Wenn Wissenschaftler dichten: Raw and Unplugged

BLOG: Die Sankore Schriften

Die Welt ist voller Rätsel
Die Sankore Schriften

Wissenschaftler sind rational, distanziert, eigenbrötlerisch und exzentrische Workaholics die sich gern in ihren Elfenbeinturm zurückziehen, wenn die ganze Welt feiert. Es ist schwer mit ihnen warm zu werden  – so das Klischee. Aber mal ehrlich, welcher Student/welche Studentin war schon mit seinem/ihrem Professor auf ein Bier? Umso erstaunter ist der Laie, wenn er erfährt, dass so mancher Prof. Unrat Gedichte schreibt in denen er seine persönlichen Gefühle ausdrückt. Wenn das Gedicht dann noch von seiner Arbeit handelt, bringt es ihm doppelten Nutzen: Er zeigt seine, bisher unbekannte, persönliche Seite und eröffnet dem Laien einen neuen Zugang zu seiner Forschung. Mich würde es nicht wundern, wenn demnächst Nachbarblogger, Musenfreund und Sprachvirtuose Helmut Wicht von Anatomisches Allerlei auf SciLogs etwas Poetisches zum Besten bringt 😉 Und wem der Science Slam nicht gefällt, der muss sich bis dahin mit folgendem tragikomischen Kleinod von zwei Doktoranden der Mikrobiologie begnügen:

The Trouble with Coauthors1

Jon L. DiPippo*† and Kristen S. Swithers*†
 
*These authors contributed equally to this poem.
Department of Cell and Molecular Biology, University of Connecticut, Storrs, Connecticut, 06269, U.S.A.

I’m not sure exactly
how I came to be where I am,
number eight among eleven authors
of a paper that has been called elegant and groundbreaking
by a distinguished commentator
not associated with the work.

Of course, number eleven is the senior author
and they always come last.
I have never seen numbers nine and ten.
They are affiliated with several prominent research institutions
and must have done something.

I, at number eight,
chose various and appropriate statistical methods
and used them responsibly to analyze our data,
which were rather irregular and quite surprising.
All of which is fully explained by number seven.

It’s not important really,
but I think I might have contributed more
than authors five and six,
who constructed some trees
with rather low bootstrap support.

That would put me at number four,
tied with a highly motivated undergraduate
who ran gels, extracted DNA,
and washed all the lab’s glassware.

Her research experience
and prominent placement in the author list
of our well received paper
should help her chances of gaining admission
to at least one prestigious veterinary school.

I don’t know about author number three.
He is quite skilled in sundry techniques
of mutagenesis, cloning, and primer design.
But for him, our work was a mere side project,
a diversion from his other pursuits and interests.

Numbers one and two belong where they are,
for this paper is the intellectual fruit
of their well-conceived project.
The accumulation of their good ideas and hard won data.

They worked long hours together
conducting many tedious experiments,
repeating things and designing novel controls,
some of which will almost surely become standard in the field.

They remained quite friendly despite a plethora of setbacks.
But the quiet struggle to be number one,
to be spared the graveyard anonymity,
the coldness that comes with being among the et al.,
finally destroyed their camaraderie.

After days of respectfully arguing over whose ideas
were most vital to the project’s success,
they finally settled for an alphabetical solution
and an asterisk, which, in fine print at the bottom of page one,
indicates their equal contribution
to the present work.

I thank Kristen S. Swithers and Jon L. DiPippo for the permission to publish their poem.

 

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Veröffentlicht von

Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

4 Kommentare

  1. Morgue

    Bisher hatte ich immer den Eindruck, dass Gedichte für Wissenschaftler eher ein Graus sind. Bedient sich die Dichtkunst doch keiner exakten Sprache, außerdem wimmelt es in Gedichten nur so von Subjektivität. Das vorliegende Gedicht klingt auch nicht gerade poetisch, eher nüchtern und analytisch. Aber im Gegensatz zur Wissenschaft kann Dichtung in vielerlei Gewand daherkommen und alle möglichen Gefühlszustände ausdrücken. Natürlich können Wissenschaftler auch Dichter sein, sagte doch schon Faust: “Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,…”

    Helmut Wicht lese ich auch sehr gerne. Seinen aktuellen Beitrag überschreibt er zwar mit “Das Substrat der Schönheit”, aber dann stellt sich heraus, dass er mit “Schönheit” doch wohl etwas anderes meint, als man sich gemeinhin darunter vorstellt. Nach der fettigen Lektüre möchte man, frei nach Goethes Gretchen im Faust I., am liebsten ausrufen: “Helmut! Mir graut’s vor dir.” Einfach genial der Mann. Falls er doch einmal Gedichte schreiben sollte, so werden diese wahrscheinlich wie die von Gottfried Benn klingen, der auch Mediziner war. Hier das Gedicht ” Schöne Jugend” aus “Morgue und andere Gedichte”:

    Schöne Jugend

    Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf gelegen hatte,
    sah so angeknabbert aus.
    Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so löcherig.
    Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell
    fand man ein Nest von jungen Ratten.
    Ein kleines Schwesterchen lag tot.
    Die anderen lebten von Leber und Niere,
    tranken das kalte Blut und hatten
    hier eine schöne Jugend verlebt.
    Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
    Man warf sie allesamt ins Wasser.
    Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!

  2. Der gute Helmut Wicht hat mich mal zu Beginn meiner Scilogs-Zeit in eine Diskussion verwickelt – in seiner typischen Art. Das hat mich ganz schön mitgenommen^^

    Dichtende Wissenschaftler – das hat schon was. Danke für diesen neuen Blickwinkel!

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