Berührungsängste!?

In den chemischen Wissenschaften hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass Fachfremde und Laien zumeist mit der Chemie fremdeln. Viele Chemiker*innen können von Situationen berichten, in denen sie das Gefühl hatten, ihr Fach verteidigen zu müssen. Aber ist das wirklich so? Oder handelt es sich vielleicht um eine selbsterfüllende Prophezeiung, bei der die Erwartung die Wahrnehmung beeinflusst?

Tatsächlich scheint es immer noch ein Verkaufsargument zu sein, wenn man etwas mit dem Zusatz „ohne Chemie“ bewirbt. Allerdings scheinen hier mit „Chemie“ in erster Linie industriell entwickelte und produzierte Verbindungen gemeint zu sein – oft wird in diesem Kontext Chemie mit „Schädlichkeit“ gleichgesetzt. Manchmal treibt das Ganze sogar recht absurde Blüten – wenn beispielsweise Zeitungen in einem Artikel zum Putzen „ohne Chemie“ den Einsatz von Zitronensäure, Essig oder Backpulver empfehlen.

Leider gibt es keine aktuellen, repräsentativen Untersuchungen (falls ich eine nicht kennen sollte, freue ich mich über jeden Hinweis), die Aufschluss darüber gibt, wie die Öffentlichkeit die Chemie sieht. Zwar zeigt das Wissenschaftsbarometer von Wissenschaft im Dialog nun seit ein paar Jahren, dass es um das Ansehen der Wissenschaft in der Bevölkerung nicht so schlecht steht, wie manchmal angenommen. Leider lassen die Ergebnisse aber keine Schlüsse für einzelne wissenschaftliche Disziplinen zu.

Vielleicht ist das Problem, dass vielen Menschen gar nicht bewusst ist, wie sehr Chemie unser tägliches Leben beeinflusst? Und damit sind nicht nur hochkomplexe chemische Prozesse und Stoffe gemeint, sondern ganz alltägliche Dinge. Aus diesem Grund haben wir im letzten Jahr unsere Internetplattform https://faszinationchemie.de/ (nach der auch dieser Blog benannt ist) ins Leben gerufen. Dort versuchen wir unter anderem auf die alltäglichen Begegnungen mit der Chemie hinzuweisen. In der Rubrik „https://faszinationchemie.de/chemie-ueberall/“ geht es beispielsweise um die Chemie von Zitronen, Zucker und Diamanten (wobei die letzten mir auch nicht täglich begegnen).

Denn vielleicht sind die Berührungsängste mit der Chemie gar nicht so groß, wie von manchen Chemiker*innen wahrgenommen. Vielleicht ist es einfach nur so, dass manchmal vergessen wird, dass Chemie nicht allein die chemische Industrie ist, sondern in allererster Linie eine spannende Naturwissenschaft, die überall um uns herum erlebbar ist.

Veröffentlicht von

Maren Mielck ist Wissenschaftskommunikatorin aus Überzeugung. Sie begeistert sich für die Naturwissenschaften und insbesondere die Chemie. Selbst nicht vom Fach, sondern mit klassischer Kommunikations- und Journalismusausbildung, möchte sie im Namen der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) auch anderen ihre Faszination für Chemie näherbringen.

4 Kommentare

  1. Ohne Chemieforschung gäbe es die heutigen kompakten und in Zukunft sogar besseren Lithiumionenbatterien nicht und damit wären auch unzählige Anwendungen wie das Smartphone oder E-Auto kaum denkbar.

    Bis jetzt sind die Chemiker aber zu langsam unterwegs. Vielleicht ändert sich das ja mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Chemie und/oder mit dem Einsatz von Quantencomputern, die chemische Strukturen durchrechnen. Auch robotische Systeme, die aus eigenem Antrieb hunderte von Synthesevarianten durchprobieren könnten die Arbeit vielleicht beschleunigen.

    • Ja, die Chemie als alte Wissenschaft, ist nicht mehr so schnell wie ende des 19. Jahrhunderts.

      Alle möglichen Parameter auszuprobieren ist der brute force approach. Kommt mir vor wie wenn man einem Computer sagt, aus allen Wörtern im Duden , Romane zu generieren, am besten 100 Milliarden pro Sekunde, da kommt dann schon ein Faust bei raus. Das wird nur vernünftig, wenn der Computer alles analysiert und alles löscht was nicht sehr gut geworden ist. Das ist für Standardprobleme sicher eine Möglichkeit aber in der Forschung leider nicht immer möglich.

      Künstliche Intelligenz ist alles andere als wirklich kreativ und genau das ist der Beschleuniger der Entwicklung. Das sollte man wirklich einsetzen um Zeit für anderes frei zu schaufeln.

      Das modellieren mit Computern in der Chemie ist noch nicht soweit, daß man alles was man an fragen hat wirklich vom Computer beantworten könnte. Vieles was mit Katalyse zu tun hat ist schwierig, weil die Übergangszustände sich nur sehr wenig in ihrer Energie unterscheiden und man dann oft an den Parametern, wie Lösemitteleinfluß drehen kann, um es in eine andere Richtung zu schieben. Ob das jemals so wird, daß man das Labor und Technikum abschafft und gleich eine Fabrik baut, um zu produzieren, glaube ich nicht.

      • @Harald Steininger: Künstliche Intelligenz in der Form von Deep Learning etwa ist nicht weit entfernt von „Data Science“. Das heisst Deep Learning-Systeme werden umso besser mit je mehr Daten sie trainiert werden. Angewandt auf das Problem der Katalyse und den Parametern, die die Katalyse beeinflussen bedeutet das: Hat man hunderte von dokumentierten Katalyse-Systemen samt Parametern, kann ein Deep-Learning-System potentiell eventuell Vorhersagen zum Verhalten neuer Katalysatoren machen.
        Es gibt auch schon einige Forschungsarbeiten zum Thema, beispielsweise von R.Kitchin oder auch Informationen in einem Mini-Review dazu ( siehe Machine Learning in Catalysis, From Proposal to Practicing)

  2. Das Wort ‘Chemie’ scheint in der Allgemeinsprache ein Eigenleben zu führen, wie es auch andere Begriffe tun (z.B. Atom oder Gen), die in der Wissenschaft genau definiert sind. (In der Bildzeitung hieß es wohl mal: “Russischer Forscher mit Atom in Koffer erwischt!”)

    Chemie steht dabei für alles, was irgendwie mit einer nicht anschaulichen Mischung von Stoffen zu tun hat, ohne dass man sich näher damit auseinandersetzt. Jedenfalls kann auch nicht völlig ungebildete Menschen noch kurz damit verblüffen, dass man ihnen mitteilt, in ihrem Essen befände sich Dihydrogenmonoxid.