Mein kleiner Freund Xiao Bai, oder: Soziale Robotik im Shandong-Hotel

China ist ein sehr gastfreundliches Land. In China begeistert man sich für die Künstliche Intelligenz. Beides zusammen führt dazu, dass man in seinem Hotelzimmer von einem sozialen Roboter begrüßt werden kann, der mithört und das Geschehen um sich herum mit seinem Kameraauge registriert, um einem freundlich zu helfen. Derartige Produkte und die dabei erhobenen Daten sind sowohl für die weitere Technologieentwicklung als auch für Zwecke der Sozialkontrolle von größter Bedeutung.

Wenn man gelegentlich nach China reist, dann ist man daran gewöhnt, dass dort alles etwas größer, organisierter, technisierter und kontrollierter ist. Ich selbst bin seit 13 Jahren immer wieder dort gewesen an Universitäten und auf Tagungen in Shanghai, Peking, Nanjing, Chengdu und einigen anderen Städten, denn Kooperationen mit chinesischen Partnern sind ein Grundelement einer jeden Internationalisierung in der Wissenschaft. Konferenzen finden oft in großen, luxuriösen Tagungshotels statt, die manchmal sogar der ausrichtenden Universität selbst gehören. Solche Veranstaltungen sind bis ins Detail durchorganisiert, mit Dutzenden Helferinnen und Helfern, die sich um jede Kleinigkeit kümmern.

Viel Wert wird auch auf das Design gelegt: Logos befinden sich auf sämtlichen Materialien und kleinen, nützlichen Geschenken, und bei den Plenarsitzungen wie etwa den Eröffnungen, bei denen die Serie der Grußworte schon einmal den halben Vormittag in Anspruch nehmen kann, prangten bislang im Hintergrund riesengroße Transparente, in denen Anlass und Thema der Veranstaltung in grafisch anspruchsvoller Form dargestellt waren.

Kürzlich war ich nun in Jinan beim siebten „Beijing Humboldt Forum“, das von einer ehrgeizigen Wirtschaftsuniversität in Peking organisiert wird und nun das erste Mal einen Ableger in dieser etwa 400 Kilometer von Peking entfernt gelegenen Sieben-Millionen-Stadt hatte. Im Shandong-Hotel, einem prachtvollen Bau mit einer 23 Stockwerke hohen Lobby, in der Fische und Papageien gehalten werden, fand die Eröffnungsveranstaltung in einem riesigen Auditorium statt, dessen Bühnenhintergrund ein etwa 20 Meter breites und 4 Meter hohes Riesendisplay bildete, zusammengesetzt aus Hunderten kleinerer, rahmenloser Bildschirmkacheln.

Dort wurden zu Beginn zu Tänzen und Gesängen von Studierenden aufwändige Animationen gezeigt, die die Schönheit Chinas und die Errungenschaften seiner Kultur veranschaulichten. Überhaupt war die Medientechnik in jeder Hinsicht beeindruckend und die Aufführung perfekt choreografiert. Einem Gefühl des Überwältigtseins und der Bewunderung konnte man sich nicht entziehen.

Die Betreuung endet nicht an der Tür des Hotelzimmers

Die chinesische Gastfreundschaft ist legendär und die Betreuung allumfassend. Als institutioneller Gast wurde mir eine persönliche Assistentin an die Seite gestellt, die mich zu jedem Weg, und war er auch noch so kurz, abholte und begleitete, um mich an der nächsten Station der Obhut anderer Assistenten zu übergeben. Diese Betreuung erstreckte sich bis zur Tür meines Hotelzimmers. Das Zimmer selbst war, wie so oft, sehr luxuriös und hochgradig technisiert, aber bislang war man zumindest dort dann mit sich allein.

Bei dieser Reise war es anders. Als ich mein Zimmer betrat, lachte mich vom Schreibtisch aus ein kleiner weißer Kommunikationsroboter an, der sichtlich erfreut war, als ich seinen Gruß mit einem unsicheren „Nihao“ erwiderte. Es handelte sich um einen „Xiao Bai“ genannten „emotionalen“ Miniroboter, der zwar als zapfenförmiger Wicht keine Arme und Beine besitzt, dafür aber einen beweglichen Kopf mit einem Display als Gesicht, auf dem seine Augen oder kleinere Informationen angezeigt werden.

Xiao Bai steht auf einer Ladestation und ist per WLAN vernetzt, so dass er im Gebrauch an beliebiger Stelle kabellos verwendet werden kann. In seinem Kopf sind Mikrofone und mehrere Lautsprecher integriert, die Xiao Bai dem erfolgreichen Alexa-System von Amazon ähneln lassen. Im Kopf ist allerdings auch eine Kamera eingebaut, und diese erlaubt es ihm im Zusammenspiel mit den Mikros, den Kopf dahin auszurichten, wo gerade etwas im Zimmer passiert. Mit seiner Kindchenstimme, den Herzchen, in die sich die Augen verwandeln, wenn man etwas Nettes sagt, und der Hilflosigkeit seiner arm- und beinamputierten Erscheinung repräsentiert dieses scheinbar harmlose Roboterwesen die durch und durch gutmütige Seite von Künstlicher Intelligenz und Sprachtechnologie.

