Nationalismus für Einsteiger

Das Bild, das die Linguistik von der Sprache zeichnet, befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. In einem Beitrag in der Februar-Ausgabe von “Spektrum der Wissenschaft” haben Paul Ibbotson und Michael Tomasello gezeigt, wie die vorrangig auf festen Regelsystemen beruhende frühere Deutung sprachlicher Strukturen durch eine gebrauchsbasierte ersetzt werden kann. Ein solches neues Bild der Sprache hat nicht nur vielfältige Konsequenzen für alle Bereiche der Linguistik, sondern wirkt sich auch auf die gesellschaftliche Sicht auf Sprache aus, die sich in sprachpolitischen Programmen niederschlägt. Dieser Beitrag erklärt, warum das Bild der Sprache jetzt so wichtig ist, um die Vereinnahmung des Deutschen für nationalistische Politikentwürfe zu durchkreuzen.

In diesem Herbst ist Bundestagswahl. Ich habe mir deshalb einmal die Grundsatzprogramme all derjenigen Parteien angesehen, die gute Chancen haben, im nächsten Bundestag vertreten zu sein. Mich hat dabei interessiert, was sie zum Thema Sprache zu sagen haben. Die CDU mit ihrem Grundsatzprogramm von 2007 und die Grünen (2002) markieren in dieser Hinsicht bei den etablierten Parteien die deutlichsten Positionen: Beide betonen die Bedeutung der Sprache für das öffentliche Leben in Deutschland und die Bildung, und beide Parteien bekennen sich zu ihrer Verantwortung für das Deutsche, ohne dies näher auszuführen. Die CDU erwähnt darüber hinaus auch die Notwendigkeit islamischer Religionslehre in deutscher Sprache, die Deutsch-Vermittlung im Ausland durch die Goethe-Institute und ganz generell die Bedeutung der deutschen Sprache für die Identität des Landes. CSU (2016), SPD (2007) und FDP (2012) beschränken sich auf allgemeine Feststellungen zur Rolle des Deutschen für das öffentliche Leben oder die Teilhabe daran durch Migranten, die FDP und die Grünen weisen explizit auf die Wichtigkeit von Mehrsprachigkeit hin. Auch andere Sprachen kommen in einigen Parteiprogrammen vor: So sprechen sich Die Linke (2011) in ihrer einzigen sprachbezogenen Position und auch die Grünen für den Schutz von Minderheitensprachen aus, während dies in ähnlicher Form die CSU für die deutschsprachigen Minderheiten in den ehemaligen deutschen Ostgebieten tut.

Die deutsche Sprache im Grundsatzprogramm der AfD

Die siebte Partei, die in den nächsten Bundestag einziehen könnte, ist die AfD. Ihr Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2016 bietet ein ganz anderes Bild als das der etablierten Parteien gleich welcher Couleur. Zwar ist darin, bis auf die Förderung von Mehrsprachigkeit, das gesamte Spektrum von Positionen enthalten, wie sie auch in den Programmen der anderen Parteien zu finden sind. Darüber hinaus entwickelt die AfD in ihrem Programm jedoch eine Agenda für eine eigenständige Sprachpolitik, die in sechs Punkten zusammengefasst werden kann: Das Deutsche soll als Staatssprache ins Grundgesetz aufgenommen werden, Deutsch soll auch in der täglichen Verwaltungspraxis EU-Sprache werden, die “Ersetzung” des Deutschen aufgrund einer “falsch verstandenen ‘Internationalisierung’ durch das Englische” (S. 47) und die “Verunstaltung der deutschen Sprache” (S. 55) durch “behördlich verordnete geschlechterneutrale Worterfindungen” (ebd.) sei zu stoppen und das Deutsche als Lehrsprache an Hochschulen zu erhalten. Schließlich wird gefordert: “Die Digitalisierung der deutschen Literatur ist eine von Deutschland zu leistende, hoheitliche Aufgabe”, die professionell “durch Experten für deutsche Sprache und Literatur” (S. 70) zu leisten sei. Eine Kurzversion dieser sprachpolitischen Agenda findet sich auch im Wahlprogramm der AfD, das gestern veröffentlicht wurde.

