Moderne Bildung mit einem Schulfach Astronomie
BLOG: Einsteins Kosmos
275 Wissenschaftler, Lehrer und Didaktiker fordern im Internationalen Jahr der Astronomie die bundesweite Einführung des Schulfachs Astronomie.
Mensch, Erde und Weltall – all das hat mehr miteinander zu tun, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Sonne, Mond und Sterne nehmen wir als selbstverständliches Himmelsschauspiel wahr – genauso wie die Existenz des Materiellen und unser eigenes Dasein.
Die Astronomie lehrt uns aber, dass das alles andere als selbstverständlich ist; die Existenz des Belebten und Unbelebten ist in höchstem Maße erstaunlich. Das moderne, naturwissenschaftliche Weltbild besagt in Kürze, dass vor knapp 14 Milliarden Jahren das Universum seinen Anfang im Urknall hatte. Aus diesem heißen und dichten Anfangszustand entstanden Elementarteilchen, Naturkräfte und die ersten Atome. Das fein verteilte Material klumpte hier und da zusammen und brachte schließlich die ersten Sterne und Galaxien hervor. Unsere Sonne ist ein solcher Stern einer späteren Generation, in dessen Umgebung sich Planeten bildeten – so auch die Erde. Im Jahr 2009 feiern wir diesen Erkenntnisgewinn im Internationalen Jahr der Astronomie. Der Anlass: Vor knapp 400 Jahren richtete der italienische Naturforscher Galileo Galilei zum ersten Mal ein Fernrohr an den Himmel und begründete damit die moderne Astronomie.
Das naturwissenschaftliche Wissen um das Entstehen der Welt blieb nicht folgenlos für die Menschheit, denn natürlich haben diese Erkenntnisse Konsequenzen für unser Selbstverständnis, für unsere Gesellschaft – kurzum für unsere Kultur.
Die Erkenntnisse um Anfang und Entwicklung der Welt verdanken wir den Naturwissenschaften – allen voran der Astronomie als älteste Naturwissenschaft. Das Besondere an der Astronomie ist, dass sie eine sehr interdisziplinäre Wissenschaft ist. Neben den klassischen Naturwissenschaften Physik, Chemie und Biologie sowie der Mathematik und Technik, haben auch die Geisteswissenschaften wie Philosophie, Geschichts- und Kulturwissenschaften sowie Theologie wesentliche Bezüge zur Astronomie. Die Astronomie vereint eine Vielzahl von Disziplinen auf eine einzigartige Weise. Aus diesem interdisziplinären, umfassenden Denkansatz entsteht etwas vollkommen Neues, das einen Mehrwert an Wissen darstellt. Dieses Wissen mündet mannigfach in praktische Anwendungen, die uns den Alltag erleichtern und der Gesellschaft nützen.
Ich meine, dass ein Schulfach Astronomie viele Probleme des Schulalltags lösen kann. Mithilfe der Astronomie kann man wieder die Begeisterung für Schule und Natur wecken. Außerdem beklagen sich Schüler und Lehrer in Zeiten von G8 über zu viel und zu schnelles Lernen. Ein interdisziplinäres Schulfach Astronomie kann es leisten Wissen wieder kompakt und effizient zu vermitteln. Ganz umsonst erhält der Schüler schließlich ein globales Verständnis unserer komplexen Welt.
Die besondere Rolle der Astronomie für unsere Bildungsgesellschaft ist evident. Das muss sich auch in unserem Bildungssystem widerspiegeln. Zu dieser Auffassung kamen nun mehr als 275 Organisationen und Einzelpersonen, die sich in einem Offenen Brief an die Vertreter aus der Politik wenden. Zu den Unterzeichnern des Briefs gehören Organisationen wie die Internationale Astronomische Union (IAU), die Europäische Astronomische Gesellschaft (EAS), der Deutsche Kulturrat und der Rat Deutscher Planetarien. Die unterzeichnenden Einzelpersonen sind u.a. Institutsdirektoren, Professoren sowie Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen, deutsche Astronauten, Wissenschaftsmanager und –kommunikatoren sowie Didaktiker, Schulleiter und Lehrer. Sie alle fordern eine astronomische Grundbildung für alle, die in einem bundesweit eingeführten Schulfach Astronomie umgesetzt werden solle. Gute Vorbilder gibt es bei den östlichen Bundesländern, denn in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gibt es das Schulfach Astronomie seit 1959.
