Genomweite Assoziationsstudien: Bewährtes Mittel oder Geldverschwendung?

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Zwischen Molekularbiologie und Medizin
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Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) sind heutzutage ein Mittel in der Wissenschaft, um Abschnitte auf der DNA mit einer Krankheit in Verbindung zu bringen. Das Prinzip dahinter ist recht simpel: Man nehme die Genomdaten von tausenden gesunden und kranken Menschen und vergleiche sie miteinander. Als Ergebnis erhält man Zahlenverhältnisse, die beschreiben ob eine spezifische Stelle im Genom öfter bei Kranken im Vergleich zu Gesunden verkommt oder nicht. Ist ersteres der Fall, so spielen diese Stellen in der DNA möglicherweise eine Rolle in der Krankheitsentstehung und -förderung. Auf diese Art und Weise kann man Abschnitte im Erbgut identifizieren und sie durch weitere Forschung auf ihre genaue Krankheitsrelevanz prüfen. So weit, so gut.

Die beiden Fronten

Seit über 5 Jahren werden in der biomedizinischen Forschung solche Studien durchgeführt, die erst seit der Entschlüsselung des Humangenoms und sinkenden Sequenzierungskosten des Erbguts möglich sind. Während sich Wissenschaft also weiterentwickelt, scheiden sich daran – wie so oft – die Geister: Eine Lagerbildung hat nämlich dafür gesorgt, dass es Befürworter und Ablehner genomweiter Assoziationsstudien gibt. Während das eine Lager behauptet GWAS würden nichts taugen, da die Statistik dahinter nichtsaussagend sei und solche Studien bisher noch keine Erfolge vorzuweisen hätten, führt das andere Lager GWAS durch und setzt sie als bewährtes Mittel zur Identifizierung von Krankheitsauslösern ein. Wem kann man nun glauben?

Diverse GWA-Studien haben bisher zur Identifizierung 2000 krankheitsrelevanter Stellen im Genom geführt und so zahlreiche neuen Forschungsprojekten den Weg bereitet, um Erkrankungen weiter zu charakterisieren. So konnten etwa Daten generiert werden, die das Verständnis von Autoimmun- und Stoffwechselerkrankungen gefördert haben und dies weiterhin tun.

Dagegen stehen Argumente, die die Finanzierung solcher Studien anprangern, da angeblich ein schlechtes Kosten/Nutzen-Verhältnis dafür sorge, dass viel Geld für nichts aus dem Fenster geschmissen würde. GWAS verkommen so zu Geldschleudern, die angeblich kein nützliches Wissen produzieren. Dennoch steigt von Jahr zu Jahr die Anzahl durchgeführter genomweiter Assoziationsstudien an und in diesem Sinne geförderte Projekte, wie etwa das Großprojekt “HapMap”, werden durch Gewinnung wichtiger Erkenntnisse in der Biomedizin als erfolgreich bewertet.    

Ein Paradox bei dem zu bedenken ist, dass Studien dazu da sind, um Wissen zu generieren. Es anzuwenden ist eine ganz andere Sache und der zweite Schritt, der folglich dann erst noch getan werden muss!

Die Ablehnung von GWAS geht also in weiten Teilen mit dem Ignorieren oben erwähnter  Forschungserfolge einher, aber auch mit dem mangelndem Wissen, wie Wissenschaft und Forschung im biomedizinischen Sektor funktioniert.
 
Basics: Personalisierte Medizin und SNPs

Das Ziel von genomweiten Assoziationsstudien ist es sogenannte Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNPs) zu identifizieren. Dabei handelt es sich um nichts anderes als einzelne Veränderungen in den DNA-Bausteinen, die teilweise für nicht richtig funktionierende Proteine oder Proteinregulationen verantwortlich sind, wodurch Menschen krank werden können. DNA-Sequenzen von Menschen sind nämlich nicht immer gleich. So können sich diese an einzelnen Stellen unterscheiden, was man eben als Einzelnukleotid-Polymorphismus oder kurz SNP bezeichnet.

DNA-Sequenzen von Menschen sind nicht immer gleich. So können sich diese an einzelnen Stellen unterscheiden. Dies bezeichnet man als Einzelnukleotid Polymorphismus oder kurz SNP.