Was hat das zu bedeuten? Das Hauptziel der AfD dürfte die Aufnahme des Deutschen als Staatssprache ins Grundgesetz sein. Daraus ließen sich konkrete Gesetzgebungsinitiativen ableiten, die die anderen Programmpunkte umzusetzen erlaubten. Es fällt auf, dass insbesondere diese Partei, die sich als eine neue, sich den Interessen der Deutschen besonders verpflichtet sehende politische Kraft begreift, diese so weitgehenden sprachpolitischen Positionen vertritt. Die Betonung des Deutschen scheint dabei die positive Entsprechung zu sein zu den Programmpunkten, die eher den Charakter einer Abwehr von äußeren Bedrohungen besitzen: gegen Einwanderung, den Islam, den Euro und das Gender-Mainstreaming. Dieser von außen über Deutschland gekommenen Unbill soll mit der deutschen Sprache offenbar das unstrittig Ureigene entgegengesetzt werden.

Die eigene Sprache als das Nationale light

Claus Leggewie hat kürzlich den Erfolg der europäischen Populisten mit einem ins Kulturelle verschobenen Klassenkampf erklärt. Dieser Kampf wird nicht wie früher zwischen den Arbeitern und ihren bürgerlichen Ausbeutern ausgetragen, und er kann daher auch nicht auf die alten Kampfbegriffe zurückgreifen. Stattdessen tobt er zwischen den Gewinnern von Globalisierung und Modernisierung auf der einen Seite und denjenigen, die sich davon irgendwie ausgeschlossen fühlen, auf der anderen. In der postmodernen Identitätspolitik der ersteren haben Begriffe wie “Nation” und “sprachliche Identität” keinen Platz mehr, weshalb sie so bereitwillig von rechtspopulistischen Bewegungen aufgegriffen werden. Und über Forderungen zur deutschen Sprache politische Anliegen zu vermarkten ist für die AfD auch deshalb zweckmäßig, weil Sprache ein so unbelasteter, durch und durch positiv konnotierter Begriff ist, der auch bei Wählergruppen verfängt, die weniger empfänglich sind für offen nationalistische Forderungen. Ja, die deutsche Sprache wird hier für die Renationalisierung der deutschen Politik eingespannt und fungiert dabei gewissermaßen als das Nationale light.

Dies funktioniert allerdings nur dann so richtig gut, wenn die sprachpolitischen Forderungen auf einem Bild von Sprache beruhen, das zu dieser allgemeinen politischen Agenda auch tatsächlich passt. Es ist das Bild von der Sprache als ein Park, der zu pflegen ist, damit er nicht verwildert. Dieser Park ist ein uns von unseren Vorfahren übergebenes Kulturgut, und er bietet den heimischen Wort-Pflanzen eine geschützte Heimstatt. Bedroht ist er, wenn Pflanzen eingeschleppt werden, die nicht zu diesem Sprach-Biotop passen und womöglich die heimischen Pflanzen verdrängen. Der Park ist vor allem für die Bürger in der Umgebung gedacht, und wenn jemand von außerhalb kommt, darf er zwar hinein, muss sich aber an die Parkordnung halten. Campieren, Grammatik-Bäume fällen oder Wort-Setzlinge pflanzen ist nicht erlaubt. Das Sprach-Gartenamt kontrolliert den Park in regelmäßigen Abständen und schreitet ein, wenn es geboten erscheint.

Das neue Bild der Sprache

Dies ist nicht das Bild der Sprache, das die Linguistik heute zeichnet. Das gebrauchsbasierte Bild der Sprache, wie es Ibbotson und Tomasello in dem erwähnten Beitrag beschreiben und das sich immer mehr durchsetzt, lässt sich eher mit einem Gewässer vergleichen, das uns alle mit seinem Wort-Wasser umgibt. In ihrer Gesamtheit verändern die Lebewesen in diesem Gewässer nach und nach seine Zusammensetzung durch ihren sprachlich-kulturellen Stoffwechsel, aber einzelne oder auch ganze Gruppen von Lebewesen schaffen es nicht, selbst wenn sie es sich vornehmen, die Zusammensetzung des Sprach-Wassers in ihrem Sinne zu steuern. Dazu gibt es viel zu viel Wasser und umrühren können es die Lebewesen auch nicht. Glücklicherweise gibt es sprachbiochemische Prozesse, die das Gewässer immer wieder ins kommunikative Gleichgewicht bringen. Verschiedene Gewässer sind miteinander verbunden, und so kommt es zu Strömungen und zu Wanderungen der Lebewesen in den Sprach-Gewässern. Diese wirken sich nach und nach auch auf die Zusammensetzung des Wort-Wassers aus. Alles zusammen, das Wasser, die Lebewesen und das Gewässer selbst mit seinen Eigenschaften bilden ein Ökosystem, das sich immer wieder auspendelt und dann optimal auf das kommunikative Lebensumfeld eingestellt ist.

