Warum haben Übergewichtige ständig Hunger?

Übergewichtige essen zu viel, weil sie ständig Hunger haben. Warum haben sie ständig Hunger? Weil sie leptinresistent sind. Leptin ist ein Hormon, das von Fettzellen gebildet wird, wenn wir essen. Insulin sorgt dafür, dass die Fettzellen Leptin in das Blut abgeben und das Blut transportiert Leptin in den Hypothalamus, dem Sättigungszentrum1 des Gehirns. Dort bindet es an die Leptinrezeptoren bestimmter Nervenzellen2. Diese Bindung aktiviert einen Signalweg in den Nervenzellen, der dazu führt, dass wir uns satt fühlen und aufhören zu essen. Wenn das Sättigungszentrum nicht mehr auf Leptin reagiert, sprechen Physiologen von einer Leptinresistenz. Die Folge ist ständiger Hunger, obwohl die Fettspeicher bereits voll sind.

Das Hormon Leptin ist ein Protein. Die Abbildung zeigt die dreidimensionale Struktur des menschlichen Leptins.

Was sind die Ursachen der Leptinresistenz?

Einige Ernährungsforscher vermuten, dass der Transport von Leptin vom Blut in das Gehirn gestört ist. Wenn Leptin nur sehr eingeschränkt durch die Blut-Hirn-Schranke transportiert wird, dann kommt nicht genug im Sättigungszentrum an, der Hunger bleibt, obwohl genug Nahrung aufgenommen wurde.

Paul Pfluger und sein Forscherteam vom Helmholtz Zentrum München, untersuchten daher in Mäusen den Weg von Leptin im Gehirn mittels eines neuen 3D-Bildgebungsverfahrens und publizierten ihre Forschungsergebnisse in der Fachzeitschrift International Journal of Obesity [1].

Ihre Studie widerlegte die These vom gestörten Leptintransport. Sie konnten nachweisen, dass Leptin bei Mäusen immer in ausreichender Menge in das Gehirn gelangt, egal, ob sie Übergewicht hatten oder nicht. Aus diesem Ergebnis schlossen die Wissenschaftler, dass die Ursache für den ständigen Hunger im Sättigungszentrum selbst liegen muss. „Wir können die Ursache von Leptinresistenz nun eingrenzen und unsere Forschung auf die molekularen Mechanismen innerhalb der Nervenzellen fokussieren“, erläutert Paul Pfluger.

Zwei andere Forschergruppen fanden dann auch zwei Mechanismen, die verhindern, dass Leptin an die Nervenzellen im Sättigungszentrum bindet. Makoto Fukuda und seine Wissenschaftler vom Baylor College of Medicine in Houston, USA publizierten ihre Forschungsergebnisse im Journal of Clinical Investigation [2]. Die Forscher untersuchten zwei Gruppen von Mäusen: Eine Gruppe bekam ausgewogene Nahrung, die andere Gruppe fettreiche Nahrung. Die Mäuse, die ausgewogen ernährt wurden, hielten ihr Normalgewicht, die Mäuse, die fettreich ernährt wurden, bekamen Übergewicht.

Bei Mäusen, die fettreiche Nahrung fraßen, erhöhten sich die Werte des gastrisch inhibitorischen Peptids (GIP), eines im Darm produzierten Hormons. Die Forscher schreiben, dass das überschüssige GIP über das Blut zum Sättigungszentrum gelangt, wo es die Wirkung von Leptin hemmt; folglich fressen die Tiere weiter und nehmen an Gewicht zu. Blockierten die Forscher das GIP im Sättigungszentrum durch einen Antikörper, wurde die Fähigkeit des Leptins, den Hunger zu stillen, wiederhergestellt und führte bei Mäusen, die fettreich ernährt wurden, zu einem Gewichtsverlust.

“Diese Mäuse haben weniger gefressen und auch ihre Fettmasse und ihren Blutzuckerspiegel reduziert”, sagt Fukuda. “Im Gegensatz dazu reduzierten mit normalem Futter gefütterte Mäuse, die mit dem Antikörper behandelt wurden, weder ihre Nahrungsaufnahme noch ihr Körpergewicht oder ihre Fettmasse, was darauf hindeutet, dass die Wirkung des Antikörpers spezifisch für die ernährungsbedingte Fettleibigkeit ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei einer ausgewogenen Ernährung die GIP-Werte nicht steigen und Leptin wie erwartet wirkt und im Gehirn ein Sättigungsgefühl auslöst, sagt Fukuda. “Aber wenn die Tiere fettreiche Nahrung zu sich nehmen und fettleibig werden, steigen die GIP-Werte im Blut an”, so Fukuda. Das GIP fließt in den Hypothalamus, wo es die Wirkung von Leptin hemmt. Infolgedessen fühlen sich die Tiere nicht satt, fressen zu viel und nehmen an Gewicht zu.