Sozialkontrolle durch KI wird in China nicht abgelehnt

China ist ja seit einigen Jahren bekannt dafür, auf KI-Technologien zu setzen, gerade auch im Bereich der sozialen Steuerung. Der Einsatz solcher sehr weitreichenden Technologien zur Kontrolle menschlichen Verhaltens in der Öffentlichkeit ist dort aber keineswegs umstritten, sondern wird von großen Teilen der Bevölkerung sogar befürwortet. Nun erhalten „emotionale“, in natürlicher Sprache kommunizierende Roboter also auch im privatesten Bereich Einzug.

Xiao Bai kann im Hotelzimmer dafür genutzt werden, Beleuchtung, Fernsehen oder das Telefon zu steuern, den Wecker zu stellen oder sich Fragen zum Hotel oder seiner Buchung beantworten zu lassen. In einem Image-Video des Herstellers wird eine Hotelbesucherin gezeigt, die sich sogar im Bad durch den Kleinen helfen lässt oder sich abends mit ihm bei einem Glas Rotwein unterhält. Das System ist natürlich so programmiert, dass weitere individuelle Skills integrierbar sind und dadurch das Spektrum seiner Fähigkeiten nach und nach immer breiter werden dürfte.

The longer it gets along with the user, the more the user is understood.”

Der Hersteller dieses Roboters, das ursprünglich in Shenzhen, heute in Singapur ansässige chinesische Unternehmen Gowild, wirbt dann auch konsequenterweise im Web nicht nur mit seinem zentralen Produkt, sondern ganz ungehemmt auch mit einem zweiten wichtigen Produkt aus seinem Unternehmens-Portfolio, einer Dienstleistung: Datenanalyse. Noch besser nämlich als Alexa, Siri, Google Home und wie sie alle heißen erfährt man mit Xiao Bai etwas über Gewohnheiten und Lebensweise einer Person, erst recht wenn sich dieses so fokussiert präsentiert wie in einem Hotelzimmer. Die Kamera, die mit dem Köpfchen immer auf das ausgerichtet ist, was gerade interessant erscheint, stellt dabei einen entscheidenden Mehrwert dar. Das System ist laut einem Artikel auf einem chinesischen Technologie-Portal mittlerweile das weltweit am häufigsten verkaufte Robotersystem. Klugerweise hatte sich das Unternehmen zunächst ganz auf den chinesischen Hotelmarkt konzentriert.

Dass derartige soziale Roboter möglicherweise nicht nur für die chinesische Wirtschaft eine große Rolle spielen, kann aus einem weiteren Umstand geschlossen werden. Vor kurzem hat Staatspräsident Xi Jinping höchstpersönlich eine Reihe von sozialen Robotern in Augenschein genommen, wie im gleichen Artikel berichtet wird. Neben einigen anderen Produkten konnte dabei auch mein kleiner Freund aus dem Hotelzimmer seine Fähigkeiten unter Beweis stellen – „a good opportunity for the overtaking of the Chinese bend“, wie es im Artikel wohl als Resultat einer automatischen Übersetzung minderer Qualität heißt.

Kooperationen als Investitionen in die Zukunft

„Überholen ohne einzuholen“ – so lautete einer der Leitsprüche der untergegangenen DDR. So wenig damit die wirtschaftliche Entwicklung im real existierenden Sozialismus getroffen wurde, so gut scheint er heute die Volksrepublik China zu beschreiben. Nicht nur die Technologien an sich, sondern auch ihre rechtlich kaum eingeschränkte Nutzung führen gerade im Falle von KI-Produkten zu Möglichkeiten der Datengewinnung, die wiederum die nächste Generation von Produkten befeuern wird. Noch können wir in vielen Bereichen von Wissenschaft und Wirtschaft mit China auf Augenhöhe zusammenarbeiten, weil wir dabei auf unseren bisherigen Entwicklungen, Erkenntnissen und Strukturen aufbauen können. Damit das weiterhin so bleibt und wir dabei auch unsere Sicht auf die gesellschaftlichen Umstände vermitteln können, sollte jede dieser Kooperationen als Investition in eine Zukunft begriffen werden, in der die Augenhöhe keineswegs mehr als ganz so selbstverständlich gelten kann.

