Thomas Hunt Morgan: Der Herr der Fliegen
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Vor hundert Jahren, im Jahr 1910, wies Thomas Hunt Morgan erstmals nach, dass ein Gen auf einem Chromosom liegt. Damit bewies er die damals umstrittene Chromosomentheorie der Vererbung. Wie war diese Theorie entstanden?
Die Chromosomentheorie der Vererbung
Im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts beobachteten Oscar Hertwig (1849-1922) und Eduard Strasburger (1844-1912), dass bei einer Befruchtung zwei Dinge geschehen: die Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle und die Vereinigung deren Zellkerne. Unter dem Mikroskop wurden im Zellkern stabförmige Strukturen sichtbar, die Heinrich Wilhelm Waldeyer (1836-1921) Chromosomen nannte. Walther Flemming beschrieb 1882 das Prinzip der Konstanz der Chromosomenzahl bei der Teilung der Körperzellen (Mitose) und Theodor Boveri beobachtete die Halbierung der Chromosomenzahl bei der Entstehung der Keimzellen (Meiose).
August Weismann erklärte 1885, dass das die einzigen konstanten Elemente in der Abfolge der Generationen die Chromosomen der Keimzellen sind. Da sich Eltern und Kinder im Aussehen gleichen, muss also diese Ähnlichkeit über die Chromosomen transportiert werden. Mikroskopische Untersuchungen enthüllten, dass die Chromosomen den Mendelschen Gesetzen der Vererbung folgten: Sie teilten sich in den elterlichen Zellen und wurden in den Zellen der Nachkommen neu kombiniert. Diese Beobachtungen waren die Grundlage der Chromosomentheorie der Vererbung (1903), die von Walter Sutton (1877-1916) und Theodor Boveri (1862-1915) vorgeschlagen wurde. Sie blieb jedoch noch auf Jahre umstritten, denn ein schlüssiger Beweis ließ auf sich warten. Strasburger schrieb 1909:
„Die Studien über die Vererbung zeigen nun, dass die nach den Mendelschen Regeln sichtbare Erscheinung ganz dem entsprechen, was sich mikroskopisch bei der Kernteilung und Kernverschmelzung an den Chromosomen beobachten lässt.“
Das Fly Lab der Columbia University
Die nächsten Fortschritte verdanken wir dem berühmten „Fly Lab“ der Columbia University in New York. Die Fliegenforscher wiesen nach, dass die Gene nacheinander auf den Chromosomen liegen und ermittelten ihre Reihenfolge und Abstände zueinander. Ihre Ergebnisse fassten sie in Chromosomenkarten zusammen. Im Fly Lab wurde Drosophila melanogaster, die „schwarzbäuchige“ Taufliege zum Modellorganismus der klassischen Genetik.
Abb.: Eine nur 2,5 x 0,8 mm kleine schwarzbäuchige Taufliege (Drosophila melanogaster)
Der spätere Nobelpreisträger Thomas Hunt Morgan (1866-1945) leitete das Labor, aber seine Studenten Alfred Henry Sturtevant (1891-1970), Calvin Blackman Bridges (1889-1938) und Herman Joseph Muller (1890-1967) machten Entdeckungen, die ebenso bedeutend waren wie die von Morgan selbst.
Abb.: Die Chromosomen der Taufliege (Drosophila melanogaster)
Der Beweis der Chromosomentheorie
Nach drei Jahren erfolgloser Experimente gelang Morgan im Jahre 1910 der erste Durchbruch. Bridges hatte zufällig beim Waschen der Fliegengläser eine männliche weißäugige Mutante entdeckt. Morgan bewies, dass die Ursache für dieses Merkmal ein mutiertes Gen auf dem X-Chromosom war.
Ein Jahr später zeigte Sturtevant, das man feststellen konnte, auf welchem Chromosom sich die für bestimmte Merkmale der Taufliege verantwortlichen Gene befinden. Er nutzte die Ergebnisse zahlloser Kreuzungen zwischen Taufliegen mit unterschiedlichen Kombinationen dieser Merkmale. So schuf Sturtevant die erste „Chromosomenkarte“.
Die Chromosomenkarte für Drosophila melanogaster (PDF)
Seit jener Zeit ist ein wichtiges Ziel der Genforschung, die für bestimmte Merkmale verantwortlichen Gene zu identifizieren und auf dem Chromosom zu lokalisieren. Heute, im Zeitalter des Internets, ist diese Arbeit schon gemacht und es gibt im Internet eine Datenbank für Drosophilagene.
centiMorgan ein Maß für den relativen Abstand von Genen auf einem Chromosom
Je weiter zwei Gene auf dem Chromosom voneinander entfernt liegen, umso größer wird die Austauschhäufigkeit zwischen diesen Genen. Die Austauschhäufigkeit stellt also auch ein relatives Maß für die Entfernung zweier Gene voneinander auf dem Chromosom dar
Das Maß für die relativen Abstände von Genen auf Chromosomen nennt man centiMorgan (cM). Es ist ein Maß für die Austauschhäufigkeit, mit der die Kopplung zweier Gene auf einem Chromosom durch Crossing over (Rekombination) bei der Bildung der Gameten durchbrochen wird. Die folgende Abbildung zeigt wie Morgan sich das Crossing Over vorgestellt hat.
Abb.: Crossing over der Chromosomen
Das centiMorgan ist keine physikalische Maßeinheit im klassischen Sinn, sondern gibt eine Wahrscheinlichkeit an. Zwei Loci sind 1 cM entfernt, wenn die Rekombinations (Crossing over-) Wahrscheinlichkeit zwischen diesen Loci 1 % pro Meiose beträgt, also im Durchschnitt ein Cross over in 100 Meiosen auftritt.
Abb.: Die relativen Abstände von Genen auf Drosophila-Chromosomen in centiMorgan (cM)
Weiterführende Links
Drosophila-Forschungslabore weltweit
Entwicklungsbiologie von Drosophila
Bildnachweise
Bild „Eine nur 2,5 x 0,8 mm kleine Schwarzbäuchige Taufliege (Drosophila melanogaster)“
André Karwath, Drosophila melanogaster – side (aka).jpg
Bild „Die Chromosomen der Taufliege (Drosophila melanogaster)“
Dixi, Drosophila chromosomes.png
Bild „Crossing over der Chromosomen“
Thomas Hunt Morgan, 1916 (A Critique of the Theory of Evolution, page 132), Morgan crossover 1.jpg
Bild „Die relativen Abstände von Genen auf Drosophila-Chromosomen in centiMorgan (cM)“
Steven J. Baskauf, Drosophila-chromosome-diagram.jpg