Soll man wirklich von einer kausalen Abgeschlossenheit der Welt reden?
BLOG: Die Natur der Naturwissenschaft
Philosophen und Theologen reden oft von “kausaler Abgeschlossenheit”, wenn sie eine Annahme charakterisieren wollen, die viele Naturwissenschaftler mehr oder weniger bewusst in ihr Weltbild integriert haben. “Nichts geschieht ohne Grund” oder “Alles geht mit rechten Dingen zu” wären ähnliche, allerdings plakativere Formulierungen, die zum Ausdruck bringen, dass man davon ausgeht, dass es keine übernatürlichen Akteure gibt, dass die Welt sich nur aus sich heraus weiter entwickelt. Solche Aussagen oder Begriffe bleiben aber immer vage, auch zunächst präzis erscheinende Definitionen stützen sich bei näherem Hinsehen nur auf andere vage Begriffe. Dennoch weiß jeder, der sich ein wenig in der Szene, in der solche Argumente artikuliert werden, umgesehen und eingelesen hat, was “Sache” ist. Dahinter stecken Naturalisten und Physikalisten verschiedenster Schattierungen.
Die Bedeutung der Kausalität in Physik und Hirnforschung
Insbesondere in der neueren Diskussion um die Frage, welche Rolle die Strukturen und Prozesse in unserem Gehirn für das Phänomen des Bewusstseins spielen, wird von vielen Vertretern der Philosophie des Geistes der Begriff der kausalen Abgeschlossenheit benutzt, um die Position der naturwissenschaftlich arbeitenden Hirnforscher festzunageln. So hat man eine (zumindest klar aussehende) These vor sich liegen, die man kritisch untersuchen kann. Dabei glauben manche, die Hirnforscher in diesem Punkt schon mit dem Verweis auf die Physik widerlegen zu können, indem man argumentiert, dass in der Physik längst Phänomene bekannt geworden sind, die man hervorragend im Rahmen der Quantenmechanik beschreiben und erklären kann, bei denen aber das Konzept der Kausalität versagt: Ein instabiler Atomkern zerfällt irgendwann – aus welchem Grund gerade zu einer bestimmten Zeit? – Das kann man nicht berechnen. Jede Annahme, die dazu führen könnte, dass man den Zeitpunkt bestimmen kann, käme mit den Gesetzen der Quantenmechanik in Konflikt, die aber in allen Experimenten aufs Beste bestätigt worden sind. Die Annahme der Kausalität für alle Phänomene dieser Welt ist offensichtlich ein Vorurteil. In unserer Welt der mittleren Dimensionen kennen wir es zwar als durchgängig waltendes Prinzip; das heißt aber nicht, dass es auch in der Welt der kleinsten Dimensionen gelten muss. Es kann ein emergentes Phänomen sein, das nur in Vielquantensystemen auftritt, so, wie wir es auch von der “Realität” kennen (siehe den Beitrag “Realität und Nichtseparabilität in Quantenmechanik und Buddhismus”).
Ein Physiker würde also nicht von kausaler Abgeschlossenheit reden. Da nun viele Hirnforscher auch als Physiker ausgebildet sind und da die Kommunikation zwischen diesen beiden Gruppen von Naturwissenschaftlern ohnehin recht lebendig ist, ist das den Hirnforschern nicht verborgen geblieben. Ein Physiker würde andererseits in der Arbeitshypothese der Hirnforscher, dass auf deren Gebiet noch mit der Kausalität in allen Prozessen zu rechnen ist, auch gar keinen Fehler sehen. Sollten diese merken, dass Quanteneffekte ins Spiel kommen, würden sie wohl auch die Quantenmechanik bemühen. Jede Philippika gegen die Annahme der Kausalität in der Hirnforschung (z.B. Falkenburg, 2012) ist also ein Kampf gegen Windmühlen.
Von der “kausalen Abgeschlossenheit” bleibt also nur die “Abgeschlossenheit” übrig, die man ernsthaft als Annahme unterstellen kann. Und das ist in der Tat der Kern, der die beiden Lager eigentlich unterscheidet: Jene, die davon ausgehen, dass man das Phänomen des Bewusstseins irgendwann als emergente Eigenschaften eines höchst komplexen Zentralnervensystems verstehen wird und jene, die ein von der Materie unabhängiges “Geistprinzip” postulieren und behaupten, dass der “Geist nicht aus der Natur ist” (Falkenburg, 2012).
Analogie zur Mechanisierung des Weltbildes
Mich erinnert dieser Streit, der im Zusammenhang mit den Ergebnissen und Zielen der modernen Hirnforschung entbrannt ist, an die Situation des 18. Jahrhunderts, als die Newtonsche Mechanik ihre größten Triumpfe feierte und zu einem Maßstab für eine Wissenschaft überhaupt geworden war. Auch hier gab es zwei Aspekte unterschiedlicher Reichweite: Einerseits wurde man sich bewusst, dass der methodische Atheismus zum Grundprinzip einer Naturwissenschaft gehört. Die Antwort von Laplace auf die Frage danach, wo denn in diesen Überlegungen Gott vorkomme: “Sire, wir brauchen diese Hypothese nicht” drückt das kurz und knapp aus. Andererseits glaubte man, dass man mit diesen Methoden der klassischen Bewegungslehre, auch bald klassische Mechanik genannt, die ganze Welt erklären könne. Im Vorwort zu seinem Buch “Essay sur les probabilités” formuliert Pierre Simon Laplace im Jahre 1814 das so: “Eine Intelligenz, welche für einen gegebenen Augenblick alle in der Natur wirkenden Kräfte sowie die gegenseitige Lage der sie zusammensetzenden Elemente kennt, und überdies umfassend genug wäre, um diese gegebenen Größen der Analysis zu unterwerfen, würde in derselben Formel die Bewegungen der größten Weltkörper wie des leichtesten Atoms umschließen; nichts würde ihr ungewiss sein und Zukunft wie Vergangenheit würden ihr offen vor Augen liegen“. (s.a. Pierre Laplace. Philosophischer Versuch über die Wahrscheinlichkeit. Leipzig 1932, S. 1f.). In dieser geschichtlichen Situation wurde also die Abgeschlossenheit dadurch unterstellt, dass ein göttlicher Einfluss nicht vorhanden ist, und statt der Kausalität war es hier die Gleichsetzung der klassischen Mechanik mit dem Zugang zu einer verlässlichen Beschreibung der Welt überhaupt. Im so entstandenen mechanistischen Weltbild konnte man aber noch nicht zwischen diesen beiden Annahmen differenzieren, denn man kannte ja nur die klassische Mechanik.
Wir wissen, wie die Geschichte weiter gegangen ist: Im 19. Jahrhundert lernte man immer besser, die elektrischen und magnetischen Phänomene zu bändigen und zu verstehen. James Clerk Maxwell formulierte am Ende dieses Jahrhunderts eine Theorie, die für die elektromagnetischen Phänomene eine gleich große Erklärungskraft besaß wie die Newtonsche Mechanik für die Bewegungen. Alle Versuche aber, die Maxwellsche Theorie auf Prinzipien der Newtonschen Physik zurück zu führen, schlugen fehl. Ein elektromagnetisches Feld konnte nicht durch ein mechanisches Modell erklärt werden, es entpuppte sich als eine Entität sui generis.
Hätte damals jemand gegen die Mechanisierung des Weltbildes Stellung bezogen und darauf beharrt, dass der Blitz und die merkwürdige Wirkung von Magnetit nicht “aus der Natur” seien, weil sie durch die Bewegungslehre grundsätzlich nicht erklärbar seien, so hätte er auch teils recht, teils unrecht gehabt. Ja, hätte er noch auf die vielen Scharlatane verwiesen, die schon lange mit den elektrischen und magnetischen Phänomenen auf den Jahrmärkten und an den Höfen der Adligen ihren Scherz trieben, ohne auch im geringsten ein wissenschaftliches Interesse daran zu haben, so hätte manch einer sogar Sympathie für diese Haltung empfunden. Als die Physiker aber die elektrischen und magnetischen Effekte immer besser quantitativ beschreiben und in Beziehung setzen lernte, gaben sie eben die spezifisch mechanizistische Sicht der Dinge auf, wobei bedeutende Wissenschaftler durchaus einige Mühe damit hatten. Was blieb, gehörte zum Kern der naturwissenschaftlichen Methode: Die Abgeschlossenheit, hier gegen einen übernatürlichen Akteur.
So müssen sich die Hirnforscher auch nicht der Kausalität verpflichtet fühlen, sondern allein der naturwissenschaftlichen Methode, die ihrer Natur nach verlässliches Wissen schafft.
Nur das Wissen über Beziehungen ist nachprüfbar und kann verlässlich sein
Es ist aber nicht allein die Abgeschlossenheit der Welt, die als Prinzip hinter jeder naturwissenschaftlichen Forschung steckt. Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der eine solche Forschung charakterisiert und die Verlässlichkeit ihrer Ergebnisse erst ermöglicht. Dieser wird oft übersehen und führt zu unerfüllbaren Erwartungen und Forderungen und damit zu vielen unnützen Streitereien. Was ist es, was man in der Naturwissenschaft erkunden kann und auch nur will? Das ist es doch: Die Identifizierung quantitativ fassbarer Größen, die Entdeckung von Beziehungen zwischen diesen in allgemeinen Fällen und der Zusammenhang der Werte dieser Größen mit beobachtbaren Phänomenen. Der ontische Charakter der Größen bleibt mehr oder weniger vage. Das “Sein” kennen wir nur aus unserer Menschenperspektive, aus unserem Umgang mit den Dingen der Welt der mittleren Dimensionen. Wir können heute einzelne Quanten manipulieren sowie genau berechnen, wie sie sich in jeder experimentellen Situation verhalten, aber wir werden nie sagen können, was ein Quant denn “in Wirklichkeit” ist.
Was können wir also von der Hirnforschung erwarten? Doch nicht eine verbal formulierte und klar fassbare Aussage darüber, was denn der “Geist” oder das “Bewusstsein” eigentlich ist. Diese Begriffe sind ja sowieso nur ungerechtfertigte Substantivierungen, ausgehend von einem höchst beeindruckenden Phänomen. Relationen können wir erwarten – zwischen physiologischen Zuständen und mentalen, Beziehungen zwischen mentalen Phänomenen und physiologischen Parametern, und das sicher nicht in deterministischer Weise, dazu ist das Gehirn zu komplex. Physiker haben aber schon viel Erfahrung mit der Beschreibung komplexer Systeme gesammelt, haben entsprechende mathematische Methoden in vielen Anwendungen erprobt und kultiviert. Vieleicht stellt die Hirnforschung noch eine besondere Herausforderung für die Formulierung stochastischer Beziehungen dar.