Sprachwissenschaftlich formuliert nimmt das gebrauchsbasierte Bild der Sprache die reale Sprachverwendung ernst und untersucht sie in großen Textkorpora. Dabei findet die Linguistik Varianz auf allen Ebenen der Sprache und ihrer Verwendung. Strukturen werden nicht durch starre Regelwerke beschrieben, sondern durch Konstruktionen, die sich im Gebrauch verfestigen oder abschwächen. Die gebrauchsbasierte Linguistik zeichnet also ein Bild der Sprache, das erstaunlich gut zu unserem Bild einer pluralistischen Gesellschaft passt, in der auf der Grundlage einer freiheitlich-demokratischen Ordnung Entwicklungen stattfinden, ohne dass diese zentralistisch gesteuert wären. Die Bürgerinnen und Bürger des Landes bestimmen dessen Geschicke, und die Politik formt und artikuliert die damit einhergehenden Interessen.

Die deutsche Sprache lässt sich nicht in den Dienst von nationalistischen Programmen stellen, denn ein solches Bild der Sprache entspricht nicht ihrem inhärent pluralistischen und demokratischen Charakter.

 

Hinweis: Dieser Beitrag ist in leicht veränderter Form auch auf Spektrum.de und über Zeit online veröffentlicht worden.

Beitragsbild: Plenarsaal des Bundestags, CC BY-SA 3.0, Quelle: Wikipedia, Bearbeitung: Ausschnitt

 

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www.lobin.de

Henning Lobin ist seit 2018 Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim (Mitglied der gemeinsam vom Bund und allen 16 Bundesländern finanzierten Leibniz-Gemeinschaft) und Professor für Germanistische Linguistik an der dortigen Universität. Zuvor war er ab 1999 Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Forschungsschwerpunkte bilden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Sprache, Texttechnologie, Grammatik, Wissenschaftskommunikation und Politolinguistik. Er ist Sprecher der Sektion "Geisteswissenschaften und Bildungsforschung" und Präsidiumsmitglied der Leibniz-Gemeinschaft, Mitglied germanistischer Fachbeiräte ua. von DAAD und Goethe-Institut, er war Mitglied des Forschungsbeirats der Stiftung Wissenschaft und Politik und des Fachkollegiums Sprachwissenschaft der DFG. Lobin ist Autor von neun Monografien und hat zahlreiche Sammelbände herausgegeben. Zuletzt erschienen sind Engelbarts Traum (Campus, 2014, polnische Übersetzung 2017, chinesische Übersetzung 2018), Digital und vernetzt. Das neue Bild der Sprache (Metzler, 2018) und Sprachkampf (Duden, 2021). Bei den SciLogs ist Henning Lobin seit 2014 Autor des Blogs "Die Engelbart-Galaxis", nachdem er dort bereits ab 2008 am Gruppenblog "Interactive Science" beteiligt war.

14 Kommentare

  1. Variante :

    Die deutsche Sprache lässt sich in den Dienst von nationalstaatlichen Programmen stellen, denn ein solches Bild der Sprache entspricht ihrem inhärent pluralistischen und demokratischen Charakter.

    Nationalstaatlichkeit, die Nation und das Volk, das Staatsvolk meinend, ist erfrischend klar im bundesdeutschen Grundgesetz, das auf sozusagen völkische (hier mal negativ konnotiert gebraucht, diesen deutschen adjektivistischen Begriff für die Nation) Elemente verzichtet, formuliert. [1]


    Es geht bundesdeutsch und von höchster Stelle verbreitet um die Auflösung von Nationalstaaten [2] und in diesem Zusammenhang soll auch anzunehmenderweise die deutsche Sprache relativiert bis zersetzt werden.

    Ist doch gar nicht schlimm dies öffentlich zuzugeben, oder?

