Die Vorsokratiker: Die Schule von Milet

BLOG: Die Natur der Naturwissenschaft

Ansichten eines Physikers
Die Natur der Naturwissenschaft

Die Stadt Milet, an der Küste einer griechischen Siedlung der Landschaft Ionien (Kleinasien) gelegen, gewann im 6. Jhdt. v.Chr. durch weitreihende Handelsbeziehungen wirtschaftliche Bedeutung. Es entwickelte sich eine soziale Schicht, für die „so ziemlich alles zur Annehmlichkeit und höheren Lebensführung vorhanden war“.

Das kulturelle Milieu war geprägt durch orphische oder dionysische Kulte, Erzählungen Homers und Epen von Hesiod (geb. vor -700); auch Einflüsse aus Mesopotamien und Ägypten, von Phöniziern und Chaldäern müssen wohl spürbar gewesen sein. Zeit und Muße brachten aber auch den Versuch mit sich, „der Unwissenheit zu entgehen, ohne deshalb schon einen über das Wissen hinausgehenden Nutzen zu erwarten“ (Aristoteles, nach (Schupp, 2003a, p. 43)). In solch einer Atmosphäre wurde die Philosophie geboren.

Thales

Thales lebte von ca. -625 bis -547 in dieser Stadt. Dabei war er zunächst ein Händler und muss somit in der damaligen Welt viel herumgekommen sein. Er soll insbesondere aus Ägypten geometrische und astronomische Kenntnisse mitgebracht haben. In seinen späteren Jahren hat er sich auch in die Politik eingemischt. Von alledem wissen wir aber nur aus späteren Quellen, deren Glaubwürdigkeit nicht immer gegeben ist.

Fest steht aber wohl, dass er um 585 v.Chr. gelebt haben muss. Er hatte nämlich eine Sonnenfinsternis vorausgesagt, die nach modernen astronomischen Berechnungen gerade im Jahre 585 v.Chr. stattgefunden hat. Babylonische Astronomen kannten schon die Zyklen, mit denen sich Sonnen- und Mondverfinsterungen wiederholten. Sonnenverfinsterungen sind zwar nicht von jedem Ort gleich gut sichtbar; aber man wusste somit, wann man überhaupt mit einer solchen rechnen durfte. Thales hatte vermutlich von diesem Wissen profitiert, sei es durch seine früheren Reisen oder durch aktuellere kulturelle Kontakte. Er war aber auch selbst jemand, der die Sterne studierte. Diogenes Laertius wusste, dass man Thales nachsagte, er habe zwei Schriften über Sonnenwenden und Tag- und Nachtgleichen geschrieben. Wegen seiner Kenntnisse sei er auch von späteren Philosophen bewundert worden (Laertius, 2015, p. 13).

Viele von uns können sich sicher daran erinnern, dass sie in der Schule im Mathematikunterricht den Satz von Thales kennen gelernt haben. Ob Thales diesen Satz selbst entdeckt hat, wissen wir nicht. Diogenes Laertius schreibt 800 Jahre später nur: „In der Geometrie ein Schüler der Ägypter, hat er, wie Pamphile berichtet, zuerst das rechtwinklige Dreieck in den Halbkreis eingetragen.“ (Laertius, 2015, p. 13). Dort wird auch erwähnt, dass Thales in Ägypten die Höhe der Pyramiden gemessen haben solle, „vermittelst ihres Schattens, den er genau in dem Zeitpunkt abmaß, wo unser Schatten und unser Leib die gleiche Länge haben.“ (Laertius, 2015, p. 15). Thales muss also auf jeden Fall hoch intelligent gewesen sein und er wusste sein neues Wissen wohl auch eigenständig zu nutzen .

Die Philosophen betrachten Thales von Milet als Ersten ihrer Zunft. Wie Thales zu solchen Gedanken kam, die man heute philosophische nennt, wissen wir nicht. Die Vorgänge „Entstehen und Vergehen“ standen in den mythischen Erzählungen im Vordergrund und auf seinen Reisen wird Thales nicht nur geometrisches und astronomisches Wissen aufgegriffen, sondern auch verschiedenste solcher Erzählungen kennen gelernt haben. Da man in der Natur ständig Veränderungen, auch Entstehen und Vergehen, beobachtet, mag die Frage auftauchen, ob es „hinter“ all diesem nicht ein Bleibendes, Ewiges geben müsse. Dieses müsse dann etwas Ursächliches und „Zugrunde Liegendes“, so etwas wie ein „Urprinzip“ oder ein „Urstoff“ sein, also etwas, das man auch „das Eine“ nennen könnte.

Über die Vorstellungen, die Thales dazu entwickelt hatte, schrieb Aristoteles später:

„Thales, der erste Vertreter dieser Richtung philosophischer Untersuchung, bezeichnet als solches Prinzip das Wasser. Auch das Land, lehrte er deshalb, ruhe auf dem Wasser. Den Anlass zu dieser Ansicht bot ihm wohl die Beobachtung, dass die Nahrung aller Wesen feucht ist, dass die Wärme selber daraus entsteht und davon lebt. Woraus aber jegliches wird, das ist das Prinzip von allem. War dies der eine Anlass zu seiner Ansicht, so war ein andrer wohl der Umstand, dass die Samen aller Wesen von feuchter Beschaffenheit sind, das Wasser aber das Prinzip für die Natur des Feuchten ausmacht.“

Dass  Wasser der Urgrund aller Dinge sein sollte, war nicht weit hergeholt, denn auch die Sumerer und Ägypter sprachen von einem „Urmeer“, und bei Homer wurde ja die bewohnte Welt vom Okeanos, einem gewaltigen Strom umflossen, der mitunter auch als Vater der Götter und als Ursprung der Welt galt.

Bedeutsam ist aber, dass Thales hier und auch sonst so argumentiert: Wasser verursacht die Feuchte, Nahrungsmittel brauchen Wasser, sonst vertrocknen sie und werden ungenießbar. Wasser kann Nebel und Wolken bilden, und daraus entstand im letzten sogar Luft (Wasserdampf) und Feuer. Verlandungen an der Küste zeigen, wie Land aus dem Wasser „geboren“ werden kann. Also: Das Eine ist Wasser, alle Dinge kommen aus diesem und kehren darin zurück.

Anaximander

Mit Thales gelangte eine ganz neue Art des Denkens in die Welt. Anaximander (ca. -610 bis -546), der auch in Milet lebte und von vielen als Schüler von Thales angesehen wird, hat diese Art aufgriffen, aber gleich gezeigt, dass man in dieser auch zu einem anderen Schluss gelangen kann. Ihm war das Wasser als Urstoff vielleicht zu konkret, und er konzentrierte sich mehr auf einen besonderen Aspekt: Das Eine, welches ein Urgrund sein sollte, musste unbegrenzt sein, ein Apeiron (von gr. ἀπέραντος=aperantos, unbegrenzt, unendlich). Die Griechen hatten für „unbegrenzt“ und „unendlich“ das gleiche Wort, konnten sich wohl noch nicht einen gekrümmten Raum vorstellen. Wir kennen ja heute Räume verschiedenster Dimensionen; ein anschauliches Beispiel für einen unbegrenzten, aber nicht unendlichen Raum ist die Oberfläche einer Kugel, ein zweidimensionaler gekrümmter Raum.

Hier kam nun der Begriff „Unendlichkeit“ ins Spiel, ein Begriff, der in der Folge fast alle Philosophen und Mathematiker beschäftigt hat und mit dem man erst Ende des 19.Jahrhunderts im Rahmen der Cantorschen Mengenlehre in formaler Weise konsistent umgehen lernte. Für das Apeiron sollte nach Anaximander das gelten, was Menschen nicht kennen, noch sich vorstellen können: „Das Apeiron ist ohne Alter“ und das „Apeiron ist ohne Tod und Verderben“ (nach (Schupp, 2003a, p. 53)).

Das waren Eigenschaften, die man nur den Göttern zubilligte. Das „Eine“ wurde damit auf die gleiche Stufe mit den Göttern gestellt. Damit kam Anaximander der Welt des Mythos verdächtig nahe, die Frage aber, wie denn das „Eine“ die Vielheit aussondern würde, beantwortete er eher als “Physiker”. Er sprach von gegensätzlichen Elementarkräften, trockenem heißen Feuer und feuchtem kalten Dampf, die im Kampf miteinander liegen konnten.