Von 9. bis 13. November 2009 findet im Rahmen des Astronomiejahres die Woche der Schulastronomie statt. Sie belegt, welches Potential in einem Schulfach Astronomie steckt und dass die Schülerinnen und Schüler schon ab der Grundschule mit Begeisterung astronomische Unterrichtsinhalte aufnehmen. Die Astronomie bietet dabei auch die große Chance, dass naturwissenschaftliche Schulfächer und Mathematik in der Gunst der Schülerinnen und Schüler wieder steigen.
Natürlich erfordert eine astronomische Ausbildung geschultes Fachpersonal. Es gibt zwar in vielen Bundesländern Lehrerfortbildungen zur Astronomie, aber das kann eine Lehrerausbil-dung im Fach Astronomie nicht ersetzen. "Beispielsweise kann eine geführte nächtliche Himmelsbeobachtung zu den beeindruckendsten Ereignissen eines Schülerlebens avancieren, worüber die Teilnehmer noch nach Jahrzehnten sprechen", berichtet Lutz Clausnitzer aus sei-nen Unterrichtserfahrungen am Geschwister-Scholl-Gymnasium Löbau in Sachsen.
Ein Schulfach Astronomie bietet hervorragende Chancen für ein modernes Bildungskonzept, das dem enormen Wissenszuwachs mit einem interdisziplinären, schlanken Ansatz begegnet – zum Wohle unserer modernen Informationsgesellschaft.
Der Offene Brief ist ein wichtiges Zeichen der Gesellschaft an die Politik, der eine spannende Diskussion anstößt.
Medienecho auf Schulfach Astronomie
Unter Amateurastronomen fleißig diskutiert (teils auch recht kontrovers) wird hier: http://www.astrotreff.de/topic.asp?TOPIC_ID=94009
Astronomie in die Schulen!
Lieber Andreas,
ich bin über den heise-Ticker auf die Aktion aufmerksam geworden und als ich gesehen habe, dass Du darin zitiert wurdest, dachte ich mir, dass Du bestimmt dazu auch gebloggt hast! 😉
(Mehr) Astronomie in der Schule wäre sicherlich eine schöne Sache und ich kann die Argumente, die Ihr vorbringt sehr gut nachvollziehen. Ob dazu allerdings ein neues Schulfach eingeführt werden muss, scheint mir fraglich: Wieso kann Astronomie nicht Teil des Physikunterrichts werden, wo die Astronomie nun mal schwerpunktmäßig zuhause ist? Dabei kann und soll man sich mit dem Thema trotzdem interdisziplinär beschäftigen. Da aus meiner Sicht insgesamt naturwissenschaftliche Inhalte mehr in den Vordergrund gerückt werden und die Beschäftigung damit beliebter werden muss, würde ich eher für einen (stundenmäßigen) Ausbau der bestehenden naturwissenschaftlichen Fächer plädieren, in dem man dann flexibel naturwissenschaftliche Inhalte diskutieren kann. In diese Richtung hat beispielsweise auch Gerhard Sauer, der bei der DPG für den Bereich Schule zuständig war, in einem Artikel im Physik Journal 8/2009 (Editorial) argumentiert.
Mehr Astronomie in den Schulen? Ja, definitiv, das ist absolut notwendig und überfällig! Als eigenes Schulfach? Das schafft zuviele Hürden und man muss sich die Frage stellen, welche anderen Fächer dafür gekürzt werden.
Viele Grüße,
Leo
@Carolin und @Leo
@Carolin
Vielen Dank für den Link auf die interessante Diskussion bei astrotreff.de. Da werden gute Argumente ausgetauscht.
@Leo
Ich muss Dir widersprechen. Man kann sich nicht mit Astronomie im Rahmen des Schulfachs Physik interdisziplinär beschäftigen. Da werden nur Astrophysik und Astrochemie zum Zuge kommen. Astronomie ist viel mehr als eine Naturwissenschaft! Um sich das klarzumachen, empfehle ich meinen Blogbeitrag Konkret – Schulfächer und ihr Bezug zur Astronomie vom 1.10. zu lesen.
Deshalb zielt die aktuelle Initiative auf ein eigenständiges Schulfach Astronomie ab. Die Verbindung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften soll unter dem “Dach” eines Schulfachs Astronomie gelehrt werden. So kommen die kulturhistorischen, geschichtlichen, philosophischen und theologischen Aspekte zum Zuge.
Eine so umfassende Bildung ist meines Erachtens die richtige Vorbereitung, dass aus Kindern und Jugendliche mündige Persönlichkeiten werden, die einfach den Blick auf das große Ganze nicht verlieren.
Es ist richtig, dass auf Schüler eine große Informationsflut in den Schulen zukommt – eine Entwicklung, die sich mit dem G8-Lehrplan verschärft hat, weil ein Jahr weniger unterrichtet wird.
