Ihren Relativismus, Webbaer, das geht nicht auf; die Wahrheitsforderung gilt unbedingt – und Sie und ich haben die uns nicht ausgedacht.

  32. Hoye ist lediglich Theologe

    laut Universität Münster ist der Mann einfach nur katholischer Theologe (Forschungsschwerpunkt “Theologische Anthropologie” … was auch immer das sein soll). Von Mathematiker ist weder in seiner Ausbildung noch seinem beruflichen Werdegang etwas zu erkennen.
    Was also soll er zu dieser Diskussion beitragen können, was über das bereits von den Diskutanten angeführte hinausgeht?

  33. Hirnmodell im Hirn /@Dietmar Hilsebein

    »Das Hirn nun, welches der zu erforschende Gegenstand ist, entsteht ja dann auch erst im Hirn. […] Denn um empirisch forschen zu können, muß eine Theorie vorhanden sein, da ja sonst nicht klar ist, was empirisch bestätigt oder widerlegt werden soll. Diese Theorie entwirft nun ein Hirn über das Hirn. «

    Zunächst mal finde ich es schön, dass Sie keine Scheu haben, wie ein Hirnforscher zu sprechen. Allerdings ist mein Eindruck, dass es dadurch zu unnötigen Verwirrungen kommt.

    Würde es denn helfen, zu sagen, dass ein Mensch eine Theorie über das Hirn entwirft?

  34. Wahrheit / @Christian Hoppe

    »… die Wahrheitsforderung gilt unbedingt …«

    Für ethische oder theologische Prinzipien mag das so sein. Aber das ist denn eine Form von Glauben aufgrund einer Überzeugung, die sich nicht auf logisch oder empirisch begründetes Wissen berufen kann. Generell gilt:

    Q: Kann eine Wahrheitstheorie Paradoxa vermeiden?

    A: Nein, wenn diese Theorie ihre eigene Wahrheit behauptet. [Learn more]

    Der Verlust von Absolutheit für den Wahrheitsbegriff bedeutet aber keineswegs, dass Wahrheit in der Wissenschaft so etwas eine Illusion sein müsse. Ganz im Gegenteil, nirgendwo ist die Wahrheit weniger illusionär als in der math. Logik.

  35. @ Balanus

    “Würde es denn helfen, zu sagen, dass ein Mensch eine Theorie über das Hirn entwirft?”

    Warum führen Sie jetzt wieder den “Menschen” ein? Jetzt stehen Sie vor dem Problem zu klären, was der Mensch ist. Ihre Antwort auf die Aussage:

    “…denn ein Gehirn kann einfach nicht denken, auch keine Entscheidungen treffen oder Bewusstsein haben.”

    war doch:

    “Wenn es das Gehirn nicht kann, dann kann es auch der Mensch nicht.”

    Warum sollte ich dann nicht von Hirn zu Hirn mit Ihnen sprechen? Sind Sie doch mehr als Ihr Hirn?

  36. @ Dietmar Hilsebein

    »Warum führen Sie jetzt wieder den “Menschen” ein?«

    Weil ich (irrigerweise?) das Gefühl hatte, dass die verschiedenen Hirne (bei Ihnen) Verwirrung stiften.

    Aber gut, bleiben wir in der Hirnforscher-Terminologie.

    Ich sehe das so: Hirn A ist der zu erforschende Gegenstand, und davon gibt es ein Abbild (Repräsentation, Modell, oder so) in Hirn Z des Forschers. Entsprechend wird die Theorie über die Hirne A bis Y von Hirn Z entwickelt. Es gibt keinen Grund, warum das nicht prinzipiell möglich sein sollte.

    Es ist natürlich gut möglich, dass Hirn Z damit überfordert ist, mit der Theorie und/oder auch mit der Erforschung der Hirne A bis Y, weil die Sache zu komplex ist. Aber das ist völlig normal, wichtig ist bei alledem nur, dass es keine besonderen Probleme gibt, die allein daher rühren, dass der Forschungsgegenstand ein Hirn ist.

    »Sind Sie doch mehr als Ihr Hirn?«

    Jeder Organismus mit Hirn ist mehr als ein Hirn.

  37. Konstruiert das Hirn die Welt?

    Die Welt existiert für mich auch ohne mich und selbst ohne Menschen und damit auch ohne Hirne.
    Doch – um noch einmal aus Markus Gabriels Buch zu zitieren – die Neurokonstruktivisten sehen das anders:
    (Zitat)
    “Der Neurokonstruktivismus behauptet beispielsweise, dass die die bunte Welt, die uns erscheint, relativ auf den menschlichen Organismus, besonders auf unser Gehirn ist. Gäbe es keine Gehirne einer bestimmten Art, wäre es nicht wahr, dass ich gerade – wieder einmal – im Zuge von Arhus nach Kopenhagen sitze, es draussen regnet und der Zug seit 20 Minuten an sehr vielen dunkelgrünen Wiesen und gelben Rapsfeldern vorbeifährt. Wenn während der Abfassung dieser Zeilen alle Gehirne im Universum verschwunden wären, wäre der Satz dem Neurokonstrukvismus nach falsch gewesen – es hätte keine fahrenden Züge und dunkelgrünen Wiesen gegeben.”

    Das scheint mir in seinem Skeptizismus geradezu naiv und erinnert mich an das Verhalten von Klein-Kindern, die eine Decke über sich ziehen und dann meinen damit verschwinde die Welt um sie herum.

    Die Welt kann zwar sehr verschieden wahrgenommen werden und es ist durchaus berechtigt zu sagen, die Welt sei für einen Blinden nicht dieselbe wie für einen Sehenden. Doch damit wir die Welt überhaupt wahrnehmen, über sie nachdenken und reflektieren können muss es sie geben – und zwar schon bevor wir darüber reflektieren.
    Wer die Welt nur für eine Vorspiegelung, eine Konstruktion des Hirns hält übertrifft damit sogar den schlimmsten Verschwörungstheoretiker, sieht er doch als Ursprung der Verschwörung und Desinformation nicht ein Geheimbündnis (wie der kommune Verschwörungstheoretiker) sondern sogar das eigene Gehirn.

    Man kann sich auch eine schwächere Form des Neurokonstruktivismus vorstellen bei der es zwar eine Realität ausserhalb des Hirns gibt, wo aber das Hirn eine beliebig verzerrte Eigenrealität konstruiert, was uns dann die Erkenntnis der Aussenrealität so weit erschwert, dass wir getrost sagen könnten, es gebe diese Aussenrealität gar nicht als etwas objektives, sondern sie sei zwangsweise immer eine subjektive Sicht.

    Auch das überzeugt mich überhaupt nicht. Vielmehr zeigen gerade die Erfahrungen und Erfolge der Naturwissenschaften, dass die Naturgesetze nicht unendlich kompliziert und verwickelt sind. Im Kern sind viele Naturgesetze sogar äussert einfach und doch können sie eine komplizierte, verwickelte Realität hervorbringen. Auch für unsere Wahrnehmungen der Welt mittels unserer Sinnesorgane und der nachgeschalteten neuronalen Verarbeitung gilt, dass diese “Wahr”-nehmung nicht durch beliebige Verzerrungen der Aussenrealität zustande kommt sondern durch im Kern relativ einfache “sinnestreue” Abbildungen.

  38. Gabriel

    würde hierauf

    Die Welt kann zwar sehr verschieden wahrgenommen werden und es ist durchaus berechtigt zu sagen, die Welt sei für einen Blinden nicht dieselbe wie für einen Sehenden. Doch damit wir die Welt überhaupt wahrnehmen, über sie nachdenken und reflektieren können muss es sie geben – und zwar schon bevor wir darüber reflektieren.

    …vermutlich antworten, dass die Welt [1] als Konstrukt [2], wie auch die anderen Begrifflichkeiten Beschreibungsoperatoren der Erkenntnissubjekte sind – und ohne Erkenntnissubjekte, …, jenau!

    Die Frage, ob etwas da ist, wenn kein Subjekt hinschaut, ist nicht sinnvoll zu beantworten, stellte sich in diesem Fall auch nicht.

    MFG
    Dr. W (kein Relativist btw)

    [1] G. nagt noch irgendwie am Begriff der Welt, die sich begrifflich nicht selbst enthalten könnte, aber das soll hier einmal außen vor bleiben
    [2] sie wird zudem immer ausschnittsartig erfasst

  39. @Dr. Webbaer: Es geht ohne Mich und Sie

    Ein Satz wie “Ich denke also bin ich” konnte nur die Zeiten überstehen, weil dieses ICH eben nicht nur von Descartes sondern von den meisten Menschen als das Entscheidende gesehen wird. Weil es – das Ich -, als so wichtig gesehen wird, dass die Schablone “Ich [hier einsetzen was man am liebsten tut] also bin ich” sogar ein noch mächtigeres Mem ist.

    Ohne Erenntnissubjekte gibt es keine Ichs und der Satzteil ” dass die Welt [1] als Konstrukt [2], wie auch die anderen Begrifflichkeiten Beschreibungsoperatoren der Erkenntnissubjekte sind – und ohne Erkenntnissubjekte, …, jenau!” zeigt dann eben nur, dass das Ende der Existenz, das Ende des Erkenntissubjekts (aka Tod) durchaus als Weltuntergang aufgefasst werden kann. Allerdings ist es nur ein Weltuntergang für das Subjekt, das stirbt, nicht aber für die Welt an und für sich.

  40. Herr Holzherr

    Ist das so schwer zu verstehen, dass die Sprachlichkeit und die Logik Mittel der Subjekte sind und die Erkenntnis (“Scientia”) die n:m-Beziehungen zwischen den Subjekten und den erkannten Sachen oder Sachverhalten meint?

    Es sind demzufolge auch andere Sprachlichkeiten (“Logiken”) denkbar, eine andere Physiklehre (vgl. mit Ihren “Naturgesetze”) und andere Mathematiken.

    Es bleibt Spekulatius, wie Sie es tun, mit A priori-Wissen über die Welt (die es im konstruktivistischen Sinne natürlich gibt, lol) zu kommen.

  41. @ Balanus

    “Jeder Organismus mit Hirn ist mehr als ein Hirn.”