    MFG
    Dr. Webbaer (der im Abgang vorsichtshalber noch erklärt weder Deutscher zu sein, noch politisch rechts zu stehen)

    [1]
    Vgl. auch mit diesem Jokus :
    -> ‘Das Volk ist jeder, der in diesem Lande lebt’ (ein ‘Jokus’, denn bspw. ein Tourist in der BRD würde nicht einmal der sogenannten Bevölkerung zugerechnet werden können) – Dr. Angela Dorothea Merkel

    [2]
    Mit diesem (rassistischen?) Zitat hat es sich Dr. Wolfgang Schäuble mit dem Schreiber dieser Zeilen entscheidend verscherzt :
    -> ‘Abschottung würde Europa in Inzucht degenerieren lassen.’

    (Quellen gerne jeweils selbst heraussuchen.)

    • Es geht bundesdeutsch und von höchster Stelle verbreitet um die Auflösung von Nationalstaaten [2] und in diesem Zusammenhang soll auch anzunehmenderweise die deutsche Sprache relativiert bis zersetzt werden.

      Verschwörungswahn?
      Sprache lebt; Anglizismen verbreiten sich schon wegen der technisch-wissenschaftlichen Entwicklung, weil Englisch nun mal die lingua franca dafür geworden ist.
      Die Französin muss(te) ‘ordinateur’ sagen, wo die Japanerin ‘kompiuuta’ sagt.

      • @ Kommentatorenkollege ‘wereatheist’ :

        ‘Gebrauchsbasierte Linguistik’ auf die Deutsche Sprache bezogen bedeutet halt die (teilweise?) Auflösung dessen, was das Deutsch-Sein ausmacht, die Sprache macht dieses großteilig (“zu einem großen Teil”) aus, und bspw. “Kanak Sprak”, Rapper-Doitsch und was es da noch so alles gibt, könnte alternativ zur positiven Annahme auch (linguistisch) schlicht abgelehnt werden.

        Bereits bei der sogenannten gender-geschlechter-gerechten Sprache fragen sich einige, ob hier noch Deutsch (als Sprache) vorliegt.
        Die generischen Genera ignorierend.


        Ansonsten, …, dass die BRD in einem vereinigten Europa, in einer EU, aufgelöst werden soll, politisch, ist ja kein Geheimnis.
        Schon der “Dicke” hatte derartige Visionen, Dr. W fand’s damals auch gar nicht schlecht, diese Idee, weil er davon ausging, dass ein organisches Zusammenwachsen gemeint war, ohne Zwang und so, auch schön langsam und breit EU-weit akzeptiert, insbesondere auch: demokratisch.

        Dies glaubt Ihr Kommentatorenkollege, Kommentatorenkollege ‘wereatheist’, die EU meinend, nicht mehr bei Merkel und Schäuble et alii so feststellen zu können.

        Blöderweise wollen viele europäische Staaten, europäische, huch, Völker, dies nicht.
        Und es scheint ja auch “den Bach runterzugehen”, dbzgl. Vorhaben, hier und heute.

        MFG
        Dr. Webbaer (der hier den pol. Zusammenhang noch ein wenig ausgebreitet hat, aus seiner Sicht, hoffentlich störte dies nicht allzu sehr)

  2. Der Gebrauch der deutschen Sprache hat in den letzten 100 Jahren nicht zu mehr Pluralismus, sondern zum zunehmenden Verschwinden lokaler Dialektfärbungen geführt. Die Nation hat also über die Region gewonnen. Würde sich dieser Prozess europaweit fortsetzen sprächen vielleicht alle schlussendlich Englisch. Das ist allerdings nicht zu erwarten, denn es gibt immer noch keine europäische Identität. Allenfalls ist zu erwarten, dass alle Europäer irgendwann neben ihrer Landessprache Englisch als Zweitsprache beherrschen und sie auch regelmässig zur Kommunikation mit Anderen inklusive der Migranten benutzen. So wie das in Indien schon der Fall ist. Die Forderung nach echter Mehrsprachigkeit hat meiner Ansicht nach wenig Realisierungschancen und entspringt wohl mehr einer Wunschvorstellung als einer möglichen Zukunft. Sollte die Bedeutung der Nationen zurückgehen, könnte die Zukunft der europäischen Sprachlandschaft wieder stärker der Situation im Mittelalter gleichen. Damals gab es viele regionale Dialekte und eine Kommunikationssprache: das Lateinische.

  3. Der Sprachnationalismus der AfD, die die deutsche Sprachen vor äusseren Bedrohungen schützen und als das “unstrittig Ureigene” bewahren will ist in Frankreich schon längere Zeit Realität. Dort gibt es ein ganzes Bündel von Gesetzen und Gremien, welche das Französische priorisieren und vor Amalgamisierung mit dem Amerikanischen schützen. Allerdings sieht Frankreich die französische Sprache nicht als etwas nationales, sondern als Ausdruck der französischen Zivilisation, welche ja nicht auf Frankreich beschränkt ist, sondern (mindestens) die ganze frankophone Welt umfasst.