Zur Zeit wissen wir, dass es über 10 Millionen solcher Stellen in unserer DNA gibt, was allerdings nicht zwingend negative Effekte auf uns Menschen ausüben muss. Der zweite wichtige Faktor ist nämlich, wo genau sich im Genom so ein SNP befindet. Selbst dies lässt sich aber mittlerweile herausfinden und so in weiten Teilen  Aussagen darüber treffen, was krankheitsrelevant sein könnte und was nicht. Weitere Forschung muss dies dann letztendlich determinieren. GWAS sorgen also dafür, dass der Wissenschaft neue Forschungsansätze geliefert werden.

Wir wissen nun, dass SNPs Krankheiten fördern und auslösen können. Wie kann man dieses Wissen gezielt einsetzen? Hier kommt man nun zwangsläufig auf die personalisierte Medizin zu sprechen. Zum Einen sorgt die Identifikation von SNPs dafür, das man Krankheiten eine genetische Komponente zuordnen kann, was dann ferner der Entwicklung einer Therapie dient, zum Anderen weiß man heute, dass gewisse Medikamente bei manchen Menschen besser wirken als bei anderen. Grund dafür ist, dass Substanzen besser oder schlechter funktionieren, je nachdem wie der Mensch genetisch bestückt ist. Medikamente können also – je nach SNP – maßgeschneidert werden und so besser wirken.

Die Wichtigkeit dieses Phänomens wird am Protein Cytochrom P450 ersichtlich. Dieses kommt in unserem Organismus der Funktion eines Enzyms nach und oxidiert rund 90% aller heute eingesetzten Medikamente, die meistens so erst wirken können. Verschiedene SNPs im Gen für das Cytochrom wurden bisher identifiziert, die zu einer veränderten Wirkung verschiedener Medikamente führen können, die damit interagieren. Es kann so besser, schlechter oder garnicht ansprechen.

Dieses Teilgebiet der Pharmakogenetik, wie also Medikamente aufgrund der DNA-Eigenschaften  eines Menschen wirken und funktionieren, ist ein äußerst wichtiger Bestandteil der Biomedizin geworden und sorgt für einen genaueren Blick auf den Wirkmechanismus von Pharmaprodukten.

Weitere Ergebnisse und Erfolge

Ein erstes wichtiges und auch erstaunliches Ergebnis von GWAS war die Entdeckung, dass SNPs nicht immer in proteinkodierenden Regionen liegen. Nur circa 2% unserer DNA generiert nämlich Proteine, die für die Lebenserhaltung unseres Körpers wichtig sind. Die übrigen 98% wurden in der Vergangenheit teilweise als Schrott bezeichnet, da ihnen keine Funktion zugeordnet werden konnte. Mittlerweile weiß man aber und dies dank genomweiter Assoziationsstudien, dass sich in diesem 98% Schrott DNA-Abschnitte befinden, die für das Zustandekommen von sogenannten microRNAs wichtig sind. Dies sind Moleküle, die an die DNA binden können und so eine Proteinregulation ermöglichen. Aus dem Schrott wurde also prompt ein wichtiger Faktor für das An- und Aussschalten unserer Gene. Dies ist wichtiges Wissen für Wissenschaftler, da sie so Stoffwechselweg besser nachvollziehen können. 

Diese Entdeckung war zudem eine sehr wichtige Erkenntnis, da man so den strikten Fokus von den Genen nahm und der Schrott-DNA mehr Aufmerksamkeit schenkte. Nicht mehr nur Gene waren verantwortlich für das Ausprägen einer Erkrankung, sondern auch die DNA-Sequenzen, die keine Gene sind. Dies ist eine der wichtigsten Erkenntnisse in der Biologie und der Medizin mit Hilfe derer man bis heute hunderte microRNAs identifiziert hat, die den Ausbruch einer Krankheit fördern. Dies kam vor allem der Krebsforschung zugute. Neue therapeutische Mittel befinden sich dadurch auf dem Weg.

