Du kannst deinen Augen nicht trauen

BLOG: Die Sankore Schriften

Die Welt ist voller Rätsel
Die Sankore Schriften

Wahrend es in meinem früheren Artikel „Ein Mensch ohne Erinnerung“ darum ging zu zeigen wie unsere Gefühle und Vorstellungen unser Gedächtnis beeinflussen, geht es in diesem Artikel und in dem Artikel „Teste dein mentales Lexikon“ um die Frage wie unser Gedächtnis unsere visuelle Wahrnehmung beeinflusst.

Gestalt Wahrnehmung
Abb.: Krug im Wasser

Sehen ist die aktive Interpretation visueller Reize

Als Du Dir das obige Bild angeschaut hast, hast du wahrscheinlich ein knieendes nacktes Paar gesehen welches sich küsst. Kleine Kinder können dieses Paar nicht „sehen“ weil eine ähnliche Szene noch nicht in ihrem visuellen Langzeitgedächtnis ist. Die Kinder sehen neun schwarze Delfine, sieben große Delfine und zwei kleine.

Wenn es jetzt für Dich noch trotzdem schwer ist nach fünf Sekunden diese Delfine zu sehen, hast Du eine wirklich schmutzige Fantasie. 

Was wir zu sehen meinen, ist also eine Vorstellung unseres Gehirns. Das Auge liefert keine fertigen Bilder, sondern nur eine Sammlung von bunten Punkten im Rahmen der Grenzen, die Optik und Netzhaut setzen. Erst unser Gehirn formt daraus ein Bild. Dieses Bild muss nicht unbedingt der Realität entsprechen, denn unser Gehirn ergänzt dieses Bild durch gespeichertes Wissen. Das ist besonders bei visuellen Halluzinationen der Fall, wo man etwas sieht was gar nicht da ist. Es kommt beim Sehen zu einem Zusammenwirken von bottom-up Prozessen, das sind solche, die von visuellen Reizen ausgehen, und von top-down Prozessen, das sind solche die auf Vorwissen basieren. Manchmal brauchen wir nicht einmal die Augen um etwas zu sehen. Wenn wir die Augen im Schlaf geschlossen haben und träumen sehen wir auch etwas und wissen nicht einmal dass es nicht real ist bis wir aufwachen.

Sehen ist also kein passiver Prozess bei dem etwas abgebildet wird, wie beim Fotokopieren, sondern eine aktive Interpretation visueller Reize. Dabei werden Gestaltprinzipien eingesetzt, die in der frühsten Kindheit erlernt werden.

Die Gesichtserkennung ist im Aktivitätsmuster von Nervenzellverbänden gespeichert

In den ersten Wochen nach der Geburt nimmt ein Kleinkind seine Umgebung noch in erster Linie durch Hören und Tasten wahr. Erst allmählich lernt das Gehirn auch visuelle Reize zu interpretieren. Die Mutter wird nun beispielsweise als Bezugsperson wiedererkannt und mit angenehmen Gefühlen verbunden. Diese „Bilderfahrungen“ werden vom Gehirn in unserem visuellen Langzeitgedächtnis gespeichert. Leider kann dieses visuelle Langzeitgedächtnis im Alter auch verloren gehen, wie man bei der Alzheimerkrankheit sieht. Die an Alzheimer leidende alte Mutter kann zwar ihren Sohn „sehen“, ihn aber nicht als Sohn wahrnehmen. Die Mutter sieht einen für sie fremden Mann.

Sowohl Menschen als auch viele Affenarten erkennen Gruppenmitglieder innerhalb von Sekundenbruchteilen an ihrem Gesicht. Dabei wird nicht nacheinander jedes einzelne Merkmal wie Augen, Nase, Mund oder Kinnpartie überprüft, sondern das Gesicht als Einheit wahrgenommen. Dennoch fällt es normalerweise sofort auf, wenn Teile des Gesichts grotesk verzerrt oder gar verkehrt herum abgebildet werden.