Wenn wir aber nun beim Begriff des Quants akzeptieren, dass wir nicht sagen können, was es eigentlich ist, so mag uns solches beim “Bewusstsein” vielleicht schwer fallen. Das besitzen wir doch selbst und da fühlen wir uns direkt zuständig. Nun haben wir aber inzwischen gelernt, dass wir über all das, was sich in unserem Kopfe tut, doch nicht so viel wissen, und dass sich unsere bewussten Beweggründe, Motive und Wünsche aus einem komplizierten und wenig kontrollierbaren Untergrund ergeben. Dass wir uns und unser Bewusstsein gut kennen, ist wirklich nur eine Illusion.
Als Wesen der Welt der mittleren Dimensionen haben wir im Zuge der Evolution keine Begriffe und Anschauungen für die Welt der kleinsten und größten räumlichen Dimensionen entwickeln können. Ähnlich beschränkt wird wohl auch unser Zugang zu solch komplexen Systemen sein, wie es ein Gehirn ist; wir mussten während der Evolution nur mit sehr begrenzt komplexen Systemen umgehen lernen. Ich erwarte somit gar nicht, dass man später einmal in Hirnforscherkreisen oder philosophischen Zirkeln mit Begriffen oder Vorstellungen unserer Welt der mittleren Dimensionen erklären kann, wie es zum Phänomen des Bewusstseins kommt.
Wir müssen vergegenwärtigen, dass wir hinsichtlich unseres Vorstellungsvermögens unsere Herkunft aus der Evolution nicht verleugnen können, sollten aber die Erkenntnismöglichkeiten, die darüber hinaus gehen, neugierig und offen für Überraschungen ausnutzen.
Falkenburg, B. “Wieviel erklärt uns die Hirnforschung?” Information Philosophie 1, S. 8, (2012)
Regelmäßigkeit statt Abgeschlossenheit
Sehr schöner Beitrag, den ich gerne allen Neurophilosophen und denjenigen, die es einmal werden wollen, als Literatur empfehlen möchte. 😉
Die Bedeutung der These von der kausalen Geschlossenheit wird meines Erachtens stark überschätzt. Einerseits bleibt sie Metaphysisch, denn um sie lückenlos zu belegen, müssten wir alle Geschehnisse der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft restlos aufklären können.
Also bleiben Verallgemeinerungen der Form: Vieles, was wir bisher erklären können, können wir kausal erklären, also können wir es bei anderem vermutlich auch. (induktiver Schluss)
In diesem Punkt muss ich dir aber widersprechen. Ja, mit Laplace kann man bis heute denken, dass man keinen Gott (oder andere übernatürliche Erklärungen) braucht. Das heißt aber nicht, dass es naturwissenschaftlich nichts Übernatürliches geben darf. Hinreichende Ähnlichkeiten und Regelmäßigkeiten im Naturverlauf genügen für die wissenschaftliche Verallgemeinerung in Gesetzen.
Davon abgesehen gib es immer eine Messgrenze und bis heute gibt es auch unter (Natur-) Wissenschaftlern die Vorstellung, dass die Erforschung der Natur eine Art Lesen im Buch Gottes ist. Tja, darüber, wie die Welt nun “wirklich” ist, können wir Menschen ab einem gewissen Punkt eben doch nur spekulieren.
Kausale Abgeschlossenheit
Nach meinem Verständnis ist die These der kausalen Abgeschlossenheit negativ zu formulieren: “Es gibt keine außerhalb der materiellen Welt liegenden kausalen Ursachen für ein Ereignis in der materiellen Welt”. Dann ist der radioaktive Zerfall unproblematisch. Problematisch wird die These, wenn die Frage zu beantworten ist “Warum erscheinen in diesem Moment schwarze Punkte in bestimmter Anordnung auf dem Display dieses Monitors” Wenn ich darauf antworte: “Weil ich etwa gedacht habe und weil ich diesen Gedanken aufschreiben wollte.” Dann gebe ich als Grund den Willen und das Denken eines Ich an. Im Falle der kausalen Geschlossenheit müsste ich diesen Grund vollständig auf etwas materielles reduzieren können, also eine materielle Definition von “Ich” von “Denken” und von “Wollen” angeben können (oder wenigstens begründen können, dass das möglich ist).
Ich stimme nicht damit überein, dass wir sehr wenig über “unser Bewusstsein” wissen. Ich weiß ziemlich viel über meinen Willen, meine Wünsche, meine Absichten und Handlungsgründe – all das ist mir unmittelbar evident. Ich weiß darüber mehr und vor allem sicherer etwas als über das Wetter, das Verhalten des Notebooks oder über Physik. “Wissen” das heißt doch, sich einer Sache sehr sicher zu sein, oder?
“Widersprechen”
Sicherheit
@Friedrich
Das wäre mutig bis falsch formuliert, die Abgeschlossenheit der Modernen Wissenschaftlichkeit legt das nicht nahe. – Vielleicht beißt man sich hier aber auch am “Materiellen”, was immer auch damit genau gemeint sein mag. Im Artikel findet sich hierzu nicht so-o viel.
Vielleicht täuscht auch die Wissenschaftlichkeit durch ihren Namen, Wissen im Sinne von “sicher sein” in einer wie auch immer bestimmten Qualität ist wohl eher nicht gemeint, sondern eher die Theoretierung als Provisorium. Science dagegen als Verstehen oder Vertrauen…
Letztlich scheint der Artikel für ein “schmerzfreies” Navigieren und Erkennen im Gemessenen zu plädieren.
MFG
Dr. Webbaer
Ich verstehe von Physik nichts und kann nur ein Unbehagen in einem Punkt zu formulieren versuchen, aus Kenntnissen anderer Art heraus. Zu erklären, was „Bewußtsein“ ist, liegt nicht an der Komplexität eines Phänomens. (Sie deuten mehrmals an, daß das die Ursache dafür sei, daß die Hirnforschung hier an Grenzen stößt – wenn ich Sie richtig verstanden haben.)
Sondern „Bewußtsein“ ist uns nur aus der Innenperspektive zugänglich. Es ist nicht von außen beobachtbar und wir schließen immer nur in der von Dilthey beschriebenen Weise im Zuge des Erlebnis-Ausdruck-Verstehens-Geschehens vom Wissen darüber, was in uns vorgeht bei bestimmtem Ausdruck, den wir unserem Inneren geben, auf das, was in anderen vorgeht, deren Ausdruck wir beobachten. Es kann darüber grundsätzlich kein naturwissenschaftliches Wissen geben. Die Gründe sind logischer Art und haben nichts mit Komplexität zu tun. Neuere Systemtheoretiker sagen, daß es nicht möglich sei, ein System gleichzeitig aus der Innen- und aus der Außenperspektive zu beschreiben; das führe in Widersprüche.
Bewusstsein? Geist?und Wissenschaft
Bewusstsein wird kein nützlicher Begriff mehr sein, wenn man mehr darüber weiss. Der folgenden Aussage muss man deshalb zustimmen:
Begriffe wie Bewusstsein oder Geist sind doch schon hoffnungslos metaphyisch aufgeladen. Solche Begriffe müssen platzen wie ein überdehnter Ballon, wenn man tiefer in die damit verbundenen Phänomene eindringt.
Aber schon heute kennt man mehr als “das Bewusstsein”, verschiedene Aspekte und Entwicklungshöhen von Bewusstsein nämlich, aber auch diagnose- und handlungsorientierte Definitionen des Bewusstseinsgrades z.B. in der Medizin (im Koma, bei Hirnschädigungen, etc.).
Wissenschaftlich ist so etwas abstraktes wie “Bewusstsein” kaum zugänglich, wohl aber sind Phänomene zugänglich, die man mit Bewusstsein in Verbindung bringt.
Das ist doch etwas ganz allgemeines. Früher haben die Leute mit dem Begriff Bewegung oder Kraft auch Dinge in Verbindung gebracht, die wenig mit den heute in der Naturwissenschaft verwendeten Begriffen zu tun haben. Genau so wird es sein, wenn man sich mit naturwissenschaftlichen Methoden den Phänomenen zuwendet, die im Zusammenhang mit dem stehen, was wir heute Bewusstsein nennen.
@Ludwig Trepl: Ich und die Anderen
Forschung kennt immer ein Forschungsobjekt – deshalb die Metapher vom Forscher, der seinen Gegenstand wie ein Insekt auf dem Objektträger aufspiesst.
Aber auch für Erlebende, Bewusste sind die Anderen das Insekt, das aufgespiest wird, wie folgendes Zitat ja zeigt:
wir schließen immer vom Wissen darüber, was in uns vorgeht …, auf das, was in anderen vorgeht
Doch folgendes ist ein Fehlschluss oder mindestens eine unvollständige Aussage:
Es kann darüber [über das Bewusstsein] grundsätzlich kein naturwissenschaftliches Wissen geben. Die Gründe sind logischer Art und haben nichts mit Komplexität zu tun.
Denn warum sollte ein Mensch mit Bewusstsein mehr über das Bewusstsein eines Anderen wissen, nur weil er selbst ein Bewusstsein hat? Müsste man nicht das zweite Zitat, damit es schlüssig wird so abändern:
Es kann über das Bewusstsein eines Bewusstseinsträgers grundsätzlich kein Wissen – weder ein wissenschaftliches, noch ein subjektives (?) – geben.
Mit anderen Worten: Warum sollte ein Mensch, der glaubt ein Bewusstsein zu haben, besser in der Lage sein, das Bewusstsein anderer Menschen zu “beurteilen” als das eine wissenschaftliche Untersuchungsmethode kann.
Man spricht ja vom “Mindreading”. Mittels Messungen des dynamischen Hirnstoffwechels oder/und Messungen von Hirnströmen kann man bereits heute mit statistischen Methoden und einer Trainingsdatenbank ziemlich zuverlässig schliessen was im Kopf von Probanden vorgeht – mindestens in Bezug auf bestimmte Aspekte. Mit ähnlichen Methoden kann man vielleicht später auch Bewusstseinzustände, inneres Erleben und sogar Selbsterleben erschliessen. Und es könnte sogar sein, dass man auf diese Art mehr erfährt über das fremde Bewusstsein als ein Mitmensch mit seinem Einfühlen in den Anderen.
