Die Möglichkeiten in den Naturwissenschaften eine Doktorarbeit zu fälschen oder zu plagiieren, sind grundliegend anders als z.B. in den Rechts- oder Geisteswissenschaften, da beispielsweise ein biomedizinischer Doktorand in einem Labor arbeitet, Experimente durchführt und deren Vorgehensweise und Ausgang in einem sogenannten Laborbuch dokumentieren muss.
Das Laborbuch eines Naturwissenschaftlers ist also wie die Black-Box eines Flugzeugkapitäns – Mit ihm kann man im nachhinein nachvollziehen was passiert ist und was gemacht wurde, wenn man seine Abschlussarbeit zusammenschreibt. Sich nämlich seine Labortätigkeiten über die Jahre hinweg zu merken, ist schlichtweg unmöglich. So wird von jedem Arbeitsgruppenleiter, der eine naturwissenschaftliche Forschungsgruppe leitet, verlangt, solch ein Laborbuch zu führen und alles möglichst genau zu dokumentieren. Es ist in Besprechungen und Meetings fast immer mit dabei und dient als erste Anlaufstelle, wenn Fragen über Methoden und Durchgeführtes auftauchen. Nicht zuletzt muss es vom jeweiligen Institut an dem Wissenschaft betrieben wird, aufbewahrt werden, um so restrospektiv nachvollziehen zu können, wie und ob im Labor alles sauber vonstatten ging. Sie werden nämlich regelmäßig von Behörden des jeweiligen Bundeslandes inspiziert und kontrolliert, um so die "
gute Laborpraxis" nachzuprüfen, die seit 1990 gesetzlich verpflichtet ist. So müssen Wissenschaftler nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern weltweit aus den Bereichen Medizin, Biologie, Chemie und Physik dafür sorgen, dass bestimmte Chemikalien korrekt gelagert und Sicherheitsprotokolle eingehalten werden, um so sauber und gewissensvoll arbeiten zu können. Schließlich sind Forschungslabore kein Spielplatz in denen man tun und lassen kann, was man möchte. Hier findet u.a. Wissenschaft in Laboren mit
biologischer Schutzstufe statt, worin z.B. molekularbiologisch mit Tuberkulose- und HI-Viren gearbeitet wird und bestimmte Regeln einfach eingehalten werden müssen.
Abb.1.: Laborbuch vom Nobelpreisträger Otto Hahn aus dam Jahre 1938 (Quelle: Wikipedia) – Schon damals waren Laborbücher an der Tagesordnun, heute gibt es sie bereits in digitaler Form
Man muss also feststellen, dass in der Naturwissenschaft der Raum von Manipulationen etwas begrenzter ist, dennoch natürlich vorkommt und sich statt im Bereich von Doktorarbeiten eher bei Daten finden lassen, die ihren Einzug in Publikationen und Studien erhalten. Oftmals steht ein Naturwissenschaftler nämlich unter enormen Zeitdruck, um Experimente durchzuführen und so Ergebnisse zu bekommen, die den Geldgeber des finanzierten Forschungsprojektes zufrieden stellen. Man kann hier unter Zeitdruck also leicht in unmoralische Verhaltensweisen verfallen oder auch einfach zum Zeitsparen schlampig arbeiten, nur um so seine weitere Finanzierung sicherzustellen. Nicht zuletzt werden Daten manipuliert, um
High-Impact-Publikationen zu erzeugen, um sich so unter Forscherkollegen einen großen Namen zu machen. In der Naturwissenschaft wird man nämlich an seinen Publikationen gemessen und wenn man einfach keine erstaunlich neuen Ergebnisse hervorbringt, bastelt man sie sich eben mal. Auch dies ist trotz der guten Laborpraxis möglich, wenn man sich nur geschickt dabei anstellt.
Alles ist schon vorgekommen, aber es ist absolut nicht hinnehmbar, weil so der Ruf von allen ehrlich arbeitenden Wissenschaftlern beschädigt wird. So wird heute schon nach den Plagiatsaffären um Guttenberg, Koch-Mehrin und Co. gewitzelt, dass ein Doktortitel ganz simpel erschlichen werden kann, was zu Lasten derer geht, die sich ehrlich durch den Dschungel der Promotion gekämpft haben und es noch immer tun.