Mit der Astronomie kann man die Lehrthemen aus verschiedenen Schulfächern bündeln – und so effektiv Unterrichtszeit einsparen, Redundanzen vermeiden. Mit einem solchen Ansatz bekommen Schüler ein globales Verständnis und nicht nur ein Wissensfragment eines Spezialfachs. Diese Chance sollten wir nutzen!
Beste Grüße,
Andreas
@Andreas
Hallo Andreas,
danke für den Widerspruch und den Link zu Deinem Blog-Beitrag. Wir sind uns auf jeden Fall darin einig, dass (1) Astronomie derzeit in den deutschen Lehrplänen unterrepräsentiert ist und dass (2) am Beispiel der Astronomie Interdisziplinarität beispielhaft gezeigt werden kann.
Ich verstehe aber noch nicht, wieso dies nicht auch im Physik-Unterricht passieren kann. Ist das Problem, dass man ein Schulfach Astronomie stundenweise abwechselnd von verschiedenen Fachlehrern unterricht werden muss? (Aber ist dann ein zusammenhängender Unterricht herstellbar?)
Leo
Wer den Brief nicht unterschrieb
Beim Betrachten der illustren Liste der unterzeichnenden Organisationen (wie auch immer diese “Unterschriften” im Einzelnen zustande kamen; beim Rat deutscher Planetarien z.B. soll es nur eine knappe Mehrheit gegeben haben) fällt vor allem auf, wer da nicht steht: die beiden wichtigsten astronomischen Organisationen des Landes, die Astronomische Gesellschaft und der Rat deutscher Sternwarten!
Auf Nachfrage erklärte mir ein Vorstandsmitglied der ersteren, man halte die Forderungen des Offenen Briefes unisono für völlig utopisch und sogar für schädlich, da die Einführung eines zusätzlichen Schulfaches v.a. in den alten Ländern absolut unmöglich sei. Stattdessen setzen AG und RdS auf subtilere Wege, wie einer gemeinsamen Erklärung von diesem Januar zu entnehmen ist.
@D. Fischer
Lieber Herr Fischer
Vielen Dank für Ihren Hinweis und den Link auf ein außerordentlich wichtiges Dokument mit dem Titel “Zur Rolle der Astronomie in den Schulen in Deutschland”. Ich kenne das Dokument und kann vielem, was darin steht, nur beipflichten. Der Unterschied zwischen diesem AG-RDS-Dokument und dem aktuellen Offenen Brief ist nur die Forderung: AG und RDS reichte es im Januar 2009, dass Astronomie im Rahmen der Schulphysik verstärkt berücksichtigt würde; der aktuelle Offene Brief fordert ein eigenes Schulfach Astronomie.
Die Astronomie ist mehr als eine “Klammer der Naturwissenschaften” (wie es im verlinkten PDF formuliert wurde) – sie ist eine fächerübergreifende Disziplin inklusive der Geisteswissenschaften wie Geschichte, Kulturwissenschaften, Philosophie, Religion und Ethik. Also wennschon, dann eine “Klammer der (Natur- und Geistes-)Wissenschaften”.
Ich frage mich, weshalb die AG hinter der eigentlich naheliegenden Kernforderung “Schulfach Astronomie” zurück bleibt und sich mit einem “bisschen mehr Astronomie in den Naturwissenschaften” zufrieden stellt. Das würde dem umfassenden Charakter der Astronomie niemals gerecht werden.
Ich frage mich auch, weshalb es einen eklatanten Widerspruch zwischen der Empfehlung der AG und den international übergeordneten Organisationen EAS und IAU gibt, die beide den Offenen Brief unterschrieben haben und ein Schulfach Astronomie wollen!
Ganz ehrlich: Ich verstehe nicht, weshalb AG, RDS und die Unterzeichner des Briefs nicht an einem Strang ziehen, denn ihre Interessen sind im Prinzip identisch.
Zu den Attributionen “utopisch” und “schädlich” ist Folgendes zu sagen: Wie kann ein Schulfach Astronomie utopisch sein, wenn es seit 50 Jahren in drei ostdeutschen Bundesländern existiert? Inwiefern die Forderung nach einem Schulfach Astronomie “schädlich” – für wen oder was? – ist, würde ich sehr gerne erklärt bekommen.
Ich meine auch, dass keine Rede davon sein kann, dass AG und RDS unisono gegen die Forderungen des Offenen Briefs seien, denn immerhin sind unter den 275 Unterzeichnern des Offenen Briefs zum Schulfach Astronomie zahlreiche AG-Mitglieder und auch Vertreter der RDS-Institutionen!
