Ein mysteriöser Asteroid und planetarer Sonnenbrand: LPSC 2018, eine Nachbetrachtung

Und wieder ist eine LPSC in Houston vorübergezogen. Die Lunar and Planetary Science Conference ist eine der wichtigsten Tagungen auf dem Gebiet der planetaren Wissenschaften, eine ideale Gelegenheit also, sich über den aktuellen Stand auf dem Gebiet zu informieren. Aber nicht so schnell.

In der fernen Vergangenheit des frühen März dieses Jahres brach ich nämlich zunächst ins nahe Braunschweig auf. Da trafen sich viele der an der kommenden ESA/JAXA-Mission zum Merkur, BepiColombo, beteiligten Wissenschaftler. Bei einem Science Working Group Meeting werden die Beteiligten zum einen auf den neuesten Stand der Mission gebracht. Zum anderen wird die Mission von der wissenschaftlichen Seite her vorbereitet – die eigentliche Missionsplanung steht da im Vordergrund. Mehr zum Thema BepiColombo aber in einem eigenen Beitrag an dieser Stelle demnächst. Ein umfassender aktueller Beitrag von Blog-Kollegin Ute auf Leaving Orbit hier.

Während also Deutschland unter einer Schneeapokalypse ungekannten Ausmaßes ächzte, herrschte bei meinem Eintreffen im fernen Texas strahlend blauer Himmel. Die LPSC, dieses Jahr die Nummer 49, also ist nächstes Jahr ein großes Jubiläum fällig. Die Tagung findet etwas nördlich der Metropole statt, in der jungen Vorstadt Woodlands.

Beweisfoto: Strahlend heller Himmel über Texas (eigenes Foto).

 

 

 

 

 

Am Wochenende vor der Tagung fand zunächst (parallel mit weiteren vorgelagerten Veranstaltungen – es sind halt die ganzen Leute auf einem Haufen, das wird gerne ausgenutzt) das Brown/Vernadsky Microsymposium statt. Thema dieses Mal: das chinesische Raumfahrtprogramm. Wie immer souverän von Jim Head III geleitet, gab es eine Übersicht über den Stand des Programms und Ergebnisse der Chang’e 1-3 Sonden zum Mond. Von besonderem Interesse waren natürlich Übersichts-Präsentationen über die kommenden Missionen: Chang’e 4 ist ein Lander samt Rover, der Ende des Jahres im South Pole–Aitken Becken auf der erdabgewandten Seite landen wird. Und dann Chang’e 5, die erste Sample-Return Mission vom Mond seit 1976, geplant für 2019. Auch Sonden zum Mars sind für die 20er Jahre geplant, wie auch Missionen zu Asteroiden. Und darüber hinaus.

Eins wurde sehr deutlich: China kommt in der Raumforschung, und zwar gewaltig. Die anwesenden Kollegen aus China waren bester Stimmung, im Gegensatz zur eher mäßigen Laune in der Branche zurzeit. Und der generelle Eindruck des Treffens war, dass China sein Programm sehr systematisch und mit einer langfristigen Vision vorantreibt.  Der politische und finanzielle Willen ist auf jeden Fall vorhanden. Und so wird sich auch die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit zukünftig wohl deutlich in Richtung China verlagern, Interesse war von beiden Seiten auf dem Treffen offensichtlich. Der Trend schlägt sich auch in den wissenschaftlichen Veröffentlichungen in der Planetologie wieder, die Zahl von Papern aus China nimmt seit einigen Jahren stetig zu, wie auch die der Forschungseinrichtungen und Institute auf dem Gebiet.

Aufwärmen am Samstag: Das Microsymposium (eigenes Foto).

 

 

 

 

 

Dann aber die eigentliche LPSC (viele Bilder in besserer Qualität übrigens hier). Sonntags zum Auftauen erst einmal der Icebreaker. Recht üppig, aber dank Jetlag taumelte ich eher appetitlos umher. Am Montag ging es dann richtig los. Entgegen dem Titel deckt die LPSC nicht nur planetare Themen ab (eigentlich entstand die Tagung für die Präsentation der ersten Ergebnisse der Apollo-Missionen). Es wird eigentlich alles von Raummissionen, Meteoritenforschung bis hin zur Untersuchung von Supernova-Kondensaten behandelt.