Die Naturwissenschaft kann nur Fragen stellen und beantworten, die in ihrem Kontext Sinn machen. Vieles was wir Menschen über Geist und Bewusstsein zusammenspintisieren kann gar nie Gegenstand von naturwissenschaftlichen Untersuchungen werden.
Das muss man akzeptieren. Es kommt am Schluss – wenn Resultate vorliegen – zudem auf die Bewertung der wissenschatlichen Ergebnisse an. Man könnte sagen: Toll was die Wissenschaftler über Bewusstseinphänomene herausgefunden haben, aber das ist nicht alles.
Ein mehr wissenschaftlich orientierter Mensch sagt aber vielleicht: Toll was wir jetzt wissen – und was wir nicht wissen, darüber sollten wir schweigen oder neue Wege suchen, darüber zu forschen.
@Trepl
Warum soll das nicht gehen?, das geht schon, verweisen Sie vielleicht dementsprechend.
BTW, Achtung!, schlauer Satz folgt: Die Außenperspektive ist immer auch eine Innenperspektive.
MFG
Dr. Webbaer
Begriff – stutzig
@ Josef Honerkamp
“Diese Begriffe [der “Geist” oder das “Bewusstsein”] sind ja sowieso nur ungerechtfertigte Substantivierungen, ausgehend von einem höchst beeindruckenden Phänomen.”
Was sind denn gerechtfertigte Substantivierungen?
“Wissen” und “Beziehungen”, sind das gerechtfertigte Substantivierungen (von ich “weiß” etwas; bzw. zwei Dinge “beziehen” sich aufeinander)? Ein Elektron scheint ja nun auch nicht so dingartig zu sein, wie man das vielleicht einmal gehofft hatte. So wie Geist sich geistig zeigt, zeigt ein Elektron sich elektronisch. Für mich, übrigens beides höchst beeindruckende Phänomene.
@ Martin Holzherr
“Solche Begriffe [wie Bewusstsein oder Geist] müssen platzen wie ein überdehnter Ballon, wenn man tiefer in die damit verbundenen Phänomene eindringt.”
So, wie der Begriff des “Atoms” geplatzt ist oder der der “Gesellschaft”, als man tiefer in die damit verbundenen Phänomene eindrang?
Forschung und Tabu
Atom und Bewusstsein werden von uns völlig unterschiedlich betrachtet und behandelt.
Das Atom und seine Bestandteile werden mit extremem Aufwand erforscht (z.B. CERN). Dadurch können das Wissen immer wieder erweitert und ergänzt werden.
Die Erforschung des Bewusstseins ist dagegen mit Tabu belegt, so dass ein tieferes Verständnis dieser Eigenschaft nur durch Tabubruch möglich wäre.
@Joker: Wissen erweitert Begriffe
Die Begriffe Atom, Gesellschaft und Bewusstsein verschwinden nicht mehr, denn sie stehen am Anfang einer Fragestellung oder sind bereits eine konzeptionelle Antwort auf eine Frage. Atom ist so ein Fall. Er ist die Antwort auf die Frage aus was Materie zusammengesetzt ist. Auch wenn dieser ursprünglichen Antwort ein zu simples Modell zugrundelag, so stimmt immerhin die Richtung: Materie besteht aus diskreten Objekten, von denen es nur wenige Sorten gibt. Doch das Wissen, das seit der Bestätigung des Atommodells über Atome aufgebaut wurde, hat unser Bild vom Atom vollkommen gewandelt. Immerhin hat der Begriff Atom noch eine materielle Grundlage, während einige ja bezweifen, dass Geist und Bewusstsein rein materiellen Ursprungs sind. Darum kann es durchaus sein, dass mit zunehmenden Wissen über das Phänomen Bewusstsein, der Begriff Bewusstsein von Bewusstseinsforschern zunehmend gemieden .
Ich erwarte von den Hirnforschern, dass sie versuchen, die Frage zu beantworten, wie aus feuernden Neuronen subjektive Eindrücke entstehen können.
Was ist mit der Formulierung “nicht in deterministischer Weise” gemeint? Das klingt, als ob es möglich wäre, dass es keinen funktionalen Zusammenhang zwischen neuronaler Aktivität und subjektivem Erleben gibt.
Vielen Dank für die vielen anregenden Kommentare
@Stefan Schleim
Vielen Dank auch für das Lob. Aber wenn doch alle diejenigen, die vom Übernatürlichen oder von Dingen, die “nicht aus der Natur” sind, reden, etwas konkreter würden.
@Jörg Friedrich: Man wird einem Computer beibringen können, unter bestimmten Umständen die Tastatur eines PC zu bedienen und dort Sätze einzutippen, die er in seinem Speicher hat und die durch einen Algorithmus als passend zu seiner Situation erkannt wurden. Von außen wird das aussehen, als wenn er autonom handelt, und materiell erscheint es zunächst auch nicht. Aber es sind natürlich Ströme, die dort fließen (so wie in unserem Hirn Ströme fließen). So problematisch im Hinblick auf eine Abgeschlossenheit scheint mir dieses Szenarium auch nicht zu sein.
@Dr.Webbaer: “schmerzfreies” Navigieren und Erkennen im Gemessenen – ja, das finde ich gut formuliert. Die dauernden Fragen: Was ist .. der Geist, das Böse (womöglich der Teufel, hier wird nicht nur substantiviert sondern auch noch personalisiert), ein Quant, usw. “schmerzen”, weil sie zu nichts führen. Andererseits: Wie wirkt das? Das können wir besser erkennen, und beim Quant wissen wir schon viel Verlässliches darüber.
@Ludwig Trepl: Lassen wir mal Dilthey beiseite. Die Komplexität spielt schon eine Rolle, wie es ja die Evolution der Erkenntnisfähigkeit zeigt. Die Schwierigkeiten mit der Innenperspektive habe ich in i der Richtung, die Sie ansprechen, in meinem Blogbeitrag “Innenwelt und Außenansicht” vom 12. Juni 2010 thematisiert.
@Martin Holzherr: Ich stimme Ihnen im wesentlichen zu.
@Joker: Bei einem Elektron kann ich mit einer Substantivierung leben, es ist lokalisiert und hat eine Masse. Der Begriff “Elektron” ist also durch Experimente und Theorien sehr präzise eingekreist worden. Bei “Geist” besteht die Gefahr, dass wir “Geister” sehen; ich würde statt dessen lieber “Information” sagen und diesen Begriff so gebrauchen, wie ich es in meinem Beitrag “Der Informationsbegriff in der Physik” vom 20.9.2010 beschrieben habe. Dann ist es einen Entitität, die in der Welt existiert seit es dort Wesen mit einem genügend großem Gehirn gibt.
@Balanus:
“Nicht deterministisch” soll einfach heißen: “Stochastisch”, d.h. wir kennen wegen der Komplexität nicht alle Einflüsse so genau, um ein deterministisches Modell zu formulieren (siehe Physik komplexer Systeme).
Substantivierung
“Bei einem Elektron kann ich mit einer Substantivierung leben, es ist lokalisiert und hat eine Masse.”
Ich wollte nur darauf hinweisen, dass Substantive in der deutschen Sprache nicht ausschließlich für Dinge, im Sinne von physikalischen Objekten, verwendet werden. Die Substantivierung von geistigen Phänomenen zu “Geist” ist, aus meiner Perspektive, so (un-)problematisch, wie die Substantivierung von feurigen Prozessen zu “Feuer” oder von physikalischen Machenschaften zu “Physik”. Das ist einfach hilfreich, um sich über bestimmte Sachverhalte knapp und relativ präzise ausdrücken zu können. Daher halte ich den Begriff “Geist” als Substantiv auch für gerechtfertigt.
Wenn geistige Phänomene verdinglicht würden, wenn man z.B. auf die Idee käme, die Masse von Geist und Bewusstsein feststellen zu wollen, das wäre ein Problem. Und Geist und Bewusstsein sind natürlich immer noch keine Dinge, nur weil man diese Dinge (kleiner Scherz) vielleicht sogar lokalisieren kann.
Falkenburgs Geist
“Ein Physiker würde also nicht von kausaler Abgeschlossenheit reden.”
Nun bin ich einer der lustigen Zeitgenossen, die nicht ablassen wollen von kausaler Abgeschlossenheit zu reden. Aber zugegeben, ich bin kein Physiker.
Gleichzeitig, und nicht nur um die Wogen zu glätten, stimme ich mit @ Stephan Schleim überein, der schreibt: “Die Bedeutung der These von der kausalen Geschlossenheit wird meines Erachtens stark überschätzt.”
Frau Falkenburg würde ich daher in einigen Ansichten widersprechen, die sie in ihrem Essay äußert. In einem Punkt finde ich aber ist sie hier im Blog-Artikel ungenau zitiert worden. Damit ihr hier kein Unrecht geschieht, sollte man das vielleicht noch klären.
Sie schreiben:
“[…] jene, die ein von der Materie unabhängiges “Geistprinzip” postulieren und behaupten, dass der “Geist nicht aus der Natur ist” (Falkenburg, 2012).”
Frau Falkenburg schreibt am Ende ihres Essays:
“Die höheren Organisationsformen der Natur lassen sich nicht lückenlos aus den niederen herleiten. Und der Geist nicht aus der Natur.”
Damit möchte sie – meiner Interpretation nach – nicht sagen, dass der Geist nicht aus der Natur ist, sondern, der Geist lässt sich daraus nicht lückenlos herleiten. Sie kritisiert in ihrem Essay nur die naturwissenschaftliche Hintergrundannahme eines Determinismus und bezweifelt, dass sich jemals Gesetze finden lassen, die den Geist vollständig beschreiben. So schreibt sie schon vorher: “Dies setzt […] Grenzen, dem metaphysischen Wahn, wir könnten im Prinzip alles in der Welt restlos erklären.” (Das ist ein Wahn, der nur ungerechtfertigter Weise dem Determinismus, so wie ich ihn verstehe, untergeschoben wird.)
