Abgesagte OPs, volle Intensivbetten – was das bedeutet

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Medizin einfach erklärt
Die Monacologin

Die Charité, eine der größten Kliniken Europas und eine der renommiertesten der Welt, führt vorerst keine „planbaren“ Operationen mehr durch und wird nicht die einzige Klinik bleiben, die diesen Schritt gehen muss. Der Grund: die Überlastung der Intensivstationen mit COVID-19-Patienten. Durch abgesagte OPs werden mehr Intensivbetten frei – dann ist ja alles gut. Oder nicht?

Was Intensivstationen mit Operationen zu tun haben

Auf Intensivstationen werden zu einem großen Teil Patienten nach Operationen versorgt. Vor allem nach großen Operationen, z. B. am offenen Herzen oder Gehirn, oder bei (Teil-)Entfernungen von Organen wie Leber, Magen, Darm oder Pankreas. Aber auch im Anschluss an viele andere Operationen in anderen Körperregionen müssen Patienten intensivmedizinisch überwacht und behandelt werden. Ganz einfach, weil diese Eingriffe nicht spurlos am Körper vorbeigehen. Bei einer Herz-OP etwa wird das Brustbein aufgesägt und das Herz stillgelegt. Das ist keine Kleinigkeit und manchmal kommen nach so einem Eingriff nicht alle Körperfunktionen sofort wieder in die Gänge. Auch besteht nach großen Operationen das Risiko von Blutungen oder Infektionen, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen.

Patienten zu operieren, sie durch die Operation potenziell in eine akut lebensbedrohliche Situation zu bringen und gleichzeitig gar nicht die Möglichkeit zu haben, sie im Notfall angemessen zu versorgen: das geht nicht. Verantwortungsvolle Ärzte können keine großen Operationen durchführen, wenn sie den Patienten im Anschluss kein Intensivbett garantieren können.

„Planbare“ Operationen sind auch Krebs- und Herz-OPs

Nun ist es so, dass Patienten in erster Linie nicht in Häuser wie die Charité kommen, um sich ihre Nase begradigen oder Brustimplantate einsetzen zu lassen. Die Intensivmedizin in Deutschland spielt sich zu einem großen Teil an den Universitätskliniken ab. Diese Kliniken führen in den jeweiligen Fächern die kompliziertesten Operationen durch, sie sind der Ort, an den Patienten kommen, wenn sie schwer krank sind und andere Häuser nicht mehr weiterkommen.

Überhaupt werden Patienten in den allermeisten Fällen nicht einfach zum Spaß operiert – eine Operation ohne Indikation ist eine nicht zu rechtfertigende Körperverletzung. Wer sind also die Patienten, deren OPs „planbar“ sind? Planbar bedeutet in der Medizin grob gesagt, dass ein Patient nicht gerade notfallmäßig mit dem Hubschrauber eingeliefert wird, wie es nach einem schweren Unfall oder bei einem Riss der Hauptschlagader der Fall wäre.

Wenn jemand eine kaputte Herzklappe hat und deshalb eine schwere Herzinsuffizienz, dann ist der Ersatz der Klappe in den meisten Fällen planbar. Wenn jemand Krebs an irgendeinem Organ im Körper hat, dann ist die OP in den meisten Fällen planbar. Planbar bedeutet: ob heute oder morgen spielt keine Rolle, der Patient wird durch eine kleine zeitliche Verzögerung nicht in Lebensgefahr gebracht.

Werden Operationen nun für Wochen ausgesetzt, kommen in diesen Wochen wieder neue Kranke hinzu, die Operationspläne wachsen und wachsen und müssen irgendwann abgearbeitet werden. Die Verzögerungen für den einzelnen Patienten liegen unter Umständen nicht mehr bei Tagen. Sondern Wochen. Oder Monaten.

In manchen Fällen geht es vielleicht um etwas “Harmloses” wie eine Leistenhernie. In anderen Fällen geht es vielleicht „nur“ um Lebensqualität. Eine neue Hüfte, die erst später eingesetzt wird, bis dahin eben Schmerzen beim Laufen. Ein Aufbau einer entfernten Brust bei einer Brustkrebspatientin. Ob ein Patient nun über Wochen mit Schmerzen herumläuft oder sich entstellt fühlt, ist ja nicht so wichtig. Das sind sie, die elektiven Eingriffe.

Zu den “planbaren” Eingriffen können allerdings auch die genannten Organ-OPs zum Beispiel bei Krebs gehören. Ein Tumor, der noch lokal begrenzt ist, kann in jeder Sekunde Zellen in den Körper aussenden, die zu Metastasen werden. Eine zeitliche Verzögerung einer Krebsbehandlung kann eine heilbare Erkrankung in eine unheilbare verwandeln.