    Von mir aus. Theorien, da bin ich ja bei Ihnen, entwerfen wir aber mit dem Hirn und nicht mit der großen Fußzehe. Das Problem, welches ich sehe, wenn ein Hirn am Hirn forscht, ist, daß wir im Gegensatz zur Rose, mit einer Weltanschauung an das Hirn herantreten, die dann die Ergebnisse so oder so aussehen lassen. Wir haben allen Grund, skeptisch gegenüber allem und jedem zu sein, gerade dann, wenn weltanschauliche Fragen(“Ich”, “freier Wille”, “Gedanken”, “Seele”), die in das einzelne Individuum gehören, nur durch Autoritätshörigkeit in ihren vermeintlichen Antworten Eingang finden. Dies aber ist ein Afterdienst an der Hirnforschung, denn es kann nicht Ziel einer empirischen Wissenschaft sein, Theologie zu spielen.
    Für Langgeohrte: und nein, auch die Theologie hat hier keine Antworten zu geben, sondern das einzelne Individuum an sich selbst.

  42. @Dr.Webbär: Kulturelle Multiversen+Welt

    Dass die Welt verschieden gesehen werden kann bedeutet doch nicht, dass die Welt nur als Konstrukt existiert. Dies zu ihrer Aussage:
    “Es sind demzufolge auch andere Sprachlichkeiten (“Logiken”) denkbar, eine andere Physiklehre (vgl. mit Ihren “Naturgesetze”) und andere Mathematiken”
    Wichtig dabei ist: Andere Mathematiken, andere Physiklehren für die gleiche Welt können nicht so radikal Anders sein, dass es keine Übersetzungsmöglichkeit gibt. Es verhält sich ähnlich wie mit verschiedenen Sprachen: Gedanken, die in einer bestimmten Sprache formuliert sind, lassen sich oft nur sehr schwer in eine andere Sprache übersetzen. Aber mit Umschreibungen muss die Übersetzung letzlich gelingen. Wenn sie nicht gelingen kann, dann leben die Sprecher dieser verschiedenen Sprachen in je anderen Welten. Die Erfahrung aber zeigt, dass alle Menschen, seien sie noch so verschieden, in der gleichen Welt leben.
    Und nun sind wir beim zentralen Punkt: Es gilt sogar, dass nicht nur alle Menschen, sondern sogar alle Lebewesen in der gleichen Welt leben.
    Wenn sie schreiben:
    “Die Frage, ob etwas da ist, wenn kein Subjekt hinschaut, ist nicht sinnvoll zu beantworten, stellte sich in diesem Fall auch nicht.”
    lässt sich zur Frage umformulieren: Angenommem alle Menschen fallen plötzlich tot um, nicht aber die Welt und die Haustiere dieser Menschen. Wenn nun der Hund auf sein Futter wartet am Tag nach dem großen Sterben, an dem alle Menschen das Zeitliche segneten, ist dann dieser Hund nicht da, weil es keinen Menschen gibt, der hinschaut? Oder ist es nicht vielmehr so, dass der Hund vergeblich auf sein Futter wartet?

  43. Herr Holzherr

    Oder ist es nicht vielmehr so, dass der Hund vergeblich auf sein Futter wartet?

    Da müssen Sie den Hund fragen.

    Ansonsten, Sie sind vom A Priori-Wissen nicht wegzukriegen, gell, Spekulatius (kleiner Gag am Rande: der Duden kennt die Wortherkunft nicht) eben.

    MFG
    Dr. W

  44. Sinne

    Bei der ganzen philosophischen Diskussion um das Hirn, die Wahrnehmung und die Konstruktion von Gedanken – wird immer übersehen, dass unsere geistige Existenz zwingend von den regisitrierten Sinnesreizen abhängt.
    Ohne unsere soziale und gegenständliche Umwelt, ohne Gefühle, würden wir bzw. würde eine Wahrnehmung der Welt überhaupt nicht existieren. Hirn und Hirnaktivitäten von den Sinnesreizen und Emotionen aus der Umwelt abzugrenzen, führt daher in eine philosophische Sackgasse

  45. @Dietmar Hilsebein

    ....

    »Das Problem, welches ich sehe, wenn ein Hirn am Hirn forscht, ist, daß wir im Gegensatz zur Rose, mit einer Weltanschauung an das Hirn herantreten, die dann die Ergebnisse so oder so aussehen lassen. «

    Da wäre meine Vermutung, dass in der Hirnforschung die gleichen naturalistischen Weltanschauungen vorherrschen wie z. B. in der Botanik.

  46. @Balanus,@Hilsebein: Hirn+Mehr

    Mäuse-,Affen- und Menschenhirne zu erforschen muss nicht grundsätzlich anders sein als die Erforschung anderer Organe.

    Ein Problem ensteht erst, wenn Schlussfolgerungen für unser Leben gezogen werden, wenn also beispielsweise – um beim trivialen zu bleiben – aus dem neuronalen Verständnis des Hungergefühls eine ins Hirn eingreifende Therapie für übermässigen Hunger und übermässige Nahrungsaufnahme entwickelt wird. Das wäre ein Beispiel für eine mögliche paktische Auswirkung der Hirnforschung.

    Hier – unter diesem Blogeintrag – wurden vor allem die weltanschaulichen Folgerungen und Folgen der Hirnforschung diskutiert. Dass sich durch ein besseres Verständnis des Hirns unser Menschenbild radikal ändert, es gewissermassen auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt wird mit der Folge, dass unser Umgang mit den Mitmenschen (zum Beispiel in der Behandlung von Straftätern) sich völlig ändert, das sind wohl falsche, ja geradezu gefährliche Vorstellungen. Es würde noch weit mehr als bei der neuronalen Reduktion des Hungergefühls bedeuten, dass nun der Mensch selbst, ja der Kern dessen was das Menschsein ausmacht, zum manipulierbaren Objekt wird.

    Ich sehe die Gefahr also nicht bei anderen Sprechweisen – wie der, dass man vom Hirn spricht, wenn man die Person meint -, sondern bei möglichen Konsequenzen der anderen Denkweise in unserer Behandlung von Mitmenschen. Man muss sich aber bewusst sein, dass auch schon die Freud’sche Psychologie den Menschen zum Objekt machen kann. Man spricht dann besipielsweise vom “analfixierten Charakter” mit der Gefahr Menschen mit solchen Diagnosen zu “reduzieren”. Womit wir dann beim Einleitungstext werden, der vom Neuroreduktionismus als Gefahr spricht.

  47. @Martin Holzherr

    »Dass sich durch ein besseres Verständnis des Hirns unser Menschenbild radikal ändert, […] das sind wohl falsche, ja geradezu gefährliche Vorstellungen. «

    Ich halte es für falsch, dass sich unser Menschenbild durch ein besseres Verständnis des Hirns ändern wird. Die Sache ist doch im Grunde schon gelaufen, der „Geist“ als essentielle und aktive Entität wurde dem Hirn bereits ausgetrieben, und alles Psychische wird zurückgeführt auf das „Feuern der Neuronen“. Diesen Vorstellungen fehlt nur noch einiges an empirischer Unterfütterung, das ist alles.

  48. @Balanus: Der Mensch als Schwarmmitglied

    Der freiwillige Wegfall des Privaten durch Social Media; die bewusste, aber von fast jedem gleichermassen betriebene Suche nach Individualität; die zugleich individualisierte, vermasste und vernetzte Gesellschaft – all das sind Elemente eines immer stärker vermessenen Schwarms, den man früher Menschheit nannte und dessen Elemente mit den Netzwerkknoten des Internets vergleichbar sind. Genau so wie die Internetknoten von Searchbots / Webcrawlern durchwandert werden, werden die Schwarmmitglieder (formerly known as humans) dieses erweiterten und fusionierten Mensch/Maschine-Webs von auf sie zugeschnittener Adware und von für sie passenden “Freunden” besucht/heimgesucht. Von Freunden, die heute und wohl auch in Zukunft vorgeben menschliche Companions zu sein, auch wenn sie in Wirklichkeit Avatare biologischen oder elektronischen Ursprungs sind.

    Damit dieses neue Mensch/Maschinen-Schwarmmodell auch für die menschliche Mitglieder funktioniert, müssen diese von altem Staub und von Begriffen wie Geist, Gedanken und Verstand befreit werden. Wenn Gedanken zu Mustern von neuronaler Aktivität und Emotionen zum Feuern von Neuronen werden, verkleineren sich die Reibungsverluste bei der Integration der humanen Wetware ins ICT-Netz, das den zukünftigen Superorganismus ausmacht.

  49. @ Balanus

    “naturalistischen Weltanschauungen”

    Eben. Wir bekommen immer das heraus, was wir hineinstecken. Der Alte aus Königsberg hat das schon richtig gesehen. Der Rose kann’s egal sein!

  50. @Dietmar Hilsebein

    »Eben. Wir bekommen immer das heraus, was wir hineinstecken. «

    Das klingt, als hätten Sie’s lieber anders.

    Mir scheint es aber eher so zu sein, als wäre das die Hoffnung oder Erwartung oder das Ziel: Wenn wir gute Wissenschaft hineinstecken, dann bekommen wir auch gute wissenschaftliche Ergebnisse heraus. Was für die Rose gilt, sollte auch fürs Hirn gelten.

  51. @ Balanus

    Ich spiele da auf etwas an: sind wir Naturalisten, so kommt ein salopp formuliert naturalistisches Hirn heraus. Hängen wir dem naiven Realismus an, so brächte das Hirn als Gegenstand die Erkenntnis schon mit -wir bräuchten nur still beobachten. Nun wissen wir, daß ein Gegenstand nur die Sinne affiziert und unser Hirn aus der Erscheinung Hirn einen Gegenstand macht. Der Ausweg ist ja völlig klar: wenn ein Lahmer wieder geht, ein Blinder wieder sieht, ein Gehörloser wieder hört resp. ein dementer Mensch wieder zurückfindet, dann hat die Hirnforschung eine lohnende Aufgabe. Mich quälen Faxen, die die Hirnforschung macht, wenn sie sich zur Leitdisziplin aufspielt und Aussagen jenseits ihres Zuständigkeitsbereichs macht -ach was sage ich: esoterisch spekulativ herumschwurbelt. Aber gut: in hundert Jahren oder vll. auch früher wird auch diese junge Disziplin bescheidener geworden sein.

  52. @Dietmar Hilsebein

    Als ich letztens im Radio ein Gespräch mit Wolf Singer hörte, da klang er schon deutlich bescheidener als früher. Es zeigt sich nämlich, dass alles viel komplizierter und komplexer ist, als im anfänglichen Überschwang gedacht. Man wird vermutlich noch eine ganze Weile kleine Brötchen backen müssen (trotz der Milliardeninvestitionen).

    »…sind wir Naturalisten, so kommt ein salopp formuliert naturalistisches Hirn heraus. Hängen wir dem naiven Realismus an, so brächte das Hirn als Gegenstand die Erkenntnis schon mit…«

    Ich halte das für vollkommen ungefährlich. Alle Weltanschauungen können ihren Beitrag leisten, und am Ende wird sich zeigen, was davon Bestand hat.