Ich sehe Frau Falkenburg also gar nicht so weit weg von ihrer eigenen, im Blog beschriebenen Position:
“Relationen können wir erwarten – zwischen physiologischen Zuständen und mentalen, Beziehungen zwischen mentalen Phänomenen und physiologischen Parametern, und das sicher nicht in deterministischer Weise, […]”
@ Josef Honerkamp
Sie schreiben zu meinem Kommentar: „Die Komplexität spielt schon eine Rolle, wie es ja die Evolution der Erkenntnisfähigkeit zeigt. Die Schwierigkeiten mit der Innenperspektive habe ich in i der Richtung, die Sie ansprechen, in meinem Blogbeitrag “Innenwelt und Außenansicht” vom 12. Juni 2010 thematisiert.“
Gewiß spielt die Komplexität eine Rolle. Von einem Ding von der Komplexität eines Kristalls oder einer Dampfmaschine ist nicht zu erwarten, daß es Bewußtsein hat. Das war aber nicht mein Thema. Ich habe Ihren Blogbeitrag “Innenwelt und Außenansicht” nun gelesen. Er scheint mir nicht das zu treffen, was ich angesprochen habe, eher die Frage der (mit „Innenwelt“ gewiß verbundenen) Individuierung.
Vielleicht wird es so verständlicher: Wenn man sagt, daß man zu etwas nur aus der Innenperspektive Zugang hat, dann ist etwa Folgendes gemeint: Daß das, was ein anderes Individuum, Mensch oder Tier, „empfindet“, wenn es sich in einer Weise ausdrückt (d. h. beobachtbare Phänomene erzeugt), die bei mir selber Ausdruck von, beispielsweise, Angst ist, dem entspricht, was ich empfinde, wenn ich Angst habe – das kann ich nie auf eine Weise wissen, die man in der Naturwissenschaft als Wissen bezeichnen könnte; vielleicht hat der andere das Gefühl, das ich an mir als „Freude“ kenne. Als Naturwissenschaftler kann ich nur sagen, daß ich aufs Innenleben nur aufgrund von Analogieschlüssen kommen kann, und die erzeugen kein naturwissenschaftliches Wissen.
Für die Naturwissenschaft ist das aber auch egal, es reicht, daß in bestimmten Situationen regelmäßig bestimmte Ausdrücke auftreten, auf extreme Temperaturen z. B. immer eine Mimik, die ich, von mir ausgehend, als Ausdruck von Schmerz deute. Ich muß nicht wissen, ob sich das in dem anderen Individuum auch so „anfühlt“ wie bei mir, die Kommunikation funktioniert auch so.
Aber in anderen als naturwissenschaftlichen Zusammenhängen ist das durchaus nicht egal. Beispielsweise möge eine ethische These lauten: Alle Wesen, die leidensfähig sind, sind moralische Objekte (d. h. etwa: es ist nicht erlaubt, mit ihnen nach Belieben zu verfahren). Das setzt aber voraus, daß ich weiß, wie sich das in dem anderen Individuum „anfühlt“, was ich, von Zusammenhang meines Wissens über mein „Innenleben“ und seinem Ausdruck ausgehend, von dem beobachtbaren Ausdruck des anderen aus als „Leiden“ beurteile.
Ich habe der Einfachheit halber versucht, das, was ich meine, anhand von Gefühlen zu erklären. „Bewußtsein“ ist sicher nicht das gleiche, aber im Prinzip ist das Ergebnis kein anderes. Der Sinn der üblichen Rede von der grundsätzlichen Unerklärbarkeit „des Bewußtseins“ durch die naturwissenschaftliche (Hirn-)Forschung ist nicht, daß daß die nicht vielleicht jeder Äußerung – sei es ein formulierter Satz, sei es eine Geste, sei es ein meßbarer Körperzustand wie Herzklopfen – ein neuronaler Zustand/Prozeß zugeordnet werden kann; das könnte durchaus sein. Sondern daß man damit nicht weiß, was in dem Menschen „innen“ vorgeht. Wenn man in einem Gehirn herumspazieren könnte wie in einer Mühle, so würde man dort doch keinen Gedanken finden (Leibniz).
„Soll man wirklich von einer kausalen Abgeschlossenheit der Welt reden?“
Das ist eine Frage, die die Physik nicht stellen kann, denn es ist eine metaphysische Frage. Die Physik ist eine empirische Wissenschaft und kann sich definitionsgemäß nicht mit Fragen befassen, die sich auf „die Welt“ beziehen. Gemeint ist sicher nur die empirische oder die phänomenale Welt, die Welt der Naturwissenschaften.
Auf „die Welt“ bezogen ist die Antwort, die man vielleicht am ehesten als die klassische bezeichnen kann, etwa die:
Man muß unterscheiden zwischen einer durchgängigen Determiniertheit durch Naturursachen (kausale Determiniertheit) und einer ausschließlichen Determiniertheit durch diese.
Die Welt der Phänomene ist durchgängig kausal determiniert; dies wissen wir nicht aufgrund von Ergebnissen der Naturwissenschaften (die zudem immer fallibel sind und kein Wissen im strengen Sinn), sondern es ist einfach eine Denknotwendigkeit. Die Kategorie der Kausalität ist Bedingung dafür, daß es für uns überhaupt eine objektive Welt geben kann (siehe die bekannte Stelle in der Kritik der reinen Vernunft, in der die Hume’sche Auffassung von Kausalität kritisiert wird). Daß „nichts ohne Grund geschieht“ ist nicht als eine Einsicht der Erfahrungswissenschaften gemeint gewesen. Der Satz ist darum auch nicht empirisch, etwa durch die Ergebnisse der Quantenphysik, zu erschüttern (sondern allenfalls durch Theorien auf dem Gebiet der Logik und Transzendentalphilosophie). Denn diese Ergebnisse beziehen sich nur auf einen empirischen Sachverhalt (Partikelstruktur von Materie und Energie, falls man das so sagen kann, ich bin da völliger Laie), der es uns grundsätzlich unmöglich macht, den „Grund“ zu erkennen und z. B. die Zeit zu berechnen, nach der ein instabiler Atomkern zerfallen wird. Aber zu denken, daß es keinen Grund gibt, ist unmöglich (wobei man sich bei „Grund“ nicht die strikte Art der Determiniertheit vorstellen muß, die man aus der klassischen Mechanik kennt).
Doch wenn die (phänomenale) Welt auch durchgängig kausal ist (besser: von uns so gedacht werden muß) im Sinne von „alles hat eine natürliche Ursache“, so ist sie doch nicht ausschließlich so determiniert. Sie, Herr Honerkamp, schreiben, die Naturwissenschaft liefere verläßliches Wissen. Dem stimme ich trotz aller Einwände der neueren Wissenschaftstheorie (vor allem Paradigmentheorien) im wesentlichen zu. Aber „verläßlich“ ist das Wissen, daß es auf meine Willensbestimmung, meine Entscheidung ankommt, wenn es darum geht, ob ich aufstehe oder mich noch mal umdrehe, ob ich das Geld stehle oder liegen lasse, nicht weniger. Es ist in gewissem Sinne sogar verläßlicher, denn es hat nicht die grundsätzliche Fallibilität allen Erfahrungswissens. Und in diesem Sinne wissen wir mit Sicherheit, daß es „übernatürliche“ Ursachen in „der Welt“ gibt, also solche, die sich der Hirnforschung grundsätzlich entziehen.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Auffassung in einer tiefergehenden Diskussion verteidigen könnte, es mag Einwände geben, von denen ich nie gehört habe. Aber es ist die klassische, bzw. unter den klassischen wohl die historisch und sachlich gewichtigste Auffassung, und die Hirnforscher bzw. die naturalistischen Philosophen in ihrem Gefolge sollten sich mit ihr auseinandersetzen. Davon ist aber nicht viel zu sehen.
@Trepl
Richtig ist, dass die Welt nicht durchgehend chaotisch sein kann. Richtig ist aber auch, dass die in der Welt, man kann auch meinen: von der Welt, angewendeten Regelmengen nicht fortlaufend “kausal” sein müssen.
Wobei man dann beim Wesen der Evolution und beim Determinismus selbst wäre (den ein Systemteilnehmer nie mit Sicherheit feststellen kann – ein Gedankenexperiment kann hier helfen), btw, was halten Sie von Gerry Coine’s Test:
MFG
Dr. Webbaer (der Sie, wie eigentlich immer, nicht durchgehend verstehen konnte)
@Joker / Frage
»“Die höheren Organisationsformen der Natur lassen sich nicht lückenlos aus den niederen herleiten. Und der Geist nicht aus der Natur.”«
Spricht denn Frau Falkenburg in diesem Zusammenhang tatsächlich von Determinismus?
Den Text habe ich nicht zur Hand, aber Determinismus, wie ich ihn verstehe, erscheint hier unpassend. Etwa so verquer, als würde jemand sagen, “Dieses Theorem ist durch jene Axiome determiniert.”
Das treffende Stichwort wäre aus meiner Sicht “Reduktionismus”.
@ Chrys / Antwort
“Spricht denn Frau Falkenburg in diesem Zusammenhang tatsächlich von Determinismus?”
Ja.
Ihr Essay beschäftigt sich im Wesentlichen mit dem (Bieri-)Trilemma. Sie benennt die drei Thesen:
(V) Radikale Verschiedenheit: Mentale Phänomene sind strikt verschieden von physikalischen Phänomenen.
(W) Mentale Wirksamkeit: Mentale Phänomene können physische Phänomene verursachen.
(K) Kausale Geschlossenheit: Der Bereich der physischen Phänomene ist kausal geschlossen.
Frau Falkenburg fährt dann mit einem kleinen Vorwurf an die Zunft ihrer Kollegen fort:
“Viele Philosophen neigen heute dazu, angesichts der Erfolge der Hirnforschung die Thesen (V) und (W) aufzugeben bzw. sie in im Sinne eines reduktionistischen und naturalistischen Weltbilds zu relativieren.”
Sie selbst argumentiert im Weiteren für die die Plausibilität dieser Thesen und plädiert dafür (K) aufzugeben:
“Entweder wir geben den strikten Determinismus und die These (K) der kausalen Geschlossenheit der Welt auf. Oder wir bezahlen einen hohen metaphysischen Preis.”
Und am Ende nochmal:
“Die Befunde legen es nahe, uns vom Determinismus und vom Reduktionismus zu verabschieden.”
Du schriebst:
“Determinismus, wie ich ihn verstehe, erscheint hier unpassend.”
Am Sprachgebrauch von Frau Falkenburg in diesem Essay habe auch ich einiges auszusetzen, speziell was die Termini “determiniert” und “physisch” betrifft.
Falkenburg
Was sind das denn für grausame Aussagen? – War die Teilnahme freiwillig?
