Deutsche Physiker auf der Flucht vor den Nazis
BLOG: Die Sankore Schriften
Am 24. Mai 1933 erschien in der Londoner „Times“ der Gründungsaufruf des „Academic Assistance Council“ (AAC). Diese Organisation hatte das Ziel deutsche Wissenschaftler zu unterstützen, die aufgrund religiöser, politischer oder rassistischer Gründe vom Nazi-Regime diskriminiert wurden und ihre Forschung in Deutschland nicht mehr fortsetzen konnten.
Da die Gründer den Eindruck vermeiden wollten, dass es sich um eine speziell gegen die, gerade gewählte, deutsche Regierung gerichtete Aktion handele, wurde ausdrücklich betont, dass die Hilfe nicht auf Deutschland beschränkt sei und allein „the relief of suffering and the defence of learning" diene.
Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums
Wenige Monate zuvor, am 30. Januar 1933, hatte Hitler die Macht ergriffen und begonnen durch diskriminierende Gesetze und die Ermordung Andersdenkender Deutschland in eine Diktatur zu verwandeln. Ein Gesetz, das besonders dem deutschen Hochschulwesen schadete, war das sogenannte „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April das die „Säuberung“ des Beamtenapparates von den angeblichen Parteibuchbeamten – sprich hauptsächlich Sozialdemokraten der Weimarer Republik – zum Ziel hatte, wie es in § 2 beschrieben wird. Die größten Auswirkungen sollte jedoch der antisemitische § 3 haben. In der Durchführungsverordnung des Gesetzes vom 11. April wurde der betroffene Personenkreis benannt:
„Als nicht arisch gilt, wer von nicht arischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil nicht arisch ist. Dies ist besonders dann anzunehmen, wenn ein Elternteil oder Großelternteil der jüdischen Religion angehört hat.“
Auf Initiative des Reichspräsidenten von Hindenburg waren Frontkämpfer und Beamte, die ihre Laufbahn schon vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges begonnen hatten, davon ausgenommen. Nach § 4 konnten auch politisch Unzuverlässige entlassen werden, eine willkürlich auslegbare Bestimmung.
Von nun an mussten alle Universitätsangestellte umfangreiche Fragebögen ausfüllen, in denen nähere Angaben über die Abstammung der Eltern und Großeltern zu machen waren. In der dritten Durchführungsverordnung vom 6. Mai wurde der Geltungsbereich dann auch auf die nicht beamteten Lehrkräfte an den Universitäten ausgedehnt.
Die Hilfe englischer und amerikanischer Wissenschaftler
Diese universitäre Entlassungspolitik rief einen internationalen Aufschrei hervor. So veröffentlichte der „Manchester Guardian“ in der Ausgabe vom 19. Mai eine nicht vollständige Liste von 196 zwischen dem 13. April und 4.Mai entlassenen Hochschullehrern aller Fakultäten.
In den USA reagierte man schnell um den betroffenen deutschen Kollegen und Freunden zu helfen. Die Rockefellerstiftung, die hauptsächlich Spitzenforschung förderte, richtete am 12. Mai einen speziellen Fonds für vertriebene Gelehrte aus Deutschland ein. Am 27.Mai verschickte das „Emergency Committee in Aid of Displaced German Scholars“ in New York, ein erstes Rundschreiben an die Präsidenten der amerikanischen Colleges und Universitäten.
Diese Hilfsorganisation bemühte sich neben der Vermittlung von Kontakten zwischen den Vertriebenen und interessierten wissenschaftlichen Institutionen auch um die Beschaffung zusätzlicher Gelder. Damit sollten außerplanmäßige Stellen speziell für Auswanderer eingerichtet werden. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise versuchte man so den Eindruck zu vermeiden, einheimische Wissenschaftler würden zugunsten von Auswanderern benachteiligt.
In England setzte sich der Oxforder Chemie-Professor Frederick Lindemann für zahlreiche deutsche Chemiker und Physiker ein. Lindemann hatte seine Ausbildung teilweise in Deutschland durchlaufen und noch Kontakte mit deutschen Kollegen. Er reiste im Mai 1933 nach Berlin und Göttingen um sich selbst ein Bild von der Lage in Deutschland zu machen. Es gelang ihm, den Chemiekonzern „Imperial Chemical Industries“ im Mai 1933 für ein größeres Stipendienprogramm für emigrierte Physiker und Chemiker zu gewinnen.
Ausländische Hochschulen zwischen Solidarität und Eigennutz
Einige Universitäten in England und den USA bekamen auf diese Weise hervorragende Fachleute, deren Gehälter sie wenigstens zeitweise nicht selbst zu bezahlen brauchten. Bald kursierten Wunschlisten mit prominenten Namen. Für berühmte Physiker gab es genügend Angebote, aber schwierig wurde es mitunter für die älteren, wozu schon die über 40jährigen rechneten, und die jungen, die noch nicht genügend Gelegenheit gehabt hatten, sich zu profilieren.
Die Reaktionen deutscher Wissenschaftler im In- und Ausland
Doch auch deutsche Wissenschaftler im Exil setzten sich für ihre Kollegen in Deutschland ein: In Zürich hatten 27 emigrierte deutsche Hochschullehrer die „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“ gegründet. Ihr gelang im Sommer 1933 die Unterbringung von etwa 30 Forschern in Istanbul.
