ENCODE und die Körperbaupläne von Tieren

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Die Welt ist voller Rätsel
Die Sankore Schriften

Stellt euch mal vor, wir würden auf das Genom eines unbekannten ausgestorbenen Tieres schauen und könnten allein aus seiner DNA-Sequenz sein Aussehen rekonstruieren. „Ah, das scheint mir ein Fisch zu sein.“ Ähnlich wie wir vom Bauplan eines Architekten eine Vorstellung vom Aussehen eines Hauses bekommen. Wäre das nicht fantastisch? Oder umgekehrt von der Anatomie eines Tieres könnten wir darauf schließen welche regulatorischen und strukturellen Elemente sein Genom enthalten muss. Am Anfang dieses ehrgeizigen Projekts müssten Genetiker und Anatomen ihre Daten digital zusammen führen und eine repräsentative Referenz-Datenbank erstellen, die neben Modellorganismen weitere natürlich vorkommende typische Artvertreter enthält. Das Genexpressionsprofil vieler Zelltypen während der Entwicklung ist schon bekannt zusätzlich müsste man natürlich noch einen Zellstammbaum für jedes Tier in der Datenbank haben, wie bei dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans (dessen Körperbauplan ziemlich uninteressant ist). Das wäre für mich die interessanteste Fortsetzung des ENCODE-Projekts, dass sich ja bisher hauptsächlich auf die Species Mensch bezieht. Gerade für das Verständnis der Makroevolution wäre die Ausweitung von ENCODE auf die Genome von Lanzettfischchen, Tiktaalik, Seekuh, Archaeopteryx und Schnabeltier sehr wichtig, aber wahrscheinlich schwer durchführbar. Denn ein Aspekt, der bei der enthusiastischen Berichterstattung über ENCODE bisher vernachlässigt wurde, ist die Bedeutung der ENCODE-Sequenzen für die Körperbaupläne der Tiere.

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Abb.1: Der typische Körperbauplan der Bilateria oder Zweiseitentiere Die Bilateria verfügen ursprünglich über ein Vorder- und ein Hinterende sowie einen Mund. Im Verlauf der stammesgeschichtlichen Entwicklung können diese Merkmale aber reduziert worden sein. Die Hauptachse des Körpers verläuft durch das Vorder- und das Hinterende. 

Dies mag daran liegen, dass die Presse und ihre Leser am medizinischen Nutzen eines humanen Genomprojekts mehr Interesse haben als an Evo-Devo. Doch gerade dieses relativ junge, interdisziplinäre Forschungsgebiet schlägt eine Brücke zwischen Entwicklungs- und Evolutionsbiologie und kann so Antworten auf Fragen geben, die für Darwin noch unlösbare Rätsel darstellten. Evo-Devo wird von ENCODE viele neue Impulse bekommen. Wie die folgenden Zitate zeigen, gibt es unter Evo-Devo-Forschern einen Konsensus darüber, dass die cis-regulatorischen Elemente die genetische Basis der Körperbaupläne bilden:

Die Meinungen einiger Evo-Devo-Forscher
 

From what is already known, it is evident that the evolution of regulatory gene systems rather than of structural alleles, has been chiefly responsible for the sorts of morphological innovations revealed by the fossil record….indeed, for the origin of body plans, involving the patterning of novel architectures, evolution of cis-regulatory elements appears to have been preeminent.

James W. Valentine 2001, On the Origin of Phyla

 

For anyone interested in mechanism, there is in fact no other way to conceive of the basis of evolutionary change of bilaterian form than by change in the underlying developmental gene regulatory networks. This of course means change in the cis-regulatory DNA linkages that determine the functional architecture of all such networks.

Eric H. Davidson 2001, Genomic Regulatory Networks

 

It is the switches that encode instructions unique to individual species that enable different animals to be made using essentially the same toolkit.

Sean B. Carroll 2005, Endless Forms Most Beautiful

Diese Aussagen versteht man sofort, wenn man sich das Beispiel des Hausbaus vor Augen führt: Denn dort ist es wichtig zu wissen wo, wann und wie viel Mörtel und Zement verwendet werden.
 

Cis-regulatorische Elemente

Doch was sind überhaupt cis-regulatorische Elemente? In der Genetik wird die Region, welche maßgeblich für die Regulation eines Genes verantwortlich ist, Promotorregion genannt. In der Promotorregion binden sogenannte Transkriptionsfaktoren (TFs), welche die Expression von Genen regulieren. Die molekulare Erkennung der Zielgene der TFs erfolgt dabei durch spezifische Bindung der TFs an DNA-Motive, die cis-regulatorischen Elemente, die typischerweise artübergreifend konserviert sind. Sie können vor, nach oder direkt im Gen liegen. Cis-regulatorische Elemente, die zu einer Hemmung der Transkription führen, werden als Silencer bezeichnet. Cis-reguatorische Elemente, die zu einer Verstärkung der Transkription führen, werden Enhancer genannt. Die Gesamtheit der cis-/trans-Aktivitäten bestimmt schließlich die Intensität, mit der die RNA-Polymerase II die Transkription durchführt. Sucht man im Genom eines Organismus nun nach cis-regulatorischen Elementen, so gibt es mehrere Möglichkeiten die Signifikanz der Bindestellen zu beurteilen. Eine Möglichkeit ist es z.B. zu überprüfen, ob diese Bindestelle auch in der Promotorregion von orthologen Genen in anderen Organismen vorkommt. Ist dies der Fall, so ist dieses cis-Element evolutionär konserviert und somit mit großer Wahrscheinlichkeit funktionell. Die folgende Abbildung zeigt den typischen Aufbau eines eukaryotischen Gens mit seinen Protein-codierenden Exons. Dabei ist hier nur der Anfang des Gens am 5’ -Ende gezeigt.

