Die Sankoré-Schriften [Video]
Im Jahr 1324 kam der malische Herrscher Mansa Musa, auf der Rückkehr von seiner Pilgerfahrt nach Mekka, durch die Handelsstadt Timbuktu. Timbuktu gewährte allen Völkern und Religionen Gastrecht und förderte damit ein Klima intellektueller Vielfalt und Toleranz. Mansa Musa war so beeindruckt vom geistigen und sozialen Milieu dieser Stadt, dass er den Architekten Abu Ishak al-Sahili beauftragte, die Sankoré-Moschee neu zu erbauen. Sie sollte zur Universität werden. Universität heißt im Arabischen „Dschamîa“ und ist die weibliche Form des Wortes „Dschâmî“ was “Moschee” bedeutet. Diese sprachliche Bedeutungsnähe ist ein Hinweis darauf, dass im Arabischen Moscheen und Hochschulen eng verbunden waren: Die islamischen Universitäten gliederten sich an die Moscheen an.
Auch im christlichen Europa waren die Klöster eng mit den Hochschulen verbunden: Die ersten Universitäten schlossen sich häufig den alten Kloster- und Domschulen an, unter denen schon im 8. und 9. Jahrhundert einzelne, wie beispielsweise Tours, St. Gallen, Fulda, Paris als scholae publicae zahlreiche Schüler von auswärts an sich gezogen hatten. Die Mönche übernahmen die Rolle der Traditionsbewahrung und –vermittlung. Die Klöster wurden zu Bewahrern der theologischen und antiken Schriften.
1853/54 entdeckte der deutsche Afrikaforscher Heinrich Barth die Sankoré-Schriften. Bei den Handschriften der Universität Sankoré handelt es sich nicht nur um Abschriften oder Auslegungen des Korans; mehrheitlich behandeln die Texte Fragen des Rechts, der Mathematik, Astronomie, Biologie, Medizin und weiterer Disziplinen. Auch Chroniken, Huldigungen, Ratgeber und Korrespondenzen finden sich darunter. Die Handschriften sind größtenteils in Arabisch verfasst. Seitdem 11. Jahrhundert hatte Arabisch im muslimischen Nord- und Westafrika die gleiche Bedeutung wie Latein in den Klöstern und Universitäten des europäischen Mittelalters: Es war über Jahrhunderte die Schriftsprache der geistigen und religiösen Eliten. Ab dem 14. Jahrhundert kam zusätzlich zu der arabischen Literatur eine afrikanische Literatur in Sprachen wie Tamasheq, Tifinagh, Songhai, Hausa und Fula hinzu. Diese afrikanische Literatur bediente sich der arabischen Schrift und wurde Ajami-Literatur genannt. Ajami ist Arabisch und bedeutet Nicht-Arabisch.
Die meisten Handschriften von Timbuktu (Schätzungen gehen von 300 000 bis 700 000 aus) gehören allerdings nicht der Universität Sankoré sondern waren und sind zu einem großen Teil im Besitz eingesessener Familien oder privater Sammlungen. Die ersten lokalen Handschriften entstanden als die Askiya-Dynastie 1493 in Songhai die Macht übernahm. Die Askiya regierten das Songhaireich knapp 100 Jahre lang und diese Zeit wird als Timbuktus goldenes Zeitalter beschrieben. Als die Marrokaner 1591 Timbuktu eroberten, entführten sie viele Gelehrte und ihre Handschriften nach Marokko. Viele von Ihnen kehrten nicht zurück. Sowohl unter der marokkanischen als auch unter der französischen Besatzung ab 1894, versteckten daher Gelehrte in Timbuktu ihre Bibliotheken oder mauerten sie zum Schutz vor Schändung und Raub ein.
Nachdem Frankreich einen Teil der wertvollen Handschriften während seiner Kolonialherrschaft in Mali (1883-1960) geraubt hatte, lagen sie lange Zeit unbeachtet in der Pariser Nationalbibliothek. Viele europäische Historiker ignorierten sie, weil sie Afrika für einen geschichtslosen Kontinent ohne intellektuelle Traditionen hielten. Erst 1965 begann der britische Afrikanist John Hunwick diese Manuskripte, zu erforschen.
Um die wichtigsten Bestände vor der Vergessenheit und dem Zerfall zu retten und öffentlich zugänglich zu machen wurde das Ahmed-Baba-Institut gegründet. Es platzt jedoch aus allen Nähten. Vor 40 Jahren für die Archivierung von 5000 Manuskripten erbaut, beherbergt es mittlerweile über 30 000 Schriften; 5000 davon wurden bereits restauriert und archiviert. Tatsächlich sind die Bibliotheken vor allem der Beweis, “dass Afrika seit nahezu tausend Jahren am islamischen Wissen teilhat”, meint der deutsche Islamwissenschaftler Albrecht Hofheinz; er betreut an der Universität Oslo ein Projekt zur Digitalisierung der Handschriften. 40 000 Handschriften aus Timbuktu wurden jetzt von Google Arts & Culture digitalisiert und indexiert und sind hier zugänglich: The Timbuktu Manuscripts
Als afrikanischer Wissenschaftler und Blogger möchte ich die geistige Tradition der Sankoré-Schriften online mit digitalen Medien fortsetzen. Ein Interview zu meinem Blog.