MFG
Dr. Webbaer (der Frauen bestmöglich aus dem Bereich jener Erkenntnislehre heraus sehen möchte – natürlich nur aus Gewohnheit)
Ist der Roboter ein “Ich”
Lieber Herr Honerkamp, ich habe keine Ahnung was Ihre Antwort mit meiner Kommentar zu tun hat. Der (kausale!) Grund dafür, dass ich diesen Satz eben geschrieben habe, ist, dass dieses Ich es ist, das “keine Ahnung” hat, was Sie (der ein anderes “Ich” ist) mit Ihrer Antwort meinen. Der Roboter ist kein “Ich”, er “meint” nichts, er “ahnt” nichts, und er “will nichts verstehen”. Diese Gründe (“ahnen”, “meinen”, “wollen”) die Subjekten zugeschrieben werden, und die Folgen in der materiellen Welt haben, muss man auf rein physisches reduzieren können, wenn man die “kausale Geschlossenheit der physischen Welt” retten will.
@Friedrich
Das ist nicht richtig.
Sie schwimmen zwar nicht im Nichts, aber Sie stochern wie andere an der Leitplanke.
Auch das mit dem Sich-Sicher-Sein als Wissen, ts, ts…
LG
Dr. Webbaer (Was glauben Sie, warum der so fluffig unterwegs ist?)
@Joker
Danke für die zusätzlichen Erläuterungen.
Was den Reduktionismus betrifft, da würde ich Frau Falkenburg nicht widersprechen wollen. Aber vielleicht versteht sie diesen Begriff dann auch wieder ganz anders, als ich es mir vorstelle.
@Friedrich
Die Buddhisten haben schon vor Jahrhunderten erkannt, dass unser ´Ich´ eine flüchtige Illusion ist, welche aus eigenem gespeichertem Wissen und aktuellen Reizen ständig neu gebildet wird – und dem keine Eigenexistenz zukommt.
Ob ein Roboter ein ´Ich´ haben kann, können wir nie beurteilen, da wir unsere eigenen Grenzen nicht überschreiten können.
@Friedrich II: Kontinuum
Wie einfach aus gespeicherten und wiederaktivierten Einzelerlebnissen ein Kontinuum erzeugt werden kann, kann man in jedem 3D-Kino erleben; da jeder Film aus Einzelbildern aufgebaut ist
@Joker, Ludwig Trepl
@Joker: Das Zitat “der Geist nicht aus der Natur” bezieht sich auf die Formulierung, die mir sehr treffend wieder zu geben schien, was das andere Lager, von dem ich sprach, im Hinterkopf hat. Dazu gehört nach allem, wie ich ihrem Aufsatz verstehe, auch Frau Falkenburg. Der vorherige Satz ist überhaupt höchst problematisch, er bezieht sich auf ihre Verweise auf die Naturgesetze der Physik, die alle sehr knapp sind, aber soweit ich sehen kann, in die falsche Richtung gehen. Außerdem: Wenn die höheren Organisationsformen der Natur sich auch nicht lückenlos aus den niederen herleiten ließen, trotzdem Thema der Naturwissenschaften sind, dann wäre der “Geist” ja auch ein solches Thema.
@Ludwig Trepl:
– Ich glaube, man kann einfach davon ausgehen, dass andere ihre Gefühle genau so erleben wie ich. Das legt die gleiche physiologische Basis nahe. Aber eigentlich ist das unerheblich für die Diskussion.
– “Wenn man in einem Gehirn herumspazieren könnte wie in einer Mühle, so würde man dort doch keinen Gedanken finden (Leibniz).” Natürlich nicht. Wenn man in einem Gas sich inmitten der hin- und her flitzenden Molekülen befände, würde man auch keine Temperatur finden: Systemeigenschaften kann man nicht an Konstituenten erkennen.
– Denknotwendigkeiten erkenne ich nicht an. Zu häufig sind Denknotwendigkeiten als Vorurteile erkannt worden (Kraftübertragung nur durch Stöße vor Newton, Raum und Zeit bei Kant/Einstein, EPR-Paradoxon in der Quantenmechanik). Außerdem überschätzt man damit unsere Erkenntnisfähigkeit.
– Die Rede vom Paradigmenwechsel hat nichts mit der Verlässlichkeit des Wissens zu tun. Die Änderungen beziehen sich ja stets nur auf Interpretationen, nicht auf Relationen. Newtons Gleichungen werden immer noch benutzt. Der Fallibilismus bezieht sich auf Theoriengebäude, nicht auf einzelne Relationen.
@ Josef Honerkamp
„Ich glaube, man kann einfach davon ausgehen, dass andere ihre Gefühle genau so erleben wie ich. Das legt die gleiche physiologische Basis nahe. Aber eigentlich ist das unerheblich für die Diskussion.“
Davon kann man ausgehen (in unterschiedlichem Grade, je nach kultureller Nähe und, bei Tieren, physiologischer Nähe), sonst könnten wir gar nicht „leben“ (nicht im biologischen Sinn). Ich sagte nur, daß es davon kein naturwissenschaftliches Wissen geben kann. Unerheblich für die Diskussion (Relevanz der Hirnforschung für „Bewußtsein“) ist das keineswegs. Das habe ich mit dem Hinweis auf das ethische Problem verständlich zu machen versucht. Es ist offenbar mißlungen. Vielleicht schauen Sie sich den Hinweis noch einmal an.
„Natürlich nicht [d. h. man wird im Gehirn nach Leibniz keine Gedanken finden]. Wenn man in einem Gas sich inmitten der hin- und her flitzenden Molekülen befände, würde man auch keine Temperatur finden: Systemeigenschaften kann man nicht an Konstituenten erkennen.“
Da übersehen Sie den entscheidenden kategorialen Unterschied. Gedanken handeln VON Temperaturen und Molekülen, Temperaturen nicht von Molekülen; usw. Man kann zwar Gedanken als Systemeigenschaft des Systems Gehirn betrachten, aber damit werden die Fragen nur unsichtbar, um die es sich hier dreht (z. B. Problem Innen-Außenperspektive), sie werden nicht gelöst.
„Denknotwendigkeiten erkenne ich nicht an. Zu häufig sind Denknotwendigkeiten als Vorurteile erkannt worden.“
Das ist bei den Naturgesetzen aber auch so. Ohne Denknotwendigkeiten gäbe es zudem keine Kenntnis von Naturgesetzen. Es gibt Denkgesetze, manche kennen wir vielleicht endgültig – einige Sätze der Mathematik und der Logik haben immerhin all die Erschütterungen der letzten 150 Jahre überstanden – und wir müssen Denkgesetze auf jeden Fall immer voraussetzen.
Sie meinen wohl etwas anderes: Nicht nur die empirischen Wissenschaften, auch die Wissenschaften von den Denknotwendigkeiten (Mathematik, Logik, Transzendentalphilosophie) haben ihre Geschichte, was die (Auffassungen von der) Gültigkeit ihrer jeweiligen Behauptungen angeht. Es ist nicht so, wie man lange Zeit glaubte, daß die Denkgesetze mehr oder weniger auf der Hand liegen, Aristoteles und ein paar andere Griechen sie nur aufzuschreiben brauchten und man sie nun für alle Zeiten hat. Aber das ist Ihnen ja nichts Neues.
Ihr Beispiel „Raum und Zeit bei Kant/Einstein“ ist allerdings falsch. Es ist nur ein populärer Glaube, daß mit Einstein die Kant’sche Theorie von Raum und Zeit widerlegt worden sei; er kommt nicht zuletzt daher, daß die Physiker und die szientistischen Philosophen nur eine sehr oberflächliche Kenntnis der Kant’schen Philosophie haben.
Relationsdenken vs. Ontologisches Denken
Naturwissenschaft sucht auf andere Art und an einem anderen Ort nach Wahrheit als das die Geisteswissenschaft macht
Die beiden Positionen sind hier am deutlichsten durch Herrn Honerkamp und Herrn Trepl vertreten.
Herr Honerkamp geht von Physik und Mathematik als Erkenntnismodell aus und fasst den Kern dieses Bezugs in den Titel:
Nur das Wissen über Beziehungen ist nachprüfbar und kann verlässlich sein
was negativ formuliert bedeutet, dass es kein Ding an und für sich gibt. Es gibt nur ein Ding in Beziehung zu anderen Dingen und die Beziehung aller Dinge zueinander macht unsere Welt aus.
Diese Denkweise entspricht der in der axiomatischen Mathematik, wo das Beziehungsgerüst zwischen Axiomen realer und wichtiger ist als die Gegenstände von denen die Axiome handeln und wo der Gegenstand gegen einen anderen ausgetauscht werden kann, wenn auch der Ersatzgegenstand das Axiomensystem erfüllt.
Diese Denkweise hat sich auch in der Physik als erfolgreich erwiesen.
Ontologische Denkweisen, die Suche nach dem Wesen eines Dings oder Phänomens nur durch Betrachtung des Dings/Phämomens selbst, sieht Herr Honerkamp dagegen als
etwas an, zu dem wir in unserer Menschenwelt neigen, was aber nicht zu naturwissenschaftlicher Erkenntniss führt: Was ein Quantum oder das Bewusstsein wirklich ist, ist kein fruchtbare Frage – sie führt zu nichts weiterem.
Herr Trepl, dem ontologische Betrachtungen näher liegen, macht dagegen oft kategorische Aussagen gerade weil er meint das Wesen einer Sache erfasst zu haben.
Hier ein Beispiel:
(Zitat)
„Bewußtsein“ ist uns nur aus der Innenperspektive zugänglich. Es ist nicht von außen beobachtbar und wir schließen immer nur in der von Dilthey beschriebenen Weise im Zuge des Erlebnis-Ausdruck-Verstehens-Geschehens vom Wissen darüber, was in uns vorgeht bei bestimmtem Ausdruck, den wir unserem Inneren geben, auf das, was in anderen vorgeht, deren Ausdruck wir beobachten.
Mit dieser Aussage wird „Bewußtsein“ zu Erlebtem und per Definitionem nur zu Erlebtem. Ein anderes Bewusstsein kann nach dieser Auffassung nur ein selbst Erlebender/Bewusster aufgrund eines Analogieschlusses beurteilen.
In dieser Auffassung wäre Bewusstsein in keiner nachweisbaren Beziehung zu anderen Dingen und dementsprechend auch nicht erforschbar (Seltsam nur, dass über solche nicht erforschbaren Dinge, Geisteswissenschaftler ganze Bücher schreiben).