Auf solche Weise machte er sich eine Vorstellung davon, woraus Sonne, Mond und Sterne bestehen, und wusste sogar zu erklären, wie es zu Sonnen- oder Mondfinsternissen kommt. Die Erde befand sich nach ihm im Mittelpunkt der Kreise, auf denen sich die Himmelskörper bewegten, und sie stand dabei, in vollkommener Ruhe, im Gleichgewicht in Bezug auf alle Gestirne.  In der Gestalt eines Zylinders war sie einem „steinernen Säulensegment“ ähnlich. Die Menschen lebten auf der Oberseite des Zylinders; nach dem Geographen Agathemeros hat Anaximander es sogar “gewagt, als erster die Karte der bewohnten Welt zu zeichnen“ (Mansfeld & Primavesi, 2011, pp. 65, Nr.2). Die Abstände der Himmelskörper von der Erde standen in bestimmten Verhältnissen zu einander. So berichtet Hyppolyt von Rom im 3. Jhdt., dass bei Anaximander der Kreis des Mondes und der Sonne das 19- bzw. 27-fache des Durchmessers des Erdzylinders beträgt (Mansfeld & Primavesi, 2011, pp. 75, Nr.20).

Sogar ein Erlahmen des Kampfes zwischen dem Heißen und dem Feuchten und damit ein Vergehen des „Seienden“ sowie ein neues Entstehen aus dem Apeiron war vorgesehen. Das Apeiron ist für Anaximander damit also nicht nur unendlich; es kann auch unendliche viele Welten erzeugen und wieder vergehen lassen. Man denkt unweigerlich an das Quantenvakuum in der M-Theorie von Stephen Hawking und an die ständige Entstehung neuer Universen aus diesem durch Quantenfluktuationen.

Für die Wechselwirkung zwischen den gegensätzlichen Paaren hatte er eine Antwort, die wieder eher zum Mythos und den Götterhimmel passt: „Aus welchen Dingen die seienden Dinge ihr Entstehen haben, in diese findet auch ihr Vergehen statt, wie es sein muss, denn sie leisten einander Recht und Strafe für das Unrecht, gemäß der zeitlichen Ordnung“ (Mansfeld & Primavesi, 2011, pp. 71,Nr.15).

Das ganze Bild enthält schon erstaunlich viele moderne Aspekte wie die Beschreibung der räumlichen Verhältnisse in quantitativer Form und den Begriff der Unendlichkeit.

Anaximenes

Bei Anaximenes (ca. -586 bis -527) ist nun der Urstoff wieder etwas, das man aus dem Alltag kennt und mit dem man umgehen kann: die Luft. Statt eines Abstraktums ist es nun wieder etwas Konkretes. Von dem Doxographen Aёtios aus dem 1. Jhdt. erfahren wir: „Anaximenes setzte als Prinzip der seienden Dinge die Luft an, denn aus dieser entstehe alles und in diese löse sich alles wieder auf. Wie unsere Seele, die Luft ist, uns durch ihre Kraft zusammenhält, so umfasst auch den ganzen Kosmos Atem und Luft“. (Mansfeld & Primavesi, 2011, pp. 87,Nr.3).

Vermutlich nahm Anaximenes als Urstoff deshalb die Luft an, weil er an der Luft gegensätzliche Eigenschaften beobachtete; sie konnte warm oder kalt sein, verdichtet oder verdünnt. Aus der Beobachtung eines Hauches glaubte er eine Beziehung zwischen diesen Gegensatzpaaren folgern zu können: “Denn der Atem wird, wenn er von den Lippen zusammengedrückt und verfestigt wird, kalt, während er bei geöffnetem Mund entweicht, durch Verdünnung warm wird.“ (Mansfeld & Primavesi, 2011, pp. 89, Nr.5).

Er sah also in der Verdichtung bzw. Verdünnung das Grundprinzip für den Unterschied der Dinge: Wolken bestehen aus schwach verdichteter Luft, Regen aus stärker verdichteter und Eis wie Erde aus noch stärker verdichteter Luft. Das sich Verfestigende der Materie hat allgemein seinen Ursprung in der kalten, das Dünne und Lockere in der warmen Luft. Wind war bewegte Luft. Der Urstoff war nun etwas, was auch die Vielheit hervorbringen konnte. Er hatte also eine Idee, wie aus dem Einen das Viele werden kann. Die Luft war ein Urstoff, der als Lebenshauch alle Lebewesen in die Einheit aller Dinge aufnahm.

Hier finden wir also die Verbindung von Hauch und Leben, ein Gedanke, dem man immer wieder in der Geistesgeschichte begegnet – so z.B. auch in der Vorstellung des Christentums, dass der Heilige Geist durch Hauchung aus dem Vater und Sohn hervorgegangen ist (siehe Wikipedia: Hauchung).

In dieser frühsten Schule der Vorsokratiker, der ionischen Schule bzw. der Schule von Milet, steht also der Begriff des „Seins“ bzw. des „Einen“ als ein Urstoff oder ein Urprinzip im Fokus. In späteren Schulen wird auch das „Seiende“ stärker in den Blick geraten und die Frage danach, welche Möglichkeiten der Erkenntnis wir über das Sein wie das Seiende haben können.

Paradigmenwechsel

Mit der ionischen Schule schuf man also ein Weltbild, das sich aus Beobachtungen der Natur herleitete und nicht auf Geschichten über Eingriffen aus einer „Übernatur“. Das war ein großer Schritt für die Menschheit. Aber es war nur ein erster Schritt in eine damals ganz neue Richtung. Eindeutige Antworten gab es dabei natürlich nicht. Die Gründe für solche Aussagen wie „Alles ist Wasser“ oder „Alles ist Luft“ waren nur mehr oder weniger plausibel, zwingend auf keinen Fall. Später sollte Empedokles (-490 bis -430) noch behaupten, dass „Alles ist Feuer“ gilt. Allgemein sprach man von den vier Grundelementen Wasser, Luft, Erde und Feuer.

Es sollte mehr als 2.000 Jahre dauern, bis ein zweiter Schritt in der Naturforschung getan wurde, aus der dann das folgte, was wir heute die moderne Physik nennen. Dazu musste zwei neue Gedanken auftauchen:

Erstens: Man versuche nicht gleich, die Welt als Ganzes zu verstehen, sondern man „fange es im Kleinen an“, also bei einem einfachen und höchst übersichtlichen Phänomen.

Zweitens: Man versuche, das Phänomen nicht nur qualitativ zu verstehen, sondern auch quantitativ, so dass eine möglichst exakte Überprüfung der Begründung möglich wird. Dazu braucht es eine genügend entwickelte Mathematik.

Galileo Galilei war es, dem im frühen 17. Jahrhundert diese Gedanken kamen, und dem voll bewusst gewesen war, dass er mit einer Demonstration der Fruchtbarkeit solcher Gedanken eine „neue Wissenschaft“ begründet hat. Wenn man den Begriff „Paradigmenwechsel“ liebt, der von Thomas Kuhn (Kuhn, 1973) so unnötig strapaziert worden ist, dann kann man sagen, dass Galilei einen Paradigmenwechsel bewirkt hat. Es wäre der zweite – nach dem ersten Paradigmenwechsel durch Thales und die ionische Schule. Vielleicht erleben wir heute mit dem datengetriebenen Maschinellem Lernen in der künstlichen Intelligenz einen dritten Paradigmenwechsel.

Ich werde in späteren Blogbeiträgen auf all dies zurückkommen. Zunächst müssen wir den Weg verfolgen, auf dem alle Voraussetzungen für diesen zweiten und vielleicht dritten Paradigmenwechsel geschaffen worden sind. Dazu gehört insbesondere eine Mathematik, in der man das quantitative und wahrheitsbewahrende Begründen lernt. Pythagoras (ca. -570 bis nach -510) steht am Anfang einer solchen Mathematik. In den nächsten beiden Blogbeiträgen müssen wir uns mit ihm und seinen Schülern befassen.

Literaturverzeichnis

Kuhn, T., 1973. Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt am Main: suhrkamp .

Laertius, D., 2015. Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Hamburg: Felix Meiner.