Video über die Sankoré-Schriften
Weiterführende Links
Bibliotheken in der Wüste am Beispiel der Stadt Timbuktu
AfricArxiv: ein Preprintserver für afrikanische Forscherinnen und Forscher
Übersetzungen
Gibt es eigentlich auch Übersetzungen der alten Schriften in europäische Sprachen?
Denn so würde das Wissen einer breiten Öffentlichkeit und Forschung zugänglich. Wissen, welches nur in Blatt- bzw. Buchform konserviert wird, ist nahezu wertlos
Aha, jetzt weiß ich endlich, was es mit dem Blognamen auf sich hat.
Finde ich schon heftig, daß für Hegel Afrika keine Geschichte hatte. Wie kann man so eine Behauptung aufstellen?
Wie ist es mit Äthiopien? Gibt es da vergleichbares zu berichten? Das Christentum ist ja auch eine Schriftreligion und somit müßte es in Äthiopien doch auch Schriften geben.
@KRichard
Laut des Blogs Bibliothekarisch.de http://bibliothekarisch.de/…stadt-timbuktu-mali/
sind gerade 12 wissenschaftlichen Institutionen in Europa mit den Handschriften beschäftigt. Wahrscheinlich gibt es schon vereinzelt Übersetzungen für die Experten aber ich denke kaum für die breite Öffentlichkeit.
@Martin Huhn
Bestimmt gibt es sowas auch in Äthiopien. Ich werde mal einen äthiopischen Freund von mir fragen.
@KRichard
Ich habe mich in meinem vorigen Kommentar vertan. Ich meinte “in Timbuktu” nicht “in Europa”.
Klasse!
Was für ein spannender Blogpost! Ich hatte über die Schriften schon verschiedentlich gelesen, aber da harren ja noch Schätze der Entdeckung!
Spannend finde ich auch das Neuro-Forschungsfeld des Bloggers! Werden wir auch darüber einmal zu lesen bekommen? *Hoff* Auf jeden Fall schon mal ein “Herzlich Willkommen!”
Ge’ez das
@Martin Huhn
In Äthiopien gibt es Ge’ez das “Latein” Äthiopiens. Es ist eine semitische Sprache und eine Schrift. Das Schriftsystem für Ge’ez wurde von dem südarabischen Alphabet abgeleitet. Es gab damals 33 Buchstaben in Ge’ez. Im Gegensatz zur arabischen Schrift wurde Ge’ez aber von links nach rechts geschrieben. Die ersten schriftlichen Zeugnisse auf Ge’ez stammen aus dem 1. Jahrhundert nach Christus,aus dem alten Reich von Aksum (heutiges Nordäthiopien/Eritrea). Nach der Übernahme des Christentums als Staatsreligion (4. Jahrhundert) wird Ge’ez die Sprache der Liturgie und Kirchenliteratur. Texte in Ge’ez sind in vielen tausenden Handschriften überliefert.
@Michael Blume
vielen Dank für das herzliche Willkommen.
Ich bin auch gespannt was die Schriften zu Tage fördern. Mich interessiert was die Menschen damals gedacht haben.
Ich werde demnächst auch wieder über Neurothemen bloggen.
@ Dramiga
Schönen Dank für die Recherche.
In der Bibel in Apostelgeschichte 8, 26-39 wird von einem Kämmerer aus Äthiopien berichtet, der im Propheten Jesaja gelesen hat. Wird wohl in Hebräisch gewesen sein. Der hat sich dann später von Philippus taufen lassen und ist wieder nach Äthiopien zurückgekehrt. Von daher dachte ich mir, mußte es dort christliche Literatur geben.
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Aus meinem Blog:
“Für Goethe hatte die indigene Bevölkerung in Mimik und Tanz ‘große Ähnlichkeit mit den Affen’. Immanuel Kannt, der Königsberger Moralist, befand in seiner ‘Menschenkunde oder philosophischen Anthropologie’ über die Ureinwohner kategorisch: ‘Das Volk der Amerikaner nimmt keine Bildung an. Es hat keine Triebfeder … Sie … sorgen auch für nichts und sind faul.’ Der Zyniker Hegel hatte sein Ohr ganz am Puls der Zeit des europäischen Rassismus: Die ‘Wälder Brasiliens’ hallten ihm wider von ‘fast unartikulierten Tönen entarteter Menschen’.”
Goethe, Kant, Hegel… Glaubt nicht an die klugen Köpfe! “Bildung” entsteht nicht in der Studierstube und bedeutet nicht die Kenntnis des Werkes der Geistesgrößen, Bildung hat etwas mit “sich ein Bild machen” zu tun, mit Hinreisen und schauen. So wie z. B. Alexander von Humboldt es getan hat.
Das Zitat stammt aus dem ZEIT-Artikel http://www.zeit.de/2008/52/DOS-Die-zweite-Entdeckung-Amerikas
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