  53. Gefährlich kann sein

    …sind wir Naturalisten, so kommt ein salopp formuliert naturalistisches Hirn heraus. Hängen wir dem naiven Realismus an, so brächte das Hirn als Gegenstand die Erkenntnis schon mit… (Singer)

    Ich halte das für vollkommen ungefährlich.

    …was aus dem Singerschen Blödsinn gemacht wird.

    Naturalismus und Realismus laden jedenfalls ein.

    MFG
    Dr. W

  54. Nachgefragt /@Dietmar Hilsebein

    Noch einmal zu den Weltanschauungen, die wissenschaftliche Erkenntnisse beeinflussen sollen: Welche Weltanschauung steckt Ihrer Meinung nach in der von Leonie Seng hier vorgestellten Studie (S. Shoenmakers et al), und worin zeigt sich der Einfluss dieser Weltsicht?

  55. @Bal: Kleiner Tipp

    zu Ihrer Frage: ‘Welche Weltanschauung steckt Ihrer Meinung nach in der von Leonie Seng hier vorgestellten Studie (S. Shoenmakers et al), und worin zeigt sich der Einfluss dieser Weltsicht?’

    Ein Beispiel für neurojournalistischen Reduktionismus aus der jüngsten Vergangenheit: eine Studie niederländischer Forscher um Sanne Shoenmakers vom Donders Institute for Brain, Cognition and Behavior der Radboud University in Nijmegen.

    Also: ‘Reduktionismus’ in besonders niedriger, in journalistischer, in neuro-journalistischer Form.

    Ergänzend: Der Einfluss dieser Weltsicht zeigt sich überall.

    MFG
    Dr. W

  56. Nichts verschwindet weil erforscht!

    Warum braucht es die Aussage
    “Das Bewusstsein verschwindet nicht in dem Moment, da wir die neuronalen Prozesse verstehen.” überhaupt?

    Warum diese Angst, die Naturwissenschaft beraube uns des Sinns, des Geheimnisvollen im Leben? Warum soll sie alle Begriffe, ja alle Werte umwerten?

    Was ich dazu sicher sagen kann: Diese Angst ist (fast) so alt die Naturwissenschaft. Ich erinnere mich noch vor 30 Jahren das Buch Der Teil und das Ganze gelesen zu haben. In diesem Buch Werner Heisenbergs, in dem das Denken der damaligen Grössen der Phyisk nicht nur zur Physik, sondern auch zu Gesellschaft und Relgion in Gesprächen erörtert wird, sprechen Heisenberg, Bohr und Dirac auch über die möglichen gesellschaftlichen und ethischen Konsequenzen eines scientistischen, naturalistischen, atheistischen Weltbilds. Sie sprechen von der Gefahr mit der Religion auch den moralischen Kompass zu verlieren, von der Entmystifizierung der letzten Naturwunder, der letzten tiefen Gefühle durch den kalten wissenschaftlichen Blick. Zitat: “Wenn einmal die magnetische Kraft [des Wertmasstabes des Christentums] ganz erloschen ist, die diesen Kompaß gelenkt hat – und die Kraft kann doch nur von der zentralen Ordnung her kommen –, so fürchte ich, daß sehr schreckliche Dinge passieren können, die über die Konzentrationslager und die Atombomben noch hinausgehen.”

    Der Antireduktionismus, Antinaturalismus der hier auf den scilogs von praktisch allen philosophisch orientierten Blogautoren gepflegt wird, also von Stephan Schleim, Ludwig Trepl und jetzt auch Leonie Seng scheint mir aber nur eine mögliche Reaktion auf das immer dominanter und wichtiger werdende naturwissenschaftliche Wissen (welches zunehmend unser Leben bestimmt) zu sein.

    Die ontologischen Materialisten Bunge und Mahner verteten beispielsweise in ihrem Buch Über die Natur der Dinge überzeugend die Ansicht, Ethik sei nicht an Religion gebunden und es gebe durchaus eine materialistische Moralphilosophie.
    Ferner liessen sich auch Dinge wie Ökosphären, Staaten und andere auf einer höheren Ebene angesiedelten Strukturen durchaus ins materialsistische Weltbild einbinden.
    Zu den Philosophen die eine Mittelstellung zwischen Bunge/Mahner und expliziten Antireduktionisten einnehmen gehört Julian Nida-Rümelin. Er sieht die Vereinbarkeit den Rationalimsusbegriff der Philosophie mit dem Rationalismusbegriff der Naturwissenschaft. Doch er (Zitat)“bezieht entschieden Stellung in der durch Hirnforscher wie Wolf Singer und Gerhard Roth ausgelösten öffentlichen Debatte über Freiheit und Selbstverantwortung. U.a. auf dem Kongress Neuro2004: Hirnforschung für die Zukunft [8] verteidigte er die Fähigkeit zu rational begründetem Handeln und die ihr zugrundeliegende Wahl- und Entscheidungsfreiheit, indem er dafür eintritt, dass die lebensweltliche Erfahrung der Freiheit des Handelns zwar gelegentlich vernebelt ist und gelegentlich auch ein Irrtum, aber grundsätzlich nicht so etwas wie ein großer Schein oder eine große Illusion ist. “

    Fazit: Antireduktionismus kann auch Ausdruck eines Reduit-Denkens sein. Philosophie und Geistewissenschaft als Gegenpol zu den Naturwissenschaften und den mit den Naturwissenschaften verbundenen Philosophien (ontologischer Materialismus, Kritischer Rationalismus) zu positionieren ist jedoch meiner Ansicht nach nicht fruchtbar.

  57. @Webbaer

    Ich fragte nach Herrn Hilsebeins Meinung, und nicht nach der von Leonie Seng (wobei ich vermute, dass sie sich bloß missverständlich ausgedrückt hat, weil Publikationen in Fachjournalen nichts mit Journalismus zu tun haben).

    »Der Einfluss dieser Weltsicht [Reduktionismus] zeigt sich überall.«

    Ohne diese „Weltsicht“ gäbe es wohl keine Naturwissenschaft und somit auch nicht die Shoenmakers-Studie.

  58. @Bal

    Der Reduktionismus ist ein Hindernis für die Naturwissenschaften, keine Hilfe oder gar Voraussetzung.

    Ansonsten haben Sie weiter oben einen Tipp zu Ihrer Frage bekommen.

    MFG
    Dr. W

  59. @Webbaer

    »Der Reduktionismus ist ein Hindernis für die Naturwissenschaften, keine Hilfe oder gar Voraussetzung.«

    Bitte liefern Sie ein Argument für diese Behauptung.

  60. @Bal: Reduktionismus

    Da gäbe es einiges vorzutragen, aber würde Sie das interessieren? – Zudem bestände die Gefahr bereits Gesagtes zu wiederholen. – Ahnen Sie denn zumindest, warum die Sache problematisch ist? Mal ein paar eigene Gedanken dazu gemacht?

  61. @Bal

    Ja, gut, kommt also nichts von Ihnen. – Sie wissen ja, dass Sie an anderer Stelle bereits reduktionistisch vorgetragen haben, dann aber wieder den Rückzug antraten und nicht reduktionistisch vorgetragen zu haben behaupteten; insofern hat Ihr Kommentatorenfreund keine Lust die Sache an dieser Stelle zu vertiefen.

    MFG + GN
    Dr. W

  62. @ Balanus

    Die Beantwortung Ihrer Frage scheint mir für diese Diskussion nicht so wichtig zu sein. Aber ich will es noch einmal konkretisieren. Hier viel ja auch der Name Ludwig Trepl. Er wird nicht müde zu betonen und da gebe ich ihm recht, daß z.B. ein Hirnforscher außerhalb seines Forschungsgegenstandes Laie ist. Wenn er sich also dazu hinreißen läßt, zu sagen, daß er keine Gedanken, keine Seele, keinen Gott vorgefunden hat, so hat er recht, wenn er als Hirnforscher spricht, denn innerhalb der Hirnforschung ist es für ihn auch nicht möglich, darüber Aussagen zu machen, wenn er von seinen Forscherkollegen ernst genommen werden will. Vermischt er aber beiden Welten – Hirnforscher einerseits und Laie anderseits – wird es dämlich. So etwa ist jener Satz dämlich, den ich als Junge in der Schule hörte: Juri Gagarin flog ins Weltall und hat keinen Gott gesehen. Freilich nicht, denn um etwas sehen zu können, muß man wissen, wonach man sucht. Wenn nun ein Hirnforscher nach Gedanken sucht, muß er wissen, wonach er sucht. Innerhalb der Hirnforschung und in der Naturwissenschaft generell hat sich das naturalistische Weltbild durchgesetzt. Das hat sich geschichtlich so entwickelt und ist m.E. unumkehrbar. Möglicherweise -ich bin mir da nicht sicher- ist innerhalb eines solchen Weltbildes kein Gedanke auszumachen.

  63. Danke! /@Dietmar Hilsebein

    »Möglicherweise -ich bin mir da nicht sicher- ist innerhalb eines solchen Weltbildes kein Gedanke auszumachen.«

    Ludwig Trepl sagt aber auch, dass es ohne das materielle Substrat (Gehirn) keine Gedanken geben kann. Das ist, so scheint mir, der Ansatzpunkt der Hirnforschung, die sich mit „Gedanken“ beschäftigt. Der Inhalt und die Bedeutung der Gedanken (z. B. Gott) ist eine andere Sache, damit haben Naturwissenschaftler in der Tat nur insoweit zu schaffen, als es ihren empirischen Forschungsansatz betrifft.

    So, von meiner Seite aus ist jetzt erst mal für 14 Tage Ruhe, ich brauche etwas Erholung.

  64. @ Balanus

    “Ludwig Trepl sagt aber auch, dass es ohne das materielle Substrat (Gehirn) keine Gedanken geben kann.”

    Wenn ich mit einem idealistischen Weltbild antworten würde, so spräche ich: ein Gedanke kann sich nur durch das Hirn artikulieren und nicht durch die große Fußzehe 🙂 So würde auch ein Idealist es als trivial empfinden, daß der Gedanke nur durch das materielle Substrat (Gehirn) sich den Weg in die Welt verschaffen kann. Er würde sich aber entschieden dagegen wehren, die Existenz des Gedankens zu verneinen, wenn das Hirn dem Gedanken die Arbeit verweigert oder nicht vorhanden ist.

    Auch ich möchte mich bei Ihnen bedanken. War eine schöne Diskussion. Erholen Sich sich gut.