Mansfeld, J. & Primavesi, O., 2011. Die Vorsokratiker. Stuttgart: Philipp Reclam jun..

Schupp, F., 2003a. Geschichte der Philosophie im Überblick – Bd.1 Antike. Hamburg: Felix Meiner.

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Veröffentlicht von

Josef Honerkamp war mehr als 30 Jahre als Professor für Theoretische Physik tätig, zunächst an der Universität Bonn, dann viele Jahre an der Universität Freiburg. Er hat er auf den Gebieten Quantenfeldtheorie, Statistische Mechanik und Stochastische Dynamische Systeme gearbeitet und ist Autor mehrerer Lehr- und Sachbücher. Nach seiner Emeritierung im Jahre 2006 möchte er sich noch mehr dem interdisziplinären Gespräch widmen. Er interessiert sich insbesondere für das jeweilige Selbstverständnis einer Wissenschaft, für ihre Methoden sowie für ihre grundsätzlichen Ausgangspunkte und Fragestellungen und kann berichten, zu welchen Ansichten ein Physiker angesichts der Entwicklung seines Faches gelangt. Insgesamt versteht er sich heute als Physiker und "wirklich freier Schriftsteller".

24 Kommentare

  1. Nach den Erfahrungen mit den Kommentierungen der letzten beiden Blogbeiträge habe ich diesen Blog auf den Moderations-Modus umstellen lassen. Ich bitte Sie dringend, hier Kommentare nur zu dem Thema des aktuellen Blogbeitrags anzumelden. Auch sollten Sie das der Höflichkeit halber unter Ihrem richtigen Namen tun. Im anderen Fall erlaube ich mir, den Kommentar nicht zu genehmigen. Dies gilt auch für die früheren Blogbeiträge.

  2. Heute ist von der Stadt Milet kaum was zu sehen. Es gibt zwar Hinweisschilder auf der Straße zwischen Canakale und Izmir, aber es gibt dort nur noch ein Museum.

    Interessant ist diese Artikelserie schön. Von Thales kannte ich nur den Thalessatz.
    Gruss
    Rudi Knoth

  3. Die ersten Philosophen und Wissenschaflter waren griechische Kolonisten in hunderten von Kilometern voneinander entfernten Städten, die über die gemeinsame Sprache und Kultur (Olympiaden) aber untereinander verbunden waren und ihre Ideen bereits über Briefe und Bücher untereinander austauschten.

    Thales von Milet hat allerdings keine Schriften hinterlassen, er galt selbst unter seinen späteren Schülern als einer der Ersten, als Begründer einer neuen Denkrichtung, die die damalige Naturphilosophie, Geometrie und Astronomie hervorbrachte und deren Wissen das gesammelte Wissen des ganzen Mittelmeerraums einschloss.

    Eigentlich waren schon die ersten griechischen Philosophen und Wissenschaftler Globalisten, wobei die Welt damals einfach der Kulturraum um das Mittelmeer war

  4. @ Martin Hozherr und zu :
    “…Eigentlich waren schon die ersten griechischen Philosophen und Wissenschaftler Globalisten, wobei die Welt damals einfach der Kulturraum um das Mittelmeer war….” (Zitatende)
    Ist halt alles relativ, nicht wahr.Denn noch “eigentlicher” bin auch ich gerade “Globalist” in der Umwelt des Kulturraumes meines Arbeitszimmers. (-:
    (Sorry, aber ich konnte der Ironie nicht widerstehen:.Was bringt und das willkürliche Aufblähen von Begriffsinhalten anderes als Verwirrung? Das ist allenfals eine schlechte Tradition aus Teibereichen schlechter Theologie)

  5. Ein genereller Einwurf:

    Martin Holzherr Meinte letzte Woche : :
    “Toll diese neue Wertschätzung der vorsokratischen Philosophie, einer Philosophie, die den Logos als Denkschule geschaffen hat.” (Zitatende)
    Was heißt da aber “NEUE” Wertschätzung?
    K. R. Popper hat die Vorsokratiker wegen der Ansätze einer (vor-) physikalischen bzw kosmologischen Denkweise zeitlebens (seit den 1930er Jahren) als die “Vorläufrer” seines KRITISCHEN (!) Rationalismus betrachtet und immer wieder darauf hingewiesen. Eines seiner letzten Werke lautet: “Die Welt des Parmenides”(englisch 1998, deutsch 2001).
    Und nur ganz nebenbei:
    Die Vorsokratiker waren zumindest bis in die 1970er Jahre Teil des Geschichtslehrplans der Gymnasien und sind zudem in nahezu jeder vernünftigen Einführung in die Philosophie als Anfangskapitel enthalten. Zum Beispiel in : Bertrand Russel: ” Philosophie des Abendlandes” Seite 25 – 104.
    Auch auf die Gefahr, dass Herr Honekamp beleidigt ist: Aber was er hier präsentiert ist nichts weiter als ein Einführungskurs in die Geschicht der Philosophie wie er von jeder zweiten Volkshochschule in Erwachsenenbildungskursen seit Jahrzehnten geboten wird.
    Für jüngere Intellektuelle mit naturwissenschaftlichen Ambitionen scheint das aber derzeit völliges Neuland zu sein. Ältere wundern sich aber, weshalb hier mit großem Getöse über althergebrachte Fast- Selbverständlichkeiten diskutiert werden soll (siehe Popper) anstatt die die wirklichen und äußerst drängenden aktuellen erkenntnistheoretischen bzw. wissenschaftstheoretischen Probleme der Gegenwart anzugehen.

  6. @little Louis:

    Auch auf die Gefahr, dass Herr Honekamp beleidigt ist:

    Nein, ich bin nicht beleidigt, nur verwundert über das vorschnelle Urteil. Sie verkennen meine Absicht. Dieser Blogbeitrag soll kein “abgeschlossener Roman” sein, sondern nur eine Hinführung. Ich will eine Einführung in die mathematische Logik und deren Rolle in der modernen Physik geben. Das ist ja wohl ein Thema der modernen Erkenntnistheorie, und man sollte trotzdem mit den Vorsokratikern beginnen. Der vorletzte Blogbeitrag war als Einleitung dafür gedacht und sollte anklingen lassen, welche Themen dabei behandelt werden.
    Ich denke übrigens, jeder hat bisher bei den Vorsokratikern andere Schwerpunkte gesetzt. Da gibt es nicht nur Popper und Russel. Ich werde das auch noch tun, nur bei der milesischen Schule allein ist da noch nicht viel möglich. Insofern haben Sie recht. Wir können ja später nach den Kapiteln über Logik und Diskussion einiger wissenschaftstheoretischer Ansätze darüber diskutieren, ob etwas zu den
    “wirklichen und äußerst drängenden aktuellen erkenntnistheoretischen bzw. wissenschaftstheoretischen Probleme der Gegenwart”
    dabei ist. Ich bin gespannt darauf, an welche Probleme Sie da denken.

    Herr Holzherr hat ja nur auf die Tatsache hinweisen wollen, dass es damals schon einen regen wissenschaftlichen Austausch gegeben hat. Das ist in der Tat bemerkenswert und hat in mir den Wunsch verstärkt, einmal etwas darüber lesen zu können, wie sich solch ein Austausch jeweils in den vergangenen Jahrhunderten gestaltet hat.

