In der Heimat der Lysistrata
BLOG: Edle Einfalt, stille Größe

Katastrophe ist als Wort wie als Tatbestand eine urgriechische Erfindung. Ohne Katastrophen scheint dem Griechen das Leben nicht bewegt genug; und wenn mal die Natur nicht tätig wird, lässt es hier der Mensch richtig krachen. Es hätte so schön sein können, Schnee und Eis waren überstanden, der Frühling ist da, die Sonne scheint, alles blüht – aber wir sind in Griechenland und da darf es einfach nicht zu schön sein. Also wird gestreikt.
Die Elektrizitätswerke geizen plötzlich mit dem Strom und geben ihn nur stundenweise ab. Die Post hat all ihre Schalter dicht gemacht und Briefträger sitzen noch länger als sonst im Kafeneion herum. Die Telefongesellschaft hat die Leitungen gekappt und kein breites Band verbindet Griechenland mehr mit dem worldwideweb. Auch die Banken streiken, was das Land mittlerweile bargeldlos macht, da die Nationalbank sich seit zwei Wochen weigert, Geld an andere Banken abzugeben, wozu sie als Geldschaltstelle verpflichtet wäre. Aber es wird ja gestreikt.
Wie immer in Notsituationen suche ich die Tankstelle an der Ecke auf. Diesmal fungiert der Besitzer als Geldverleiher und hilft seinen klammen Nachbarn mit Gaben aus der Kasse aus. So auch mir und deshalb kann ich mir ein Taxi – Busse und U-Bahnen fahren ja nicht – in die Athener Innenstadt leisten. Ich muss zum Kultusministerium, um ein paar Sachen zu erfragen, was telefonisch nicht geht, weil – nun wir wissen es nun. Der Taxifahrer ersetzt die Nachrichten des Radios, das auch nicht sendet, weil…
Als ich am Kultusministerium aus dem Taxi steige, bin ich umfassend darüber informiert, wer alles in Stadt und Land streikt. So auch das Kultusministerium. Eine einzelne ältere Dame versieht hier den Notdienst, sieht an mir vorbei, sieht an die Decke, so als wolle sie mir den Streik pantomimisch vermitteln.
Ich lasse mich nicht irritieren, richte auch meinen Blick nach oben, weil sich ja Parallelen in der Ewigkeit treffen und erkläre der Deckenguckerin mein Begehr. Freunde, sehr gute Freunde von mir, wollen in den Osterferien nach Griechenland kommen und deshalb möchte ich in Erfahrung bringen, ob die archäologischen Stätten und Museen auch bestreikt werden.
Die ältere Dame senkt ihren Blick, muss ihn wohl senken, weil er schwer vor Verachtung ist.
Was ich dann jetzt hier wolle, schnappt sie, wo Ostern doch erst in sechs Wochen ist.
In Griechenland sei Ostern erst in sechs Wochen, sage ich. In der westkirchlichen Welt aber nächste Woche, und deshalb wollte ich wissen, ob Museen…
Sie richtet ihren Zeigefinger wie eine Waffe auf mich und sieht mich an, als wollte ich ihr den größten aller Bären aufbinden, sieht umher, als suche sie die versteckte Kamera, die sie später im Fernsehen dem Spott der Nation preisgeben wird…
Was soll das Ganze?“ will sie herrisch wissen.
„Ich will nächste Woche mit meinen Freunden nach Delphi fahren und möchte hier in Erfahrung bringen, ob die Stätte und das Museum geöffnet sind“, haspele ich.
„Im Februar hatte das Museum jeden Tag geöffnet, aber kein einziger Besucher ist gekommen“, sagt sie anklagend.
„Aber da, da, da konnte doch keiner kommen“, stottere ich. „Da war doch Schnee, Eis, die Straßen im Parnass gesperrt…“
„Bah,“ sagt sie. Als hätten die Touristen die Tapferkeit des Museums ehren und sich mit Langlaufski auf den Weg machen müssen.
Ich versuche es noch einmal: „Ist das Museum von Delphi in der nächsten Woche geöffnet?“
„Das Nationalmuseum in Athen ist geöffnet – soweit ich weiß“, sagt sie.
Mir kommt ein anderer Gedanke. Ein schrecklicher. „Wie sind eigentlich im Moment die Funde gesichert? Wenn es keinen Strom gibt, funktioniert doch keine Alarmanlage.“
Sie schüttelt den Kopf ob so viel Dummheit. „Es wird gestreikt! Alle streiken, junge Frau!“
Ob sie damit auch Diebe meint, sinniere ich lang.
Ihr perlendes Lachen reißt mich aus meinen Gedankengängen, respektive Gedankenlabyrinth. „Dafür müssen wir Lysistrata ewig dankbar sein!“ juchzt sie.
„Wer? Wofür?“
„Na, Lysistrata, die Erfinderin des Streiks!“
Jetzt fällt es mir wieder ein. Lysistrata war die streitbare Griechin, die ihre Geschlechtsgenossinnen zum Streik im Ehebett aufrief, um den Männern die Kriege zu verleiden. Jedoch, das Fleisch war schwach und die Frauen willige Streikbrecherinnen.
„Lysistratas Streik hat nicht gerade Erfolg gehabt“, sage ich.
„Wie?“ Die Griechin ist entgeistert.
„Es gibt doch immer noch Krieg“, trumpfe ich auf.
„Viel wichtiger ist es doch, dass es dank Lysistrata den Streik gibt!“ hält sie dagegen.
Eine Lektion in Sophisterei, noch eine griechische Erfindung.