Radiärsymmetrie und sesshafte Lebensweise: Die Meeresschnecken von Dar es Salaam

BLOG: Die Sankore Schriften

Die Welt ist voller Rätsel
Die Sankore Schriften

Viele, die ihren Sommerurlaub am Strand verbrachten, bringen von dort Muschelschalen, Seesternskelette und Schneckenhäuser mit nach Hause. Als Andenken liegen diese dann auf der Fensterbank, dem Regal oder dem Schreibtisch. Doch kaum zuhause angekommen, lässt das im Urlaub entflammte Interesse für die Morphologie dieser Meeresbewohner dann ebenso schnell nach wie es begonnen hat. Das muss nicht sein, denn wer sich näher damit befasst, kann einiges über die Lebensweise dieser Tiere lernen.

Ich war diesen Sommer zwei Tage in Dar es Salaam (arabisch‚ „Hafen des Friedens“) am Indischen Ozean. Dar, wie es umgangssprachlich oft genannt wird,  ist mit mehr als 3 Millionen Einwohnern die größte Stadt Tansanias. 1862 begann der Sultan von Sansibar, Sayyid Mâdjid, mit dem Ausbau des Dorfes Msisima; er wollte seine Residenz auf das Festland verlegen, gab dem Ort den Namen Bandar as-Salâm und begann mit dem Bau eines Palastes, der allerdings bei seinem Tode 1870 noch nicht vollendet war. 1891 bezog die deutsche Kolonialverwaltung von Deutsch-Ostafrika in Dar es Salaam ihren Sitz.

Abb.1: An der Küste von Dar es Salaam

Wenn ich schon mal am Indischen Ozean bin, liegt es als Biologe nahe, mich mit den hiesigen Meeresbewohnern zu beschäftigen – das habe ich getan und mich besonders aufmerksam den Schneckenhäusern von Meeresschnecken gewidmet. Aquatisch lebende Schnecken bringen infolge des Auftriebs im Wasser tendenziell größere Formen hervor als die Landschnecken und sind deshalb anatomisch und morphologisch relativ einfach zu untersuchen.

Das Schneckenhaus ist mit zwei Muskeln mit dem Körper der Schnecke verbunden und dient dem Schutz des Weichtierkörpers vor Fressfeinden und Verletzungen. Das Schneckenhaus entstand, im Verlaufe eines langen, bereits im Kambrium einsetzenden evolutionären Prozesses, aus Kalkstacheln und Schalenplatten früher Weichtiere.

Ich habe die Schneckenhäuser fotografiert, weil ich so fasziniert von ihrem radiärsymmetrischen Grundbauplan war. Gerader Kreiskegel, schiefer Kreiskegel, Spindel, verlängerter Rotationsellipsoid – man findet einiges, wenn man die Augen offen hält. Aber hübsch der Reihe nach…..


Abb.2: Der gerade und der schiefe Kreiskegel

Der Kreiskegel

Gegeben seien ein Kreis und eine Senkrechte zum Kreis durch den Mittelpunkt. Verbindet man einen Punkt der Senkrechten mit jedem Punkt der Kreislinie, so entsteht ein gerader Kreiskegel. Der Punkt (“die Spitze”) darf nicht der Mittelpunkt des Kreises sein.
Die Ebene, in welcher der Basiskreis liegt, heißt Basis(kreis)ebene. Unter dem Radius r des Kegels versteht man normalerweise den Radius des Basiskreises. Die Gerade durch den Mittelpunkt des Basiskreises und die Spitze nennt man die Achse des Kegels. Steht die Achse senkrecht zur Basisebene, so liegt ein gerader Kreiskegel oder Drehkegel vor. Andernfalls spricht man von einem schiefen Kreiskegel oder elliptischen Kegel. Die Höhe h des Kegels ist der Abstand der Spitze von der Basisebene; dieser Abstand muss senkrecht zur Basisebene gemessen werden. Der Kreis kann auch durch eine andere ebene, geschlossene Kurve ersetzt werden. Das kann eine Ellipse oder ein anderes Flächenstück sein.


 Abb.3: Die grosse Kegelschnecke (Conus leopardus)

 Abb.4: Die grosse Kegelschnecke (Conus leopardus)

Abb.5:?

Abb.6: Die weiße Spindelschnecke (Fosus undatus)

Abb.7: Die weiße Spindelschnecke (Fosus undatus)

Abb.8: ?

Das Rotationsellipsoid

Ein Rotationsellipsoid ist ein Ellipsoid, das durch die Drehung einer Ellipse um eine ihrer Achsen entsteht. Man unterscheidet dabei je nach Länge der Drehachse das a) verlängerte (prolate) Ellipsoid bei Rotation um die große Halbachse a und das b) abgeplattete (oblate) Ellipsoid bei Rotation um die kleine Halbachse b.

Abb.9: Das Rotationsellipsoid

Abb.10: Die Tigerschnecke (Cypraea tigris)

Abb.11: Die Tigerschnecke (Cypraea tigris)

Abb.12: ? 

Abb.13: ? 

Abb.14: ?