  65. Herr Hilsebein

    Ein Gedanke kann wie von Ihnen beschrieben aber angeleitet sein, wo genau gedacht wird ist, Chrys folgend, nicht ganz klar.

    Herr Trepl bemüht sich denn auch auf das Beste die Welten zu unterscheiden, was allerdings schwer fällt, wenn der Geist die Natur bearbeitet.

    Nichts spricht natürlich gegen einen richtig verstandenen Naturalismus [1] bzw. gegen die Trennung der beiden (Popper kommt gar mit drei) Welten.

    MFG
    Dr. W

    [1] der dann aber nicht die Suffix benötigt, >:->

  66. @ Webbaer

    “Ein Gedanke kann wie von Ihnen beschrieben aber angeleitet sein, wo genau gedacht wird ist, Chrys folgend, nicht ganz klar.”

    Habe ich so bei Chrys nicht gelesen. Er macht keine Aussage darüber, wo der Gedanke verortet ist, sondern darüber, daß das Denken nicht beobachtbar, sondern nur der sich verhaltende Mensch beobachtbar ist. Das das Denken im Hirn stattfindet, dürfte allgemeine Zustimmung finden.

  67. “… wird immer übersehen, dass unsere geistige Existenz zwingend von den regisitrierten Sinnesreizen abhängt.”

    – Richtig, vor allem die, die aus schöpferischen / zentralbewußten Gründen der fusionierenden Bewußtseinsentwicklung vom Unterbewußtsein aus wirken und gespeichtert werden, ist Mensch mehr abhängig als er in seiner bewußtseinsschwach-gebildeten Suppenkaspermentalität für den nun “freiheitlichen” Wettbewerb nachvollziehen und NICHT umsetzen kann 🙂

    Es gibt da Zustände, die rein auf DER EINEN gefühlsmäßigen Ebene ablaufen, für die die Welt der Suppenkasper, wo ALLES eben Bewußtseinsbetäubung ist, nur das Wort TABU nachvollziehen und umsetzen kann 🙂

  68. Herr Hilsebein

    Nicht ganz klar,

    Das[s] das Denken im Hirn stattfindet, dürfte allgemeine Zustimmung finden.

    ..zumindest, wenn umfänglich betrachtet wird.

    MFG
    Dr. W (der Chrys gerne so zitiert sehen möchte: ‘Und die Frage, mit welchem Organ jemand denkt, ist dann im wahrsten Sinne des Wortes einfach hirnrissig.’ – strammer Bursche btw)

  69. @Balanus etc.

    »Ohne diese „Weltsicht“ [Reduktionismus] gäbe es wohl keine Naturwissenschaft …«

    Das ist zu bezweifeln. Der Begriff Reduktionismus wurde 1951 von W.V.O. Quine geprägt, und zwar [hier]. Reduktionismus als eine Art von “Weltsicht” findet sich demnach erst im Logischen Empirismus. Und der hat sich praktisch erledigt.

    Zum Problem des Reduktionismus in der Wissenschaft siehe auch [hier]. Die Einleitung ist frei zu Download, aber das hilft vielleicht schon, einige populäre Irrtümer aufzuklären.

    • Chrys schrieb:

      »Ohne diese „Weltsicht“ [Reduktionismus] gäbe es wohl keine Naturwissenschaft …« [Balanus]

      Das ist zu bezweifeln. Der Begriff Reduktionismus wurde 1951 von W.V.O. Quine geprägt, …«

      „Weltsicht“ steht auch deshalb in Tüttelchen, weil nicht die philosophische Schule gemeint ist, sondern in etwa das, was z. B. Stuart A. Kauffman ansprach, als er schrieb (11.02.06):

      [R]eductionism, wrought by the successes of Galileo, Newton, Einstein, Planck, and Schrodinger, and all that has followed, preeminently in physics, has […] left us in world of fact […].

      Und auch schon vor Galileo Galilei haben wissbegierige Menschen versucht, Dinge, Ereignisse und Prozesse „höherer Ordnung“ auf die zugrundeliegenden Dinge, Ereignisse und Prozesse (Ursachen) zurückzuführen.

      • Wenn von Reduktionismus geredet wird, meint das doch immer eine “philosophische Schule”, die sich durch Berufung auf Reduktion (ohne -ismus im Sinne eines methodologischen Prozedere) zu legitimieren versucht.

        Dass Reduktion in der Praxis aber gar nicht so toll funktioniert, wie die Reduktionisten glauben, belegt u.a. Mario Bunge in Philosophy of Physics (D. Reidel, 1973), p. 181:

        In either case the philosophers interested in reduction seem to take it for granted that science teems with successful reductions: that thermodynamics has been completely reduced to statistical mechanics; […] – and so on. Unfortunately this is also the impression given by most popularisation works, notably by elementary textbooks – the only source of information accessible to most philosophers. Alas, this is not the conclusion one can draw from looking at the original literature.

        Als massgebliche reduktionistische Apologeten in den 1960ern nennt Bunge insbesondere Ernest Nagel und Herbert Feigl. Der Reduktionismus, wie er auch hier immer wieder diskutiert wird, ist eine vergleichsweise junge Erscheinung, deren Ursprung, soweit ich das inzwischen sagen kann, im wesentlichen hier zu finden ist:

        Oppenheim, P., & Putnam, H. (1958). Unity of science as a working hypothesis. Minnesota studies in the philosophy of science, 2, 3-36. [PDF]

        Die Wurzeln des Reduktionismus liegen offensichtlich in dem nicht rational begründeten Wunsch, die Welt möge uns doch bitte nach einem schlichten Erklärungsschema begreifbar sein.

        • »Die Wurzeln des Reduktionismus liegen offensichtlich in dem nicht rational begründeten Wunsch, die Welt möge uns doch bitte nach einem schlichten Erklärungsschema begreifbar sein.«

          Das kommt dem, was ich in meiner Antwort an @Webbaer meinte, schon recht nahe. Ich sag’s mal so: Die Wurzeln sowohl der Wissenschaft als auch des Reduktionismus liegen in der Vorstellung, dass die beobachtbare Welt erklärbar wäre.

  70. Chrys

    , da müssen keine Verweis-Häufchen gesetzt werden, der Reduktionismus kann allgemein, also auch in der Naturwissenschaft, dadurch in Frage gestellt werden, dass Theorien nicht auf andere schließen lassen, es sei denn, es sind die gleichen.

    MFG
    Dr. W

  71. @Dr. Webbaer

    Man muss halt den Predigern der reduktionistischen Kirche gelegentlich etwas zu clicken geben. Ob’s hilft, darf auch bezweifelt werden.

  72. @Balanus

    Zu Deinem obigen (ersten) Kommentar:
    “Denn die [Neurowissenschaftler] suchen im Gehirn nicht nach Gedanken, Träumen und Wünschen, sondern versuchen lediglich, etwas Gedachtes aus einem Aktivitätsmuster zu rekonstruieren.”
    Das Problem für viele Philosophen (und andere) ist aber, dass dennoch von “Gedanken”, “Träumen” etc. _gesprochen_ wird, auch wenn es tatsächlich nur um Aktivitätsmuster geht. Genau darin besteht ja die Reduktion oder mindestens eine falsche Bezeichnung.
    Auf Pauens Zitat schreibst Du außerdem: “[…] dieser zitierte Satz deutet doch darauf hin, dass er meint, dass es im Prinzip möglich sei, die neuronalen Prozesse, die dem Phänomen ‘Bewusstsein’ zugrunde liegen, zu verstehen.”
    Damit hat glaube ich auch keiner ein Problem, nur sobald die neuronalen Prozesse mit Bewusstsein gleichgesetzt werden, entstehen für manche Probleme.

    Der mereologische Fehlschluss besteht darin, dass Eigenschaften und Aktivitäten, die sinnvoller Weise nur dem Menschen zugeschrieben werden können, einem Teil des Menschen (in diesem Fall seinem Gehirn) zugeschrieben werden. Ich denke auch, dass ein Gehirn nicht denkt, ein Mensch hingegen schon. Daher handelt es sich meiner Ansicht nach auch nicht schlicht um “eine griffige Formulierung, mit der zum Ausdruck gebracht wird, wo das Denken stattfindet”. Denken findet gar nicht statt — schon gar nicht im Gehirn. Denken ist eine Form von Aktivität für die es Eigenschaften und Fähigkeiten braucht, die nur ein Mensch hat, nicht aber ein Gehirn (z. B. Planungsfähigkeit, das ach so begehrte Bewusstsein, Ich-Empfinden usw.). Es fährt ja auch nicht ein Reifen, sondern das Auto, nicht der Stamm trägt Früchte, sondern der Baum, nicht eine Ansammlung von Molekülen geht zum Strand, sondern ich.

    Wo, wenn nicht in der Wissenschaft bzw. im Wissenschaftsjournalismus sollte sonst Wert auf Genauigkeit und genaue Formulierungen gelegt werden anstatt auf womöglich griffige, dafür irreführende Formulierungen?

  73. @Boris

    “Was können Gedanken anderes sein als das Resultat physischer Prozesse? […] Und warum wäre das eigentlich schlimm, wenn unsere Psyche, unsere Identität ausschließlich auf physischen Prozessen beruht?”
    Es gibt aus meiner Sicht einen Unterschied zwischen Gedanken sind das Resultat physischer Prozesse und Gedanken sind physische Prozesse. Wie bereits gesagt: Klar sind Gedanken das Resultat physischer Prozesse — aber nicht nur derer im Gehirn, sondern auch derer im Herzen, den Nerven und Rezeptoren, denke ich. Gedanken mögen somit vielleicht mit physischen Prozessen einhergehen (wäre wie gesagt auch komisch, wenn nicht, bei der Beschaffenheit von Menschen, zu denen nunmal auch ein Körper gehört), aber 1. gehen mit Gedanken eben nicht nur Prozesse im Gehirn einher und 2. reicht es umgekehrt nicht aus, allein die physischen Prozesse zu beschreiben, wenn man definieren will, was einen Gedanken ausmacht – so zumindest die Meinung von Anti-Reduktivisten. Physis ist Objekt der Naturwissenschaft. Zum Glück (aufgrund der Bereicherung, nicht wegen pauschalem Naturwissenschafts-bashing) gibt es ja aber auch noch die Geisteswissenschaft.