Geert W. Schmid-Schönbeins Forscherteam von der Universität von Kalifornien, USA veröffentlichte die Ergebnisse seiner Forschung in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine [3]. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Mäuse, die mit fettreicher Nahrung gefüttert werden, ein Enzym namens Matrix-Metalloprotease 2 (MMP-2) produzieren. MMP-2 schneidet Leptinrezeptoren auf der Oberfläche von Nervenzellen im Hypothalamus ab. Dadurch kann Leptin nicht an die Nervenzellen binden. Das wiederum hält die Nervenzellen davon ab, zu signalisieren, dass der Magen voll ist, und die Mäuse aufhören sollten zu fressen.

Die Forscher zeigten, dass Leptin bei einer Blockade von MMP-2 noch an die Rezeptoren binden und Sättigung signalisieren kann. Im nächsten Schritt versuchen die Wissenschaftler zu bestätigen, dass der gleiche Mechanismus auch in Nervenzellen des menschlichen Gehirns auftritt. “In Zukunft werden wir versuchen, herauszufinden, warum Proteasen aktiviert werden, was sie aktiviert und wie man sie stoppen kann”, so Mazor, Erstautor der Studie. Die Forscher hoffen, dass in Zukunft Ärzte in der Lage sein werden, die Leptinresistenz beim Menschen durch die Blockierung von MMP-2 zu behandeln.

Fußnoten

1. Das Sättigungszentrum befindet sich im Hypothalamus im ventromedialen Teil des Nucleus arcuatus.

2. Es handelt sich um die AgRP/NPY-Nervenzellen, die so heißen, weil sie die Neuropeptide Agouti-related protein (AgRP) und Neuropeptid Y produzieren.

Weiterführende Literatur

[1]. Harrison, L., Schriever, S.C., Feuchtinger, A. et al. (2018) Fluorescent blood–brain barrier tracing shows intact leptin transport in obese mice. Int J Obes 43, 1305–1318.

[2]. Kentaro Kaneko, Yukiko Fu, Hsiao-Yun Lin, Elizabeth L. Cordonier, Qianxing Mo, Yong Gao, Ting Yao, Jacqueline Naylor, Victor Howard, Kenji Saito, Pingwen Xu, Siyu S. Chen, Miao-Hsueh Chen, Yong Xu, Kevin W. Williams, Peter Ravn, Makoto Fukuda (2019) Gut-derived GIP activates central Rap1 to impair neural leptin sensitivity during overnutrition. J Clin Invest., 129(9), 3786-3791.

[3]. Rafi Mazor, Dinorah Friedmann-Morvinski, Tom Alsaigh, Oded Kleifeld, Erik B. Kistler, Liat Rousso-Noori, Cheng Huang, Joyce B. Li, Inder M. Verma, Geert W. Schmid-Schönbein (2018) Cleavage of the leptin receptor by matrix metalloproteinase–2 promotes leptin resistance and obesity in mice. Science Translational Medicine, 10 (455), eaah6324 DOI: 10.1126/scitranslmed.aah6324

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Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

4 Kommentare

  1. Aha Joe Dramiga, kommen sie langsam ins Alter wo der Bauch zu schwabbeln beginnt und haben sich nun kundig gemacht wie dem abzuhelfen ist: durch eine ausgewogene, fettarme Ernährung?
    Dies zum obigen Satz (Zitat):

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei einer ausgewogenen Ernährung die GIP-Werte nicht steigen und Leptin wie erwartet wirkt und im Gehirn ein Sättigungsgefühl auslöst

  2. Was für ein bescheuerter, herablassender (?) Kommentar. Aber der Kommentator geht bestimmt wie fast alle von sich selbst aus…

  3. Der Artikel kommt also zu dem Schluss, wenn man Fett isst, dann steigert das das Bedürfniss nach noch mehr Fett.
    Klingt irgendwie logisch. Der Nebengedanke zum Sex ist naheliegend.

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