Natürlich ist es kaum möglich, bei 4-5 gleichzeitigen Sessions auch nur ansatzweise einen Überblick zu behalten. Man hat irgendwie immer das Gefühl, einen interessanten Vortrag im Saal nebenan zu verpassen. Und natürlich interessiert mich auch nicht alles, jeder hat halt so seine Nischen.  Als sehr praktisch erwies sich der Twitter Live-feed: #LPSC2018.

Was ist mir dann also besonders in Erinnerung geblieben (ohne Garantie auf Vollständigkeit)?

So ist Saturn für mich zwar rein wissenschaftlich nicht so von Interesse, aber die Session über die zu Ende gegangene Cassini-Mission war dann schon faszinierend. Ein Übersichtsvortrag von Spilker et al. bot dann schon die schön anzuschauenden Bilder von Dichtewellen in den Ringen oder den oft bizarren Monden. Jeffrey Cuzzi ging dann genauer auf die Ringe des Planeten ein. Dass die Teile sehr dünn sind, war mir schon bewusst, aber gerade mal um die 30 Meter, das ist schon erstaunlich. Und in den Ringen selber ist vieles noch Work in Progress: die Teilchen würden gerne zu größeren Körpern akkretieren, was aber wegen der Interferenzen der Monde nicht immer gelingt. Selbst der innere Aufbau des Saturns scheint in Zusammenwirkung mit den Monden eine Rolle zu spielen. Da gibt es dann halb fertige Monde (Moonlets) auf chaotischen Umlaufbahnen, oder die Propellors, eher Staubklumpen denn Monde, eine Art Übergang. Auch interessant: Die Ringe sind wohl sehr jung, um die 100 Millionen Jahre, wenn die Erosionsrate durch Staubpartikel einigermaßen konstant war. Allerdings dürften die Ringe noch sehr lange durchhalten – wobei die Sichtbarkeit deutlich abnehmen dürfte. Wie es Cuzzi so schön ausdrückte, wir können uns glücklich schätzen, in der Epoche zu leben, wo man das Ringsystem in voller Pracht sehen konnte. Irgendwann wird nur noch ein kaum sichtbarer Rest wie bei Jupiter oder Uranus übrig sein.

Ein anderes Gebiet, an dem ich (leider) nicht involviert bin, welches aber auch so von Interesse ist: Planetary Defense (oder Impact Hazard Mitigation), also die Abwehr von Kometen oder Asteroiden auf Kollisionskurs. Auch hierzu gab es ein paar Präsentationen. Plesko et al. boten einen Überblick. Kernfrage wäre natürlich, wie man die Dinger abwehren könnte. Bei viel Zeit und eher kleineren Körpern (Beispiele Didymos, Bennu, Ziele von kommenden Raummissionen)  könnte schon der kinetische Beschuss mit einem Projektil ausreichen. Wenn nicht, kämen Kernwaffen zum Einsatz. Es gibt (natürlich) schon Konzeptstudien, unter anderem für eine flexible Abwehrsonde (HAMMER, Hypervelocity Dingens for Emergency Response). Diese würde also nicht in aller Hektik gebaut werden, wenn es drauf ankäme, der Gedanke ist einige auf Halde zu produzieren. Die Sonde könnte sowohl für einen kinetischen Abfang eingesetzt werden, hat aber schon Slots für Kernwaffen. Und dazu gab es in den Fragen nach dem Vortrag einen interessanten Einwurf – wie würden die Teile eigentlich getestet werden? Nicht alle Unterzeichner des Sperrvertrages sind an der Mission beteiligt, und die Nicht-Unterzeichner könnten das alles für ein Manöver zum Umgehen des Sperrvertrages sehen. Das könnte politisch noch interessant werden.