  7. Guten Tag Herr Prof. Honerkamp,
    Sie treffen meinen Nerv mit Ihrer Einleitung zur Geschichte der Logik und Mathematik in Hinblick auf die besondere Rolle für aktuelle Forschungen der Physik, in welcher eine „einheitliche Theorie“ die heutigen Forscherkollegen ähnlich wie in der Antike antreibt, wenn ich die These richtig zusammengefasst habe. Dazu wird unter anderem ein neuer Teilchenbeschleuniger geplant, um noch tiefer in die Strukturen der Teilchenwelt schauen zu können.
    Alle Einführungen in die Philosophie haben die Schwäche, dass die Autoren nicht wirklich Verständnis für das Treiben der ersten Philosophen aufbringen können. Es gleicht bei ernsthafter Betrachtung doch eher einem Spiel mit absurden Spekulationen: Wer soll auch jemals einen Mann ernst genommen haben, welcher sich wie später in Athen auf den Marktplatz stellte und mit stolz angeschwollener Brust Sätze sprach wie: „Alles ist aus Wasser entstanden!“. Ich kann mir eine solche Zeit nicht vorstellen, nicht einmal in Hinblick auf eine Diskussion, ob Göttergeschichten und Kosmogonien von Dichtern zu kritisieren waren. Und da sei es doch schon einmal lobenswert, wenn ein kluger Mann ggf. von Schöpfungsmythen der eigenen Kultur und der benachbarten Hochkulturen auf die besondere Rolle des Wassers schließen würde. Und andere schwache Erklärungsversuche.
    Auch Sie ziehen sich als Professor der Theoretischen Physik auf „sicheres Land“ zurück und wechseln recht bald auf die Ebene Mathematik und Logik, um den Abgrund einer Ontologie und Metaphysik zu meiden. Wie gesagt, verständlich.
    Ich hole gerade lang aus, aber ich habe unlängst selbst dafür plädiert, sich eher kurz zu fassen. Also komme ich schon jetzt zum Punkt, auch wenn ich das Missverhältnis gern noch länger beleuchtet hätte:
    In meinem Studium der Philosophie zeigte mir Anaximander, dass ein anspruchsvolleres ontologisches Konzept im Hintergrund der „naiven“ Lehren von Wasser, Luft und Feuer zu vermuten sei. Ein ontologisches Konzept, welches noch heute die Forschung leiten könnte.
    Ich will auf die Einheitlichen Feldtheorien von Einstein und Schrödinger hinweisen, welche im Kern ohne quantentheoretische Anteile auskommen könnten, weil ich vermute, dass nur eine Teilchen-Ontologie von Aufenthaltswahrscheinlichkeiten etc. sprechen muss. Eine Kontinuums-Ontologie, wie sie auch die ersten Philosophen in den Mittelpunkt rückten, wäre in der Lage, mit vielen Problemen der aktuellen Lehren aufzuräumen.
    Das Problem ist aber: Wir sind alle mit Demokrit geimpft worden, heute weiß niemand mehr, wie ein Weltbild auf Ebene einer Kontinuums-Ontologie aussehen könnte! Und man legt sich als Physiker sicherlich schnell selbst einen Maulkorb an, wenn man in das Fahrwasser der „Philosophie“ oder gar „Metaphysik“ zu geraten meint! Ein Einstein wagte noch, in Kategorien wie dem Einen zu denken. Ein Schrödinger feilte an einer Einheitlichen Feldtheorie, in welcher Tensoren unter die Lupe genommen wurden („Space-Time Structure (1950)“).
    Ich mag als Philosoph die Physik ermuntern, in solche Richtungen wieder zu forschen, in Quantenfeldtheorien den Heisenberg geben Schrödinger zu tauschen, dabei die Teilchen-Ontologie abzustreifen und in Schwingungen von Feldern zu denken. Der Erfolg der QM ist der Wellengleichung von Schrödinger zu verdanken, die Ergebnisse lassen sich sicherlich leicht umdeuten in Konzepte ähnlich einer Materiewelle, welche nicht nur Bahn eines Wellenpakets ist, sondern ein schwingendes Raumgebiet. Und sich dabei vom Lösungsansatz des Anaximenes lenken zu lassen: „Wie kann ein Eines zugleich ein Eines bleiben und dennoch in diversen Gestalten sichtbar sein: Indem es das Eine an kleinen Stellen verdichteter und verdünnter geben kann.“
    Sie kennen meine These schon, nun mag ich diese Ihrem Blog-Beitrag hinzufügen, vielleicht kann man den Gedanken als Bereicherung beurteilen. Wen dieser Gedanke näher interessiert, hier hatte ich das etwas länger zu Papier gebracht:
    https://cbuphilblog.wordpress.com/2019/01/01/zurueck-zu-schroedinger
    Viele Grüße
    Christian

  8. Zitat Josef Honerkamp: Ob Thales diesen Satz [den Satz von Thales] selbst entdeckt hat, wissen wir nicht. Richtig, doch ob er ihn selbst entdeckt hat, ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist vielmehr, dass er versucht hat ihn zu beweisen (und ihn auch bewiesen hat). Und warum hat er versucht mathematische Theoreme (Ein Theorem ist eine Aussage, die durch akzeptierte mathematische Operationen und Argumente als wahr nachgewiesen werden kann.) zu beweisen? Dazu las ich die Vermutung, dass Thales eigentlich der Begründer einer logisch argumentierenden Philosophie war und diese logische Argumentation eben auch auf mathematische Sachverhalten anwandte. Zumal dazumals Philosophie und Mathematik noch nicht getrennte Wissenschaften (Logos) waren.
    Im Blog Nature of Mathematics liest man zum Vorgehen von Thales (übersetzt von DeepL): Thales war der erste Mathematiker, der die Notwendigkeit der deduktiven Argumentation sah. Andere in der Antike, die Babylonier und die Ägypter zum Beispiel, kannten sicherlich einige der Edelsteine der Geometrie und nutzten sie in Technik und Industrie. Es war jedoch Thales, der diese Tatsachen mit deduktivem Denken beweisen wollte – angefangen bei einer Reihe von Axiomen und Schlussfolgerungen durch Deduktion. Thales wollte die Welt auch nicht durch Mythologie, sondern durch den menschlichen Geist verstehen. Er wird oft mit dem Satz “Alles ist Wasser” in Verbindung gebracht. Für das moderne Ohr klingt das absurd und zu simplifiziert. Wir können diesen Ausdruck aber auch so verstehen, dass die Welt vom Menschen durch einige wenige Grundprinzipien verstanden werden kann. Dies war eine enorme Abkehr vom Denken der alten Welt.

    Ja, davon bin ich überzeugt: Entscheidend ist die Herangehensweise an die Probleme, die Herangehensweise an die Welt. Und die Herangehensweise, die die moderne Welt des Wissens und der Entdeckungen geschaffen hat, die wurde bereits bei den Vorsokratikern eingeführt und hat die Klarheit des Denkens geschaffen, die alles weitere erst möglich machte.

  9. @ Josef Honerkamp und zu:
    “…Wir können ja später nach den Kapiteln über Logik und Diskussion einiger wissenschaftstheoretischer Ansätze darüber diskutieren, ob etwas zu den
    “wirklichen und äußerst drängenden aktuellen erkenntnistheoretischen bzw. wissenschaftstheoretischen Probleme der Gegenwart”
    dabei ist. Ich bin gespannt darauf, an welche Probleme Sie da denken….”

    (Zitatende)
    Warum auf die Zukunft warten, liegt das Geignete doch schon vor: Der von Ihnen offenbar nicht allzusehr geliebte Mitforent D.F. hat vor kurzem zur von Ihnen angekündigten Thematik das folgende gepostet:

    “……………Ein Experiment braucht zu seiner Konzeption eine konkrete Fragestellung. Ist die Fragestellung das Ergebnis eines mathematischen Formalismus, so ist das Versuchsergebnis entsprechend theoriebeladen. Wenn dann noch, wie im Rahmen der Standardmodelle üblich, die messbaren Ergebnisse vorselektiert und nur indirekt mit den postulierten Theorieobjekten „verbunden“ sind, ist der Interpretations-Beliebigkeit nichts mehr entgegenzusetzen.
    Frau Hossenfelder beschreibt das am 8. Dezember [2.49 AM] als Kommentar so…
    …”We can only make it wisely if we look at the facts rather than let ourselves be guided by wishful thinking. That’s why false advertisement like the above is a problem. People who don’t understand the theories believe it. Even those who understand the theories are influenced by the overly optimistic outlook. I know they don’t want to hear it, but cognitive biases and motivated cognition does influence the way we make decisions. Even as scientists. Especially in large groups.“…
    … As I lay out in my book (Lost in math), theory development especially in high-energy physics is presently working badly. You can construct “predictions” for anything you want; therefore those predictions are utterly worthless.”…………………..”
    “…
    (Zitatende)

    Wir können ja jetzt schon noch vor den Kapiteln über Logik und Diskussion einiger wissenschaftstheoretischer Ansätze darüber diskutieren, ob zum Beispiel das zu den
    “wirklichen und äußerst drängenden aktuellen erkenntnistheoretischen bzw. wissenschaftstheoretischen Probleme der Gegenwart” gehört.
    Ich bin gespannt darauf, wie Sie darüber denken und mit welchen Argumenten Sie das eventuell ablehnen wollen.

