Wie eine andere Revolution in der Medizin aussehen könnte

BLOG: Enkapsis

Zwischen Molekularbiologie und Medizin
Enkapsis
Mal wieder wird diskutiert, ob in der Medizin nicht nur hinreichend auf das körperliche, sondern auch auf das seelische Wohl des Patienten eingegangen wird. Dies geschieht derzeit im aktuellen Heft der GEO mit der Titelstory "Die neue Heilkunst" als auch in zahlreichen Blogs (hier, hier und hier), die sich mit diesem Artikel auseinandersetzen. Immer wieder stehen hier die beiden Gesundheitssysteme "Schulmedizin" und Alternativmedizin (Im GEO-Artikel auch als Naturheilkunde bezeichnet, wobei Alternativmedizin eben nicht gleich Naturheilkunde ist. In diesem Artikel setze ich aber aus Übersichtsgründen, wie die Autorin in der GEO auch, Alternativmedizin und Naturheilkunde gleich) im Fokus. So kann man in der GEO z.B. folgendes nachlesen:

 

Ernährung, Entspannung und Bewegung, gute Körperwahrnehmung und seelische Stabilität. Das klingt unscheinbar – ist aber hierzulande beinahe revolutionär. Zwei Systeme – eine Heilkunst. Nicht der Arzt heilt, sondern die Natur. 

 
Danach heißt es dann:

Es sind Schritte auf dem Weg zu einem Paradigmenwechsel. Die neue Heilkunst will synthetische Medikamente nicht abschaffen, aber dort, wo es geht, durch sanftere Therapien erstezen. Und diese viel stärker als bisher wissenschaftlich untermauern. Sie wird den ganzen Patienten im Auge haben. Und sie wird gemeinsam mit der Hochleistungsmedizin eine Ressource erschließen, die auch in der modernen Biochemie eine immer größere Rolle spielt: die Individualisierung, den Zuschnitt einer Heilbehandlung auf den einzelnen Patienten.

 
Es ist immer wieder das Gleiche, die "Schulmedizin" besitzt die wirksamen Medikamente und die Alternativmedizin das Mittel, um Patienten seelisches und körperliches Wohlbefinden zu ermöglichen, was die "Schulmedizin" eben nicht kann. Beides zusammen wäre nach der Autorin des GEO-Artikels "revolutionär" und würde einem "Paradigmenwechsel"  in der Patientenversorgung gleichkommen. Meiner Meinung nach soll hier dem Leser ganz bewusst klargemacht werden, dass Ärzte kein Interesse am Wohlbefinden ihrer Patienten hätten, die Natur vieles besser kann, synthetische Medikamente schlecht seien und eine Individualisierung in der "Schulmedizin" ohne Naturheilkunde garnicht möglich wäre.

Darüber, wie dem Onkologen Michael Baum in diesem Artikel billig unterstellt wird, er hätte wohlmöglich kein Interesse an der Gesundheit von Patienten, habe ich ich bereits hier geschrieben. Nehmen wir uns deshalb gleich den nächsten Punkt vor, es brauche mehr Natur in der "Schulmedizin".

Schauen wir uns mal die beiden Chemotherapeutika Taxol und Vincristin an: Beides sind Wirkstoffe, die zur Bekämpfung von Krebszellen eingesetzt werden und durch ihre starke zellabtötende Wirkung gerne als "Chemiebomben" bezeichnet werden. Was nicht viele wissen: Beide Substanzen wurden aus der Natur, Taxol nämlich aus der Eibe und Vincristin aus dem Madagaskar-Immergrün, isoliert und werden jetzt erfolgreich in der Krebstherapie angewendet. In der Pharmakologie werden solche Wirkstoffe, die als chemische Substanzen in Medikamenten aller Art Einsatz finden den Naturstoffen zugeordnet. Richtig, Naturstoffen! Wieso? Eben dehalb, da sie in der Natur, sprich bei Pflanzen, Tieren oder Pilzen entdeckt und isoliert wurden. Seien es Gerbstoffe, die bei Entzündungen eingesetzt werden, Alkaloide zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen oder Flavonoide mit ihrer antiallergischen Wirkung. Zu oft werden Medikamente fälschlicherweise als synthetische und von der Pharmaindustrie hergestellte "Chemiebomben" abgestempelt. Man muss daher etwas genauer hinschauen und würde erkennen, dass die Natur ihre Finger schon längst im Spiel hat. Natur bedeutet nämlich nicht gleich sanft!