Doch die meisten Dinge und sogar Grössen, die nur in einem Kollektiv von Dingen eine Bedeutung haben – wie die Temperatur – können vielfältige Beziehungen zu anderen Dingen/Kollektiven eingehen. Warum sollte es mit dem Bewusstsein anders sein? Ich erwarte sogar, dass Bewusstsein sich im Verhalten eines Lebewesen auf vielfältige Art und Weise bemerkbar machen muss. Nicht nur in den wohlbekannten Experimenten mit der Reaktion auf ein Spiegelbild.
Folgender Einwand erscheint mir äusserst merkwürdig Man kann zwar Gedanken als Systemeigenschaft des Systems Gehirn betrachten, aber damit werden die Fragen nur unsichtbar, um die es sich hier dreht (z. B. Problem Innen-Außenperspektive), sie werden nicht gelöst.
Wer löst denn dieses Problem Innen-Aussenperspektive? Die Naturwissenschaft scheinbar nicht, aber auch sonst niemand.
Wenn es so wäre, dann sollte man diese Fragen, die nicht und nie gelöst werden, weil sie unlösbar sind, zuerst einmal hintanstellen und sich fragen, welche Fragen im Zusammenhang mit dem Bewusstsein man lösen oder zumindest erforschen kann.
@Holzherr
Dass eine bestimmte Fragestellung nicht gelöst werden kann ist keine wissenschaftlich sinnvolle Behauptung, da ein Wissenschaftler ergebnissoffen forschen sollte und so eine Behauptung erst beweisen müsste.
Bewusstsein muss man erst erforschen, bevor man sie mit physikalischen Methoden vergleicht; das ist völlig richtig.
Denn wer Behauptungen über A auch auf B anwenden will, muss erst beweisen, dass A und B identisch sind – ansonsten wären solche Behauptungen nicht zulässig.
@ Honerkamp
„Die Rede vom Paradigmenwechsel hat nichts mit der Verlässlichkeit des Wissens zu tun. Die Änderungen beziehen sich ja stets nur auf Interpretationen, nicht auf Relationen. Newtons Gleichungen werden immer noch benutzt. Der Fallibilismus bezieht sich auf Theoriengebäude, nicht auf einzelne Relationen.“
Sie hat insofern mit der Verlässlichkeit des Wissens zu tun, als die zentrale Behauptung Kuhns ist, daß dann, wenn Beweise/Widerlegungen dies nur IM Paradigma sind, es keine „Überzeugung“ der Anhänger der gegnerischen Partei geben kann, sondern daß der Paradigmenwechsel nur Ergebnis von „Überredung sein kann. Wenn das stimmt (ich glaube, es stimmt nur bedingt), dann kann es nur im Paradigma und für seine Anhänger „verläßliches“ Wissen geben. (Gegen die Deutung mit den Interpretationen wendet sich Kuhn übrigens explizit.) Dazu, daß Newtons Gleichungen immer noch benutzt werden, sagt Kuhn, daß sich zwar ein Teil der Ergebnisse des alten Paradigmas immer als dauerhaft erweist (was aber nur eine empirisch-historische Aussage ist), aber z. B. die Newtonschen Behauptungen im neuen Paradigma als falsch gelten müssen und nur ihre Uminterpretation, so, daß sie nicht mehr die alten sind, daß aber die Art, wie normal science abläuft, dafür sorgt, daß die Wissenschaftler irrtümlich glauben, es wären noch die alten.
Der Fallibilismus bezieht sich bei Kuhn auf das Paradigma und alles in ihm, nicht nur auf Theoriengebäude. Im alten Rationalismus bezog sich der Vorwurf des Fallibilismus (gegen den Empirismus) hauptsächlich darauf, daß die Sinne trügen können. Der Vorwurf des Empirismus gegen den Rationalismus bezog sich (hauptsächlich) darauf, daß wir beim Denken irren können (und Sinne und Denken brauchen wir ja beide in den empirischen Wissenschaften.) Das Fallibilismus-Argument – wenn man es so nennen darf – der Transzendentalphilosophie war vor allem, daß unsere Erkenntnismöglichkeit abhängig ist von den Erkenntnisbedingungen auf der Seite des Subjekts und daher die Erkenntnisbehauptungen bezogen auf das „Ding an sich“ immer „fallibel“ bzw. einfach sinnlos sind. Das Fallibilismus-Argument des kritischen Rationalismus bezog sich nicht nur auf Theorien, sondern auf alle Gesetzesbehauptungen (Popper: wegen der Unmöglichkeit der Verifikation) und auch (vor allem dann bei Lakatos) auf die grundsätzliche Theorieabhängigkeit aller Beobachtungen, so daß jede Kritik an der zugrundeliegenden Theorie die Relevanz der Beobachtung und damit auch eine jede Falsifikation durch sie zunichte machen kann.
Sie sehen: da ist so einiges im Angebot. Mit der „Verläßlichkeit“ naturwissenschaftlicher Aussagen scheint doch es doch etwas schwieriger zu sein als mit der „Verläßlichkeit“ von Denknotwendigkeiten, sei es der Satz vom Widerspruch oder der Satz, daß unter die Kategorie der Modalität Möglichkeit, Dasein und Notwendigkeit (und ihr jeweiliges Gegenteil) fallen, obwohl da auch gestritten wird und man sich so sicher nicht sein kann. Aber vielleicht meinen Sie mit „Verläßlichkeit“ etwas anderes; in bestimmtem Sinne würde ich ja zustimmen, daß die Ergebnisse der Naturwissenschaft „verläßlich“ sind
@Ludwig Trepl
@Ludwig Trepl:
– Ihre ethische These habe ich wohl bemerkt, stimme ihr sogar zu. Das ist aber eine Frage des Sollens, die ich auf einer ganz anderen Ebene als die Frage nach dem Sein gesehen habe.
– Ja, ich betrachte Gedanken als eine Systemeigenschaft des Gehirns. Ich halte das für eine fruchtbare Hypothese. Dadurch wird m.E. aber nicht das Problem Innensicht-Außensicht unsichtbar, sondern das Auftauchen der Innensicht würde dann ja gerade auch eine emergente Systemeigenschaft sein, noch viel interessanter als Gedanken, die in rudimentärer Form vermutlich auch schon hoch entwickelte Primaten haben können.
– Natürlich meinte ich nicht, dass es gar keine Denknotwendigkeiten gibt. Sie haben den etwas provokativen Satz ja dann auch wohl entsprechend verstanden. Aber welche nun (neben der Logik) wirklich notwendig sind, ist die Frage, und da haben wir in der Physik eben immer wieder unsere Überraschungen erlebt. Ich habe mich somit nur gegen Ihre Darstellung der Kausalität als Denknotwendigkeit gewandt.
– Ihre Bemerkungen zu Raum und Zeit bei Kant/Einstein sind ja interessant. Da würde ich gerne erfahren, wodurch sich denn die Oberflächlichkeit bemerkbar machen und worin der Irrtum bestehen soll.
– Die Frage, ob Kants Aussagen mit den Relativitätstheorien verträglich sind, ist reizvoll, aber eine geisteswissenschaftliche Frage. Tatsache ist, dass die Zeitdilatation und die Raumkrümmung aufgrund materieller Objekte im Gegensatz zu dem stand, was man damals als selbstverständliche Eigenschaft von Raum und Zeit ansah. In Bezug auf unser Wissen über unsere Erkenntnisfähigkeit müssen wir auch aus der Erfahrung lernen.
zu Ihrem weiteren Kommentar:
– Kuhn ist für mich keine Autorität; ich bin selbst Physiker und länger vertraut mit allen Theorien und vielen Entwicklungen, und ich denke auch schon länger darüber nach. Meistens wird vieles von ihm einfach nachgeplappert, was einer Kritik nicht stand hält.
– Verlässlichkeit von Relationen ist ganz einfach zu testen: Durch Bewährung in technischen Anwendungen, und davon gibt es genug. Und über die Verlässlichkeit der Logik habe ich auch keine Zweifel. Die Frage ist doch gerade, was zu den Denknotwendigkeiten gehört.
nicht übernatürlich, sondern unbekannt
Ich empfinde es als Unding, das man von “Übernatürlich” spricht. Nur, weil man eine Funktion, eine Begebenheit nicht erklären kann … keine kausale Abgeschlossenheit erkennen kann / unterstellen kann, ist es nicht gleich etwas übernatürliches, was zu beobachten ist. Der Begriff ist ungünstig gewählt, da man zu solchen Sphären unweigerlich eine Einstellung der eigenen Sichtweise gelangt (Eso-Szene … Mystik usw.). Dabei ist der Grund der Aussage nur darin gelegen, das man mit derzeitigen Methoden das Beobachtete nicht plausibel (im Sinne der anerkannten Wissenschaftserkenntnisse) erklären kann – man ist schlicht unwissend in dieser Frage!
Ich mag die Zugrundelegung der Annahme einer kausal abgeschlossenen Welt. Sie ist eigendlich die einzige Grundannahme, unter der man überhaupt einen Grund hat, an der Sache weiter zu Forschen. Müsste man tatsächlich annehmen, es sei etwas “übernatürliches” im Systen im Gange, fiele damit jeder Beweggrund zur Erforschung weg. Für die empirische Wissenschaft ergibt sich daraus, dass sie eigendlich nicht von “übernatürlichen” Akteuren/Funtkionen sprechen darf. Er wäre irreführend.
Selbst die Quantenmechanik sei hier noch keine übernatürliche Funktion – nicht vorhersagen zu können, warum zu welcher Zeit ein Atomkern zerfällt, ist kein Grund. Es bestünde eben Grund zur Aussage, das man in der Frage unwissend sei – so frei muß man schon sein.
Die logisch konsequente Formel zur Lösung dieser Fragestellungen der Übernatürlichkeit liege hierbei im Mangel von Primärinformationen (Daten), um daraus eine Erklärung zu erstellen, die einem kausal abgeschlossenen Ereignis entspricht. Möglicherweise fehlt derzeit noch die Technik, um solcherart Datenmengen zu erheben – möglicherweise handelt es sich aber doch nur um ein Mangel im Forschungssystem/im Aufbau des Auswertungssystems und somit nicht die erforderlichen Primärdaten erhoben werden können.
—-
Freilich ergibt sich daraus in der Hirnforschung und der Philosophie des Geistes derzeit ein Problem. Um Bewusstsein zu erklären und eine Kausalkette von Zuständen zu beschreiben, fehlt der Forschung schlicht das Explanandum. Gehirn ist nicht gleich Bewusstsein … oder doch? Wenn ja, wäre dies eine Wahrheit, die uns schwer verwirren müsste (bezüglich der Tiere usw.).