Ein Blick in die Zukunft

Stetig sinkende Kosten im Technologiesektor und neue Geräte und Methoden werden es möglich machen Genome in Zukunft schneller, besser und billiger zu sequenzieren. Genomweite Assoziationsstudien sollten deswegen aussagekräftiger, genauer und umfassender werden, da man mehr Daten zum Auswerten hat. Man darf sich allerdings nicht die Hoffnung machen, dass auf Anhieb ein neues Medikament aus dem Hut gezaubert wird, wenn man ein Krankheitsgen identifiziert hat, welches möglicherweise als neuer Therapieansatz gilt. So funktioniert Wissenschaft einfach nicht. Ich wiederhole es immer wieder gerne, dass ein Krebsmedikament zwischen 10-15 Jahre braucht, um auf den Markt zu kommen. Ähnliche Zeiträume gelten für andere Medikamente auch.

Ein unmittelbarer Effekt von GWAS sind also zuerst Erkenntnisse, dass gewisse Abschnitte auf der DNA die Entstehung einer Krankheit fördern können. Dieses Wissen kann dann ferner dazu eingesetzt werden, Forschungsschwerpunkte zu setzen und zu verlagern, um solche Gene oder ehemalige Schrott-Sequenzen  genauer zu erforschen oder Medikamentenbehandlungen anzupassen. Der richtige Nutzen von genomweiten Assoziationsstudien dürfte also frühestens in 10 Jahren zu sehen sein, obwohl dies ja nicht ganz zutrifft. Wie oben nämlich bereits angemerkt, setzen GWAS bereits heute wichtige Eckpfeiler in der Erforschung von Krankheiten und kommen Patienten schon heute zu Gute.

 

 


Quellen:

  • Five Years of GWAS Discovery – Visscher, Peter M.; Brown, Matthew A.; McCarthy, Mark I.; Yang, Jian -American journal of human genetics, doi:10.1016/j.ajhg.2011.11.029 (volume 90 issue 1 pp.7 – 24)

Bildquelle:

Weiterführende Literatur und Seiten:

  • About the HapMap
  • SNP Fact Sheet
  • GWAS Central: A centralized compilation of summary level findings from genetic association studies, both large and small
  • db SNP: Archive for short genetic variation
  • A Catalog of Published Genome-Wide Association Studies
  • 1000 Genomes: A Deep Catalog of Human Genetic Variation
  • Magnus Ingelman-Sundberg, Sarah C. Sim, Pharmacogenetic biomarkers as tools for improved drug therapy; emphasis on the cytochrome P450 system, Biochemical and Biophysical Research Communications, Volume 396, Issue 1, 21 May 2010, Pages 90-94, ISSN 0006-291X, doi:10.1016/j.bbrc.2010.02.162
  • JOSEPH P. KITZMILLER, DAVID K. GROEN, MITCH A. PHELPS and WOLFGANG SADEE, Pharmacogenomic testing: Relevance in medical practice: Why drugs work in some patients but not in others Cleveland Clinic Journal of Medicine 2011; 78(4):243-257; doi:10.3949/ccjm.78a.10145

 

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Sebastian Reusch ist Naturwissenschaftler und studierte Biologie mit den Schwerpunkten Zell- und Entwicklungsbiologie, Genetik und Biotechnologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Danach arbeitete er am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin an molekularbiologischen Prozessen des Immunsystems. Derzeit promoviert er am IRI Life Sciences der Humboldt-Universität zu Berlin an grundlegenden Fragen der Zellbiologie und Biochemie des Tubulin-Zytoskeletts in Stammzellen. Seine Schwerpunktthemen hier im Blog sind Molekularbiologie und Biomedizin. Twitter: @MrEnkapsis

7 Kommentare

  1. GWAS wie Sky Survey

    wenn der 1000Dollar DNA-Sequencer kommt -und er kommt – dann wird wohl das Genom von Millionen von Menschen durchforstet. Natürlich wird das zu neuen Erkenntnissen führen -genau so wie Himmelsdurchmusterungen. in der Wikipedia liest man zur Sloan Digital Sky Survey: “Die Arbeit am SDSS hat neben der großräumigen Kartierung eine Reihe weiterer – und von den Initiatoren seinerzeit nicht geplanter – Ergebnisse gebracht”. Das gilt auch für GWAS. Daneben (neben GWAS)kann und wird es auch ganz andere Ansätze in der Genomforschung geben,beispielsweise die genetische Aufklärung ganzer biologischer Subsysteme wie dem Immumsystem. Wer sich gegen GWAS wendet, wendet sich wahrscheinlich gegen die zunehmende Bedeutung genetischer Erkenntnisse überhaupt.

  2. “GWAS sorgen also dafür, dass der Wissenschaft neue Forschungsansätze geliefert werden.”