Dieser Dschungel ist besonders in der Naturwissenschaft hart zu durchlaufen, da man – wenn man überhaupt bezahlt wird – auf einer Halbtagsstelle sitzt, aber Vollzeit und darüber hinaus arbeiten muss, um Ergebnisse zu produzieren, die einem seine Stelle sichern. Zum Alltag eines ehrlichen Wissenschaftlers kann jetzt nicht auch noch dazukommen, dass er sich für seinen Doktortitel rechtfertigen muss.
Über den naturwissenschaftlichen Betrieb sollte man zudem auch noch wissen, dass hier das Ziel aus einem Erkenntnissgewinn besteht, der weltweit reproduziert werden und somit als neue Tatsache anerkannt werden kann. Diese findet dann ihren Weg in die Lehrbücher für nachrückende Wissenschaftler. Dieser gesamte Prozess besteht aus Veröffentlichung von Publikationen, die der Welt die geleistete Arbeit präsentieren und von anderen Forschern genutzt werden, um die Ergebnisse zu bestätigen und um sie für weitere Forschung anzuwenden, da man schließlich immer tiefer in die Materie eindringen möchte. Es findet also immer eine gegenseitige Kontrolle von Ergebnissen statt, die, wenn sie im Labor nicht reproduziert werden können, falsch sein müssen und Naturwissenschatler früher oder später auffliegen, wenn sie Daten manipuliert haben. So eine Kontrolle gibt es in dieser Art bei den Rechts- oder Geisteswissenschaften nicht.
Nicht zuletzt werden in Labors mit Methoden und Experimenten gearbeitet, die nach gewissen Protokollen durchgeführt werden müssen, da sie sonst schlichtweg nicht funktionieren würden. Hier ist also nur ein kleiner Raum für mögliche Manipulationen gegeben, da man die Dürchführung nicht einfach so verändern kann, wie man möchte, um so vielleicht gewünschte Ergebnisse zu bekommen.
Nun zum Ende noch drei wichtige Punkte, die man sich merken sollte:
- Politikern sagt man aufgrund der zeitraubenden politischen Karriere nach, sie ständen permanent unter Zeitdruck und könnten so einer Promotion nicht immer gewissenhaft nachgehen. Mit dem gleichen Problem sind allerdings alle anderen Wissenschaftler, besonders im Bereich der Naturwissenschaften, auch konfrontiert. Sie müssen nämlich neben der Promotion Publikationen schreiben und sind zudem im universitären Lehrbetrieb eingebunden. Dennoch ist hier der überwiegende Teil dazu in der Lage, sauber zu arbeiten und korrekte Abschlussarbeiten oder Publikationen einzureichen.
- Der Möglichkeitsrahmen eine Abschlussarbeit zu plagiieren oder Ergebnisse zu fälschen ist bei Rechts- und Geisteswissenschaftlern wesentlich größer als bei den Naturwissenschaftlern.
- Laborbücher müssen naturwissenschaftliche Studenten bereits in Kursen und Praktika benutzen. Sie lernen somit früh korrektes wissenschaftliches Arbeiten und Protokollieren.
Anmerkung: Dieser Artikel erscheint zusätzlich im Blog "DE PLAGIO", der ein Gemeinschaftsprojekt bloggender Wissenschaftler/innen ist, die nicht länger hinnehmen wollen, dass die Reputation der Wissenschaft beschädigt wird, indem Plagiate und andere Formen des wissenschaftlichen Betrugs als Kavaliersdelikt behandelt werden. Ihn findet man zusätzlich auf Facebook und Twitter.
Natur- vs. andere Wissenschaften
Man sollte hinzufügen: In Deutschland, wo man nicht nur mit halben Stellen, sondern mit im internationalen Bereich überproportional vielen befristeten Stellen ein enormes wissenschaftliches Präkariat hinnimmt.
Mein Doktorand hat beispielsweise einen Vierjahresvertrag für eine volle Stelle, von € 2,042 im ersten bis € 2,612 (brutto p. Monat) zzgl. großzügiger Willkommenspauschale, Urlaubs- und Weihnachtsgelds (faktisch ein 13. und 14. Monatsgehalt).
Übrigens scheint mir das, worüber du schreibst, nur in manchen wissenschaftlichen Bereichen gesetzlich vorgeschrieben; welches Gesetz ist das eigentlich? Das habe ich im verlinkten Wikipedia-Artikel nicht gefunden; dafür aber Hinweise darauf, dass viele Wissenschaftler die GLP auch als Last empfinden. Nicht zuletzt sind auch in den USA, die im Wiki als Vorreiter von GLP erwähnt werden, in den letzten Monaten einige Todesfälle berichtet worden (Doktoranden sind im biochemischen Bereich ums Leben gekommen; durchaus an namhaften Instituten).