Dann die Session über die ganz großen Impakte. Wie schon in der Vorschau angekündigt, ein sehr interessanter Vortrag von Abramov und Mojzsis über die Auswirkungen der schweren Impakte im frühen Sonnensystem auf Erde und Mars. Der Rechner für die Präsentation ist bei der Animation erst mal gecrasht (kommt vor). Visuell wurde das Ganze wie in einem Computerspiel aus den 90er Jahren in isometrischer Darstellung gezeigt. Ergebnis: Die Impakte aus der auslaufenden Impaktwelle des Late Heavy Bombardments vor etwa 4.3 Milliarden Jahren hatten für Erde und Mars gegenteilige Konsequenzen: Auf dem roten Planeten entstanden warme, wohl feuchte Oasen. Die Bewohnbarkeit, Habitabilität, wurde also (zeitweise) erhöht. Auf der Erde war es anders herum, hier wurde es für (bereits vorhandenes?) Leben eher kritisch in dieser Periode.

Mittwoch gab es dann die lange erwartete Session zum 45ten Jubiläum der letzten Mondlandung von Apollo 17, samt eines damals Beteiligten. Viel Nachfrage, ich fand es aber dann insgesamt nicht so interessant wie erwartet. Aber es gab auch andere Sitzungen.

Auch der wohl erste interstellare Asteroid1I / ‘Oumuamua kam zu seinen Ehren (hätte aber gerne mehr sein können): ein Vortrag von Jackson et al. und ein Poster von Carey Lisse. Modellierungen deuten darauf hin, dass Doppelsternsysteme am besten geeignet sind, Körper aus einem Sonnensystem zu entfernen. Erste Spektren deuten darauf hin, dass es sich wohl sicher nicht um einen Eiskörper handelt. Auch interessant, dass 1I nicht unbedingt ein solider Klotz sein muss – bei der Rotationsgeschwindigkeit wäre wohl ein Rubble-Pile, also ein rotierender Schutthaufen noch drinnen. So ein ‘weicher’ Körper wäre laut Lisse dann wohl auch leichter in die seltsam gestreckte Form zu bringen. Auch wichtig: Das James Webb Weltraumteleskop, so es denn bei Zeiten in die Umlaufbahn kommt, wird wohl noch in der Lage sein, verbesserte Spektren zu liefern. Es ist bereits eine ordentliche Ladung an Papers zum Thema veröffentlicht worden, da sollte mal ein separater Beitrag drinnen sein.

Dann die Space Weathering-Session, ein Thema, das sich einem zunehmenden Interesse erfreut. Im Prinzip geht es um eine Art planetaren Sonnenbrand: Oberflächen, die dem Weltraum ohne Atmosphäre ausgesetzt sind, werden mit Partikeln aus dem Weltraum und von der Sonne bombardiert. Das ist zwar an und für sich nicht viel, aber über lange Zeiträume summiert sich da einiges. Ergebnis: Eine dünne Schicht an der Oberfläche wird zerschossen, verändert sich strukturell und chemisch. Und sieht z.B. in der Fernerkundung in Spektren nicht unbedingt so aus, wie in Vergleichsmessungen im Labor, was natürlich unpraktisch ist. Das ist gerade für das Projekt, in dem ich involviert bin (BepiColombo) sehr zentral, da Space Weathering auf dem Merkur extrem ausgeprägt ist.

Donnerstag, gefühlter Höhepunkt der LPSC. Die wichtige Merkur-Session, um einen Überblick über den wissenschaftlichen Stand zu bekommen. Abends dann die zweite Postersession. Der unanständige Bierpreis von 7-8 US$ (pro Flasche !) trieb einige Tagungsteilnehmer zu Verzweiflungstaten, gar Alkokohlschmuggel.

Rigorose Maßnahmen gegen verzweifelte Tagungsteilnehmer (eigenes Foto).

Ich selber war für 6 Poster zuständig (aber nur zwei als Erstautor), weshalb ich an diesem Abend dem Alkohol entsagte. Von den Postern waren 5 zum Glück nebeneinander (und direkt am Haupteingang zur Halle). Auch ein Grund für die recht ordentliche Nachfrage. Einige Poster kann man hier anschauen.

 

 

Die Ruhe vor dem Sturm: Die Poster aus Münster (eigenes Foto).