Francis S. Collins, Leiter des Internationalen Humangenomprojektes und Direktor der National Institutes of Health in den Vereinigten Staaten meint in seinem Buch "Meine Gene – mein Leben: Auf dem Weg zur personalisierten Medizin", dass heutzutage ein viel zu großes Augenmerk auf Symptombehandlung und nicht auf -vorbeugung gelegt wird und der Patient zu wenig in seine Heilung involviert ist. Er bemängelt also das Gleiche, was auch die Autorin Petra Thrombrietz im GEO-Artikel kritisiert. Beide haben Recht, dennoch geht Collins anders vor: Er erklärt, wie die personalisierte Medizin dies ändern möchte und auch ändern kann, von Alternativmedizin oder Naturheilkunde ist hier allerdings nicht die Rede. Daran dürfte man sehen, dass die "Schulmedizin" nicht zwingend die Naturheilkunde braucht, um den Patienten ganzheitlich zu betreuen. Sie ist schon alleine auf diese Idee gekommen und in diesem Augenblick bereits dabei, dies umzusetzen.

Ein hervorragendes Beispiel hierfür dürfte die P4-Medizin sein, die das Gesundheitssystem zuerst einmal in den U.S.A. revolutionieren möchte. Gegründet 2010 in Seattle, beschäftigt sich das P4 Medicine Institut an der Ohio State University damit, Forschung und Wissenschaft, besonders aus dem Sektor der Biotechnologie, verstärkt zum Wohle der Patienten in die Medizin zu integrieren. P4 steht hier für predictive, preventive, personalized und participatory zu Deutsch voraussagend, präventiv, personalisiert und teilnehmend. Hier geht man also noch einen Schritt weiter: Man hat den Patienten nicht nur ganz im Blick, sondern legt einen weiteren Fokus auf Krankheitsprävention, die durch neue Methoden in der molekularen Diagnostik neue Maßstäbe setzen möchte. Ein Schwerpunkt wird hier natürlich durch Genomanalysen gestellt, das Sequenzieren der Patienten-DNA und deren Analyse. Weiter kann man den Patienten garnicht mehr einbeziehen.

Dass in der "Schulmedizin" der technologische Fortschritt bereits begonnen hat, kann man in diesem tollen Video von Daniel Kraft sehen. Ein ehemaliger Onkologe der u.a. erzählt, wieso wir bald garnicht mehr zum Arzt gehen müssen. Auf jeden Fall anschauen!


Andrew Hessel wiederum, Vorsitzender des Biotechnologie- und Bioinformatikbereichs der visionären Singularity University, hat die "Pink Army Cooperative"  ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um eine innovative Kooperation mehrerer Wissenschaftler, die Brustkrebspatienten eine bessere Behandlung ermöglichen möchten, indem schlichtweg der Prozess der Medikamentenentwicklung optimiert wird.

 
Man darf es sich also nicht immer gleich so leicht machen und für einen verstärkten Einzug der Alternativmedizin bzw. Naturheilkunde in die "Schulmedizin" plädieren, da dies ein viel zu voreiliger und undurchdachter Schluss ist Patientenversorgungen zu verbessern. Es gibt nämlich zum Teil weitaus durchdachtere Alternativen, die dieser Forderung entgegenstehen. Alternativen, die zumindest für mich viel interessanter und sinnvoller sind als so manch eine Integration alternativmedizinischer Verfahren, die zudem oftmals ihrem Wirksamkeitsnachweis noch immer hinterherhinken. Nicht etwa, weil es kein Geld zur Erforschung solcher Verfahren gibt, sondern weil sie schlichtweg nicht wirksam sind.
 