  10. @Bührig
    Ich kenne Ihre Gedanken schon und wir haben auch schon darüber diskutiert. Es wäre interessant, wenn auch andere dieses Papier lesen würden und wir darauf im Laufe der Zeit immer wieder Bezug nehmen könnten.

  11. @MHolzherr:

    Dazu las ich die Vermutung, dass Thales eigentlich der Begründer einer logisch argumentierenden Philosophie war und diese logische Argumentation eben auch auf mathematische Sachverhalten anwandte.

    Hier wird allerdings “logisch” im umgangssprachlichen Sinne gebraucht, nicht im Sinne der Logik seit Aristoteles, der neben dem logischen Schluss noch den dialektischen Schluss definiert. (Dazu komme ich noch.) Philosophie kann nur mit dialektischen Schlüssen arbeiten, Mathematik arumentiert dagegen mit logischen Schlüssen. Diese Tatsache war es ja, die alle großen Denker, von Descartes über Leibniz, Kant, dazu veranlasst hat, nach einer “mathesis universalis” zu suchen, einer Möglichkeit, in einer formalen Sprache, wie die Mathematik es ist, auch Philosphie zu betreiben. Heute haben nur noch wenige eine solche Hoffnung. Ich nicht.

  12. @little Louis:

    Ich bin gespannt darauf, wie Sie darüber denken und mit welchen Argumenten Sie das eventuell ablehnen wollen.

    Die Argument ist ganz klar: Weil man für eine solche Diskussion weit ausholen muss. Und das tue ich ja gerade. Na gut, etwas könnte ich überspringen. Aber ich habe ein Konzept, das ich nun für eine Buch vervollständigen möchte, und das ziehe ich nun durch.
    Die Art, sich ohne Vertiefung in das, was frühere Physiker und Philosophen gedacht haben, und sich aus eigenen Erfahrungen oder dem, was man irgendwo aufgeschnappt haben, eine Weltsicht zusammen zu basteln, um diese dann vehement und apodiktisch zu vertreten, schätze ich gar nicht. Da wird die Verwirrung doch nur noch größer. Frau Hossenfelder sollte sich mal für die Geschichte der Physik interessieren, dann sähe sie das Zusammenspiel von Theorie und Experimentalpysik ganz anders.

  13. @Bührig 08.02.2019 00:04

    „Der Erfolg der QM ist der Wellengleichung von Schrödinger zu verdanken, die Ergebnisse lassen sich sicherlich leicht umdeuten in Konzepte ähnlich einer Materiewelle, welche nicht nur Bahn eines Wellenpakets ist, sondern ein schwingendes Raumgebiet.“

    Ich stelle mir noch mal ein Pixel in einer Digitalkamera vor. Die einzelnen Atome des Chips kann ich mir gut als verdichtete, schwingende Raumgebiete vorstellen. Die reagieren aber mit einander, und bilden mehr oder weniger gemeinsame Schwingungen. Wenn jetzt ein Lichtquant auf den Pixel trifft, reagiert der ganze Pixel damit und gerät in einen Zustand, der eine Tendenz hat, in der angeschlossenen Zählelektronik eine Zählreaktion auszulösen.

    Das ganze gemeinsame Schwingungsgeschehen wird immer komplexer, aber Gott sein Dank kann die Wellenfunktion zusammenbrechen, und sich entscheiden ob das Lichtquant nun gezählt wird oder nicht. So wird die Komplexität wieder reduziert, und die Wirklichkeit kann mit ihrem Geschehen weitermachen, ohne sich in endloser Wechselwirkung mit der ganzen Kamera, mit dem ganzen Foto und noch mit dem Fotografen dahinter auszuweiten.

    Der Chip ist nun bereit, sich mit dem nächsten ankommenden Lichtquant auseinanderzusetzen.

    So kann ich mir das ganz gut vorstellen. Die Reduzierbarkeit von Schwingungszuständen auf diskrete „Mess“-Ergebnisse braucht meine Vorstellung, sonst verliert sich die Wirklichkeit in unendlicher Komplexität schon auf Ebene eines Pixels in einer Digitalkamera. Wie soll dann noch die Elektronik des Kamerarechners funktionieren, ohne das die Wellenfunktionen immer wieder schnell zusammenbrechen und feste Fakten produzieren? Das wird doch sonst alles überkomplex.

  14. Zitat Josef Honerkamp: Vielleicht erleben wir heute mit dem datengetriebenen Maschinellem Lernen in der künstlichen Intelligenz einen dritten Paradigmenwechsel.
    Mit maschinellem Lernen kann man Korrelationen aufdecken und Muster erkennen. Damit wird maschinelles Lernen in der Wissenschaft zur Endeckungsmaschine ohne dass es Gründe und Begründungen für das Entdeckte angibt. Heute sind Daten nicht mehr rar wie zu Zeiten Newtons als Keplers Beobachtungen/Messungen der Planetenbewegungen das Beste waren, was es damals an Daten gab. Statt dessen entstehen im LHC sekündlich hunderte von Terabytes an Daten und maschinelles Lernen sorgt dafür dass das Interessante im Gewimmel des Gewöhnlichen erkannt und herausgefiltert wird. Überhaupt kann maschinelles Lernen ein Dickicht von Datenbeziehungen auf interessante Querverbindungen abklopfen und damit den Forschungsprozess ungemein beschleunigen wie man etwa in folgender Story zur Verbesserung einer organischen Solarzelle durch Machine Learning liest (übersetzt von DeepL): Für die Solarzellen von Buriak erhielt die Maschine jahrelange experimentelle Labordaten und wurde programmiert, um nach verschiedenen Designvariablen zu suchen, die den Wirkungsgrad einer organischen Solarzelle beeinflussen könnten.
    “Mit der traditionellen Methode, eine Variable nach der anderen zu ändern, hätten wir Tausende von Experimenten benötigt, um all diese möglichen Kombinationen zu testen”, sagte Buriak. “Der Algorithmus des maschinellen Lernens half uns zu verstehen, welche Variablen am wichtigsten waren, und nur 16 Experimente später waren wir auf dem Weg, den Wirkungsgrad von Solarzellen systematisch und dramatisch zu steigern.”
    Mehr dazu unter: https://phys.org/news/2018-09-machine-scientific-discoveries-faster.html#jCp

    Ein Paradigmenwechsel könnte Machine Learning in der Wissenschaft dann bedeuten, wenn Wissenschaftler neu Hypothesen und Vermutungen nicht mehr im Kopf aufgrund eigenen Denkens entwickeln würden, sondern wenn diese Hypothesen das Produkt eines Laufs von Machine Learning Algorithmen über die riesigen Datenmengen beispielsweise der systematischen Himmelsbeobachtungen oder der Partikeldetektionen in Teilchenbeschleunigern wären.

  15. Hochverehrter Prof. Honerkamp.

    Ich traf hier unlängst Michael Ende, welcher einen interessanten Vorschlag machte, um den Untergang der Philosophenwelt anzuwenden, denn auch unsere Welt droht vom Nichts zerstört zu werden. Sie haben sicherlich schon davon gehört. Philosophie ist nicht mehr attraktiv, seit der Generation von Heisenberg wird sogar in unserem Lieblingsthema, der Physik, der Faden bis zu den Anfängen nicht mehr ernst genommen (anders als es bei Ihnen nun erfreulicherweise anklingt). Die neuere Theoretische Physik will das Geheimnis der Atome klären und erfindet das Rad neu, ohne die Erkenntnisse von mehr als 2000 Jahren intensiven Denkens ernsthaft zu würdigen. Man meint, man brauche die Einsichten nicht mehr und alles ließe sich frisch und neu denken. Und plötzlich verlieben sich die jungen Physiker in Lösungsansätze, Teilchen mal eben in Wahrscheinlichkeitszustände aufgelöst zu denken und ähnlich absurde Metaphysiken.

    Nun, Michael Ende schlug uns vor, sich in Blogs wie den Ihrigen zu Wort zu melden. Wenn über uns geredet wird, dann besteht noch Hoffnung für die Rationalität. Vielleicht lässt sich das Schlimmste ja doch noch abwenden. Viele Kollegen sind da weniger optimistisch.