Freitag dann, der Morgen nach der eher ruhigen tradionellen Arizona -Party, wenn verkaterte Sessionchairs kaum noch zusammenhängende Sätze zusammenbringen. Eigentlich sind nur noch die Leute da, die unbedingt müssen, Freitag ist nur noch halbtags Tagung.

Aber auch hier gab es noch eine interessante Impakt-Session. Wie z.B. Bottke et al., die sich über den Verbleib sehr alter Einschlagskrater (älter denn 650 Millionen Jahre) Gedanken machten, von denen es eigentlich viel mehr geben sollte. Wahrscheinliche Ursache: erhöhte Erosion durch intensive frühe Vergletscherung (‘Snowball Earth‘). Ein Vorschlag in der ausführlichen Diskussion (passiert wenn man als letzter in einer Session dran ist…) war dann auch, in Bohrkernen von alten Sedimenten (von denen es sehr viele gibt) nach geschockten Mineralen zu suchen.

Auch gibt es Hinweise auf einen weiteren, wenn auch jüngeren Einschlag (vor ca. 60 Millionen Jahren). Londoner Geologen um Drake et al. haben bei einem Geländetrip in Schottland (Isle of Skye) eine mögliche Schicht an Impaktgestein identifiziert. Würde insofern ganz gut passen, da es damals zu erhöhter vulkanischer Aktivität in der Region kam. Der Krater ist aber noch unbekannt. Wäre der erste schottische (britische ?) Krater, es gab allerdings einige kritische Kommentare danach. Da muss wohl noch nachgebessert werden.

Dann war die Tagung vorüber, und der Sprint zum Flughafen begann (gefolgt von 9h im Flugzeug samt Jetlag, etc.)

Fazit: Eine insgesamt etwas ruhigere Tagung. Viele bekannte Gesichter fehlten dieses Mal – vor allem Leute, die in den analytischen Disziplinen der Planetologie werkeln. Die LPSC scheint sich mehr in Richtung Missionen zu orientieren, für die Kollegen in der klassischen Meteoritenforschung, Kosmochemie und ähnlichem lohnt die lange Anreise sich wohl nicht mehr so sehr. Da wird wohl die jährliche Tagung der Meteoritical Society (heuer in Moskau) wichtiger werden.

 

 

Avatar-Foto

Mein Interesse an Planetologie und Raumforschung begann schon recht früh. Entweder mit der Apollo/Sojus Mission 1975. Spätestens aber mit dem Start der Voyager-Sonden 1977, ich erinnere mich noch wie ich mir mein Leben in der fernen Zukunft des Jahres 1989 vorzustellen versuchte, wenn eine der Sonden an Neptun vorbeifliegen würde. Studiert habe ich dann Mineralogie in Tübingen (gibt es nicht mehr als eigenständiges Studienfach). Anstatt meinen Kommilitonen in die gängigen Richtungen wie Keramikforschung zu folgen, nahm ich meinen Mut zusammen und organisierte eine Diplomarbeit über Isotopenanalysen von Impaktgestein aus dem Nördlinger Ries Einschlagkrater. Dem folgte dann eine Doktorarbeit über primitive Meteorite in Münster. Nach 10 Jahren als PostDoc in verschiedenen Ecken der Welt arbeite wieder am Institut für Planetologie in Münster, an Labormessungen für die ESA/JAXA Raumsonde BepiColombo, die demnächst zum Merkur aufbrechen wird. Mein ganzes Arbeitsleben drehte sich bisher um die Untersuchung extraterrestrischer (und damit verwandter) Materialien: Gesteine aus Impaktkratern, die ganze Bandbreite Meteoriten (von den ganz primitiven Chondriten bis hin zu Marsmeteoriten). Zu meiner Forschung gehören auch Laborexperimente, in denen Vorgänge im frühen Sonnensystem nachgestellt wurden. Mein besonderes Interesse ist, die Laboruntersuchungen von extraterrestrischem Material mit Fernerkundungsdaten (im Infrarot) zu verknüpfen. Das vor allem mit Daten aus der planetaren Fernerkundung durch Raumsonden, aber auch mit Beobachtungen junger Sonnensysteme durch Teleskope.

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