Albert Einstein hatte schon am 10. März 1933 in Pasadena, USA, in einer Presseerklärung, bekannt gegeben, dass er unter den herrschenden politischen Zuständen nicht nach Deutschland zurückkehren wolle:
„Solange mir eine Möglichkeit offensteht, werde ich mich nur in einem Land aufhalten, in dem politische Freiheit, Toleranz und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz herrschen. Zur politischen Freiheit gehört die Freiheit der mündlichen und schriftlichen Äußerung politischer Überzeugung eines Individuums. Diese Bedingungen sind gegenwärtig in Deutschland nicht erfüllt. Es werden dort diejenigen verfolgt, die sich um die Pflege internationaler Verständigung besonders verdient gemacht haben.“
Interessant sind aber auch die Reaktionen einiger prominenter Physiker in Deutschland selbst:
Max von Laue,Vorsitzender der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, verfasste am 10. Mai, der im Übrigen auch als Tag der rituellen Bücherverbrennung in die Geschichte einging, ein Rundschreiben an die Leiter der physikalischen Institute in Deutschland. Darin fragte er nach den Namen und Adressen aller wissenschaftlich tätigen Physiker bis zu älteren Studenten hinunter, die von dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ betroffen waren. Er wusste, dass der englische Physiker Ernest Rutherford, der Vorsitzende des AAC, Hilfe für die deutsch-jüdischen Kollegen organisieren wollte, dafür aber die genaue Kenntnis des betroffenen Personenkreises brauchte.
Max Planck, Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, sprach am 16. Mai mit Hitler, konnte aber keine Änderung der Entlassungspolitik bewirken. (Plancks Sohn Erwin war später einer der Widerstandskämpfer um Graf Stauffenberg und wurde am 23.Januar 1945 im Gefängnis Plötzensee hingerichtet.)
Der Göttinger Physiker James Franck fiel zwar als Frontkämpfer nicht unter das neue Gesetz, lehnte aber die Inanspruchnahme der Sonderregelung für seine Person ab. In einer Erklärung vom 17. April, die er dem Rektor der Universität und auszugsweise auch der Göttinger Zeitung übermittelte, hieß es u.a.:
„Ich habe meine vorgesetzte Behörde gebeten, mich von meinem Amte zu entbinden. Ich werde versuchen, in Deutschland weiter wissenschaftlich zu arbeiten. Wir Deutsche jüdischer Abstammung werden als Fremde und Feinde des Vaterlandes behandelt.“
Ebenso wie Franck verzichtete Fritz Haber darauf den Ausnahmestatus für sich selbst in Anspruch zu nehmen und verurteilte die diskriminierenden Gesetze:
„Meine Tradition verlangt von mir in einem wissenschaftlichen Amte, daß ich bei der Auswahl von Mitarbeitern nur die fachlichen und charakterlichen Eigenschaften der Bewerber berücksichtige, ohne nach ihrer rassemäßigen Beschaffenheit zu fragen.“
Ich glaube, dass damals, bedingt durch die in der Wissenschaft übliche internationale Zusammenarbeit, relativ mehr Menschen gerettet werden konnten als in anderen Berufsgruppen in Deutschland. Denn über das gemeinsame Forschungsinteresse hinaus sind auch kultur- und länderübergreifende Freundschaften entstanden, die dann zur Anteilnahme am Schicksal und Hilfe für die Betroffenen geführt haben. Natürlich ist auch der Wissenschaftsbetrieb nicht immun gegenüber Rassismus und Sexismus (denn Wissenschaft wird von Menschen betrieben), könnte und sollte aber eine wichtige Rolle im Kampf gegen diese beiden gesellschaftlichen Übel übernehmen.
Diskriminierung jüdischer Wissenschaftle
Schöner Text! Selbst wenn man die damalige Gesetzgebung für einen kurzen Augenblick “Jenseits von Gut und Böse” zu betrachten sucht, wird deutlich, dass sie vollkommen irrational, ja geradezu kontraproduktiv war. Immerhin war Göttingen damals das weltweit führende Zentrum für Atomforschung. Was, wenn Hitler auf Schacht und andere gehört hätte, die ihm die wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und militärischen Nachteile klar zu machen suchten, die mit seiner antijüdischen Gesetzgebung einhergingen? Was, vor allem, wenn Deutschland als erstes Land in den Besitz der Atombombe gelangt wäre?
Ich war vor vier Wochen in Princeton und habe dort natürlich sogleich das Haus aufgesucht, in dem Albert Einstein seinerzeit lebte. Es ist leider kein Museum, sondern ein privates Wohnhaus.
In Princetons Hauptstraße, der Nassau Street, gibt es jedoch ein “Einstein House”, das musealen Charakter hat. Ich hoffte dort ein Buch finden zu können, aus dem ich erfahren würde, wie Einstein über die Krise von 1939, den “Danzig-Konflikt”, dachte, doch leider ohne Erfolg.
Hast Du zufällig einen Buchtipp?
Buchtipp
@Edgar Leider habe ich keinen Buchtipp! Versuch doch mal mit dem Einstein Archiv in Jerusalem Kontakt aufzunehmen, vielleicht findet sich da was.