    • Ohne in diese Diskussion einsteigen zu wollen: Hier ein Artikel aus der Welt von vor zwei Jahren zur Kehrtwende in der französischen Sprachpolitik. Man wolle nicht mehr “gegen Windmühlen kämpfen”, wie Alain Rey erklärt, der Herausgeber des „Historischen Wörterbuchs der Französischen Sprache“ und Mitglied der französischen Wortschatzkommission der Academie française, weshalb das gegen Anglizismen gerichtete Gesetz schon damals sang- und klanglos abgeschafft wurde. In Deutschland sind bei dieser Diskussion viele Halbwahrheiten über Frankreich im Umlauf.

  4. Sprach ist grundsätzlich ein Kulturgut, also auch die deutsche. Hätten unsere Politiker mehr getan, um das Bewußtsein eines Kulturgutes zu erhalten, dann bräuchte AfD dieses Feld nicht für sich geltend zu machen. Dazu gehört auch, dass die Geschichte und Entwicklung des Deutschen viel stärker in die Schulen kommt. Universitäten haben überhaupt kein Interesse mehr an der Geschichte unserer Sprache, weil man sich damit keine Sporen mehr verdienen kann. Selbst der Nachweis, dass die europäischen Sprachfamilien einen gemeinsamen eiszeitlichen Vorfahren hatten (das Glacial), der sich in vielen Worten tatsächlich erhalten hat, rührt niemanden. Ich habe langjährige Forschung in meiner Veröffentlichung “Sprechen wir noch Eiszeit?” zusammengefasst. Wer das Vermächtnis seiner Vorfahren verliert, verliert zugleich seine Zukunft

  5. Was Sprache ist, sollte nicht am Grünen Tisch entschieden werden.
    Die Wirklichkeit hat schon zugeschlagen.
    Hören Sie einmal zu, wenn sich Kindergartenkinder unterhalten.
    Das ist eine Mischung aus deutsch-türkisch-englisch.
    Hören Sie mal zu, wenn sich die Mütter dieser Kinder unterhalten.
    Das ist die gleiche Mischung, nur dass die Sätze länger sind.
    “Gehn wir Aldi”, das sagen heute Schüler , wenn sie bei aldi einkaufen gehen wollen.
    Es findet nicht nur eine Vermischung einzelner Wörter statt, sondern auch noch eine Vereinfachung der Grammatik. Es geht auch ohne Präpositionen.
    Das lässt sich nicht per Dekret steuern.
    Den Einfluss des Englischen begrüße ich sogar. Wenn Sie die Gebrauchsanweisungen vergleichen, ist die englische die kürzeste und verständlichste.

  6. Pingback:Zuckersüß 237 | Zuckerbäckerei

  7. Zum ‘Nationalismus’ noch kurz ein Bonus-Kommentar :

    A) Die Nation meint ein Geboren-Sein und im übertragenden Sinne ein bestimmtes Geboren-Sein, ein Geboren-Sein in einem Verbund.

    B) Die vornehme (“vorzunehmende”) Aufgabe des hier gemeinten Primaten besteht darin in Verbunden zu existieren und in diesen Verbunden Kultur (besondere und gemeine, zu teilende Arbeit) zu übernehmen, Individuen sind hier gemeint.
    Kultur ist gut und hat sich (von anderer Kultur), auch im kompetitiven Sinne, anzusetzen; Komformität im Kulturellen wäre schlecht.
    (Insofern ist Dr. W auch Multikulturalist, sofern die Kulturen kompatibel (“mitleidend”) sind.)

    C) Der Kulturverbund, der oft die Nation meint, nicht notwendigerweise, es gibt hier wichtige oder wichtigste Ausnahmen, die Aufklärung ist z.B. ein Zusammenhalt supranationaler Bauart, ist wichtich (mittelniederdeutsch); ein besonderer Gag besteht darin, dass er Gewicht wie Wicht meint, dies nur am Rande notiert.

    D) Dieser Zusammenhalt kann nur ideologisiert werden, Im Sinne eines Lehrsystems, im Sinne eines Ismus.