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Abb.2: Der Anfang eines typischen eukaryotischen Gens Die RNA-Polymerase II (hier in der Abbildung nicht gezeigt) transkribiert das Gen, beginnend am Promotor, von links nach rechts. Die dunkelgrünen Rechtecke links vom Promotor sind die cis-regulatorischen Elemente.

 

Die Systematik der Bilateria

Die Systematik der Bilateria wird immer noch kontrovers zwischen Morphologen und Molekulargenetikern diskutiert. Dabei geht es zum einen um die verwandtschaftliche Beziehung zwischen Plathelminthen, Nematoden, Arthropoden und Chordaten zum anderen darum ob die Aufspaltung der Hauptgruppen erst im Kambrium oder davor stattfand. Diese stammesgeschichtliche Kontroverse wird besonders in der folgenden Abbildung deutlich:

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Abb.3: Morphologische und Molekulargenetische Stammbäume der Bilateria Plathelminthen (P), Nematoden (N), Arthropoden (A) und Chordaten (C). (a) bis (e) sind verschiedene Stammbäume, die auf morphologischen Charakteristika beruhen. (f) bis (j) sind verschiedene Stammbäume, die auf der molekulargenetischen Sequenzanalyse von 18S ribosomaler RNA beruhen. Interessant ist das (b) und (g) den gleichen Stammbaum abbilden ebenso (c) und (j).

Vielleicht könnte so eine Fortsetzung des ENCODE-Projekts mehr Licht in diese Angelegenheit bringen, weil sie nicht nur auf 18S ribosomaler RNA beruht sondern einen viel größeren genomischen Datensatz mit einbezieht.

 

Bildnachweis

Abb.3: Morphologische und Molekulargenetische Stammbäume der Bilateria

Bernhard Hausdorf (2000) Early Evolution of the Bilateria Syst. Biol. 49, (1), 130–142.

Figur 1 Seite 131

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht von

Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

4 Kommentare

  1. fantastic: 5 genes form your face

    Die Meldung Researchers have identified five of the genes that shape a person’s face geht doch genau in die Richtung, die mit dem Satz: “Stellt euch mal vor, wir würden auf das Genom eines unbekannten ausgestorbenen Tieres schauen und könnten allein aus seiner DNA-Sequenz sein Aussehen rekonstruieren. “ angedeutet wird.
    Der Zusammenhang Gen/Phänotyp wird wohl immer besser verstanden werden, denn diesen Zusammenhang kann man aus Gensequenzen, dem Wissen um aktivierte Gene und dem beobachteten Phänotyp erschliessen.

    Aber (Zitat)“umgekehrt von der Anatomie eines Tieres … darauf schließen welche regulatorischen und strukturellen Elemente sein Genom enthalten muss” das dürfte für immer schwierig bleiben gibt es doch das bekannte Phänomen der Konvergenz, also (Zitat Wikipedia)“die unabhängige Entwicklung analoger Organe bei verschiedenen Arten aufgrund von ähnlichen Umweltbedingungen.”.

  2. Konvergenz und genetische Signatur

    @ Martin Holzherr Ja, das wird ziemlich schwierig bleiben. In der Evolution wurde z. B. dreimal das Auge “erfunden”: für Insekten, Tintenfische und Wirbeltiere. Während das Auge des Tintenfischs aus einer Einstülpung der Haut entsteht, beginnt das Wirbeltierauge als blasenförmige Ausstülpung des Gehirns. Jeder dieser Augentypen wird seine spezifische Signatur im jeweiligen Genom hinterlassen. Diese artspezifischen genetischen Signaturen werden meistens sehr unterschiedlich sein, können sich aber – wider Erwarten – auch ähneln. (In diesem Fall würde aufgrund der Sequenzähnlichkeit eine Homologie vorgegaukelt werden.) Ich denke es kommt beides vor aber der letztere Fall viel seltener.

  3. Wäre auch für Menschen wichtig

    Die vorgeschlagene Erweiterung, wäre auch für die Kentnisse des Menschen selber notwendig.
    Schon aus etischen Gründen, kann man manche Dinge beim Menschen nicht ausprobieren, aber bei Hefe, C elegans oder D mel. regt sich kaum jemand auf.
    Wenn wir bei vielen Wesen verstehen wie der Zusammenhang zwischen Genetik, Epigenetik, Proteomik & Co zum Phenotyp ist, würde das auch helfen zu klären, wie und warum es beim Menschen so und nicht anders abläuft

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