Zum Schluss weiß ich nicht sicher, ob deine These stimmt, dass man in den Natur- und Geisteswissenschaften leichter täuschen kann. Die Plagiate von Theo & Co. kannst du wenigstens mithilfe von Google entlarven, während oft nur wenige, in Extremfällen sogar nur eine einzige Gruppe die für eine Replikation nötige Ausstattung besitzt.
Welches Laborbuch kann kontrollieren, ob Proben vertauscht, bestimmte Daten gelöscht, selektiert usw. werden, ob du p-value fishing machst, eine zirkuläre Analyse, nicht hypothesenkonforme Beobachtungen ignorierst usw.?
Diese Arbeit ist Schwierig und verdient viel Respekt, den sie oft leider nicht bekommt. Ich frage mich aber inzwischen, wozu überhaupt promovieren?
@Stephan Schleim
Die Richtlinien der guten Laborpraxis (GLP) sind im Chemikaliengesetz verankert und in den Paragraphen 19a bis 19d ist der Geltungsbereich und die Art der Überwachung gesetzlich fixiert und definiert, welcher natürlich nicht auf alle wissenschaftlichen Bereiche zutrifft. Weitere Informationen dazu findest du beispielsweise beim Bundesinstitut für Risikobewertung, welches für die Koordinierung und Harmonisierung GLP-relevanter Fragen im nationalen und internationalen Bereich sowie in der Überwachung bestimmter GLP-Prüfeinrichtungen im In- und Ausland zuständig ist. Den genauen Gesetztestext findest du ferner hier.
Ja, weil sie schlichtweg keine Lust darauf haben, kontrolliert zu werden und das Labor dann erst einmal picobello auf Fordermann bringen müssen, da man es doch über die Zeit vernachlässigt. Als ich beispielsweise im Hauptstudium so eine Überprüfung selber mitbekommen habe, herrschte am ganzen Institut Unmut, weil die nächten Tage erst einmal Saubermachen angesagt war und u.a. Chemikaliengefäße korrekt beschriftet werden mussten. Man möge es kaum glauben, aber trotz der guten Laborpraxis finden sich immer wieder Labore, die schlichtweg ein Saustall sind. Da tut es nur gut, wenn sich die Herrschaften, die die GLP überprüfen, mal blicken lassen, obwohl es eben teilweise mit viel Aufwand verbunden ist.
Ja, das kommt immer mal wieder vor und ein absoluter Schutz ist nie garantiert. Es gibt immer Umstände durch welche Menschen in Lebensgefahr geraten, besonders wenn man mit giftigen Chemikalien arbeitet, deren Anwendung sich durch die ganze Biologie zieht. Zum Beispiel ist es eigentlich verboten abends länger alleine im Labor zu bleiben, da der eigene Schutz schlichtweg nicht mehr sichergestellt werden kann, falls etwas passieren sollte. Kein Mensch hält sich natürlich daran und so habe ich selber von Fällen mitbekommen, wo abends Menschen aufgrund giftiger Substanzen im Labor unmächtig geworden sind und erst morgens wieder gefunden wurden. Stell dir mal vor, du hättest gerade an einem Versuch mit Bunsenbrenner oder weiß der Teufel was gearbeitet – Man kann sich mögliche Ausmaße vorstellen. Hier am Institut für organische Chemie ist es abends auch mal zu einem Brand gekommen, der allerdings erst so spät entdeckt wurde, dass eine Person gestorben ist, da sie alleine im Labor war und anscheinend selber nichts mehr für sich tun konnte.
Solche Fälle bilden allerdings die absolute Ausnahme, kommen aber vor.
Das stimmt alles. Google ist ein einfaches Werkzeug zum Aufdecken geistes- und rechtswissenschaftlicher plagiierter Arbeiten. Gefälschte naturwissenschaftliche Dissertationen und Publikationen sind hingegen nicht leicht zu entlarven, weil man hier selber die Daten und Methoden überprüfen und verstehen, sich also mit dem Themengebiet auskennen muss, da eben kein Copy&Paste betrieben, sondern Datenmanipulation begangen wird.
Copy&Paste kann jeder, gezielte Datenmanipulation nicht.