    -> Das ist richtig und wichtig. Nur der einfache Schluß von der Krankheit zurück auf ein Gen erschließt sich dadurch nicht zwangsläufig. Wie die Krankheit ein Symptom sein kann, so kann es auch das veränderte Gen sein, dass aufgrund von bisher unbekannten Ursachen eben “gleichzeitig” mit Krankheit auftritt – und nicht unbedingt die Ursache von der Krankheit ist.

    In den populären Medien wird jedoch geradezu beschwört, das es ja nur am Gen liegen kann.

  3. @Martin Holzherr: Schöne Analogie, die merke ich mir mal! Kritiker von GWAS mögen sich sicherlich im gewissen Maße gegen genetische Erkenntnisse wenden, dies kann ich aber bis zu einem bestimmten Punkt verstehen. Schließlich spielen nicht nur Gene eine Rolle in unserem Körper, sondern auch deren Umgebung, wobei man dann bei der klassischen Nature versus nurture-Frage ankommt. Was für eine Auswirkungen verschiedene Umgebungen auf Gene haben, kann man allerdings mit Zwillingsstudien untersuchen…die dann wiederum auch kritisiert werden. Man sieht, man kann es nicht allen Recht machen.

    @C.G: Vollkommen richtig! Ein bestimmter Genotyp muss nicht zwingend für eine Krankheit verantwortlich sein. Um also eine definitive Aussage treffen zu können, muss man SNPs ferner untersuchen, was ja der zweite notwendige Schritt an der ganzen Sache ist. Es kommt auch durchaus mal vor, dass Gene überhaupt keine Rolle bei einer Erkrankung spielen, sondern von mir im Artikel erwähnte miRNAs von denen in den Medien durchaus wenig zu hören ist.

  4. @C.G: Addendum

    Was ich noch vergessen habe zu sagen: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein SNP mit einer Erkrankung assoziert werden kann, ist umso höher, je mehr Genomsätze man hat in welchen ein spezifischer SNP gehäuft zu finden ist. Aus diesem Grund benutzt man ja die Genomdaten von tausenden von Menschen. Der von dir beschriebene Effekt, dass ein SNP nur zufällig mit einer Krankheit auftritt, ist nur dann zu finden, von für eine GWAS nur wenig Genomdaten eingesetzt werden bzw. SNPs eine untergeordnete Rolle bei einer Krankheit spielen.

  5. Das ist schon eine interessante Entwicklung.
    Aber was ist denn, wenn es zukünftig tatsächlich möglich sein sollte,durch GWAS die Veranlagung für Krankheiten derart zu entschlüsseln? Sicher ist es dann wichtig zu bedenken, was das neben der “maßgeschneiderten Therapie” für Konsequenzen haben könnte.
    Teurere Versicherung für Menschen mit “schlechteren” Genen, oder Einfluss auf die Familienplanung….

  6. @Anne Passarge

    Du stößt da eine ziemlich interessante Überlegung an! Menschen können ja generell nichts für ihre genetische Ausstattung, da sie schlichtweg von den Eltern abhängt und wie diese u.a. auch leben. Ergo, teurere Versicherungen würden auf jeden Fall diskriminieren und deswegen spekuliere ich mal, dass es sowas nicht geben würde, da ja Gene letztendlich nicht der einzige Faktor sind, der beim Ausbruch einer Krankheit eine Rolle spielt. Da muss man schon das “große Ganze” inklusive Lebensstil betrachten. Aus diesem Grund produzieren GWAS eben keine definitiven Antworten, sondern liefern vielmehr Ansätze für weitere Forschung. Teurere Versicherungen wären daher der falsche Weg!

    Die Familienplanung wiederum würde dies ganz sicher beeinflussen. Da schweben mir gerade so Fragen vor wie “wie hoch ist deine Veranlagung an irgendwas zu erkranken”…”ach wie, so hoch?”…”nee, das könnte ich unserem Kind nicht antun!”. Menschen würden wohl viel mehr darauf achten, den richtigen Partner zu finden und das Kinderkriegen würde man nicht mehr so dem Zufall überlassen. Das kommt dann ganz auf den Charakter der Menschen an, ob sie alles so genau wissen und planen wollen würden. Das finde ich aber irgendwie langweilig.

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