  74. @Dr. Webbaer

    “Blöd nur, dass …die individuelle Welt des Geistes eine Erscheinung ist, die sich dem die Datenlage Betrachtenden nicht ergeben muss bis nicht ergeben kann.”
    Heißt das, dass man aus Ihrer Sicht besser keine Bemühungen anstellen sollte, die Welt “wissenschaftlich” (d. h. gezwungener Maßen dennoch subjektiv) mit den Methoden, die bislang zur Verfügung stehen (Verifizierbarkeit, Wiederholbarkeit etc.) zu erforschen?
    Was sollten die Menschen denn dann den ganzen Tag lang tun? Terry Pratchett-Romane lesen… okay, einverstanden! 🙂

  75. @Martin Holzherr

    “Warum braucht es die Aussage ‘Das Bewusstsein verschwindet nicht in dem Moment, da wir die neuronalen Prozesse verstehen.’ überhaupt?”
    Ob es diese Aussage braucht oder nicht? — keine Ahnung. Michael Pauen hat das so gesagt und ich habe es aufgeschnappt.
    Dass die Aussage jedoch Sinn macht glaube ich schon, und zwar nicht aus einer pauschalen Angst vor Neurowissenschaften (im Gegenteil!), sondern zur Klarstellung: Was meinen wir eigentlich, wenn wir bestimmte Wörter gebrauchen? Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse stecken hinter leicht gesagten, oft Missverständnisse evozierenden Aussagen und Bildern? Aus philosophischem Interesse also.

  76. @Balanus

    “[…] wobei ich vermute, dass sie sich bloß missverständlich ausgedrückt hat, weil Publikationen in Fachjournalen nichts mit Journalismus zu tun haben […]” — Danke für den Hinweis, das ist mir klar. Der Ausdruck “neurojournalistisch” bezog sich auf den Artikel in der FAZ, auf den sich meine Darstellung der Kritik von Bennett und Hacker ja hauptsächlich bezieht!

  77. @Dietmar Hilsebein

    “Innerhalb der Hirnforschung und in der Naturwissenschaft generell hat sich das naturalistische Weltbild durchgesetzt. Das hat sich geschichtlich so entwickelt und ist m.E. unumkehrbar.”
    Wollen Sie verraten, warum Sie das — Letzteres — glauben?

  78. @Balanus, @Dietmar Hilsebein

    Beim Anti-Reduktionismus geht es aber, wenn ich richtig verstanden habe, nicht nur darum, Gedankeninhalte von deren materieller Basis zu trennen, sondern hauptsächlich darum, dass Gedanken, ihr Zustandekommen und die mit ihnen verbundene Aktivität im Gehirn nicht auf letztere reduziert werden können bzw. sollten — zumindest wenn es (philosophisch) darum geht, genau zu definieren, was Gedanken sind.

  79. @Chrys, @Dr. Webbaer

    Belege sind im Übrigen immer wünschenswert hier, wenngleich natürlich keine notwendige Voraussetzung zum Posten.

    Vielen Dank außerdem für die rege Beteiligung bislang an alle!

  80. @ Leonie

    ‘Innerhalb der Hirnforschung und in der Naturwissenschaft generell hat sich das naturalistische Weltbild durchgesetzt. Das hat sich geschichtlich so entwickelt und ist m.E. unumkehrbar.’

    “Wollen Sie verraten, warum Sie das — Letzteres — glauben?”

    Hängt natürlich davon ab, auf welche Strömung des Naturalismus man sich bezieht. In der Regel geht er mit einem mehr oder weniger starken Materialismus einher. Da dieser Materialismus heute alles mit einbezieht, eben auch das Bewußtsein, spricht man lieber von Naturalismus. Dieser geht davon aus, daß die Welt letztlich durch die wissenschaftliche Methode erklärbar ist. Dabei verweist der Naturalist auf die Erfolge der Naturwissenschaft und belächelt jene, die das naturalistische Weltbild nicht teilen. Da der Mensch, wenn er Wissenschaft betreibt, nicht belächelt werden will, fügt er sich.

  81. @Dietmar Hilsebein

    Vielen Dank für Ihre Antwort!
    “Dabei verweist der Naturalist auf die Erfolge der Naturwissenschaft und belächelt jene, die das naturalistische Weltbild nicht teilen. Da der Mensch, wenn er Wissenschaft betreibt, nicht belächelt werden will, fügt er sich.”

    Nun ist es ja aber noch nicht so lange her, dass in Deutschland idealistische Werte hoch anerkannt waren und beispielsweise Verstand und Vernunft der Natur übergeordnet wurden bzw. war der Natur-Begriff weiter und anders gefasst. Sie beschreiben, was Naturalismus ist und was möglicherweise dafür spricht, warum Menschen ihn heute vertreten. Das erklärt m. E. aber noch nicht warum diese, wenn man so will, Wendung von Idealimus zu Naturalismus “unumkehrbar” sein sollte, wie sie weiter oben schrieben.

  82. @ Leonie

    “Das erklärt m. E. aber noch nicht warum diese, wenn man so will, Wendung von Idealimus zu Naturalismus “unumkehrbar” sein sollte, wie sie weiter oben schrieben.”

    Das hängt damit zusammen, daß der Idealismus nicht nur als eine Weltsicht verstanden wird, in der der Geist, die Ideen präexistent waren, sondern auch als eine Weltsicht, die mit der Religion ins Bett gegangen ist. Zu dieser Weltsicht will man nicht zurück, da man davon ausgehen muß, daß damit auch die alten Geister (u.a.Bevormundung, Quacksalberei, Gespenster) wieder zurückkehren.

  83. @Dietmar Hilsebein

    Interessante These. Gut möglich, dass sie stimmt. Ich kann mir zwar auch einen revitalisierten Idealismus in der Zukunft mit kritischer Verbindung zu Religionen vorstellen, aber letztendlich bleibt wohl erst einmal nur, abzuwarten, wie sich die Welt entwickeln wird.
    Btw. glaube ich, dass die Vorherrschaft der Naturwissenschaft zur Zeit eher wirtschafliche Gründe hat als menschliche oder die Charaktere, Einstellungen und Wünsche von Menschen betreffend — aber das nur nebenbei.

  84. Naturalismus

    Ein epistemologisches Dilemma ist prinzipell dadurch gegeben, dass ein Subjekt S seine eigene Existenz und seine Wahrnehmungen erklärt, indem S mental eine Welt konstruiert mit der Eigenschaft, dass darin ein Element S’ existiert, mit dem sich S identifiziert, und dessen Wahrnehmung der konstruierten Welt als die Wahrnehmung einer S umgebenden Welt gedeutet wird.

    Mit empirischen Methoden entkommt man dieser Erklärungsschleife offensichtlich nicht. Empirische Erkenntnis lässt sich nur über das gewinnen, was auf die beschriebene Weise konstruiert wird. Peter Janich spricht in diesem Zusammenhang von einer “natürlichen” Begrenzung des Naturwissens. Das naturalistische Grundproblem liegt darin, dass Naturalismus — in welcher seiner zahlreichen Varianten auch immer — letztlich nicht definieren kann, was Natur ist.

    Wolf Singer und Gerhard Roth sind sich immerhin schon mal der Tatsache bewusst, dass da ein Problem ist, wenngleich sie in ihrer Hirnforscher-Sprache von “Gehirn” statt “Subjekt” reden. Eine solche Einsicht liegt für manch anderen aber wohl noch deutlich oberhalb der Hutschnur.

  85. Frau Seng

    Blöd nur, dass …die individuelle Welt des Geistes eine Erscheinung ist, die sich dem die Datenlage Betrachtenden nicht ergeben muss bis nicht ergeben kann. (Dr. Webbaer)

    Heißt das, dass man aus Ihrer Sicht besser keine Bemühungen anstellen sollte, die Welt “wissenschaftlich” (d. h. gezwungener Maßen dennoch subjektiv) mit den Methoden, die bislang zur Verfügung stehen (Verifizierbarkeit, Wiederholbarkeit etc.) zu erforschen?

    Da stand ‘Welt des Geistes’, dort geht ziemlich viel, der Begriff der Wissenschaftlichkeit löst sich hier schnell auch auf,

    …ganz im Gegensatz zu den Naturwissenschaften, wobei der Schreiber dieser Zeilen hier aber von den naturalistisch-realistisch-szientistischen Sichtenbildungen abrät und stattdessen zum Konstruktivismus (der sich im Übrigen ganz problemlos in die Moderne Wissenschaftlichkeit einfügen lässt, vermutlich sogar benötigt wird) rät.

  86. @W: Vom Konstruktivismus zum Solipsismus

    .. ist es ein ganz kleiner Schritt.
    Der Solipsist weiss dass er selbst existiert. Alles andere findet er sehr ungewiss.

  87. Herr Holzherr

    Es liegt auf der Hand, dass sich das, um was sich die Primaten bemühen, in n:m-Beziehungen zwischen den Primaten und den Erkenntnissen ausdrücken lässt.

    Die Verwaltung dieser Beziehungen, die als Teilmenge auch die Wissenschaft einschließt, mit Überlegungen zu belasten “wie es wirklich ist”, wird gemacht, begründet auch Realismus wie Naturalismus wie Reduktionismus wie Szientismus, ist aber nicht erforderlich.

    Frei nach Münte also etwas für die anderen. – Die allgemeine und wie oben beschriebene Suche der Primaten nach Erkenntnis hat mit dem Solipsismus auch nix zu tun.

  88. @W : Es gibt eine Realität …

    auch wenns ihnen nicht passt. Wer zweifelt, dass es eine Realität gibt und wir alle in dieser leben, der hat sich selbst den Boden unter den Füssen weggezogen. Un wer in der Luft schwebt kann alles mögliche glauben bis hin zum Extrem, das einzig sichere sei die eigene Existenz.

    Wenn sie von der Suche der “Primaten nach Erkenntnis” sprechen, sollte ihnen auch bewusst sein, dass erst die moderne Naturwissenschaft zum Schluss gekommen, dass die engsten Verwandten von Menschen höhere Affen sind. Das am besten zu diesen Erkenntnissen passende Weltbild umfasst mindestens die Evolutionslehre und im weiteren Sinn den ontologischen Materialismus.

    Ein längerer Beitrag von mir zu Reduktionismus und Materialismus folgt in Kürze.

  89. Im angedrohten

    längeren Beitrag dann aber nicht vergessen zu erklären, welche Sachlichkeit es I.E. sozusagen unabhängig vom Primaten gibt.