Beitragsbilder: Gowild.sg (1, Bearbeitung), Henning Lobin (2 und 3) 

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www.lobin.de

Henning Lobin ist seit 2018 Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim (Mitglied der gemeinsam vom Bund und allen 16 Bundesländern finanzierten Leibniz-Gemeinschaft) und Professor für Germanistische Linguistik an der dortigen Universität. Zuvor war er ab 1999 Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Seine Forschungsschwerpunkte bilden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Sprache, Texttechnologie, Grammatik, Wissenschaftskommunikation und Politolinguistik. Er ist Sprecher der Sektion "Geisteswissenschaften und Bildungsforschung" und Präsidiumsmitglied der Leibniz-Gemeinschaft, Mitglied germanistischer Fachbeiräte ua. von DAAD und Goethe-Institut, er war Mitglied des Forschungsbeirats der Stiftung Wissenschaft und Politik und des Fachkollegiums Sprachwissenschaft der DFG. Lobin ist Autor von neun Monografien und hat zahlreiche Sammelbände herausgegeben. Zuletzt erschienen sind Engelbarts Traum (Campus, 2014, polnische Übersetzung 2017, chinesische Übersetzung 2018), Digital und vernetzt. Das neue Bild der Sprache (Metzler, 2018) und Sprachkampf (Duden, 2021). Bei den SciLogs ist Henning Lobin seit 2014 Autor des Blogs "Die Engelbart-Galaxis", nachdem er dort bereits ab 2008 am Gruppenblog "Interactive Science" beteiligt war.

3 Kommentare

  1. Howdy!

    „Überholen ohne einzuholen“ – so lautete einer der Leitsprüche der untergegangenen DDR. So wenig damit die wirtschaftliche Entwicklung im real existierenden Sozialismus getroffen wurde, so gut scheint er heute die Volksrepublik China zu beschreiben. Nicht nur die Technologien an sich, sondern auch ihre rechtlich kaum eingeschränkte Nutzung führen gerade im Falle von KI-Produkten zu Möglichkeiten der Datengewinnung, die wiederum die nächste Generation von Produkten befeuern wird. Noch können wir in vielen Bereichen von Wissenschaft und Wirtschaft mit China auf Augenhöhe zusammenarbeiten, weil wir dabei auf unseren bisherigen Entwicklungen, Erkenntnissen und Strukturen aufbauen können. Damit das weiterhin so bleibt und wir dabei auch unsere Sicht auf die gesellschaftlichen Umstände vermitteln können, sollte jede dieser Kooperationen als Investition in eine Zukunft begriffen werden, in der die Augenhöhe keineswegs mehr als ganz so selbstverständlich gelten kann.

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    Kürzlich war ich nun in Jinan beim siebten „Beijing Humboldt Forum“, das von einer ehrgeizigen Wirtschaftsuniversität in Peking organisiert wird und nun das erste Mal einen Ableger in dieser etwa 400 Kilometer von Peking entfernt gelegenen Sieben-Millionen-Stadt hatte. Im Shandong-Hotel, einem prachtvollen Bau mit einer 23 Stockwerke hohen Lobby, in der Fische und Papageien gehalten werden, fand die Eröffnungsveranstaltung in einem riesigen Auditorium statt, dessen Bühnenhintergrund ein etwa 20 Meter breites und 4 Meter hohes Riesendisplay bildete, zusammengesetzt aus Hunderten kleinerer, rahmenloser Bildschirmkacheln.


    Es handelt sich bei der “Volksrepublik China” mittlerweile um eine sozusagen streng kapitalistische Form des gesellschaftlichen Seins, aus Sicht vieler in pervertierter Form des einstmals angestrebten Sozialismus um eine Meritokratie.
    Um einmal das Fachwort zu nennen.

    Blenden lassen muss sich der anzunehmenderweise Liberale hier nicht, wobei Dr. W Sie, Herr Lobin, ja schon eine Weile kennt und nicht per se deteriorierend bei Ihnen feststellen möchte, wenn sich zuvor auch im liberalen Sinne nicht viel finden konnte.

    Dennoch rät Dr. W von Fraternierung mit jenem Gebilde ab, ja!, Dr. Webbaer weiß Bescheid, sozusagen, hat sich u.a. auch bereits um die Jahrtausendwende von Chinesen, von chinesischen Mitarbeitern beraten lassen und will Sie nicht irritiert dastehen lassen, Herr Dr. Lobin, wenn sich irgendwann die zu erwartenden Diskrepanzen zwischen Kollektivismus und Liberaler Demokratie auftun werden.

    Ansonsten : Nice1!

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

    PS:
    Zu den Unterschieden, auch die bundesdeutsch so genannte FDGO meinend, will Dr. W an dieser Stelle nicht näher ausführen, er kennt Sie schon länger und bleibt bei Ihnen.

  2. Aus “Faulheitsgründen” habe ich die angegebene Produktseite des Herstellers nicht besucht, möchte aber trotzdem gerne wissen, ob man als Hotelbewohner diesen offen sichtbaren “Helfer” denn abschalten/vollständig deaktivieren kann. Ich nehme mal an, dass Sie das zumindest geprüft haben.

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