 

 


Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Sebastian Reusch ist Naturwissenschaftler und studierte Biologie mit den Schwerpunkten Zell- und Entwicklungsbiologie, Genetik und Biotechnologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Danach arbeitete er am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin an molekularbiologischen Prozessen des Immunsystems. Derzeit promoviert er am IRI Life Sciences der Humboldt-Universität zu Berlin an grundlegenden Fragen der Zellbiologie und Biochemie des Tubulin-Zytoskeletts in Stammzellen. Seine Schwerpunktthemen hier im Blog sind Molekularbiologie und Biomedizin. Twitter: @MrEnkapsis

12 Kommentare

  1. Alternativmedizin

    Hallo Sebastian, ich wuerde Alternativmedizin und Naturheilkunde nicht gleichsetzen. Aus den gleichen Gruenden, die hier schon ein anderer Kommentator bei deinem vorigen Artikel genannt hat. Ich weiss jetzt nicht wie Du diese Begriffe verwendest und wie die GEO-Journalistin diese Begriffe verwendet. Ich habe den Eindruck in deinem Artikel wird das vermischt. Eine Trennung waere hilfreich.

  2. Hey Joe,

    Alternativmedizin und Naturheilkunde sind nicht das Gleiche, das stimmt natürlich, allerdings werden beide Begriffe immer wieder im gleichen Zusammenhang verwendet und von manchen Menschen sogar als das Gleiche angesehen. Natürlich muss man da eine Grenze ziehen. Ich werde das mal am Anfang meines Artikels etwas klarer darstellen. Danke!

  3. gestorben

    ist für mich GEO. Nie wieder dieses homöopathische Gesundheitsblättchen….. Kotzen kann ich anders besser.

  4. neues Buzzwort P4?

    Ihre Artikel sind immer lesenswert, informativ, auf den Punkt und leicht verständlich.
    Das alles schaffen nur die wenigsten Blogger. Danke.

    Voraussagend, präventiv, personalisiert und teilnehmend..
    Ehrlich gesagt erwarte ich von einem guten Hausarzt mit Erfahrung, dass diese Begriffe für ihn im Umgang mit seinen Patienten eine Selbstverständlichkeit sind. Auch dass er sich per Fortbildung und Internet einigermaßen auf dem Stand hält.

    Der ehemalige Onkologe spricht mir etwas zu schnell. Dennoch scheint er etwas zu sagen zu haben:-)
    Gibt es einen technischen Kniff es in reduzierter Geschwindigkeit ablaufen zu lassen?

  5. Ziel: Immer weniger Alternativmedizin !

    Viele Patienten wenden sich Alternativmethoden zu, wenn ihnen die Schulmedizin nicht weiterhelfen kann. Dafür, dass die Schulmedizin nicht weiterhelfen kann gibt es mehrere Gründe, die wichtigsten sind aber:
    – Die Krankheit nimmt ihren “natürlichen” Verlauf und es gibt keine sinnvolle Therapie mehr (ausser vielleicht palliative Massnahmen).
    – Der “Patient” leidet laut Schulmedizin unter Symptomen, die aber nicht einer Krankheit zugeordnet werden können.

    Frühentdeckung von Krankheiten, Personalisierung, Vorbeugung aufgrund der Kenntnis des Patientengenoms werden sicher irgendwann Standard oder mindestens vom reichern Teil der Menschheit zu ihren Gunsten eingesetzt werden. Es werden aber auch bei gehobenem Standard und bei grossen medizinischen Fortschritten enttäuschte Patienten zruückbleiben, die dann eventuell bei Alternativmethoden Heilung oder viellicht auch nur persönlichen Trost suchen. Ein möglicher Umgang der Schulmedizin mit diesem Problem, wäre es, den Weg zu den Alternativmedizinern offen zu lassen ohne den Kontakt mit dem Patienten zu verlieren.

