Mit Perikles gegen die Troika

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445 v. Chr. Athen auf der Höhe seiner Macht. Unter den Stadtstaaten Griechenlands ist diese Polis am angesehensten, hat auch die Führungsrolle im Delisch-Attischen Seebund usurpiert, zu dem sich eine Reihe von Kapitalen Kleinasiens und der Inseln zusammengeschlossen hat, um sich gegen einen weiteren Angriff der Perser zu wappnen. Seit Xerxes’ Einmarsch 35 Jahre zuvor sind die Griechen gebrannte Kinder.

Perikles ist es zu verdanken, dass Athen im Macht-Ranking diese Spitzenstellung einnimmt. Als Mann der Superlative tut er alles dafür, dass seine Stadt auch die schönste im ganzen Griechenlande wird, er forstet sie mit Säulen auf und nimmt den Bau der Akropolis in Angriff. Zur Finanzierung von Athenes neuem Tempel soll Perikles unerlaubterweise in die Kasse des Seebundes gegriffen haben. Und wenn auch? machen sich die Athener für ihn stark. Schafft einer derart Großartiges, verbiete sich jegliche Erbsenzählerei.

Athen über alles. Großstadtsucht, Großmannssucht – koste es, was es wolle, die Nummer eins zu sein, dahin geht Perikles‘ Trachten. Und was untermauert Macht, große Macht am augenscheinlichsten – in alten wie in neuen Zeiten? Selbstredend eine Mauer, eine große Mauer. Starke Männer und ihre Schwäche für Mauern – in Perikles Fall sind es die Langen Mauern, die Athen den Zugang zu seiner Flotte sichern. Die attischen Kriegsschiffe liegen im Hafen von Piräus vor Anker, etwa 45 Stadien außerhalb von Athen. Sieben Kilometer wären das in einem neuzeitlichen Längenmaß – so oder so eine stattliche Entfernung, die gleich drei Mauern überbrücken. Die Grundquader für die ersten zwei wurden schon kurz nach der persischen Invasion gelegt; den wuchtigen Südwall, der sich zwischen Hymettos-Gebirge und dem Saronischen Golf erstreckt, gibt Perikles in Auftrag. Diese Mauer, noch weit imposanter als die anderen, steht für Schutz und Einschüchterung. Sie soll den Athenern Sicherheit garantieren und den neuen alten Feind auf Abstand halten. Sparta, einst Athens Bündnisgenosse im Kampf gegen die Perser, erweist sich mittlerweile als ernstzunehmender Rivale im innergriechischen Wettstreit: Wer ist die stärkste Polis im ganzen Land?

Make Athen Great Again

Sparta gewinnt. Im Dreißigjährigen Krieg der Antike, dem Peloponnesischen, behalten die Haudegen aus dem Süden die Oberhand und legen nach ihrem Sieg 404 v. Chr. als Erstes Hand an das, was Macht ausmacht. Sie lassen die Langen Mauern schleifen, und, als wollten sie die Schmach den Athenern noch vor Ohren führen, überhöhen sie den Abriss mit süßen Klängen, wie der Augenzeuge Xenophon beschreibt: “Nach der Annahme der Friedensbedingungen… begann man, die Mauern unter der Begleitmusik von Flötenspielerinnen einzureißen, da man glaubte, dass mit jenem Tag der Anfang der Freiheit für Hellas begonnen habe.” Hoffnung, so scheint es, ist besonders trügerisch in diesen Breiten.

Irgendwann, in sehr ferner Zukunft, werden die Hoffnungen der Athener wieder auf diesen Mauern ruhen, den zerstörten. Was von Perikles’ Wall übriggeblieben ist, soll nun nicht allein Athen retten, sondern ganz Griechenland.

2018 n. Chr. Athen am Tiefpunkt seiner Macht. Die Finanzkrise hat das Land schwer getroffen. Noch mehr trifft es die Menschen hier, dass das internationale Bankendesaster zum nationalen Eigengewächs umgedeutet wird. Weil Banker eine geschützte Spezies zu sein scheinen, setzt sich die Lesart durch, der gemeine Grieche habe wegen seines ausschweifenden Schlendrians die alleinige Schuld am Staatsbankrott. Die Mär vom faulen Griechen, vom verschwenderischen Südländer, der sich auf Kosten des deutschen Steuerzahlers am Mittelmeer, dem blauen, einem urlaubigen Leben hingibt, wird zum Tatsachenbericht in den deutschen Medien.

Dem gesteuerten Aufschrei gibt der Minister im Rollstuhl eine Stimme. Am deutschen, besser schwäbischen Wesen soll nun Griechenland genesen. Wie eine schwäbische Hausfrau ihre Haushaltskasse führt, dekretiert er zum ökonomischen Gebot, wobei wohl doch ein Unterschied zwischen Frau Häberles Sparanstrengungen und denen eines Staates besteht.

Ein schwäbischer Bauer ist da schlauer. Grundbesitz ist sein großer Reichtum, den es zu bewahren gilt. Nie verfiele er auf die Idee, seine wertvollen Äcker, von denen er lebt und seine Kinder samt Kindeskinder weiter leben sollen, zu schnellem Geld zu machen. Was im Ländle als grottendumm angesehen wird, verlangte Deutschlands Obersparer nun Griechenland ab. Nein, nicht er, nicht er allein, wehrt er ab, es sei die Troika, dieses Dreigespann aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, das von Griechenland fordert, wertvolles Staatseigentum zu verscherbeln.