  90. Reduktionismus != Entwertung

    Viele Philosophinnen und Geisteswissenschaftlerinnen befürchten durch Naturwissenschaft und Technik werde das Lebendige auf das Tote und der Geist auf das Materielle reduziert. Verantwortlich für diese Reduktionsversuche machen sie den unter Naturwissenschaftlern und Ingenieuren grassierenden Naturalismus, der Leben und Geist keinen Sonderstatus mehr zugestehen will.
    Doch oft ist es nur ein Vulgärmaterialismus gegen den sich auch hier Blogger wie Ludwig Trepl, Leonie Seng, Stepfhan Schleim und Michael Blume zur Wehr setzen. Diesen Vulgärnaturalismus, der Tiere und Menschen auf die gleiche Stufe setzt wie Autos, den gibt es in unserer Kultur, den gibt es auch bei einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern und Technikern und es gab ihn wohl auch schon bei Kapitalisten alten Schrot und Korns.

    Doch damit den ontologischen Materialismus zu verwerfen bedeutet auch eine Chance zur durchgängigen Erklärung unserer Realität zu verwerfen. Wer alle Realität auf die Interaktion von Atomen und Quanten reduziert, der kann die Welt in der Tat nicht erklären. Doch wer macht so etwas Törichtes?
    Für die ontologischen Materialisten Bunge und Mahner, die Autoren des Buches Über die Natur der Dinge gibt es solcherart törichten Biologismus/Materialismus tatsächlich – und das sogar unter “etablierten” Wissenschaften.
    Zitat Bunge und Mahner: “So sind z.B. die Soziobiologen sicher Materialisten, doch da sie alles Soziale letztlich auf das Biologische reduzieren wollen, kommen auch sie lediglich zu einem verzerrten Bild des Sozialen. Es ist z.B. schwer zu sehen, wie sie die ungeheure Vielfalt sozialer Organisationsformen aufgrund der relativ einheitlichen biologisch-menschlichen Natur oder die offenkundig biologisch nichtadaptiven Tätigkeiten wie Dichtung, höhere Mathematik oder Philosophie befriedigend erklären sollen.”
    Die Soziobiologen sind aber nach Bunge und Mahner nicht die einzigen Simplizisten.
    Zitat Bunge und Mahner: “Auch die ökonomischen Deterministen sind (oft dialektische) Materialisten, können aber die partielle Autonomie der kulturellen und politischen Systeme nicht erklären, geschweige denn die Relevanz bestimmter kultureller und politischer Umwälzungen wie die sogenannte Computerrevolution oder das Übrigbleiben einer einzigen Supermacht am Ende der 1980er-Jahre.
    Um gute Sozialwissenschaft – oder irgendeine andere Disziplin – zu betreiben, reicht der Materialismus alleine nicht aus….”

    Was sind denn die Kernaussagen des ontologischen emergentischen Materialismus, den Bunge und Mahner vertreten?
    Das sind sie, die Kernaussagen:
    1) Alle realen Objekte sind materiell. Materielle Objekte sind veränderbar, was sich in veränderbarer physikalischer Energie ausdrückt. Das Universum ist die Summe aller materiellen Dinge, die miteinander interagieren können. Interaktionen von materiellen Objekten mit anderen oder sich selbst verändern Eigenschaften von materiellen Objekten auf gesetzmässige Art.
    2) Systeme von realen Objekten können Eigenschaften haben, die keines der Teile für sich allein hat. Diese neuen Eigenschaften nennt man emergent, wobei ihre Emergenz nicht bedeutet, dass sie überhaupt nicht erklärbar sind, sondern lediglich, dass sie nur im System nicht aber für sich allein vorkommen. So verhalten sich Wassermolkelüle völlig anders als die in ihnen vorkommenden Atome Sauerstoff und Wasserstoff. Eine physikalische Grösse wie die Temperatur existiert nur für ein Ensemble von Dingen, nicht für ein Atom allein und Ehepartner kann man nur in einer Ehe sein und nicht für sich allein.
    3) Abstrakte Objekte, auch Konstrukte genannt, existieren nur als gedachte Objekte, gedacht von einem Subjekt (typischerweise dem Menschen). Sie sind nicht veränderbar (altern also nicht). Im Gegensatz zu den materiellen Dingen haben gedachte, abstrakte Dinge typischerweise einen Sinn, eine Bedeutung innerhalb eines Kontexts. Materielle Dinge dagegen bedeuten sich selbst. Die Summe aller denkbaren Dinge bildet das Universum der fiktiven Objekte. Dieses Universum ist unendlich im Gegensatz zum Universum der realen Dinge, das durchaus endlich sein kann, es aber nicht sein muss.

    Gedanken sind im ontologischen Materialismus Gehirnprozesse, wobei Konstrukte wie Zahlen oder geometrische Figuren Klassen von Gedanken sind. Damit werden Gedanken im ontologischen Materialismus tatsächlich reduziert indem ihnen Eigenständigkeit abgesprochen wird: Ohne Geist keine Gedanken und ohne Hirn kein Geist. Oder einfach: “Ohne Hirn keine Gedanken”. Der Vulgärmaterialist reduziert nicht nur Gedanken indem er sie wie der Materialismus in der Realität und hier im menschlichen Hirn verankert, sondern er entwertet sie typischerweise auch, indem er beispielsweise annimmt, das Gehirn sei austauschbar durch einen Mechanismus, denn es führe lediglich eine (austauschbare) Funktion aus. Bunge und Mahner dagegen vertreten die Ansicht, Gedanken und Bewusstsein als emergente Phänomene von Hirnprozessen, seien wohl in der uns bekannten Form nur in biologischen Nervensystemen realisierbar und widersprechen damit den Visionen beispielweise eines Ray Kurzweils, der in Hirnprozessen lediglich Software, also Algorithmen, sehen will.

    Reduktionismus kann bedeuten, dass wir ein Phänomen in der materiellen Welt erden. Es kann aber auch bedeuten, dass wir etwas entwerten. Erdung in der materiellen Welt (Reduktion ins Materielle) ist aber nicht gleichbedeutend mit Entwertung.

    Von der Reduktion zur Entwertung
    Wenn Margaret Thatcher sagt: Es gibt kein Ding namens “Gesellschaft”, Es gibt nur Individuen – Männer und Frauen – und Familien.
    so reduziert sie die Gesellschaft auf eine Ansammlung von Individuen und Familien. Diese Reduktion hat aber einen Zweck: Sie will die Rolle der “Gesellschaft” verkleinern, abwerten. Deshalb sagt Thatcher auch gerade anschliessend folgendes: And no government can do anything except through people, and people must look to themselves first. It’s our duty to look after ourselves and then, also to look after our neighbour. People have got the entitlements too much in mind, without the obligations. There’s no such thing as entitlement, unless someone has first met an obligation.”
    Nach Margaret Thatcher sollen die Menschen nicht in den Staat vertrauen, denn der Staat, die Gesellschaft existiert eigentlich gar nicht, es existieren nur Menschen, die diesen Staat ausmachen.

    Werten wir nun Gedanken ab, indem wir sagen: “Gedanken setzen Vorgänge im Gehirn voraus” ? Nein. Doch es ist nicht weit zur Abwertung durch die Umformulierung: “Gedanken sind nur Vorgänge im Gehirn”, was zu ähnlichen Sätzen passt wie “Der Premierminister von England ist auch nur ein furzendes Menschlein”

    Was gewinnen wir mit dem materialistischen Monismus
    Der ontologische, emergentische Materialismus ist ein Monismus, also eine Theorie die alles im Materiellen erdet, die alles mit dem Materiellen erklärt, wenn sie auch nicht alles auf Elementarteilchen reduziert, denn in vielen materiellen Systemen sind die neu erscheinenden “emergenten” Eigenschaften wichtiger als die Eigenschaften der Systemteile.
    Auch der Idealismus, der alle realen Objekte für ideell, für nicht materiell hält, ist ein Monismus. Am häufigsten finden wir aber dualistische Positionen, welche die Welt als aus materiellen und ideellen Dingen zusammengesetzt betrachten. Dualistische Positionen haben aber das Problem der Interaktion von nicht materiellen Dingen mit materiellen Dingen. Wie kann ein immaterielles Objekt Einfluss auf ein materielles nehmen und umgekehrt? Schon der Naturalismus, welcher die Haltung ist, dass alles immer mit rechten, mit natürlichen Dingen zugeht, dass alles immer gesetzmässig abläuft, lässt keine Interaktionen zwischen materiellen und nicht materiellen Dingen zu. Und die Naturwissenschaft hat zwangsläufig eine naturalistische Sicht, denn wenn es “Wunder” gäbe, Dinge, die sich an keine Gesetzmässigkeit halten, dann wären die Hypothesen und Theorien der Naturwissenschaften gar nicht überprüfbar und der Spruch “Was hat denn jetzt wieder für ein Troll/Geist/Engel mein Experiment durcheinander gebracht” wäre dann nicht nur eine Ausrede für ein misslungenes Experiment, sondern ein Schicksal für jeden Forscher, der immer hoffen müsste, dass sich die Über- und Unterwelt während seines Experiments still verhält.

    Mit dem materialistischen Monismus erhalten wir also eine “berechenbare” Welt. Die meisten profitieren davon, selbst wenn sie dagegen opponieren.

    Der ontologische Materialismus bietet die Chance den Anthropozentrismus zu überwinden
    Idealisten sind häufig auch Anthropozentriker, sehen also den Menschen im Zentrum der Welt. Der ontologische Materialismen dagegen gibt dem Menschen nicht von vorneherein eine Sonderstellung. Der Mensch kann also auch ein Tier sein und Tiere und Lebewesen sind ebenfalls nicht von vornherein von Nichtlebenden abgegrenzt. Wer das Phänomen der Emergenz aber ernst nimmt, der kann ohne weiteres zum Schluss kommen, dass Lebewesen materielle Systeme sind, die durch Eigenschaften wie das “Lebendig Sein” eine eigene Klasse von materiellen Systemen bilden.
    Der emergentische Materialismus ist wegen der Emergenz nur ein schwacher Monismus. Wäre das anders bräuchte es nicht die vielen Realwissenschaften die wir heute kennen. Die Physik würde dann alles erklären. Emergente Eigenschaften sind auch meist physikalisch erklärbar, nur bietet die Physik meist nur triviale Erklärungen. So kann die Physik der Elektronenhülle (die Chemie) Eigenschaften der Erbsubstanz DNA aufklären. Doch sexuelle Fortpflanzung, Gentransfer und viele andere biologische Phänomene sind keine zwingenden physikalischen Konsequenzen. Physik macht Biologie und Evolutionslehre nicht überflüssig, denn aus der Physik geht nicht hervor, dass es so etwas wie Evolution überhaupt geben muss.