Radiärsymmetrie und Sesshaftigkeit

Radiärsymmetrie ist typisch für Tiere, die mit dem hinteren Körperende festsitzen und deren Mundöffnung sich am vorderen Körperende befindet,das gilt z.B. für die meisten Hohltiere (Coelenterata) und erwachsene Stachelhäuter (Echinodermata). Bisher hat man diese Lebensweise nur bei im Wasser lebenden Wirbellosen (Invertebraten) gefunden. Sehr wahrscheinlich, das zeigen uns Fossilien, sind diese radiärsymmetrischen Wassertiere aus bilateralsymmetrischen Tieren hervorgegangen. Die Forscher haben auch einen Zusammenhang gefunden, der den Wechsel von der Bilateralsymmetrie zur Radiärsymmetrie erklärt: Es ist die Sesshaftigkeit. Irgendwann im Laufe der Evolution sind die Tiere sesshaft geworden. Fortbewegung war nicht mehr nötig. Eine Seeanemone z. B. klebt mit ihrem Fuß auf dem harten Untergrund des Meeres. Sie muss sich nicht bewegen. Sie streckt ihre Tentakeln ins Wasser und wartet einfach, bis etwas Schmackhaftes vorbeikommt. Diese Ortsgebundenheit führte bei vielen Tiergruppen zu einem Verlust der Bilateralsymmetrie. Seesterne und Seeigel, die zu den Stachelhäuter gehören, haben als erwachsene Tiere eine so genannte Pentamerie, es lassen sich also fünf Symmetrie-Ebenen hindurchlegen. Die Larven dieser Tiere aber sind bilateralsymmetrisch aufgebaut. Im Laufe einer Metamorphose wird aus der bilateralsymmetrischen Larve der pentamere Seestern.

Auch bei den seßhaften Pflanzen, z.B. den Rosengewächsen (Rose, Erdbeere, Kirsche, Äpfel, Birnen) findet man eine Radiärsymmetrie der Blüten. Überhaupt findet man bei Blütenpflanzen oft einen zylindrischen Grundbauplan. Radiärsymmetrie ist also typisch für eine seßhafte Lebensweise und deshalb wird man durch zuwenig Bewegung sehr schnell zur Couch Potato. Auch hier sieht man sehr schön den Übergang von einem bilateralen Grundbauplan zu enem radiärsymmetrischen, denn die Kartoffel ist im Grunde ein verlängerter Rotationsellipsoid. Evolution passiert also hier und heute in unseren Wohnzimmern.

P.S.: Folgende Meeresschnecken konnte ich identifizieren: Große Kegelschnecke (Conus leopardus), Tigerschnecke (Cypraea tigris), weiße Spindelschnecke (Fosus undatus), Die Stachelschnecke (Murex Mini) habe ich zwar fotiografiert aber die Bilder hier nicht reingestellt. Bei den anderen bitte ich die hier mitlesenden MeersbiologenInnen um Hilfe.

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Joe Dramiga ist Neurogenetiker und hat Biologie an der Universität Köln und am King’s College London studiert. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Genexpression in einem Mausmodell für die Frontotemporale Demenz. Die Frontotemporale Demenz ist eine Erkrankung des Gehirns, die sowohl Ähnlichkeit mit Alzheimer als auch mit Parkinson hat. Kontakt: jdramiga [at] googlemail [dot] com

6 Kommentare

  1. Museum

    unter http://www.meeresmuseum-ozeania.de finden Sie ein Museum in Riedenburg (Landkreis Kelheim/Bayern) mit einer Ausstellung von Muschel- und Schneckenschalen aus den Meeren. Zum Teil sind echte Raritäten dabei – und optisch sind die Schalen auch für jeden Laien ein Genuss.
    Ein Umweg lohnt sich, wenn man in der Nähe ist

  2. Kegel, Spiralen: Sesshaft aber Wachsend

    Was in diesem Beitrag nicht erwähnt wird: Kegel- und Spiralformen können nicht allein mit Sesshaftigkeit erklärt werden. Sie sind typisch für sesshafte und wachsende Tiere, die ihr altes Gehäuse nicht aufgeben sondern das Gehäuse zusammen mit dem Bewohner des Gehäuses um ein Zentrum herum wachsen lassen.

  3. Form, Drehrichtung

    Per Google [Natur Architektur: Warum sich Schneckenhäuser winden] findet sich ein Beitrag, wonach die ungleichmäßige Konzentration eines speziellen Proteins Drehungen des Gehäuses verursacht – die ´Seßhaftigkeitstheorie´ muss daher mit Fragezeichen versehen werden.
    Per Google [Schneckenhäuser geheimnisvolle Windung] wird in einem Experiment gezeigt, wie einfach sich die Drehrichtung (bei Landschnecken) umdrehen läßt

  4. Mathematik im Muster

    Nicht nur die geometrische Form mancher Gehäuse entspricht mathematischen Gesetzmäßigkeiten.
    Im Buch von Hans Meinhardt: Wie Schnecken sich in Schale werfen – zeigt er, dass manche Oberflächen-Muster mathematisch darstellbaren Regeln entsprechen, die sich per Computerprogramm nachvollziehen lassen: als Aktivator-/Inhibitorsystem, welches von einem Hormon geregelt wird.

  5. @KRichard und Martin Holzherr Warum?

    Es geht in dem Artikel eher um das evolutionäre Warum (den Kontext) nicht um das physiologische oder entwicklungsbiologische Wie (den Mechanismus). Das es eventuell noch andere Möglichkeiten gibt zu einem radiärsymmetrischen Grundbauplan zu gelangen ist keine Widerlegung der Sesshaftigkeitstheorie.

Schreibe einen Kommentar