    E) Ismen sind ein “heißes Eisen”, sie können falsch sein und fehl belehren, sie sind aber notwendig.

    F) Der Nationalismus ist ein derartig zu beschauendes Konstrukt (Dr. Webbaer ist zufällig Konstruktivist).

    G)
    Q: Ist der Nationalismus schlecht?
    A: “It depends.” – Es muss hier auf der Schiene “Nationalismus-Internationalismus (das nicht gerne genannte Antonym)” argumentiert werden.
    Moderater Nationalismus, der Patriotismus ist (erst einmal) moderater Nationalismus ist offensichtlich gut, der moderate Internationalismus ebenfalls, die EU ist an sich ein wundervolles supranationales Konstrukt.

    H) Insofern gilt es, wie so oft, einen Mittelweg zu finden und Extrema zu meiden.

    HTH (“Hope to Help”)
    Dr. Webbaer

  8. Wenn Sie die Gebrauchsanweisungen vergleichen, ist die englische die kürzeste und verständlichste.

    Besonders wenn sie in China mit Google übersetzt wurden.

  9. Mal die AfD vergessen. Was ist an den Forderungen so schlimm? Außer dass von der AfD herrühren?
    Sie , Herr Prof.Lobin, sagen richtigerweise Sprache lasse sich nicht zentralistisch verordnen.
    Und was passiert im Rahmen von Gender mainstreaming durch das Bundesgleichstellungsgesetz und entsprechende Ländergesetze? Eine Veränderung der Sprache gesetzlich angeordnet! Eigentlich müssten Sie der AfD zustimmen. Die will in diesem Punkt zumindestens keine zentralistische Regelung.

    Was ich auch nicht verstehe, wieso der neue gebrauchsorientierte linguistische Ansatz des Spracherwerbs nationalistischer Vereinnahmung des Deutschen entgegentrete? Warum nicht umgekehrt? Wenn das Deutsche etwas besonderes ist, was nur durch den Gebrauch entstehe, dann müsste es doch besonders schützenswert sein! Kann man doch genauso behaupten!

    Sorry , Sie vermischen Wissenschaft mit Ihrer politischen Einstellung. Der ganze Artikel wirkt verkrampft und vieles ist unlogisch. Ich hoffe, Sie sind wegen dieser offenen Meinung meinerseits nicht verärgert.Sprachwissenschaft ist faszinierend und Personen, wie Sie haben meine Bewunderung. Nur das ist ein politischer Artikel. Keiner nimmt es Ihnen übel, wenn Sie sich gegen die AfD s aussprechen, dann aber bitte mit sachlichen Argumenten!

    Und: So neu ist das Konzept des Sprachgebrauches und seiner dadurch verursachten Veränderungen auch nicht. Das meine ich zu kennen, seitdem ich mich für so etwas interessiere ( möchte aber nicht ausschließen etwas falsch verstanden zu haben, bin letztlich kein Sprachwissenschaftler).

    Und wieso ist das Deutsche inhärent ( was ist das?), demokratisch und pluralistisch? Ist das nicht politisches Wunschdenken.? Das Deutsche hat viele französische Wörter, gebräuchlich im Bürgertum und der Oberschicht, aus dem Sprachgebrauch wieder entfernt, als die Deutschen nicht in einer Demokratie lebten und die Gesellschaft nicht pluralistisch war?

    • Vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar.
      Schlimm sind diese Forderung keineswegs, aber symptomatisch für die AfD. Es ist ja auffällig und interessant, dass die AfD in ihrem Parteiprogramm, wie im Beitrag beschrieben, so weit über das hinausgeht, was die anderen Parteien fordern. Da kann man nach den Gründen fragen und Erklärungen dafür anbieten.

      Sie , Herr Prof.Lobin, sagen richtigerweise Sprache lasse sich nicht zentralistisch verordnen.
      Und was passiert im Rahmen von Gender mainstreaming durch das Bundesgleichstellungsgesetz und entsprechende Ländergesetze? Eine Veränderung der Sprache gesetzlich angeordnet! Eigentlich müssten Sie der AfD zustimmen. Die will in diesem Punkt zumindestens keine zentralistische Regelung.