Berechtigte Frage! Natürlich kann man auch sein Laborbuch manipulieren, aber ich denke, dass früher oder später mögliche Datenmanipulationen durch die (Publikations-) Kontrolle, die ich im Artikel beschreibe, herauskommen. Schliesslich publiziert man die Daten ja, wozu hätte man sich sonst die Mühe gemacht, sie zu fälschen?
Amen!
Habe mir deinen Text natürlich durchgelesen, ebenso das Nature-Spezial über Promotionen weltweit, in dem Deutschland übrigens komischerweise sehr gut abschneidet. Das Promotionssystem würde ich nicht abschaffen wollen, ich plädiere jedoch dafür, die Ausbildung wissenschaftlicher Doktoranden zu begrenzen, da eben ein absoluter Überschuss herrscht, der niemandem gut tut. Die Erlangung eines Doktortitels ist für mich schlichtweg mit einem Aufstieg vergleichbar bzw. mit einer Beförderung gleichzusetzen. Während man sich z.B. in nicht-wissenschaftlichen Tätigkeiten hocharbeiten kann, kann man dies in der wissenschaft durch Erlangung des Doktortitels. Danach geht es dann weiter mit Pos-Doc, Prof., etc.
Obwohl man durchschnittlich nicht viel mehr verdient, ist es trotzdem ein System, welches ich für sinnvoll halte, welches aber durchaus optimiert werden kann und auch muss.
Peer Review
Das Peer Review ist von der Idee her natürlich gerade dazu da, unabsichtliche oder absichtliche Fehler zu erkennen. In den seltensten Fällen liegen den Reviewern aber doch die Originaldaten vor und wer hat schon Zeit, alles selbst zu rechnen?
Es ist aber gerade eine Initiative von Open Source Vertretern, mit Open Data (so heißt das, glaube ich) auch die Originaldaten mitzuveröffentlichen, sodass andere unabhängige Kontrollen rechnen können. Auch dieses System dürfte aber nicht gegen alle ungewollten oder gewollten Fehler immun sein.
Ich erinnere mich an ein Beispiel aus der pharmakologischen Forschung, dass bestimmte Journals mit so vielen bereits veröffentlichten Papers Probleme bekamen, dass sie ihre Policy wie folgt änderten: Bei allen neuen Papers, die von Pharma-Konzernen (mit-)finanziert waren, musste neben den pharmakologischen Reviewern eigens noch ein Statistiker die Inferenzen kontrollieren. Was war die Konsequenz? Weniger Papers mit Pharma-Funding wurden dort eingereicht.
Über einen einschlägigen Fall in der Naturwissenschaft habe ich übrigens vor einer Weile geschrieben: Unmoralischer Moralforscher?
@Stephan Schleim
Ich denke, es wird immer eine Möglichkeit der Manipulation geben. Was man versuchen muss, ist, diesen Möglichkeitsrahmen einzugrenzen. In der Naturwissenschaft, speziell in der Biologie, gibt es bereits einen – ich möchte es nicht Trend nennen – kleinen Ruf nach Mitpublikation der Rohdaten. Ich habe z.B. über ein Journal gelesen, welches nur Arbeiten publiziert, denen die Rohdaten angehängt sind. Ich finde den entsprechenden Artikel gerade aber leider nicht wieder.
Eine mögliche Schwachstelle ist natürlich auch die ehrenamtliche Arbeit des Peer-Reviewers, der ja quasi ohne Gegenleistung und “nur” des guten Willens eingereichte Manuskripte prüft. Und da ein Journal so gut wie keine Auskünfte über diesen Prozess gibt, kann man hier über mögliche Probleme nur mutmaßen.
Angeblicher Status Quo ist, dass eingereichte Manuskripte von kompetenten Wissenschaftlern des gleichen Faches geprüft werden. Wie genau – weiß man nicht. Hier bedarf es einer Prozessoptimierung mit z.B. bezahlten und kompetenten Kräften, die die Arbeit des ehrenamtlichen Peer-Reviewers übernehmen könnten. Es stellt sich dann allerdings die Geldfrage.
Dein Beispiel aus der pharmakologischen Forschung zeigt, was noch getan werden kann, um korrekte Ergebnisse zu garantieren. Man sollte so etwas gesetzlich festlegen. Ob das allerdings geht und wie, weiß ich nicht. Es wäre allerdings wünschenswert, da so u.a. das negative Image von klinischen Phasen, die oft von Pharmafirmen begleitet werden, entgegengewirkt werden könnte. Nicht alle Pharmafirmen haben nämlich immer Dreck am stecken, wie doch oft behauptet wird.