Untersuchungen haben gezeigt, dass einige Nervenzellen der inferotemporalen Hirnrinde nur auf Hände und Gesichter ansprechen. Unter diesen „Gesichtsneuronen“ gibt es einige, die besonders gut auf frontale Ansichten von Gesichtern ansprechen. Verändert man das Gesicht, indem man Teile weglässt oder es im Profil zeigt, verringern diese Nervenzellen ihre Reizantwort. Bei anderen Gesichtsneuronen genügen schon Grundelemente wie zwei Punkte und ein Strich, wie wir sie vom Smiley Laughing kennen, um eine Reaktion auszulösen. Es scheinen also Nervenzellverbände zum Erkennen allgemeiner Eigenschaften von Gesichtern und solche zum Erkennen individueller Gesichter zu existieren. An der Erkennung eines Gesichtes sind also Neuronenverbände mit unterschiedlichen Antworteigenschaften beteiligt, dabei kommt es bei der Gesichtserkennung zu einer Synchronisation ihrer neuralen Aktivität. Die Identifizierung eines individuellen Gesichtes geschieht also aufgrund eines spezifischen Aktivitätsmuster solcher Neuronenverbände.

Gestörte Gesichtserkennung bei Schizophrenen

Um Gesichter zu erkennen, muss unser Gehirn viele verschiedene sichtbare Merkmale wie Farbe, Form und Helligkeit zu einem Gesamteindruck zusammenführen. Zu diesem Zweck arbeiten Nervenzellen aus unterschiedlichen Bereichen des Gehirns, die jeweils auf ein Merkmal reagieren, zusammen. Je besser dabei die Synchronisation, also die neuronale Zusammenarbeit, gelingt, desto besser erkennen wir Gesichter.

Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt haben mit schizophrenen Patienten den Mooney-Face –Test durchgeführt. Mooney-Faces sind Fotografien von Gesichtern, die nachträglich nur auf die Farben Schwarz und Weiß reduziert wurden, ohne jede Graustufenverläufe. Werden die Mooney-Faces um 180° gedreht, ist es ziemlich schwierig, ein Gesicht darin zu erkennen. (Diesen Effekt nennt man Thatcher-Illusion).

Mooney-Face
Abb.: Mooney-Face einer Frau

Es zeigte sich bei Schizophrenen sowohl eine geringere Erkennungsrate der Gesichter als auch eine verlängerte Reaktionszeit im Vergleich zu psychisch gesunden Versuchspersonen. Zusammengenommen deuten diese Experimente darauf hin, dass die neuronale Synchronisation bei Schizophrenen gestört ist.

Die Gesetze des visuellen Gestaltens beim Design

In ihrer Reihe Logodesign berichtet die Bloggerin Nora auf printblogger über die Gesetze des visuellen Gestaltens. Eine interessante und lesenswerte Einführung.

Weiterführende Links

Website über optische Täuschungen mit schönen Beispielen

Makaken und Menschen sind bei der Gesichtserkennung auf Artgenossen spezialisiert

MIT Video Lecture by Pawan Sinha: “Vision and Challenges”

Pawan Sinha focuses on our uncanny ability to recognize faces as a way of getting at one of the key problems of neuroscience: how our brains represent and then encode objects. He theorizes that facial perception is a holistic process: we broadly take in the relationship, for instance, of eyes, nose and mouth. He tested this hypothesis by creating a computer program that could similarly grasp facial structure, and the program was able to “see” a face within a larger picture.

Literatur

Bruce, C., Desimone, R., Gross, C.G. (1981) Visual properties of neurons in a polysensory area in superior temporal sulcus of the macaque. Journal of Neurophysiology. 46, 369-384

Kobatake, E. & Tanaka, K. (1994) Neuronal selectivities to complex object features in the ventral visual pathway of the macaque cerebral cortex. J. Neurophys. 71, 856-867.

Uhlhaas P.J., D.E.J. Linden, W., Singer, C. Haenschel, M., Lindner, K. Maurer and E. Rodriguez (2006) Dysfunctional long-range coordination of neural activity during Gestalt perception in schizophrenia. J Neurosci. 26 (31), 8168-8175

Leclair-Visonneau, L., Oudiette, D., Gaymard, B., Leu-Semenescu, S., Arnulf, I. (2010) Do the eyes scan dream images during rapid eye movement sleep? Evidence from the rapid eye movement sleep behaviour disorder model. Brain, May 16, 2010

Bildnachweis

Optische Täuschung, Quelle: E-Mail, Autor unbekannt

Bild „Mooney-Faces“

„MooneyFaces.jpg“, Autor unbekannt

Quelle: Wikimedia

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Veröffentlicht von

Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

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