Nein, die griechischen Inseln werden nicht verkauft. Noch nicht und hoffentlich nie, auch wenn die Bild-Zeitung Gefallen an der Vorstellung findet, dass die Deutschen dann nach Mallorca eine weitere Insel im Mittelmeer besitzen. Auch sollen Olympia, Delphi und Epidauros nicht unter den Hammer kommen, obwohl Pläne zur Privatisierung wichtiger antiker Stätten bereits bestehen. Aber der Hafen von Piräus, einer der größten Umschlagsplätze am Mittelmeer, ist bereits an die Chinesen verkauft worden. Und 17 der lukrativsten Flughäfen des Landes hat die deutsche Fraport übernommen.

Flughafen in guter Lage zu verkaufen

Apropos Flughafen. Nein, der neue nordöstlich von Athen ist in griechischer Hand. Noch und halbwegs. Aber das Gelände des alten im Süden der Stadt steht zur Disposition. Bis 2001 waren hier der nationale und internationale Airport in Betrieb, in einer Traumgegend, im Westen flankiert vom Saronischen Golf mit seinen kilometerlangen Sandstränden, im Osten vom Hymettos-Gebirge, das Lord Byron kongenial in den höchsten Tönen besingt: “And still his honeyed wealth Hymettus yields…”  Wo sich die Natur die Start- und Landebahnen längst wieder einverleibt hat, der Beton untergegangen und ein Idyll wiederauferstanden ist, wie es Lord Byron einst sah – “Sweet are thy groves, and verdant are thy fields” – sieht die Troika nur schnöde Konkursmasse. 620 Hektar freies Land sollen nicht länger so paradiesisch, so voller Wald, so unverbaut sein, verlangen die Euro-Technokraten. Der Staat soll dieses Gelände veräußern, und zwar zackzack.

Ein Investor steht längst bereit, sich dies Tafelgold anzueignen. Er plant auf dem Gelände eine Fun-City – für all die wenigen, die in dem von Austerität zermürbten Land noch was zu lachen haben? Mit vielen Spielhallen, gar einigen Kasinos, weil ja im Krisenland der Euro locker sitzt? Der Investor sehe das Große, blicke über den Schüsselrand, er orientiere sich an Las Vegas, sind jene, die ihn kennen, bemüht zu erklären. Mit der größten Mall Griechenlands, wo in Athen die Geschäfte wegen der Krise gleich reihenweise schließen. Mit Cluster von Bürogebäuden, wo doch Firma nach Firma Griechenland den Rücken kehrt.

Sechs Wolkenkratzer mit jeweils 200 Meter Höhe sind geplant, als wolle es der Investor Athene in ihrem Parthenon auf der Akropolis zeigen: Sieh auf, Göttin, wir überragen dich – Mammon ist der Gott, dem wir nun dienen. Aber Hybris, so lehrt die Alte Geschichte – wenn sich denn der Investor belehren ließe – ist nie einem gut bekommen in Athen. Selbst Perikles, dem berühmten Perikles, dem Athener vieles durchgehen ließen, wollte man nicht verzeihen, dass er und seine Freunde, so lautete die Anklage, sich über die Götter erhoben hatten. Beleidigung der Götter wurde im alten Athen streng geahndet. Die für schuldig Befundenen mussten die Stadt verlassen und verloren zu ihrem Vermögen den Status als Bürger.

Um die Hochhäuser herum soll auf 3600 Quadratkilometern eine Privatstadt für 35 000 Einwohner entstehen. Wer da wohl wohnen soll und will? In Athen herrscht keine Wohnungsnot, im Gegenteil: Wegen der Krise stehen Tausende von Wohnungen leer.

Elfenbeinturm versus Wolkenkratzer

Ein Las Vegas als Vorort von Athen – diese Idee scheint nur der Troika, dem Investor und der Opposition im griechischen Parlament zu gefallen. Was nicht heißt, dass letztere das Projekt gut findet, aber wenn die Regierung nicht dafür ist, muss sie es einfach sein.

Widerstand gegen die Retorten-Stadt kommt jetzt von einem Berufstand, der sich nun nicht gerade dem Gegenwartsgeschehen verschrieben hat, der sich im Gegenteil als leidenschaftlich rückwärtsgewandt bezeichnet, was nicht als politischen Statement zu verstehen ist. Die Altertumswissenschaftler machen mobil, die im Elfenbeinturm ziehen gegen die Hochhäuser zu Felde. Auf Druck des Zentralen Archäologischen Rates hat das Kultusministerium das Gelände der alten Airports zum archäologischen Schutzgebiet erklärt. Was bedeutet, dass hier fürderhin nur vorsichtig die Erde bewegt werden darf – mit Schäufelchen und Pinsel. Dass man allenfalls in die Tiefe geht, nicht in die Höhe. Das Areal gehöre geschützt, so argumentieren die Ausgräber, weil hier Reste von Perikles‘ Südwall verborgen sein könnten. Überhaupt gehöre ganz Athen geschützt, weil sich unter der neuen Stadt die alte befindet.

Es bleibt abzuwarten, wer sich durchsetzt. Die Antike oder eine Zukunft, die sicher nicht so rosig wird, wie von Investor und der Troika ausgemalt. Sei es Perikles vergönnt, dass er diesmal gewinnt. Und nicht der schwäbische Spartaner.

 

1 Kommentar

  1. Nein, die griechischen Inseln werden nicht verkauft. Noch nicht und hoffentlich nie, auch wenn die Bild-Zeitung Gefallen an der Vorstellung findet, dass die Deutschen dann nach Mallorca eine weitere Insel im Mittelmeer besitzen.

    Wie kommen Sie denn auf diesen Unsinn? Mallorca gehört auch heute noch zu Spanien. Diese Insel ist zwar ein beliebtes Urlaubsziel der Deutschen, aber die meisten sind nach ein paar Wochen verschwunden. Und ja es gibt deutsche Prominente, die dort wohnen. Also etwas weniger antideutsche Polemik bitte.

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