Die Initiatoren zum “Schulfach Astronomie” haben sich natürlich an den AG-Vorstand gewendet und versuchen natürlich die AG zu überzeugen. Ich hoffe, dass es dazu Diskussionsbereitschaft gibt und stehe gerne für eine kontrovers geführte Debatte zur Verfügung.
Beste Grüße,
Andreas Müller
Schulfach Astronomie
Bildung leidet schon lange daran, dass sie zu kopflastig (wissensorientiert) arbeitet und den Menschen in seinen wirklichen Kompetenzen (personale Kompetenz, Handlungs-und Aktivitätskompetenz, kommunikative- und soziale Kompetenz (Erpenbeck/Heyse))vernachlässigt, bzw. gar schwächt.
Astromnomie geht mir schon gut, aber nur, wenn sich eine Klassengemaeinschaft dazu überwindet, gemeinsam, auf einen Berg zu steigen, um dort oben die Sternbilder auszukundschaften.
Alles andere finde ich nutzlos und ein Noch-Mehr an Stoff, wo eh schon zuviel ist.
Hallo Andreas,
ich muß zugeben, ich selber sehe die Forderung des offenen Briefes auch eher mit Skepsis.
Fakt ist, hier bei mir in Hamburg hat es gerade die exakt gegenläufige Tendenz: In der Mittelstufe werden Physik, Biologie, Chemie abgeschafft, stattdessen gibt es ein Fach “Naturwissenschaften”. Hinzu kommt das Chaos und die zusätzliche Stundenbelastung durch G8 mit teilweise 36 Wochenstunden und mehr. Unter dieser Prämisse ein zusätzliches Schulfach einzuführen, würde die Schüler auf die Barrikaden gehen lassen und das neue Fach nicht gerade beliebt machen.
Abgesehen davon habe ich die Befürchtung, daß Lehrer anderer Fächer die Existenz eines Schulfaches Astronomie zum Vorwand nehmen würden, um astronomieverwandten Stoff aus dem Stundenplan zu streichen. Da sagt sich dann zum Beispiel der Erdkundelehrer in Klasse 5, daß er die Jahreszeiten nicht mehr behandeln muß: “Das kriegen die ja eh später nochmal, da kann ich stattdessen ja was anderes machen.”
Derartiges hätte dann einen ganz üblen Nebeneffekt: Astronomische Themen kämen in den unteren Klassenstufen zu kurz, und in Klasse 10 ist es dann viel zu spät, um viele Jugendliche – ganz besonders Mädchen – für ein im Wesen immernoch hauptsächlich naturwissenschaftliches Fach wie Astronomie zu begeistern. Und ich denke mal, gerade das wollen wir nicht, oder?
Es kommen ständig aus allen Richtungen Forderungen, neue Sachgebiete in den Schulunterricht aufzunehmen. Die lesen sich alle gut und man kann jedem sofort von ganzem Herzen zustimmen. Allerdings haben nur diejenigen überhaupt eine Chance umgesetzt zu werden, die klar aussagen und auch begründen, welche bestehenden Unterrichtsinhalte dafür gestrichen werden sollen. Die anderen lohnen die Mühe nicht.
Oje…
ohne Worte: http://www.spiegel.de/…gel/0,1518,668285,00.html
@Carolin
Ich bin für die Einführung des Schulfachs “Journalismus”, damit wieder mehr vernünftige und gut recherchierte Artikel geschrieben werden.
Erstaunlich, dass für dieses Pamphlet gleich zwei Autoren ran mussten. Ich stelle mal zwei Hypothesen in den Raum: 1) Der eine hat rechechiert, der andere geschrieben. 2) Sie wollten ein berühmtes Sprichwort bestätigen: “Zu viele Köche verderben den Brei.”.
Self-owned
Man beachte (Zitat): “Bis es zu dieser Art der verpflichtenden All-Gemeinbildung kommt, könnten noch Lichtjahre vergehen.”
Für was war Lichtjahr nochmal eine Einheit…?
An der Stelle hätte ein wenig mehr astronomische Bildung den Autoren nicht geschadet.
Astronomie
Warum so vorsichtig, nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen gab es das Fach Astronomie seit 1959 sondern auch in allen anderen Bundesländern auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Ich selbst bin leider nicht in den Genuß des Unterrichts gekommen,da es keinen Lehrer gab (Cottbus). Für meine Tochter in Berlin würde ich mir diesen Unterricht dringend wünschen. Es könnte auch zu einer großen Naturliebe führen und eine gewisse Demut vor der Großartigkeit des Alls erzeugen.