      Sie vermischen hier zwei unterschiedliche Dinge, wie ich meine. Gender Mainstreaming ist eher eine allgemeine Strategie für Organisationen mit gleichstellungspolitischen Zielen, zu der ich weder etwas gesagt noch aus dem AfD-Parteiprogramm etwas zitiert habe. Gleichstellung ist ein Punkt, der sich in der Tat auch sprachlich niederschlägt oder niederschlagen sollte, nur schreibt das Bundesgleichstellungsgesetz außer einer sehr allgemeinen Empfehlung (“sollte”) in § 4 Abs. 3 genauso wenig zur sprachlichen Umsetzung vor wie das Gleichberechtigungsgesetz meines eigenen Bundeslandes Hessen.
      Trotzdem finde ich es richtig, bei Bezug auf konkrete Personen oder Personengruppen beide Geschlechter zu nennen. Es ist aufgrund von psycholinguistischen Experimenten seit geraumer Zeit bekannt, dass die Bezeichnung nur der männlichen Form zu anderen Bewertungen und Auswahlentscheidungen bei Versuchspersonen führt, und außerdem wünschen sich sehr viele Frau es sich auch selbst, konkret mitgenannt zu werden. Insofern hat das nichts mit Sprachplanung zu tun, sondern mit Sprachverwendung, die der gesellschaftlichen Wirklichkeit Rechnung trägt.
      Sie haben natürlich recht damit, dass mein Beitrag eine deutliche politische Note enthält. In Blogs schreibt man ja auch keine Fachbeiträge, sondern erwartet genau dies – zumal ich meinen Beitrag in der Kategorie “Standpunkt” publiziert habe. Von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wird ja immer wieder explizit gefordert, dass sie sich nicht in ihren “Elfenbeinturm” zurückziehen, sondern Meinungen vertreten und Stellung beziehen. Genau das tue ich mit derartigen Beiträgen in meinem Blog.

      So neu ist das Konzept des Sprachgebrauches und seiner dadurch verursachten Veränderungen auch nicht.

      Vielleicht geht das aus meiner knappen Darstellung nicht richtig hervor. Der Wandel der Auffassung zur Sprache in der Linguistik wird auf sehr lesenswerte Weise in diesem Beirag auf Spektrum der Wissenschaft dargelegt.

      Und wieso ist das Deutsche inhärent ( was ist das?), demokratisch und pluralistisch? Ist das nicht politisches Wunschdenken.? Das Deutsche hat viele französische Wörter, gebräuchlich im Bürgertum und der Oberschicht, aus dem Sprachgebrauch wieder entfernt, als die Deutschen nicht in einer Demokratie lebten und die Gesellschaft nicht pluralistisch war?

      Meine Aussage bezieht sich auf das Bild der Sprache, das die Linguistik zeichnet. Demokratisch ist die Sprache darin, weil sich alle Sprachteilnehmer an ihrer Entwicklung beteiligen; und pluralistisch, weil das Deutsche durch Varietäten auf sozialer, regionaler (u.a. Dialekte) und situativer (z.B. Fußballstadion vs. Kirchenpredigt) Ebene geprägt ist.

  10. Sehr geehrter Herr Professor Lobin,
    danke für die freundliche Antwort.
    Ich möchte mich nicht zu altschlau hier präsentieren. Die Theorie der Universalgrammatik war mir überhaupt nicht bekannt . Da diese nunmehr in Zweifel gezogen wird, habe ich demzufolge nichts verpasst.

    Gender Mainstreaming ist ein staatliches Ziel nach EU-Verträgen 1997 oder 1999. Die Definition ist sehr allgemein, konkrete Maßnahmen sind nicht aufgeführt Die Formulierung “sollte ” im den Gesetzen interpretiere ich nicht als Empfehlung , eher als Gebot und wird im Alltag auch so verstanden. Da es sich auf Behörden bezieht, es ist übertrieben , zu behaupten,der private oder allgemeine Sprachgebrauch wird gesetzlich reglementiert. Da sich Teile der Gender Sciences des Gender Mainstreaming lobbyistisch bemächtigt haben und ihre unbewiesenen Theorien einbringen, ist der Eindruck einer beginnenden Sprachaufsicht über den behördlichen Sprachbereich hinaus bei mir vorhanden ( cave: Privatauffassung meinerseits!).

    Sie haben recht. Von Wissenschaftlern wird gefordert auch politisch Stellung zu nehmen.Gerade den Biologinnen ( generisches Femininum )wurde immer wieder angekreidet, sich bei Höcke’s Thesen zum Vermehrungsverhalten von Schwarzafrikanern und dabei Bezug zu Insekten nehmend nicht ausreichend positioniert zu haben.

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