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BLOG: Die Sankore Schriften

Die Welt ist voller Rätsel
Die Sankore Schriften

Die neue Ausgabe von “Gehirn und Geist“ beschäftigt sich mit positiven Emotionen und fragt: Was macht Menschen glücklich und zufrieden? Ein löbliches Unterfangen, denn die psychologische Forschung der letzten 120 Jahre hat diese Frage etwas stiefmütterlich behandelt. Schaut man sich die entsprechende Fachliteratur der Vergangenheit an, so kann man vermuten, dass auch hier, wie in der Tagespresse, gilt:  Only Bad News are Good News

Die psychologische Fachliteratur über Emotionen von 1887 bis 1999

Quelle: Manfred Spitzer, Sendereihe "Geist und Gehirn", Sendung "Gut und Schlecht"

Wenn die Psychologie nicht über Glück und Zufriedenheit forscht, wie können die Menschen dann lernen zufriedener und vielleicht sogar glücklich zu werden? Was könnte es noch für andere Gründe für diese Schieflage in der psychologischen Forschung geben? Was meint ihr?

Im Abstract ihres Reviewartikels schreiben die Psychologen Baumeister und Bratslavsky [1]:

Bad emotions, bad parents, and bad feedback have more impact than good ones, and bad information is processed more thoroughly than good. The self is more motivated to avoid bad self-definitions than to pursue good ones. Bad impressions and bad stereotypes are quicker to form and more resistant to disconfirmation than good ones.

 

Unterstützt werden diese Aussagen mit Befunden aus der Sprachforschung: Averill erstellte einen semantischen Atlas (müsste man mal Anatol Stefanowitsch vom Sprachlog fragen was das genau ist) für emotionale Konzepte, der 558 Worte für Emotionen enthielt [2]. Dann bat er Leute, diese Worte zu bewerten. 62% der Worte wurden negativ bewertet und 38% positiv. Van Goozen und Frijda baten Menschen aus sechs europäischen Ländern innerhalb von fünf Minuten Worte, die Emotionen beschreiben, niederzuschreiben [3]. Dann erstellten sie eine Liste, der 12 am häufigsten genannten Worte. In allen untersuchten Ländern machten es Freude, Traurigkeit, Ärger und Angst in die Top 12.

Vielleicht eine Erklärung warum Psychologen lieber über negative Emotionen als über positive schreiben, obwohl sie als Experten das Publication Bias kennen. Sie können, wie der Rest der Menschheit, nicht anders. Es bedarf, so absurd es sich anhört, vermutlich einer gewissen Überwindung sich mit positiven Emotionen zu befassen. Komisch eigentlich, denn jeder will doch glücklich werden.

 

Weiterführende Links

TED Talk Dan Gilbert fragt: Warum sind wir glücklich?

 

Weiterführende Literatur

[1] R. F. Baumeister, E. Bratslavsky, C. Finkenauer, K. D. Voha (2001). Bad is stronger than Good Review of General Psychology, Vol. 5.  (4), 323-370

[2] Averill, J. R. (1980). On the paucity of positive emotions. In K. Blankstein, P. Pliner, & J. Polivy (Eds.), Advances in the study of communication and affect (Vol. 6, p. 745). New York: Plenum.

[3] Van Goozen, S., & Frijda, N. H. (1993). Emotion words used in six European countries. European Journal of Social Psychology, 23, 89-95.

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Veröffentlicht von

Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

6 Kommentare

  1. Tabelle / Zeiträume

    Auch wenn das nur halb etwas mit dem Thema zu tun hat und wahrscheinlich auch vollkommen irrelevant ist: Ich verstehe die Tabelle nicht, warum verwendet man diese Zeiträume? 1967-1994 liegt im Abschnitt 1887-1999, wenn man eine Tendenz aufzeigen will, warum nimmt man nicht 1887-1966 und 1967-1999? Warum mache ich mir überhaupt Gedanken über sowas? 🙂

  2. @ Tabelle

    Da hast Du recht, aber da die Tabelle nicht von mir ist, kann ich auch nichts daran ändern. Viel interessanter als die Tendenz, finde ich aber das Verhältnis von Literatur über negative Emotionen zu der Literatur über positive Emotionen.

  3. Glück ist die Domäne der Philosophie

    Psychologie begann mit der Untersuchung von pathologischem Verhalten. Psychiatrie als medizinisches Fach erst recht.

    Zufrieden und gesund sein ist der Normalzustand – und mit dem muss man sich glücklicherweise nicht beschäftigen.

    Wenn sich eine (wissenschaftliche?) Disziplin mit dem Glück beschäftigt hat, dann ist es die Philosophie. In der Wikipedia liest man sogar: Sowohl die klassische westliche Philosophie (Philosophie der Antike) als auch die östliche Philosophie beschäftigen sich seit ihren Anfängen mit dem Thema Glück. Weil das Glücksstreben eine uralte Sehnsucht des Menschen ist, zählt der Themenkreis zu allen Zeiten zu den Kernelementen der Philosophie und wird dementsprechend auch von modernen Philosophen bearbeitet.

    Unter den modernen Philosophen hat sich vor allem Ludwig Marcuse mit dem Glück beschäftigt und sogar ein ganzes Buch darüber geschrieben.

  4. @Martin Holzherr

    Wenn man sich die Geschichte dieser beiden Disziplinen anschaut, hast Du natürlich vollkommen recht. Die Philosophie und auch die Religion existieren schon viel länger und befassen sich auch schon länger mit dem Thema Glück. Bloss heute, wo sich die meisten Leute im Alltag mit Philosphie kaum beschäftigen und die Kirchen in Deutschland über Mitgliederschwund klagen, scheint mir die Psychologie die Menschen doch viel eher abholen zu können als die Philosophie, zumal diese oft sehr abstrakt ist.

  5. @Tabelle

    Ich denke, man muss nicht immer alles verstehen, was publiziert wird… um glücklich zu sein gibt es immerhin auch kein Allgemeinrezept. Jeder muss das irgendwie selbst herausfinden…

  6. @ Flo

    Im Gegensatz zur deutschen Verfassung ist in der Verfassung der USA, dass individuelle Streben nach Glück (pursuit of happiness) explizit erwähnt. Du sagst:”Jeder muss das irgendwie selbst herausfinden…” Mein Eindruck ist, dass sich viele Menschen beim Herausfinden Hilfe wünschen.

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