    Sie machen mir nun die Freude, ein paar Kleinigkeiten zu meinen Lehren korrigieren und ergänzen zu können. Fangen wir an.

    Lese gerade, dass Kommentare eher kurz sein sollen, aber keine Regel ohne Ausnahme, hoffe ich. Wenn sich schon mal Anaximander selbst zu Wort meldet.

    Auch wenn es Sie enttäuschen mag, aber der liebe Thales hatte nur das Rätsel vor Augen geführt, dass sich in einem Ei eine ungewöhnliche Wandelbarkeit der Flüssigkeit im Inneren offenbart: Es handelt sich um eine begrenzte Menge Substanz, nichts kommt anscheinend von außen hinzu, nichts verschwindet. Am Ende ist aus Wasser fester Knochen und zarte Feder geworden, sogar ein lebendiges Wesen. Und ist es nicht auch so, dass Säuglinge nur Milch als Nahrung erhalten und das Kind oder das Tierjunge trotzdem neue Knochen aufbaut, neu Fleischelementen etc. bildet und wächst und wächst? Im Wasser steckt also offensichtlich eine Potenz, (fast) alles werden zu können. Das Wasser ist als Grundsubstanz ein lückenloses, kontinuierliches Medium (zumindest aus unserer Einschätzung heraus).

    Es klingt erst einmal nach einem trivialen Problem, gerade ihr meint ja heute, das Problem mit dem Schulwissen leicht abhandeln zu können, Gene steuern eben den Umbau von Elementarbausteinen, welche als kleine Atome oder schon als Molekülverbund im Ei herumschwirren. Aber ihr meint ja auch, sich die Erde als Kugel vorzustellen sei eine leichte Übung, hört man ja schon im Kindergarten. Die Kinder verlernen das Staunen! Ihr verlernt das Staunen. Das Studium der Philosophie kann sein, das Staunen wieder zu lernen.

    Dass das Reden über das Wasser so ernst genommen wurde, ist ein Missverständnis der Geschichte, ggf. inspiriert durch meinen Schüler Anaximenes, welcher tatsächlich ergänzend zu meinen Lösungsvorschlag meinte, man sollte sich das Apeiron wie die Luft vorstellen. Im Konzept Äther kennt Ihr das ja noch immer. Ich sprach mit Aristoteles, er entschuldigte sich bei mir, er spekulierte damals selbst noch, warum man bei Thales das Wasser angesetzt hatte. Es handelte sich um eine mündliche Überlieferung, und es lagen über 200 Jahre dazwischen. Ihr könnt es mit einer mündlichen Überlieferung von Lehren von Kant vergleichen. Da käme sicherlich auch reichlich seltsames Denken dabei heraus.

    Ich gebe zu, dann hatten wir etwas über die Stränge geschlagen, aber wir wollten zeigen, dass das gleiche Prinzip auch auf die unbelebte Natur übertragen werden kann. Sogar Kosmogonien ließen sich so beschreiben. Uns ärgerte halt das Geschwätz, zum Erschaffen der Gestirne, der Sonne und der Planeten bedürfe es allmächtige Götter. Das Geheimnis der Wandlungen im Kleinsten wie im Ei könne zu Einsichten führen, welche sogar den ganzen Kosmos prägen. Etwas vermessen, aber eure Teilchenphysiker denken ja heute auch nicht wirklich bescheidener, oder?

    Außerdem musste man ein wenig autoritär auftreten, um gegen Aberglauben ankämpfen zu können. Heute bedauere ich das zutiefst, denn eine der wichtigsten Lehren der Philosophie ist, dass wir uns empor irren. Bescheidenheit im Umgang mit der Suche nach Wahrheit und Weisheit ist die Tugend der Philosophie. Nun, hätte ich damals so nicht aufgeschrieben, ich würde hier heute sicherlich nicht am Leben sein. Vielleicht war Platon der erste, welcher mit philosophischen Werken zur Unsterblichkeit kam, welche eher mit möglichen Erklärungen statt sicherem Wissen spielten.

    Denn auch von der Natur ging schon lange die Weisheit um, dass in ihr nichts hinzukäme und nichts verschwinden würde. Ein Tier stirbt, ein anderes fängt an zu leben. Ein Kreislaufgedanke konnte man in allen Ecken der Erde finden. Die Frage war aber das „Wie“.

    Mein Vorschlag war, dass die Wandlung im Ei lokal stattfinden, ein Hin zu einem Element wie Knochen, aber auch in größeren Zeitmaßstäben gedacht ein Zurück zum Wasser. Eine Grund-Substanz hat die Potenz, verschiedenste Gestalten anzunehmen. Um den Kreislauf in Gang zu halten, führte ich Dike als Prinzip der Gerechtigkeit an. Sie schreiben, ich hätte an Kampf gedacht, aber das war Heraklit. Dieser wollte ausdrücken, dass er glaube, Gerechtigkeit führt zum Erlahmen des Prozesses, nur der Kampf der Gegensätze sei ein dynamisches Prinzip. Nun ja, Heraklit. Ich sage dazu jetzt mal nichts. Aber interessant ist sein zweiter Aufhänger an dieser Stelle: Ich glaube, er denkt noch zusätzlich an eine Art Tauziehen der Gegensätze, denn ihm ist wichtig, auf Illusionen hinzuweisen: Beim Tauziehen kann man der Illusion erlegen, man habe einen stabilen Zustand vor sich, wenn sich gerade nichts nach links oder rechts bewegt. Aber tatsächlich sei ein mächtiger Kampf in beide entgegengesetzt Richtungen am Werk. Ein wirklich spannender Lösungsansatz.

    Ich muss noch vom Apeiron sprechen.

    Ich wollte den kontinuierlichen Charakter der Grundsubstanz ansprechen. Parmenides hat es später treffend formuliert: Seiendes muss an Seiendes grenzen, eine Lücke darf es nicht geben, eine Lücke, ein Nichts, sei auch gar nicht denkbar. So ein kontinuierliches Weltbild sei das einzig angemessene Weltbild. Leukipp wollte das später auch nicht wirklich anders sehen, er unterschied Seiendes und Nicht-Seiendes. Das Seiende sollte durch seine permanente Gestalt gekennzeichnet sein, aber eine Gestalt im Sein. So ähnlich muss man sich das ja auch bei Anaximenes und der Luft vorstellen: Eine verdichte Stelle wandert in im kontinuierlichen Medium Luft. Eine Art Wellenbuckel. Diese Verdichtung habe nach Leukipp eine Permanenz. Mein Apeiron sollte seine Erscheinungsformen durch Akzdentien erhalten: feucht bis trocken, heiß bis kalt und ggf. mehr. Aber das war nur ein Lösungsvorschlag. Viel wichtiger ist die Kontinuums-Ontologie.

    Sie erwähnten gar nicht, dass bei mir die Sterne niedriger als Sonne, Mond und Planeten angesetzt seien. Ich danke für diese Rücksichtnahme. Tatsächlich handelt es sich aber auch wieder nur um ein geschichtliches Missverständnis: Ich hatte ein Apparat gebaut, welcher Sonnen und Mondfinsternisse vorführen kann. Man stellte dich in eine Kuppel, ähnlich ihren Planetarien. Die Kuppel war aus einem Material, welches das Feuer aus dem Apparat noch sichtbar werden ließ, aber die Sterne simulierte ich nur, indem ich in die Kuppel kleine Löcher machte. Ich hatte mit Schrecken vernommen, dass das alles später zu einem Kosmosmodell mit einem Räderwerk am Himmel und weiteren technischen Details ausgestaltet wurde. Irre, was so alles aus einer schwammigen Überlieferungstradition werden kann.

    Seien Sie herzlichst gegrüßt
    Ihr
    Anaximander

  16. Anaximander,
    die schönste deiner langen Ausführungen ist die über das Ei. Vergiss die Biologie nicht !

    Der Flegel Physik hat sich so in den Vordergrund gedrängt, dass wir das Wichtigste vergessen, das
    „Phänomen Leben“.

    Wir haben noch nicht einmal den Vorhang des Lebens gelüftet und wollen die Naturphilosophie für tot erkläten. So schnell sollte man eine Sterbeurkunde nicht unterschreiben.