    Die Integration von Alternativverfahren in den schulmedizinischen Alltag – wie er im Geoartikel “Die neue Heilkunst” empfohlen wird – ist dagegen der falsche Weg. Denn es läuft auf eine Verschwendung von Ressourcen und von Zeit heraus. Und vieles was man aus dieser Ecke liest sind im Grunde nichts anderes als Allerweltsweisheiten, die nicht einmal falsch sind sondern einfach nichts neues bringen. Die Aussage “Nicht der Arzt heilt, sondern die Natur” beispielsweise trifft sehr oft zu, weil unser Organismus über Selbsheilungskräfte verfügt und auch verfügen muss um nicht von jeder Infektion weggerafft zu werden. Zum Glück aber kann die wissenschaftlich orientierte Medizin jedoch immer häufiger und immer besser heilen, einen Heilprozess in Gang setzen oder eine fortschreitende Kranhheit zum Stillstand bringen. Es braucht also immer weniger alternative Tröster, weil immer weniger Trost notwendig bleibt.

  6. @RD:

    Danke für das Feedback und bitte 😉

    Daniel Kraft spricht wirklich sehr schnell. Dürfte daran liegen, dass man bei TED-Vorträgen immer nur eine sehr begrenzte Zeit zum Reden hat und er in den Vortrag echt viel reinpackt. Ich denke man muss den Vortrag daher öfter anschauen, da ich nicht weiß, ob man die Abspielgeschwindigkeit irgendwie verlangsamen kann. Oh warte mal…was du natürlich machen kannst, ist, den Vortrag hier auf deinen Rechner downloaden und ihn separat mit einem Video-Player abspielen, wo man die Abspielgeschwindigkeit einstellen kann. Das geht etwa beim VLC-Player.

  7. Ergänzung zu Martin Holzherr

    “Viele Patienten wenden sich Alternativmethoden zu, wenn ihnen die Schulmedizin nicht weiterhelfen kann.”

    Ich sehe noch zwei weitere wichtige Gründe:

    – Ärzte verursachen durch ihre Behandlungen sehr viele – iatrogene – Krankheiten.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Iatrogen

    Es wäre wünschenswert, sensibler mit invasiven Techniken umzugehen. Viele davon haben sich im Nachhinein als falsch erwiesen (z.B. Total-OP bei Uterus-Myom), und ich sehe keinen Grund, warum das heute anders sein sollte.

    – Ärzte gehen zuwenig auf psychische Probleme ihrer Patienten ein. Sebastian hat ja vor ein paar Tagen angesprochen, wie wichtig eine psychologische Betreuung
    bei Krebserkrankten (aber auch bei anderen Patienten) ist. Hier findet im klinischen Alltag immer noch zu wenig statt.

    Unglücklicherweise treiben u.a. diese Defizite allzuviele Menschen zu zweifelhaften Alternativmedizinern.

    Die wird man nicht ändern können. Die wissenschaftlichen Mediziner aber, glaube ich, schon.

    Und ich freue mich, daß Sebastian versucht, dazu einen Beitrag zu leisten.

  8. Prävention

    Naturheilkunde und Alternativmedizin sind nicht dasselbe. Ich fände es äußerst hilfreich, wenn, wie @Joe Dramiga bereits schrieb, hier die Begriffe sauber getrennt würden. Im Geoartikel wird leider alles durcheinander geschmissen. Vielleicht hätte sich die Schreiberin des Artikels erst einmal etwas besser informieren sollen. Auf Wikipedia wird der Unterschied ja recht übersichtlich erklärt: http://de.wikipedia.org/wiki/Naturheilkunde

