Die Pille für den Mann: Was sich in den letzten 5 Jahren getan hat
Die erste Antibabypille, Enovid, kam am 18. August 1960 in den USA auf den Markt. Ein Jahr später war sie in der BRD als Anovlar und in der DDR als Ovosiston verfügbar. Ursprünglich als Medikament gegen Menstruationsbeschwerden vermarktet, wurde bald erkannt, dass sie eine verlässliche und reversible Methode der Verhütung bietet.
Mehr als 60 Jahre später sind für Männer die zwei wichtigsten Verhütungsmittel das Kondom und die Vasektomie, da die klinischen Studien mit Vasalgel, Testosteronspritze und Testosterongel noch nicht abgeschlossen sind. Das Kondom gilt als das erfolgreichste und weltweit am meisten genutzte Verhütungsmittel. Kondome sind für den einmaligen Gebrauch bestimmt und die Vasektomie, die Durchtrennung der beiden Samenleiter, macht den Mann dauerhaft unfruchtbar. Obwohl diese Sterilisation in manchen Fällen rückgängig gemacht werden kann, ist die Umkehroperation aufwendig, teuer und birgt keine Erfolgsgarantie.
Was fehlt, ist die Pille für den Mann – ein langanhaltendes, aber reversibles Verhütungsmittel. Wie könnte ein solches Präparat wirken? Forscher*innen haben drei Ansätze identifiziert, die eine Verhütung ermöglichen könnten.
Wirkmechanismen der männlichen Verhütung
1. Hemmung der Spermienproduktion
Ein Mann produziert in den Hoden jeden Tag Spermien. Ein Milliliter Samenflüssigkeit enthält 20 bis 150 Millionen Spermien. Bei der Ejakulation schwankt das Volumen zwischen 1,5 und 5,0 Milliliter. Für eine sichere Verhütung müsste die Spermienkonzentration drastisch gesenkt werden. Expert*innen gehen davon aus, dass bei weniger als 1 Million Spermien pro Milliliter die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis auf nur 2 % sinkt – ein Wert, der der Wirksamkeit der Pille für Frauen entspricht.
2. Hemmung der Spermienbewegung
Spermien müssen zur Eizelle schwimmen, um eine Befruchtung einzuleiten. Eine weitere Möglichkeit wäre, die Beweglichkeit der Spermien zu hemmen. Nach einer Ejakulation bleiben Spermien maximal fünf Tage in der weiblichen Scheide befruchtungsfähig (1), was den Zeitrahmen für ihre Wirkung begrenzt.
3. Verhindern des Eindringens des Spermiums in die Eizelle
Der dritte Ansatz zielt auf den letzten Schritt der Befruchtung ab: das Eindringen des Spermiums in die Eizelle. Ein Wirkstoff der verhindert, dass das Spermium in die Eizelle eindringt wäre eine weitere Möglichkeit der Verhütung.
Hemmung der Spermienproduktion
Dimethandrolon Undecanoat (DMAU)
Die Ergebnisse einer klinischen Studie (2) mit dem synthetischen Steroid DMAU zeigen, dass durch die tägliche Einnahme einer Pille mit DMAU die Testosteronproduktion in den Hoden signifikant abnahm. Dadurch wurde die Spermienproduktion unterdrückt.
11ß-Methyl-19-Nortestosteron Dodecylcarbonat (11ß-MNTDC)
Ein weiterer Kandidat ist 11ß-MNTDC. Dieser Wirkstoff bindet an Gestagen- und Androgenrezeptoren und hemmt die Hormonproduktion im Gehirn, die für die Steuerung der Spermienproduktion verantwortlich ist. Eine klinische Studie (3) zeigte, dass 11ß-MNTDC die Testosteronproduktion bei den Teilnehmern wirksam unterdrückt. Zwei von zehn Probanden erhielten ein Placebo, die übrigen unterschiedliche Dosierungen des Wirkstoffs. Die Ergebnisse sind ermutigend, doch weitere Studien sind nötig, um Sicherheit und Wirksamkeit zu bestätigen.