    Was ist zum Ei noch zu sagen, da kommt etwas dazu , etwas nichtmaterielles, die Wärme. Ohne Wärme kann das Ei nicht reifen.
    Das was die tote Materie zum Leben erweckt, das ist nichtmateriell, die Wärme.

    Ich hoffe, das reicht umd die erstarrte Phantsie wieder zu beleben.

  17. Lieber Prof. Honerkamp. 

    Anaximander bat mich, auch ein paar interessante Dinge über mich zu schreiben, welche hier und ggf. an anderen Stellen über mich noch nicht gesagt wurden.

    Sie beschäftigen sich mit möglichen Gründen, warum die Philosophie mit mir in Griechenland startete. Eine der ersten Thesen (eine verbreitete These) ist, ich und meine Schüler hätten Zeit und Muße gehabt. Nun, Zeit und Muße wird es sicherlich auch in allen benachbarten Hochkulturen gegeben haben, da wäre der Durchbruch einer Philosophie auch wahrscheinlicher gewesen, muss man doch zugeben. Aber das mit der Zeit und der Muße sollte nur mein Aufhänger sein, um zu erklären, warum ich an einem Sonntagmorgen schreibe. 

    Nein, wo wir gerade bei den benachbarten Hochkulturen sind, doch ein paar wichtige Worte dazu. Ich kenne noch nicht ihr Buch zu der Mathematik der Hochkulturen Assyrien, Babylon und Ägypten, aber ich gehe jetzt einmal davon aus, dass die folgende Erzählung so noch nicht erzählt wurde. 

    Das Datieren meines Geburtsjahres ist ja eine schwierige Sache gewesen, ihr habt ja nur grobe Hinweise wie eine Sonnenfinsternis 585 v. Chr. Tatsächlich wurde ich etwas früher geboren. Und es war die Zerstörung der Bibliothek in Ninives 611 nach eurer Zeitrechnung, welche mich dazu zwang, mich in Milet niederzulassen. Mein Wunsch wäre gewesen, mich in Ninive aufzuhalten, der Hochburg des Wissens! Eine herrliche Bibliothek muss es gewesen sein, gesehen hatte ich sie nicht mehr! Ich leider traf nur noch ein paar Gelehrte dieser Bibliothek, welche sich in die Nachbarländer verstreuten, in Assyrien tobte Krieg. Von diesen hatte ich meine Kenntnisse der Mathematik und Astronomie, nicht aus Ägypten, wie glaube ich Platon vermutete.

    Habt ihr euch einmal angesehen, welche ein erstaunlicher Herrscher Assurbanipal war? Er ließ das Wissen der eroberten Völker in Keilschrift aufschreiben. Er wollte das selbst lesen, lernte lesen und schreiben. Welche Herrscher kennt ihr, welche sich auch diese Mühe machten? Und welche Geisteshaltung! Er hatte alle Macht der Welt, nach Wahrheiten ließ er seine Macht aber nicht gelten, auch nicht die seiner Priester! Er sammelte Wissen in Bibliotheken, nur auf diesem Weg, im Vergleich des Wissens der “Welt”, sei das Finden von Wahrheiten möglich! Welche großen Lehrmeister und Philosophen muss er zum Lehrer gehabt haben!

    Und Ägypten: Nun ja, erst mit dem etwas gleichaltrigen Psammetich wurde Ägypthen wieder zur Hochkultur. Psammetich kam Assurbanipal zu Hilfe gegen die Babylonier, Assurbanipals Vater mochte den Vater Psammetichs, der Vater hieß Necho I,  und machte ihn zu einem Statthalter in Ägypten. In den Jugendjahren hielten sich Psammetich und sein Vater in Assyrien am Hof des Vaters von Assurbanipal auf (eigentlich eine Strafaktion). Es spricht vieles dafür, dass beiden jungen Männer vom selben Lehrmeister (und großen Philosophen!) geschult wurden. Psammetich wurde im Übrigen auch durch eine Wissenssuche bekannt, allerdings eine eher unrühmliche: Zur Suche nach der ersten Sprache der Menschheit experimentierte er, zwei Kinder bei einem Hirten ohne Sprache aufwachsen zu lassen, der Ergebnis sollte gewesen sein: Phrygisch sei die Ursprache.

    Das Sammeln von Weisheiten macht für mich das Wort Philosophie aus. Es wurde zuerst von Hesiod verwendet, welcher von Solon schrieb, er habe “philosophierend” viele Länder bereits. Gut, Vielwisserei kann man auch kritisieren, das reicht nicht aus. Heraklit schimpfte so auf Pythagoras, welchen Sie in der Mathematikgeschichte wohl eher lobend erwähnen werden. Bei uns ist er eigentlich als selbstherrlicher Sektengründer schon längst verbannt. Wäre er nicht eine wichtige Inspirationsquelle für Platon gewesen, er hätte wohl nie so unsterblich werden können.

    Für mehr ist heute leider keine Zeit. 

    Hochachtungsvoll

    Ihr

    Thales

  18. Thales, Anaximander, Anaximenes und all die anderen Geistesgrössen in der griechischen Antike waren nur in einem geistigen Klima möglich, das die Gedanken und Lehren dieser Personen wertschätzte und wo darüber diskutiert wurde. Ein wichtiger Teil der altgriechischen (vorsokratischen) Gesellschaft muss also gebildet gewesen sein – wenn auch zuerst nicht im heutigen Sinne, denn damals gab es noch keine Bildungsgänge, keine Universitäten. Letztlich waren aber die Gymnasien und Akademien, die in der klassischen Zeit des Altgriechentums (4.Jahrhundert vor Christus) gegründet wurden das Resultat einer Geisteshaltung, die bereits bei den Vorsokratikern vorhanden war.
    In dieser Sicht sind herausragende Figuren wie Thales oder Anaximander nur möglich, wenn es eine Arena, ein – vielleicht unsichtbares, nur virtuelles – Auditorium für ihre geistigen Produkte gibt. Das ist wohl sogar heute noch so und gilt wohl sogar für die theoretische Physik. Wenn theoretische Physiker nur noch mit sich selbst sprechen und in der Gesellschaft nicht mehr wahrgenommen werden, dann fehlt der nötige Echoraum, der ihre Arbeit trägt und die Bereitschaft schafft ihre Arbeit auch zu finanzieren.

  19. @ MHolzherr:
    Kleine Übung in der Aussagenlogik:

    Sei A:= Theoretische Physiker sprechen nur noch mit sich selbst und werden in der Gesellschaft nicht mehr wahrgenommen.
    B:= Es fehlt der nötige Echoraum, der ihre Arbeit trägt und die Bereitschaft schafft, ihre Arbeit auch zu finanzieren.
    Sie sagen nun: Wenn A, dann B. Dem stimme ich zu. Also die Aussage A -> B ist wahr.
    Meinen Sie, dass A auch wahr ist?
    Dann wäre mit Hilfe einer berühmten logischen Schlussregel auch B wahr.

    Diese Schlussregel heißt modus ponens und lautet:
    A, A -> B => B.
    Sie ist unabhängig vom Inhalt der Aussagen A und B gültig, weil sie sich aus einer Tautologie ableiten lässt.

  20. @Josef Honerkamp: Danke für die Zuspitzung. Die Aussage A (“Theoretische Physiker sprechen nur noch mit sich selbst und werden in der Gesellschaft nicht mehr wahrgenommen.”) trifft heute (noch) nicht zu. Die Entdeckung des Higgs-Bosons beispielsweise wurde von der Öffentlichkeit als Bestätigung theoretischer Voraussagen überwiegend positiv aufgenommen. Es gibt aber nicht wenige auch gebildete Leute, die Wissenschaft (z.B. Teilchenforschung) und Technologie (z.B. Raumfahrt) kein Geld geben wollen, wenn es keine Aussicht auf einen Return on Investment gibt.
    An und für sich nichts besonderes, dass es solche Leute gibt. Besonders daran ist höchstens, dass dazu auch sehr gebildete Leute gehören.

  21. Guten Morgen, Prof. Honerkamp.

    Mit dem Schreiben des Blogs bereiten Sie ein Buch zum selben Thema vor, kommentierten Sie schon. In Hinblick darauf freut es mich, über Kommentare etwas Einfluss auf den später endgültig fixierten Text nehmen zu dürfen.