    Auch der Begriff “Alternativmedizin” ist vielleicht nicht ganz richtig, lässt man einmal die Homöopathie außen vor, die sich ja oft tatsächlich in Konkurrenz zur Schulmedizin sieht, dann sind einige der im Geoartikel aufgeführten “alternativen” Methoden, wie “Ernährung, Entspannung und Bewegung, gute Körperwahrnehmung und seelische Stabilität” gar keine Heil, sondern lediglich Präventivverfahren. Im alten China z.B. diente “Medizin” zur Gesunderhaltung der Menschen. Wurde der “Patient” krank, dann hatte der Doktor versagt. Im Westen ist es heutzutage gerade umgekehrt, die Leute betreiben Raubbau mit ihrem Körper und erst wenn sie krank werden gehen sie zum Arzt.

    Viele Krankheiten sind auf einen ungesunden Lebensstil zurückzuführen, leider wird das im Medizinstudium anscheinend nicht ausreichend berücksichtigt. Wie mir ein Medizinstudent erzählte, kommt z.B. das Thema “Ernährung” zwar in Bezug auf Diäten vor, aber ansonsten ist es nicht Inhalt des Studiums, trotzdem geben viele Ärzte da oft haarsträubende Ratschläge. Einer Bekannten, die abnehmen wollte, gab der Arzt den Ratschlag anstatt Schokolade doch Gummibärchen zu essen, da diese kein Fett enthielten. Anscheinend hatte er das einem Werbespot entnommen.

    M.E. würde ein “Paradigmenwechsel” in der Medizin bedeuten, dass viel mehr Wert auf Prävention gelegt wird. Hätten die alten Chinesen die im Blogpost beschriebene “P4-Medizin” gekannt, sie hätten sich sicher ihrer bedient.

  9. Michael Blume

    Hallo Sebastian, entschuldige bitte, daß ich hier vom Thema abweiche, eigentlich wollte ich dir direkt eine Mail senden – aber du hast bei deinem Kommentar bei Michael Blume nur deinen Blog verlinkt. Du hast in deinem Kommentar dein Bedauern zum Ausdruck gebracht, dass Michael mein Kommentar weitgehend unterdrückt hat, darum reiche ich es dir hier einfach nach, dann kannst du dir ja selbst ein Urteil bilden über das Ausmaß meiner “Entgleisung”. Wie gesagt, der folgende Text ging nicht an dich, sondern an Michael Blume:

    “Manchmal kommt es sehr genau auf die Formulierung an. Wenn Sie sagen, dass Religiosität eine genetische Grundlage hat, dann habe ich keine Schwierigkeiten Ihnen zuzustimmen. Die Gene spielen bei der Entwicklung jedes Menschen eine zentrale Rolle und beeinflussen seine Eigenschaften – aber das ist trivial. Wenn Sie jedoch behaupten die Religiosität sei genetisch evolviert, dann sieht die Sache schon ganz anders aus. In diesem Kontext sind ihre “Belege” keinen Pfifferling wert. Nehmen wir z.B. die Gehirnareale, die für die Religiosität von besonderer Bedeutung sein mögen. Wie sind diese Beobachtungen zu interpretieren? Belegen sie eine Anpassung an Religiosität? Die Antwort heißt eindeutig NEIN! Dies lässt sich an einem Gedankenexperiment veranschaulichen:
    Glücklicherweise ist es für grundsätzliche evolutionäre Erwägungen schnuppe, ob man sich mit Gehirnwindungen befasst oder mit anderen Merkmalen – also nehmen wir ein anschaulicheres Beispiel für biokulturelle Koevolution, bei dem uns die Rollenverteilung zwischen kultureller und organischer Evolution bekannt ist und es nicht nur auf das Gehirn ankommt – des Deutschen liebstes Kind, das Auto.