YCT-529
Die Substanz YCT-529 blockiert einen Rezeptor für Vitamin A, der in den Hoden eine Schlüsselrolle bei der Spermienproduktion spielt. In Versuchen mit Mäusen (4) erwies sich YCT-529 als extrem effektiv: Der Wirkstoff verhinderte in 99 % der Fälle eine Trächtigkeit, und die Wirkung war reversibel – die Fruchtbarkeit kehrte nach Absetzen der Behandlung zurück. Auch Tests an Hunden verliefen erfolgreich. Als Nächstes wollen die Forscher Anfang 2025 eine klinische Studie mit Menschen (5) unter Mehrfachgabe von YCT-529 samt Untersuchungen zur Verstoffwechselung des Wirkstoffes etc. abschließen.
CDD-2807
CDD-2807 hemmt die Serin/Threonin-Kinase 33 (STK33), ein Enzym, das eine Schlüsselrolle bei der Spermienreifung und -produktion spielt. In Versuchen mit Mäusen (6) zeigte sich der Wirkstoff als äußerst vielversprechend: Die Fruchtbarkeit der Tiere wurde deutlich reduziert, kehrte jedoch nach Absetzen des Medikaments vollständig zurück. Nun planen Forscher*innen, die Wirksamkeit und Sicherheit von CDD-2807 in Versuchen mit Affen zu untersuchen.
Hemmung der Spermienbewegung
TDI-11861
TDI-11861 hemmt das Enzym lösliche Adenylylcyclase (sAC), das für die Beweglichkeit der Spermien wichtig ist. In Versuchen mit Mäusen (7) hemmte TDI-11861 erfolgreich die Beweglichkeit der Spermien. Die Wirkung trat nach eine halben Stunde ein und lag bei 100% in den ersten 2 Stunden. Nach 24 Stunden kehrte die Beweglichkeit der Spermien wieder zurück.
Verhindern des Eindringens des Spermiums in die Eizelle
VU0546110
Um in die Eizelle einzudringen, muss das Spermium unter anderem in der Plasmamembran am Spermiumkopf sein Membranpotenzial ändern und hyperpolarisieren, was bedeutet, dass die Spannung zwischen der Innen- und Außenseite der Plasmamembran negativer wird. Dafür werden positiv geladene Kaliumionen aus dem Zellinnern nach außen gepumpt. Bei dieser Hyperpolarisation ist der Kaliumkanal SLO3 beteiligt, der nur in Spermien vorkommt. VU0546110 ist der erste selektive SLO3-Hemmer. Im Reagenzglas (8) verhinderte VU0546110 die Hyperpolarisation, die für das Eindringen in die Eizelle nötig ist.
Ausblick
In den letzten fünf Jahren wurden einige Wirkstoffkandidaten gefunden, doch zur Marktreife ist es noch ein langer Weg. Die nächsten Jahre werden zeigen, welcher Wirkstoff das Rennen macht und ob die Vision von der Pille für den Mann Realität wird. Falls kein Wirkstoff in den nächsten zehn Jahren erfolgreich ist, ist es vielleicht möglich zwei Wirkstoffe mit unterschiedlichen Wirkmechanismen wie z. B. YCT-529 und TDI-11861 in einer Pille zu kombinieren.
Weiterführende Literatur
[4]. A non-hormonal pill could soon expand men’s birth control options (2022)
[5]. Wirksame „Pille“ für den Mann rückt näher (2024)
Sehr viele Ansätze also und alle zielen auf die Spermien ab, und nur zwei davon greifen ins Hormonsystem ein wie bei Pillen für die Frau. Den Testosteron-Spiegel zu senken ist beim Mann tatsächlich meist keine gute Idee, denn Testosteron regt auch den Aufbau von Muskeln und Knochen an und vermindert die Fettmasse und ist damit einer der Gründe für Testorongaben bei (vor allem älteren) Männern.
Einige der potenziellen Wirkstoffe haben recht raffinierte Wirkmechanismen, was dann wohl erklärt, dass man erst kürzlich darauf gekommen ist.
Die meisten hier beschriebenen Wirkstoffe wirken längerfristig und machen also eine Dauermedikation nötig. Viele Männer aber würden wohl eine Art Pille davor bevorzugen, also etwas wie TDI-11861. Falls daraus ein Medikament wird, könnte es tatsächlich ein Selbstläufer werden.
Ein kombiniertes Präparat, das Sildenafil und TDI-11861 enthält, würde bestimmt gut angenommen.
How might the availability of a male contraceptive pill impact societal attitudes toward shared responsibility in contraception? Slope Game