Und weil man dem Bewusstsein derzeit nicht so plausibel auf die Schliche kommt, entwickelt man mit der Heterophänomenologie Methoden, mit der man die Erste-Person-Perspektive unhinterfragt ans verhalten bindet. In der Folge wird nur nach Verhaltensmuster ausgeschaut, um wiederkehrende Muster zu erkennen – Aussagen des Subjekts werden als potenziell unwahr angesehen. Das zeigt eben das Problem des Verständnisses von Bewusstsein auf, welches sich scheinbar nicht direkt erschliessen lässt (über direkte Kommunikation mit dem Subjekt).
Kausale Abgeschlossenheit
Als erkennendes Subjekt soll man von einer diesbezüglichen Abgeschlossenheit reden, zumal die Causa, die Sache, ohnehin nur im Verständnis des Beobachtenden existiert wie auch die Causa, als ‘weil’, als Folgerichtigkeit, nur dementsprechend existiert.
Abgeschlossen wird das um Erkenntnis bemühte Vorhaben durch die Menge der Erkenntnissubjekte und deren Bemühen.
D.h. es macht Sinn die Moderne Wissenschaftlichkeit als in oben beschriebener Hinsicht als kausal abgeschlossen zu betrachten, aber nur metaphorisch. – Weitergehendes wissenschaftliches Bemühen wäre nicht mehr exoterisch, das Known Unknown kann man noch grob skizzieren, das Unknown Unknown nicht mehr und das Unknown Unknown Unknown, äh, aber lassen wir mal das, …, …, die Moderne Wissenschaftlichkeit navigiert im Known – und damit hoffentlich auch die meisten Humanteilnehmer.
Es gibt natürlich noch den Unterschied zwischen dem bekannten Faktenwissen und dem mehr oder weniger zuverlässigen theoretischen Wissen.
MFG
Dr. Webbaer (der diesen Artikel als Gegenrede zu einem Vortrag einer anderen versteht, den er aber nicht näher anschauen will)
@ Josef Honerkamp
Sie schreiben: „Ihre ethische These habe ich wohl bemerkt, stimme ihr sogar zu. Das ist aber eine Frage des Sollens, die ich auf einer ganz anderen Ebene als die Frage nach dem Sein gesehen habe.“
Ich wollte eben darauf aufmerksam machen, daß bestimmte Fragen nach dem Sein relevant sind von Fragen nach dem Sollen her. In meinem Beispiel hängt die in der Ethik vieldiskutierte Frage, ob wir Tiere, weil sie Empfindungen haben wie z. B. Schmerz, als „moral patiens“ (T. Regan) in die moralische Gemeinschaft aufzunehmen haben. Damit hängt eine Sollens-Frage von einer Seins-Frage ab, bzw. genauer: vom Status des Wissens über „innere Zustände“, die wir vom Wissen über unsere eigenen inneren Zustände aus erschließen. Wir können darüber kein naturwissenschaftliches Wissen haben, denn da läßt sich nichts beobachten – da hat der Behaviorismus recht. Wenn er recht hätte mit seiner weitergehenden Behauptung, daß unser „Wissen“, zu dem wir über den, in lebensphilosophischer Diktion, „Ausdruck“ ausgehend von unserem Wissen über unsere eigene Befindlichkeit kommen, gar kein Wissen ist, dann hätten die Ethiker ein Problem. Und wenn die Behavioristen mit der letztgenannten Behauptung nicht recht hätten, dann hätte die biologische Hirnforschung eine prinzipielle Grenze: nämlich daß es ein Wissen, und zwar ein relevantes, über Dinge wie Gefühle, Bewußtsein usw. gibt, das der Naturwissenschaft aus methodologischen Gründen grundsätzlich verschlossen ist, denn es ist ein Wissen über etwas, was nicht bzw. nur im Blick auf sein eigenes Innenleben beobachtbar ist.
Zum Thema Kant/Einstein: Da müßte ich länger ausholen, als es hier möglich ist. Haben Sie mal einen Blogartikel geschrieben, zu dem es paßt? Dann antworte ich dort. Zum Thema Kuhn: dito.
„Verlässlichkeit von Relationen ist ganz einfach zu testen: Durch Bewährung in technischen Anwendungen, und davon gibt es genug.“
Ja, in diesem Sinn kann man sicher von Verläßlichkeit sprechen.
„Die Frage ist doch gerade, was zu den Denknotwendigkeiten gehört.“
Ja, das habe ich ja auch geschrieben: Die Wissenschaften von den Denknotwendigkeiten haben auch ihre Geschichte. Der stolze Satz der Mathematiker, daß ihre Ergebnisse anders als die der empirischen Wissenschaften nie überholt sein werden, ist wackelig geworden. Ich meine aber, daß die Kategorie der Kausalität, d. h. daß der Satz, daß nichts ohne Grund geschieht, daß also Ereignisse nach Regeln aufeinanderfolgen, zu den Denknotwendigkeiten gehört (und daß er keine Aussage über die „Welt an sich“ ist). In diesem Sinne liegt das Thema Kausalität eine Ebene tiefer als all die Diskussionen in den Naturwissenschaften, die etwa geltend machen, daß die Descartes’sche oder die Newton’sche Sicht von Kausalität überholt ist.
Nicht ohne Grund?
Das zerfallende Atom ist doch das Paradebeispiel schlechthin, dafür, daß ein singuläres Ereignis eben keinen “Grund” im Sinne eines unmittelbaren Auslösers hat:
– man kann die Halbwertszeit berechnen, d.h., wenn man ein Atom hat, das zu einem Zeitpunkt T noch nicht zerfallen ist, dann weiß man, daß die Wahrscheinlichkeit, daß es zu einem Zeitpunkt T+t½ immer noch nicht zerfallen ist, genau 50:50 beträgt.
Wenn man zur Zeit T 1kg dieser Atome hat, kann man sogar vorhersagen, daß zur Zeit T+t½ 500g noch nicht zerfallen sein werden.
Die Halbwertszeit, und damit die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines vorgegebenen Zeitraumes zu zerfallen, hängt von den inneren Energieniveaus des Atoms ab – deswegen ist sie prinzipiell berechenbar.
Es gibt aber nachweislich keine wie auch immer geartete “innere Uhr” des Atoms, die im Vorraus festlegt, wann genau es zerfällt – die 500g, die die erste Halbwertszeit “überlegt” haben, besitzen danach immer noch exakt dieselben Energieniveaus und exakt dieselbe Wahrscheinlichkeit, im nächsten Zeitintervall t½ zu zerfallen (in meinem Physikbuch hieß das damals “instabile Atome altern nicht”).
Man kann also auf makroskopischer Skala exakte Vorhersagen machen, (“nach t½ sind 500g zerfallen”) obwohl auf der Skala des einzelnen Atoms aus prinzipiellen Gründen nur Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich sind.
Einstein konnte sich mit dieser Interpretation nicht anfreunden, er glaubte, es gäbe “versteckte Variablen”, die nicht direkt beobachtbar sind, aber das Verhalten von Quantenobjekten vollständig determinieren. Im Falle verschränkter Quantenpaare konnte er eindeutig widerlegt werden, und auch im Falle des radioaktiven Zerfalls spricht alles dafür, daß das Atom selbst nicht vorher “weiß”, wann es zerfallen wird.
Es gibt einfach keinen “Auslöser”, der entscheidet, daß ein Atom “genau jetzt” zerfällt. Klingt komisch, ist aber so.
@Chris
In der empirischen Wissenschaft reden wir ja auch nicht von übernatürlichen Akteuren, da ist es ein Unding, wie Sie auch betonen. Nur im Gespräch mit Religiösen und solchen, die z.B. Geist als etwas ansehen, “was nicht aus der Natur” ist, müssen wir das Wort wohl gebrauchen, ob nun in Form von Über- Nicht- oder sonst Unnatürlichem, das etwas sein soll, was sich auf jeden Fall den naturwissenschaftlichen Methoden entziehen soll.
Ihr Rückzug auf das Bekenntnis der Unwissenheit ist mir sehr sympathisch, aber bzgl. der Quantenmechanik würde das doch wohl bedeuten, dass diese unvollständig sei. Genau dieser Vorwurf wurde aber durch die Diskussion um das EPR-Experiment entkräftet. Es ist so: Wir wissen es nicht, können es aber auch nicht wissen, da hilft keine Technik oder Datenbasis.(siehe auch Kommentar von Störk)
@Ludwig Trepl
– Thema Kant/Einstein: Lese gerade Ilse Schneider und Ernst Cassirer dazu; das Thema scheint mir eine Spezialität der Neukantianer zu sein. Ich habe einen Blogartikel über die Zeit (13.12.2010) geschrieben, da würde Ihre Antwort gut hinpassen.
– Wieso ist der Satz der Mathematiker, dass ihre Ergebnisse nie überholt sein werden, wackelig geworden? “Gödel” ist kein Grund.
@ Störk 21.05.2012, 16:45
“Das zerfallende Atom ist doch das Paradebeispiel schlechthin, dafür, daß ein singuläres Ereignis eben keinen “Grund” im Sinne eines unmittelbaren Auslösers hat:…”
-> Kann man sicher sein, dass es keinen Grund gibt, das ein Atom zerfällt? Vielleicht ist der derzeitigen Wissenschaft der Grund nur nicht bekannt…
Deswegen ist das System der kausalen Abgeschlossenheit ja so relevant. Man muß davon ausgehen, dass alles einen Grund/ eine Ursache hat – sonst täte man eben nicht so weit in der Wissenschaft gekommen sein… oder überhaupt gäbe es dann keine Wissenschaft in dieser Form wie heute.
Josef Honerkamp @Chris 21.05.2012, 16:47
“Es ist so: Wir wissen es nicht, können es aber auch nicht wissen, da hilft keine Technik oder Datenbasis.”
-> Da hilft die derzeit verfügbare Technik jedenfalls nicht, weil sie die notwendign Daten nicht liefern kann. “…da hilft keine Technik” ist so eine besondere verneinende Aussage, die es radikal ausschließt, dass es vielleicht wirklich möglich wäre. Im Glauben an solche Aussagen macht es ein (weiter)Forschen an der Sache unmöglich. Das man etwas nicht weiß, schließt ja nicht aus, dass es unter bestimmten Bedingungen doch gewusst werden kann – diese Bedingungen aber derzeit noch nicht erfüllt sind.