    Mehr noch als der ontologische Materialismus und der Naturalismus sind es aber Wissenschaften wie die Biologie und die Evolutionslehre, welche den Anthropozentrismus in Frage stellen. Und das ist gut so, denn das Bewusstsein, dass der Mensch ein Geschöpf wie andere Lebewesen ist und kein verkörperter Geist, der mit Engeln, Geistern und anderen jenseitigen Wesen in Kontakt steht, lässt den Menschen vielleicht achtsamer werden für die Realität, die alles ist, was er hat.

  91. @Herrn Holzherr

    Vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar und den Exkurs in den Materialismus!

    1. Was meinen Sie mit “Vulgärmaterialismus”? Woher kommt der Ausdruck?

    2. Den Blogeintrag verfasste ich nicht, um mich “zur Wehr” gegen irgendetwas zu setzen. Vielmehr wollte ich gemäß meiner Subjektivität so sachlich wie möglich (was mir hoffentlich gelungen ist) die akuten sprachlichen Verwirrungen in den Neurowissenschaften beziehungsweise im Neurojournalismus (= die journalistische Wiedergabe neurowissenschaftlicher Inhalte) aufzeigen. In diesem Zusammenhang habe ich eine philosophiche Begründung angeführt, warum es sinnvoll sein kann, die journalistisch “flapsige” Schreibweise zu überdenken, beziehungsweise warum es sinnvoll _ist_, den tatsächlichen neurowissenschaftlichen Ergebnissen angemessen zu berichten und nicht in einem begrifflichen Radius drei Kilometer um den Kern der Sache herum (wenn nicht gar noch mehr). Wenn ich also für etwas plädiere, dann für angemessene journalistische Formulierungen, auch und insbesondere in Zeitungen wie der FAZ (wobei die natürlich nicht die einzige (!) Zeitung ist, die so schreibt!).

    Mein Ziel war es folglich nicht, meinen eigenen Standpunkt in der Philosophie des Geistes darzulegen.

    3. “Ohne Geist keine Gedanken […]” das sagt der Materialismus nicht wirklich, oder?

    4. “Mit dem materialistischen Monismus erhalten wir also eine ‘berechenbare’ Welt.” Was spricht dagegen, die Welt dort zu berechnen, wo sie sich (vermeintlich) berechnen lässt und alle andere hinzunehmen — ohne es wegzudiskutieren oder auf das (vermeintlich) Berechenbare zu reduzieren?

    5. Was schließlich Engel und Geister in dieser Debatte zu suchen haben, ist mir etwas schleierhaft. Mir scheint, dass Sie sehr schnell kategorisieren und von einer Kategorie zur nächsten kommen: Idealimus — Anthropozentrismus — Astrologie — Spiritualität, oder wie man es im Einzelnen nennen will. Mir erschließt sich nicht so ganz, was diese Kategorisierung noch mit meinem sprachphilosophischen Ausgangsimpuls zu tun hat.

  92. @Leonie: Artikel ist OK

    Ich stimme dem Anliegen dieses Beitags zu. Neue Erkenntnise über Hirnleistungen dürfen nicht dazu führen, dass wir geistige Leistungen und die ganze Person auf ein Organ reduzieren und damit die Inegrität des Menschen in Frage stellen.
    Meine Ausführungen im Kommentar über den ontologischen Materialismus sind mehr ein Reflex auf den von einigen Blogautoren hier (z.B. Ludwig Trepl, Stephan Schleim, Michael Blume) immer wieder beklagten Naturalismus als Grundübel unserer immer mehr von der naturwissenschaftlichen Denkweise dominierten Gesellschaft.
    Dabei wird Naturalismus meist als Reduktion des Mentalen und selbst des Gesellschaftlichen auf letzlich physikalische Vorgänge diffamiert.

    Nun zu den Fragen:
    Was ist Vulgärmaterialismus? Damit ist der Nominalismus gemeint, der die Existenz begrifflicher Objekte leugnet oder sie auf Zeichen oder Markierungen wie etwa geschriebene Symbole reduziert. Im  Nominalismus sind also Begriffe nur Namen für eine Menge von Gegenständen, eine Art Subsummation. Der Nominalismus kennt damit keine universellen Begriffe sondern für ihn ist die Zahl 3 identisch mit dem Zeichen 3. Wer nur materielle Dinge sieht und abstrakte Begriffe auf Mengen von materiellen Dingen reduziert, der ist ein Vulgärmaterialist.

     “Ohne Geist keine Gedanken […]” das sagt der Materialismus nicht wirklich, oder? Nein, für den  Materialismus sind Gedanken mit Prozessen im Hirn verbunden.  Aber all diese Prozesse,  beziehungsweise  der Rahmen, in dem sich diese Prozesse abspielen, kann man als Geist bezeichnen, wenn man will. Wir wollen ja keine Begriffe eliminieren, sondern lediglich die Begriffe in einen materialistischen Zusammenhang bringen.
    Was spricht dagegen, die Welt dort zu berechnen, wo sie sich (vermeintlich) berechnen lässt und alle andere hinzunehmen? Gar nichts. Mit berechenbar meine ich aber lediglich gesetzmäßig. Die Dinge verhalten sich wie sie sich verhalten und eben nicht beliebig.
    Was schließlich Engel und Geister in dieser Debatte zu suchen haben, ist mir etwas schleierhaft.
    Wer den Naturalismus, also dass sich alle Dinge  gesetzmäßig  verhalten und alles mit rechten Dingen zugeht, ablehnt, der landet sehr schnell bei Engeln und Geistern.

  93. Weltbild Menschenbild

    Wer andere Menschen vor bestimmten Weltbildern ´bewahren´ will, zeigt ein sehr befremdliches Menschenbild. Anderen Menschen wird damit geistige Unreife unterstellt

  94. Weltbilder

    Wer andere Menschen vor bestimmten Weltbildern ´bewahren´ will, zeigt ein sehr befremdliches Menschenbild. Anderen Menschen wird damit geistige Unreife unterstellt[.]

    Den impliziten Kulturrassismus gut erkannt oder zuviel ungünstig beim hiesigen Religionsforscher gelesen.

    Herr Holzherr, Ihre Sorge scheint darin zu bestehen, dass der Konstruktivismus sozusagen Material für die Beliebigkeit liefert, das ist aber nicht der Fall, er unterstützt die wissenschaftliche Methode. Schaun’S vielleicht mal beim Herrn Schulz rein, der hat sich vor einiger Zeit mit dem Konstruktivismus beschäftigt.

    Materie oder Mutterstoff wird nicht benötigt, aber schön, dass in Ihrem Kommentar eine Abgrenzung zu den von Ihnen so genannten Vulgärmaterialisten (“Die Welt wird bald verstanden werden.”, “Es gibt nur eine Logik und nur eine Mathematik.”) erfolgte.

    MFG
    Dr. W

  95. @Dr. Webbaer

    OK, ich kann sogar damit leben, dass materielle Dinge nur Konstrukte sind, wie sie als Anhänger des Konstruktivismus das wohl annehmen müssen. Doch dieses Konstrukt, dass sich Materie (umfasst alles was physikalische Energie hat) nennt, ist so wichtig, dass man kaum darauf verzichten kann.

    Für mich gibt es eine reale Welt. Falls diese reale Welt nur eingebildet ist und wir alle in einer Illusion leben, so ist diese reale Welt halt der wichtigste Teil der Illusion.

  96. Wenn

    Sie, Herr Holzherr, noch so nett sein könnten und

    Für mich gibt es eine reale Welt. Falls diese reale Welt nur eingebildet ist und wir alle in einer Illusion leben, so ist diese reale Welt halt der wichtigste Teil der Illusion.

    ..auf das Sachliche (“Reale”) dieser Welt verzichten könnte, wäre das nett und konsensbildend.

    Keineswegs sagt der Konstruktivist, dass es außerhalb der Geisteswelten unterschiedliche Welten gibt, die so oder so sind.

    Das täte der Relativist.

    Zum Bemühen um die Welt wird auch nicht utilitaristisch argumentiert, im Sinne von: diese oder jene Theorie reicht für unsere Zwecke aus, sondern so wie auch von Ihnen angenommen: Da ist etwas und diesem Etwas soll nahegekommen werden.

    Gerne auch der modernen wissenschaftlichen Methode, Stichwort: Skeptizismus, folgend.

    MFG
    Dr. W

  97. @Martin Holzherr

    Den Text von Bunge/Mahner kenne ich nicht, gehe aber davon aus, dass ontologischer Materialismus ziemlich genau das bedeutet, was Bunge etwas später (2010) bevorzugt als scientific materialism bezeichnet hat. Das will er expressis verbis als Ontologie verstanden wissen. Und genau das ist dabei das Drama — es ist nur Ontologie.

    Damit wird nur Metaphysik gegen irgendwelche andere Metaphysik gesetzt. Bunge philosophiert da zudem in einem Stil wie vor der “kopernikanischen Wende” herum, die hat bei ihm nicht erkennbar stattgefunden. Und wie selbstverständlich operiert er mit einem “naiven” Existenzbegriff (den Existenzquantor hält er gar für ill-named). So setzt er dann

    Postulate 4 All and only material objects exist objectively (really).

    Schön, damit wäre also die Realität gerettet. Aber das ist ein Postulat, an dessen Gültigkeit man allenfalls glaubt — oder eben auch nicht. Und es lassen sich plausible Begründungen dafür nennen, warum man nicht daran glauben will, wobei gewiss nicht für jeden, der nicht daran glaubt, die Welt nur eine von Gespenstern bevölkerte Illusion ist.

  98. @Leonie: Über die Natur der Dinge

    Das Buch wurde hier bereits von Michael Blume und von Elmar Diederichs besprochen.

    Aber auch hier

    Wichtig scheint mir, dass der ontologische, emergentische Materialismus nur einen Art Grundkonsens über die Beschaffenheit der Welt unter den Leuten herstellen will, die nicht an Immaterielles glauben, welches losgelöst vom Materiellen ist. Dazu gehört aber praktisch jeder Naturwissenschaftler.

    Und doch gibt es ein paar nützliche Konsequenzen aus so einem Weltbild. Insbesondere die, dass diese Sicht nicht anthropozentrisch ist. Ontologien, die den Geist in die Mitte stellen sind jedoch meist anthropozentrisch, weil der Geist ja zuerst einmal der menschliche Geist ist.