    Wenn Sie in ihrem Auto sitzen, dann sind Ihre Finger (deren Form zweifellos genetisch determiniert ist) wie dafür geschaffen die unterschiedlichsten Bedienelemente des Autos zu handhaben. Ihre Beine sind gerade lang genug um die Pedale zu erreichen und zu bedienen. Auch die Form Ihrer Füße ist dafür optimal. Ihre nach vorne gerichteten Augen erleichtern das räumliche Sehen – aber das reicht für die Entfernungen, die man beim Autofahren gut abschätzen können muss bei weitem nicht aus. Zum Glück verfügt aber gerade Ihr Gehirn über im Tierreich einmalige Leistungsmerkmale bei der räumlichen Wahrnehmung und Sie als Mann sind dabei möglicherweise aufgrund ihrer genetischen Grundlagen den Frauen sogar etwas überlegen (auch dafür lassen sich wissenschaftliche Studien anführen).
    Menschen sind für das Autofahren “wie geschaffen”. Die Passungen sind offensichtlich – allein mit der Beschreibung anatomischer Merkmale, die beim Autofahren eine wichtige Rolle spielen könnte man ganze Bücher füllen. Noch mehr Papier könnte man mit wissenschaftlichen Entdeckungen von Gehirnarealen beglücken, die für das Autofahren wesentlich sind. Und bei der Entwicklung der Eigenschaften des Menschen, die zum Auto passen spielen die Gene selbstverständlich eine zentrale Rolle. Es würde Ihnen vermutlich keinerlei Schwierigkeiten bereiten in Zwillingsstudien zu untermauern, dass dies der Fall ist. Man könnte zudem versuchen nachzuweisen, dass schlechtere Autofahrer öfter verunglücken und daher weniger Kinder hinterlassen…

    Bedeutet das nun, dass Menschen, und allem voran Männer biologisch an das Autofahren angepasst sind? Sind die Fähigkeiten zum Autofahren biologisch evolviert?

    Beim Auto ist die Sache einfach – an etwas, was gerade mal 4 Generationen alt ist, kann es noch keine biologischen Anpassungen geben. Die Evolution produziert keine Anpassungen auf Vorrat zur Anwendung bei zukünftigen Tätigkeiten. Und doch sind da all diese Belege, die mindestens so überzeugend daherkommen wie Ihre Argumente dafür, dass Religiosität biologisch evolviert ist!

    Sie sollten sich etwas mehr Gedanken darüber machen, was sich mit Ihren Daten belegen lässt und was nicht. Gedankenexperimente wie das oben angeführte können da weiterhelfen.”

  10. @Eduard Kirschmann

    “Zum Glück verfügt aber gerade Ihr Gehirn über im Tierreich einmalige Leistungsmerkmale bei der räumlichen Wahrnehmung und Sie als Mann sind dabei möglicherweise aufgrund ihrer genetischen Grundlagen den Frauen sogar etwas überlegen (auch dafür lassen sich wissenschaftliche Studien anführen).”

    Vielleicht sollte Mann sich da einmal von bekannten Vorurteilen lösen und sich mit neueren Studien befassen:
    http://derstandard.at/…ist-eine-Frage-der-Kultur

  11. @Mona

    Danke für den Link, ich fand ihn interessant, aber vielleicht sollte Frau sich mal genauer überlegen was da eigentlich ausgesagt wird. Es wird nur festgestellt, dass räumliches Denken trainiert werden kann und nicht ausschließlich von der Vererbung abhängt. Das ist nicht neu – so hat man inzwischen festgestellt, dass Jonglieren das räumliche Denken fördert. Das ändert aber nichts z.B. an den Befunden zum Einfluß von Hormonen auf das räumliche Denken.
    Auf den Stand der Forschung zu diesem Thema wird z.B. hier eingegangen:

    http://deposit.ddb.de/…p;filename=1005317011.pdf

    Ich mach hier mal Schluß, denn wir sind hier am falschen Ort für diese Debatte, die mit dem Beitrag von Sebatian nichts zu tun hat.

Schreibe einen Kommentar