@Störk: Halbwertszeit
Es ist noch viel schlimmer: Während für einem Autounfall etwa die Aushändigung der Schlüssel an den Fahrer kausal für das Ereignis ist, lassen sich beim radioaktiven Zerfall keine Kausalitäten feststellen, von seltenen Einflüssen auf die Halbwertszeit sei abgesehen [1].
Und zu einem weiteren Zeitpunkt T1 > T weiß man, dass nach einem weiteren Intervall T1 + t1/2 erneut eine 50:50-Chance besteht, dass das Atom noch nicht zerfallen ist.
Daraus folgt, dass man zu jeden beliebigen Zeitpunkt T “weiß”, dass in der kommenden Zeit t1/2 die Wahrscheinlichkeit des Zerfallens 0.5 ist, sofern das Atom noch nicht zerfallen ist.
Ich würde sagen, dass das der einzige sinnvolle Inhalt von Halbwertszeit ist.
[1] http://en.wikipedia.org/…ay#Changing_decay_rates
Halbertszeit
Aus physikalischer Sicht befindet sich ein Atom immer in einer Überlagerung von zwei Zuständen, nämlich dem Zustand „noch nicht zerfallen“ und dem Zustand „zerfallen“. Atome sind halt Quantenobjekte, also keine singulären Objekte mit definierten objektivierbaren Eigenschaften. Sie sind vielmehr Objekte einer Realität, auf die der Begriff der Kausalität nicht anwendbar ist (durch Bell u.a. nachgwiesen).
Diese Realität kann zumindest formal (mathematsch) sehr präzise beschrieben werden. Weil der Kausalitätsbegriff aber dort nicht anwendbar ist, kann sie nicht konsistent gedacht werden – es sei denn, man nimmt gewaltige methaphysische Konsequenzen in Kauf (viele Welten).
Der Zerfall der Atome ist also durchaus ein Beispiel dafür, wie die “nicht kausale” Realität sich in unserer kausalen Realität auswirkt, hier also zu Wahrscheinlichkeiten führt. Ist nun unsere physische Welt nur dann kausal abgeschlossen, wenn sie die seltsame Quantenrealität ausklammert ? Diese „nicht-kausale“ Quantenrealität ist überall in unserem Alltag präsent ist (z.B. in der Sonnenstrahlung, Radiowellen, usw,).
@Störk
»…und auch im Falle des radioaktiven Zerfalls spricht alles dafür, daß das Atom selbst nicht vorher “weiß”, wann es zerfallen wird. «
Das würde ich auch gar nicht fordern, wenn ich von einer kausalen Geschlossenheit spreche. Mir genügt es, dass es eine Ursache gibt, im Falle des atomaren Zerfalls also die Instabilität des Kerns, die ja auch nicht von ungefähr kommt.
Bisher habe ich noch keine überzeugende Begründung gelesen, wieso beim (ohnehin abstrakten) Kausalprinzip die Bestimmung des genauen Zeitpunkts, wann ein bestimmtes Ereignis eintritt, so entscheidend wichtig ist. Viel wichtiger scheint mir zu sein, dass eine Ursache (hier etwa die Erzeugung eines instabilen Kerns) dem Ereignis (dem radioaktiven Zerfall) vorausgeht. Und dass es physikalisch messbare (fluktuierende?) Kräfte gibt, die ein Ereignis (irgendwann) herbeiführen können.
(Im Übrigen spreche ich sowieso lieber von einer physikalischen Geschlossenheit)
@Chris, Balanus
Sie gehen offensichtlich von der kausalen Abgeschlossenheit aus und folgern dass “Im Glauben an solche Aussagen macht es ein (weiter)Forschen an der Sache unmöglich. Das man etwas nicht weiß, schließt ja nicht aus, dass es unter bestimmten Bedingungen doch gewusst werden kann – diese Bedingungen aber derzeit noch nicht erfüllt sind.” Es ist aber gerade andersherum: Die Quantenmechanik ist so vollständig wie möglich (zur Geschichte über das Ringen dieser Erkenntnis, siehe z.B. mein Buch: “Die Entdeckung des Unvorstellbaren”) und somit müssen wir feststellen, dass wir z.B. den Zeitpunkt eines Zerfalls prinzipiell nicht berechnen können und somit eine kausale Zurückführung nicht möglich ist.
Man kann natürlich, wie Balanus, Kausalität etwas “lockerer” definieren, und dann solche Unbestimmtheiten mit einschließen, weil man dafür eine Theorie hat und somit zumindest statistische Aussagen machen kann – und dann von einer physikalischen Abgeschlossenheit reden. Abgeschlossenheit
@Josef Honerkamp
Ich vermute mal, die Antwort an @Störk bezieht sich auf meinen Kommentar. Mit der Vorstellung, dass man “Kausalität” eng (streng physikalisch) oder weiter gefasst definieren kann, kann ich gut leben.
Wenn mich nicht alles täuscht, dann meint Brigitte Falkenburg mit “kausaler Geschlossenheit” (nicht “Ab”geschlossenheit”) wohl ohnehin nur, dass es nach dieser Vorstellung keine physikalischen Erklärungslücken gibt. Für den radioaktiven Zerfall als solchen gibt es ja keine Erklärungslücke, wir können nur dessen Zeitpunkt nicht berechnen. Deshalb ist (für sie und mich) der atomare Zerfall kein Argument gegen die kausale Geschlossenheit der Welt. Anders sieht Falkenburg das in Bezug auf den menschlichen “Geist”, hier sieht sie eine große Erklärungslücke, wie aus dem Zusammenwirken der Neuronen “Bewusstsein” entstehen bzw. emergieren kann.
@balanus
Ja,das war natürlich eine Antwort auf Ihren Kommentar. Vielen Dank für die Richtigstellung, ich habe mir erlaubt, das zu ändern.
Bei Frau Falkenburg geht es aber wohl nicht nur um das Sehen einer Erklärungslücke (das tut ja wohl heute jeder), sondern um die prinzipielle Unmöglichkeit einer “natürlichen” Erkärung.
„Soll man wirklich von einer kausalen Ab
„Soll man wirklich von einer kausalen Abgeschlossenheit der Welt reden?“
Das ist doch eine rein rhetorische Frage, zumindest wenn man das Thema vom philosophischen Standpunkt aus sieht – denn weder die Welt ist abgeschlossen, noch die Physik ist abgeschlossen, noch irgendeine andere Wissensdisziplin. Wenn Sie von dem Axiom ausgehen, dass nichts ohne Grund geschieht, heißt das jedoch nicht, wie Sie andeuten, dass es keine „übernatürliche Akteure“ oder sagen wir besser: unbekannte Ursachen gibt. In einer zeitgemäß offenen Ontologie finden wir immer auch das Unbekannte, und so ehrlich sind hoffentlich die Wissenschaftler heute auch.
Philosophie wäre wertlos und überflüssig, wenn sie sich in ihrer Weltsicht etwa auf die Physik verlassen wollte, die sich ihrerseits nur auf messbare Relationen verlässt und, wie Sie schreiben, über den „ontischen Charakter der Größen“ kaum etwas zu sagen weiß. Auch die Philosophen wissen darüber – über das Wesen der Dinge – nicht viel mehr, aber sie stellen wenigstens die wesentlichen Fragen, denen die Realwissenschaftler immer gern ausweichen, und sie beharren auch auf Axiomen wie, dass es in der Welt prinzipiell folgerichtig zugeht – nach der alten Wahrheit Nihil fit sine causa – siehe oben. Andersrum gäbe es die Welt doch gar nicht, und was die vielzitierten Ausnahmen bei den Quanten betrifft: Immer skeptisch bleiben. In 100 Jahren sieht die Physik ganz bestimmt ganz anders aus.
nilhil fit sine causa
Na ja, die Philosophen stellen die wesentlichen Fragen eben nicht, wenn sie zur Kenntnis nehmen, dass die Experimente zur Überprüfung der Bellschen Ungleichung nachgewiesen haben, dass es keine physikalische Theorie gibt, in der das Kausalgesetz unbegrenzt gültig ist, und die gleichzeitig mit der Quantentheorie verträglich ist, der am besten bestätigten Theorie der Materie und Strahlung überhaupt.
Die Physiker stellen mit der Quantentheorie also die wesentlichen Fragen nach Kausalität, Realität und Logik – Kategorien, die zusammenhängen. Aber die Philosophen, die Sie meinen, greifen diese nicht auf.
Somit ist es genau umgekehrt: die Philosophie wertlos, die die physikalischen Erkenntnisse ignoriert.
@Josef Honerkamp, Störk etc.
“Ein instabiler Atomkern zerfällt irgendwann – aus welchem Grund gerade zu einer bestimmten Zeit? – Das kann man nicht berechnen. Jede Annahme, die dazu führen könnte, dass man den Zeitpunkt bestimmen kann, käme mit den Gesetzen der Quantenmechanik in Konflikt, die aber in allen Experimenten aufs Beste bestätigt worden sind. Die Annahme der Kausalität für alle Phänomene dieser Welt ist offensichtlich ein Vorurteil.”
Diese These wurde auch in der Diskussion mehrfach aufgestellt, aber ob sie zutrifft ist völlig offen. Genauso gut könnte man das Gegenteil behaupten. Dass lokale verborgene Variablen keine Rolle spielen stimmt zwar, dazu gab es mehrere Experimente. Ob aber _nichtlokale_ verborgene Variablen z.B. den Zeitpunkt des Zerfalls eines Atoms exakt determinieren oder nicht, das ist völlig unklar. Welche Möglichkeit man für die Quantenmechanik annimmt, hängt davon ab, welche Interpretation der Quantenmechanik man voraussetzt. Z.B. nach der Bohmschen Mechanik gibt es verborgene Variablen, nach der Kopenhagener Deutung gibt es sie nicht. Welche Interpretation der QM die richtige ist, ist aber _vollkommen_ unbekannt. Deswegen ist es auch unsinnig es als Tatsache hinzustellen, der Zeitpunkt des Zerfalls eines einzelnen Atoms sei “prinzipiell” (ontologisch) unbestimmt.
@Trurl
Korrigieren Sie mich bitte, wenn ich mich irre, aber m.E. kann man auch mittels Bohmscher Mechanik nicht zumindest “prinzipiell” ausrechnen, wann ein bestimmter einzelner Atomkern zerfällt.