    Als Freund Anaximanders muss ich den Vergleich zu Hawking versuchen abzuwenden. 

    Sogar ein Erlahmen des Kampfes zwischen dem Heißen und dem Feuchten und damit ein Vergehen des „Seienden“ sowie ein neues Entstehen aus dem Apeiron war vorgesehen. Das Apeiron ist für Anaximander damit also nicht nur unendlich; es kann auch unendliche viele Welten erzeugen und wieder vergehen lassen. Man denkt unweigerlich an das Quantenvakuum in der M-Theorie von Stephen Hawking und an die ständige Entstehung neuer Universen aus diesem durch Quantenfluktuationen.

    Ist es nicht vielmehr so, dass Anaximander wie später z. B. Nietzsche nur an einen Zyklus von Welten dachte? Ich werde das einmal nachschlagen. Bei Hawking geht es wie bei der Vieleweltentheorie wohl eher um eine Gleichzeitigkeit der Universen / Paralleluniversen. Aber vielleicht schmeiße ich das nun alles in einen Topf, gebe zu, dass ich diese Blasen nur für Phantasie-Seifenblasen hielt, die wieder zerplatzen werden… Vielleicht mögen Sie mich da etwas aufklären. Aber ich schaue schon einmal nach, was ich da zu Anaximander finden werde. 

    Viele Grüße

    Bührig

  22. @Tobias Jeckenburger

    Sie stecken mit dem Kopf noch in der Kopenhagern Deutung und dem Kollaps von Wellenfunktionen. Ich rede von Schwingungen geometrischer Eigenschaften des Raums, analog zum Abwenden von der euklidischen Geometrie.

    Versuchen Sie bitte “Kollaps” anders zu definieren als “Und dann passiert ein Wunder” 🙂 

    mfg, Bührig

    P.S.
    Interessant, dass der Datei-Name dieses Bildes nicht das Wort “Wahrscheinlichkeit” benutzt, sondern einfach “Dichte”.

    upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/e/e7/Hydrogen_Density_Plots.png/1200px-Hydrogen_Density_Plots.png

    https://cbuphilblog.wordpress.com/2019/01/03/wasserstoff

    Meine Aussage war, die Psi-Wellenfunktion kann benutzt werden, um geometrische Eigenschaften eines Raumgebiets schwingen zu lassen, und zwar im Denkbild einer Schwingung in die “Dichtedimension” hinein. Als Versuch, dem Schlagwort “Materiewelle” neues Leben einzuhauchen, sozusagen.

    Hier z. B. bringt Schrödinger seine Wellengleichung mit den Gravitationstensor zusammen. (Seine spätere Arbeit dreht sich verstärkt um diesen Gedanken.)

    Eine holländische Zeitung brachte vor ein paar Monaten einen vergleichsweise intelligent klingenden Bericht, dass Du über den Zusammenhang von Gravitation und Materiewellen etwas Wichtiges herausgebracht habest. Das würde mich schrecklich interessieren, weil ich eigentlich schon lange glaube, dass die Ψ-Wellen mit Wellen der Störung des Gravitationspotentials zu identifizieren sind.

    Schrödinger an Einstein, 1939.

    Beispiel hier im Nachlass Schrödingers:

    https://cbuphilblog.wordpress.com/2019/01/02/schroedinger-an-einen-freund-1943

  23. Liebe Freunde der Schule von Milet. 

    Anaximenes  war schon damals zu bescheiden. Ich sprach ihn an, warum er hier neben Thales und Anaximander nicht auch noch ein Wort sprechen möge. Er freute sich, dass gerade ich ihn darauf ansprach, denn sein Lösungsansatz sei meinem Denken gar nicht so fern. Darauf machte mich 1957 auch mein Freund Schrödinger aufmerksam. Ich hatte mich sehr über seinen Brief gefreut! 

    https://cbuphilblog.wordpress.com/2018/04/28/exkurs-schroedinger-an-einstein-1957

    Anaximenes bat mich, seine Theorie zu erläutern, denn ihm glaubte man nicht viel, aber wie Erwin Schrödinger schreib, erst nach meiner Allgemeinen Relativitätstheorie konnte die Lehre des Anaximenes richtig zur Geltung kommen!

    Anaximenes war ähnlich verwegen wie ich und andere Denker damals, dem Raum selbst physikalische Eingenschaften zuzusprechen. Eine Raumverzerrung in Anwesenheit von (großen) Massen wagten wir zu denken. Unsere Aussage war, wenn wir die Geometrie des Raums von seinen starren Ketten der einfachen Anschauung in den drei Dimensionen Höhe, Breite, Tiefe befreien, dann eröffnen sich neue Möglichkeiten, Gravitation zu erklären. Eine Planetenbahn bedarf dann keiner unerklärlichen Fernwirkung mehr, ein Planet umkreist die Sonne, weil der Raum nicht mehr euklidisch sein muss, sondern eine Krümmung besitzt, welcher die Planten folgen.

    Was wir dazu einführten, das war eine vierte Dimension. Man hätte diese vierte Dimension auch als Dichte des Raumes denken können, aber dazu gehören keine Erfahrungen, die wir machen können. Wir sind – mit Kant zu sprechen – an der angeborenen Raum-Vorstellung zu sehr gebunden. Die Definition von Raum entspricht den uns unmittelbar zugänglichen Größenordnungen, dem sogenannten Mesokosmos. Eine Kategorie des unmittelbar erfahrbaren Mesokosmos ist die Zeit. Um also in unseren Erfahrungen euklidisch dreidimensional bleiben zu dürfen (man hätte auch von Längenkontraktion sprechen können), führten wir das zunächst seltsam anmutende Drehen an der Zeitschraube ein.

    Was macht Uhren aus, insbesondere so etwas wie Quarzuhren? Das Schwingen von Atomen. Wir waren der Überzeugung, in einem “dichteren” Raumgebiet würden die Uhren langsamer gehen,  d. h. die Schwingungen seien im Vergleich zu einem weniger “dichten” Raumgebiet langsamer. Genau das macht den Uhren-Gang-Unterschied in GPS-Satelliten im Verhältnis zu Uhren auf der Erdoberfläche aus.

    “Sehen” könne man das Schauspiel der Raumdichte aber eigentlich schon, nämlich in dem Moment, wo das Licht nicht mehr den vertraut geraden Weg nimmt. Das Phänomen, Licht von Sternen hinter Sonne bei einer Sonnenfinsternis sehen zu können, brauch ich hier nicht näher zu erwähnen.

    Das ganze mutete zu Recht sehr spitzfindig an. Es ist immer eine philosophische Herausforderung, die vorgegeben Denkmuster (vgl. Kant) zu verlassen, um eine andere Wahrheit zu erblicken. Nicht jeder kann oder mag da folgen. Dass Anaximenes so “einfach” diesen Lösungsansatz aussprach, in das Kontinuum des Apeirons mit Verdichtung und Verdünnung operieren zu dürfen, um Seiendes entstehen zu lassen, ist daher aus unserem zeitlichen Abstand fast unbegreiflich kühn! 

    Ich muss leider zugeben, dass ich diese Kühnheit für die Welt der Atome nicht besaß. Ich spekulierte, Energie ließe sich konzentrieren, dann entstehe irgendwann Masse. Mit dem Brief von Schrödinger änderte sich (leider zu spät) meine Sichtweise. Ganz recht, es ist alles doch eher so einfach bei Anaximenes zu lösen, würde ich heute sagen: Man muss dem Raum eine Dichtedimension zugestehen, diese Dichtedimension in Schwingungen versetzen, so wie es sich Schrödinger 1957 wünschte. 

    Wer wagt es, diesen Faden meines Freundes Schrödingers wieder aufzunehmen, um mit einer Apeiron-Ontologie noch das elektromagnetische Feld an das Gravitationsfeld zu koppeln? Mit den modernen Rechenmaschinen solltet ihr 2026 dazu in der Lage sein, pünktlich zum 100. Jahrestag der Veröffentlichung der ersten Wellengleichungen.

    Herzlichste Grüße

    Euer Albert

    [“Ghostwriter”: Bührig]

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