    Im Beitrag Gott ist nicht beweisbar. Menschenrechte und der Sinn des Lebens auch nicht. von Michael Blume kommt eine Passage aus einem Bunge-Text vor, der zeigt, dass Bunge Personenrechte auch nichtmenschlichen Wesen zugestehen will und dass er sich umgekehrt auch Menschen vorstellen kann, die keine Personen sind:

    Müssen Menschenrechte durch Personenrechte ersetzt werden, können nicht nur nichtmenschliche Lebewesen in den Genuss solcher Rechte kommen, sondern es wäre auch umgekehrt möglich, dass nicht alle Mitglieder der Spezies Homo sapiens einen Anspruch auf Personenrechte haben, weil ihnen die relevanten Eigenschaften wie etwa Personalität fehlen, weil sie noch keine besitzen, sie nie eine entwickelt haben oder sie sie z.B. durch Krankheit unwiederbringlich verloren haben.”

    Interessanterweise trifft sich das gut mit Bestrebungen gewisser Tieraktivisten und -philosophen auch gewissen Tieren Personenrechte zuzugestehen:
    “In parallel to the debate about moral rights, animal law is now widely taught in law schools in North America, and several prominent legal scholars[who?] support the extension of basic legal rights and personhood to at least some animals”

    In einem Interview mit Douglas R. Hofstadter (Escher,Gödel,Bach) vertrat dieser eine ganz ähnliche Ansicht. Er selbst hat eine geistig schwerbehinderte Schwester, der er folgende Widmung in seinem Buch I am a strange loop zukommen lässt:
    “To my sister Laura, who can understand, and to our sister Molly, who cannot.” Hofstadter explains in the preface that his younger sister Molly never developed the ability to speak or understand language”
    In einem Interview sagte er, er würde den Tod seiner Katze mehr bedauern als den seiner behinderten Schwester. Er spricht ihr in diesem Interview auch ab, eine Person zu sein.

    Wenn man den Menschen – wie Bunge (wahrscheinlich auch Hofstadter) – als Lebewesen sieht, dass irgendwie aus der Natur hervorgegangen ist, liegt es nahe, den Menschen nicht in den Mittelpunkt zu stellen, was die Konsequenz hat, dass man anderen Wesen mit “Geist” ähnliche Rechte zugestehen könnte wie man sie üblicherweise dem Menschen zugesteht.

    Eine übliche Ablehnung von Bunge und Mahners ontologischem Materialismus wie er im Buch “Über die Natur der Dinge” dargelegt ist, besteht darin, das ganze als äusserst mager abzutun. Nichts womit man leben könnte wie scheinbar mit anderen Philosophien. Doch wozu taugen die vielen metaphsischen Lehren?
    Mein Sohn, der gerade sein Physikstudium beendet und viel Comics liest, in denen Metaphisk zur Erheiterung dient, meint, genau dazu sei Metaphysik nützlich: Um sich über verschrobene Ideen zu amüsieren.

  99. Guten Abend.

    Wenn man den Menschen – wie Bunge (wahrscheinlich auch Hofstadter) – als Lebewesen sieht, dass irgendwie aus der Natur hervorgegangen ist, liegt es nahe, den Menschen nicht in den Mittelpunkt zu stellen (…)

    Absolut! Man wundert sich, dass der Mensch so lange gebraucht hat dies zu verstehen.

    Hoffentlich liegt’s nicht an der ‘Metaphisk’.

    MFG
    Dr. W

  100. @Chrys: Existenz und Abstrakta

    Bunge und Mahner beschäftigen sich im Buch “Über die Natur der Dinge” schon auch mit Existenzfragen, die über die Existenz von materiellen Dingen hinausgehen.
    Begriffliche Objekte sind für sie entia rationis, sie existieren also nur für den an sie Denkenden und durch die fehlende Veränderlichkeit,die fehlende Autonomie und Interaktionsfähigkeit unterscheiden sie sich klar von materiellen Objekten.

    Zum Existenzquantor gibt es eine mehrseitige Ausführung im Anhang. Die Autoren möchten den Existenzquantor eher als Partikularisator einsetzen und behaupten die Aussage “Es gibt mindestens ein x….mit Eigenschaft F” sei nicht äquivalent mit “Einige x besitzen Eigenschaft F.”

    Aufbauend auf solchen Unterscheidungen wird dann gezeigt wie man mit den Konzepten der abstrakten und materiellen Existenz umgehen kann und wie sie mit dem logischen Begriff “einige” kombiniert werden können.

    Leider sind die Ausführungen zu verwickelt und umfangreich, als dass ich sie hier widergeben könnte.

  101. @ Holzherr

    Ich verstehe eigentlich gar nicht so recht, wo Ihr Problem ist. Man kann sich ja auf den Begriff Intersubjektivität einigen. Freilich setzt das Subjekte voraus, die zum eigenständigen Denken fähig sind. Wo heute in den Schulen und Universitäten ein Druck zur Konformität herrscht, kann eigenständiges Denken sich kaum entwickeln. Aber das war wohl nie anders, darum haben sich kluge Köpfe abseits der Universitäten entwickelt. Der Konstruktivist sieht den Tisch, der vor ihm steht, so, wie Sie ihn sehen. Sonst könnten Tischler nicht zusammenarbeiten. Er verneint aber zu wissen, was der Tisch an sich und für sich ist. Die Tischler können daher nur deshalb zusammenarbeiten, weil ihrer beider Hirn zu einem gleichen Bild vom Tisch kommt. Wo dies nicht der Fall ist, wird entweder durch Autoritätsglaube eine Konsenssoße erreicht oder jeder geht als eigenständiges Individuum seine eigenen Wege. Why not?

  102. Nachtrag

    Ich sympathisiere mit dem verlorenem Schaf -möge es Hirte über sich selbst werden ohne gefahr zu laufen, Hirte über andere sein zu wollen!

  103. Bunge, Existenz / @Martin Holzherr

    Zum Thema Existenz schreibt Bunge auch nochmals in seinem neueren Buch Evaluating Philosophies (2012). Die ersten zwei Seiten des ensprechenden Kapitels sind unter folgendem Link als Preview einsehbar: [Existence: Single or Double?]. Neue Gesichtspunkte bringt er da nicht, soweit ich sehe.

    Im Zuge seiner ontologischen Existenz entwickelt Bunge zwangsläufig auch seine eigene Theorie der Wahrheit. Der ontologische Materialismus fordert zahlreiche Opfer unter den Philosophen, u.a. von Kant, Frege und Russell, Reichenbach und Carnap, Tarski und Quine, und natürlich nicht zuletzt Popper überlebt da nichts.

  104. @ Chrys

    Der ontologische Materialismus fordert zahlreiche Opfer unter den Philosophen, u.a. von Kant, Frege und Russell, Reichenbach und Carnap, Tarski und Quine, und natürlich nicht zuletzt Popper überlebt da nichts.

    Wie ist das genau zu verstehen?

    MFG
    Dr. W

  105. @Dr. Webbaer

    »Wie ist das genau zu verstehen?«

    Bei allen den Genannten diagnostiziert Bunge einen essentiellen Mangel an materialistischer Ontologie. Das äussert sich in Symptomen wie Subjektivismus und Phänomenalismus (Kant), Idealismus (Frege und Russell), Positivismus (Reichenbach und Carnap), logischer Imerialismus (Tarski und Quine), Popperianismus (Popper).

    N.B. Meine primäre Bunge-Quelle ist Matter and Mind (Springer, 2010).

  106. Anmerkung zur Logik bei Bunge

    In dem zuvor verlinkten Buchkapitel “Existence: Single or Double?” schreibt Bunge:

    In their Principia Mathematica (10.01), Whitehead and Russell defined ∃ in terms of negation and the universal quantifier, namely as not-all-not. That is, when asserting ∃x Px one only says that not all individuals lack the property P.
    However, the formula ∃x Px is usually read as the statement that there are individuals endowed with P. Yet, this interpretation does not fit the definition of the quantifier and is at variance with usage.

    Die Schlussfolgerung ist nicht korrekt. Wollte man nämlich heuristisch die Quantoren eliminieren zugunsten eines quantifiziernden Existenzprädikates, so entspricht der Formel ∀x ¬Px der Ausdruck

    (1) “x existiert” → ¬Px.

    Dessen Negation, ¬(∀x ¬Px) ⇔ ∃x Px, wäre dann durch

    (2) “x existiert” ∧ Px

    gegeben. Daraus wird ersichtlich, dass der Existenzquantor garantiert, dass von Existenz bei solchen und nur bei solchen x geredet wird, die eine Eigenschaft P haben. Existenz gilt dabei nicht als Eigenschaft, das heisst, “x existiert” ist lediglich ein grammatisches Pseudo-Prädikat, dem hier nur im Kontext von (1) oder (2) eine Bedeutung beigemessen werden kann.

    In der traditionellen Logik wäre es hingegen zulässig, nichtexistenten Dingen Eigenschaften zuzuschreiben, und genau das macht Bunge in seinem Beispiel mit den Schutzengeln. Ferner will er ganz traditionell Existenz als Eigenschaft von Gegenständen sehen und formuliert Aussagen wie das weiter oben zitierte Postulat 4, das gemäss der modernen Logik nur ein bedeutungsleerer Scheinsatz wäre.

    Es sei dabei noch an die Feststellung von Herbert Schnädelbach [Was Philosophen wissen] erinnert, derzufolge “in der modernen erkenntnistheoretischen Diskussion niemand ernstgenommen [wird]“, der u.a. “in metaphysischen Fragen das Sein für eine Eigenschaft von Gegenständen hält“. Wie es aussieht wird dieses Kriterium von Bunge und dem ontologischen Materialismus jedenfalls erfüllt.

  107. Wrd man schon irgendwann raus finden

    Aber das Bewusstsein verschwindet, wenn man einschläft? Eigentlich muss man doch nur raus finden, was beim Ein- und Ausschalten des Bewusstseins passiert?

  108. @adenosine

    Was auch immer “Bewusstsein” ist, aber nach heutigen Erkenntnissen aus Neurowissenschaften und Psychologie und dem zur Zeit gewöhnlichen Sprachgebrauch von “Bewusstsein”, ist man auch während des Schlafes “bewusst”, vielleicht in einer anderen Weise als im Wachzustand. Ein Indiz für die Richtigkeit dieser Annahme könnte das bewusste (luzide) Steuern von Träumen sein. Dass die “Qulia” also das bewusste, subjektive Erlebnis ein anderes ist im Traum als im Wachzustand, ist glaube ich unbestritten.

    Von “Ein- und Ausschalten” im Bezug auf das Bewusstsein zu sprechen halte ich ferner für wenig sinnvoll, da dieser Sprechweise eine sehr mechanische Vorstellung von Gehirn und mentalen Prozessen zu unterliegen scheint, die so, glaube ich, nicht stimmt (aber, wer weiß… siehe “Gehirn im Tank” usw. ;-)).

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