Welche Patienten die Intensivbetten noch brauchen

Und die Krebskranken brauchen die Intensivbetten noch an einer anderen Stelle. Bestimmte Chemotherapien, speziell bei Krebserkrankungen des Bluts, bremsen die Blutbildung. Die Folge: die Patienten sind sehr anfällig für schwere Infekte. Bekommen sie einen, können sie schnell septisch werden. Der Kreislauf muss dann auf einer Intensivstation überwacht und stabilisiert werden.

Nicht nur Chirurgen, sondern auch Onkologen fragen sich vielleicht gerade: kann ich meine Therapie durchführen, auch wenn mein Patient dadurch in die Lage kommen kann, dass er ein Intensivbett braucht? Da einige Blutkrebserkrankungen innerhalb von Tagen oder Wochen töten können, stellt sich die Frage bei den Onkologen aber “zum Glück” weniger häufig.

Aber es stimmt natürlich, dass es nicht nur Krebskranke gibt. Natürlich gibt es auch andere Patienten, die ein Intensivbett brauchen. Zum Beispiel die mit einer Hirnblutung.

Trotz verfügbarer Impfung in die Katastrophe vom letzten Winter

Vor einem Jahr, noch vor der Impfung, war ich im Praktischen Jahr meines Medizinstudiums auf einer COVID-19 Station eingeteilt und habe im Dezember 2020 erlebt, wie die Münchner Kliniken gebangt haben. Das München mit zwei Unikliniken, mit mehreren Maximalversorgern. Ich weiß nicht, ob es irgendwo in Deutschland im Verhältnis zu den Einwohnern so viel geballte Spitzenmedizin gibt.

Als ein Mitte 50-jähriger Patient mit einer Sauerstoffmaske mit Reservoir auf dem Gesicht, der unter 14l Sauerstoff pro Minute mit schneller Atmung gerade so eine Sättigung von 90% erreichte, von den Intensivstation auf die COVID-19-Station zurückverlegt wurde, da wurde mir zum ersten Mal so richtig bewusst, was gerade passiert.

Ich weiß noch, dass mir Tränen in die Augen geschossen sind und ich herumgefragt habe, warum der Patient bei uns ist, warum er nicht auf Intensiv ist. Ich habe herumgefragt, obwohl ich die Antwort kannte, aber irgendwie musste ich sie hören.

So einen Patienten hätten wir normalerweise auf die Intensivstation geschickt. Die Atmung erschöpft sich mit der Zeit, wenn er schnell atmend mit so viel Sauerstoff nur auf 90% kommt, dann ist das nicht gut.

Aber anscheinend ging es ihm besser als anderen. Also musste er das Intensivbett räumen.

Der Mann kam Tage später wieder auf Intensiv, zum Glück. Über Weihnachten lag er beatmet und narkotisiert auf der Station. Im März hat er soweit ich weiß das Krankenhaus lebend verlassen. Nachdem wieder lernen musste zu laufen – Muskelschwund nach Intensivstation.

Winter 2020 bei der Mitarbeitertestung

Ich habe die ganze Pandemie hautnah erlebt und kann die aktuelle Lage nicht fassen

Als die Pandemie Deutschland erreicht hatte, war ich gerade als Studentin in einer Hausarztpraxis eingeteilt. Vor der Tür standen Patienten mit Erkältungssymptomen. Für mich war klar: ich bleibe, ich breche nicht ab, ich helfe. Also habe ich mich freiwillig angeboten, Patienten vor der Praxis abzufangen, nach Risikokontakten und Aufenthalten in Risikogebieten zu fragen und sie wenn nötig und medizinisch vertretbar an das Gesundheitsamt zu verweisen. Um Patienten und Mitarbeiter in der Praxis vor potentiellen Ansteckungen zu schützen.

Danach habe ich der Uniklinik, an der ich studiere, meine Hilfe angeboten. Über Wochen habe ich ehrenamtlich Nasen-und Rachen-Abstriche bei symptomatischen Mitarbeitern gemacht. Ich wusste, dass meine Arbeitskraft in der Klinik nicht fehlen würde (im Gegensatz zu der von Pflegern und Ärzten), aber dass es extrem wichtig ist, dass kranke Mitarbeiter keine Patienten anstecken. Danach habe ich über Wochen ehrenamtlich Blut bei Mitarbeitern abgenommen, um einer Studie zu Antikörpern gegen SARS-CoV-2 zu helfen. Als dann mein Praktisches Jahr angefangen hat, wusste ich, was ich tun will: auf eine COVID-19 Station und dort helfen.

Das alles war vor der Impfung. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt Angst vor einer Infektion, Angst um mich selbst. Denn ich wusste, dass ich als junge und gesunde Frau aller Wahrscheinlichkeit nach lebendig aus der Sache rausgehen würde. Aber mir war klar, dass nicht alle dieses Glück haben. Und dass ich meinen Mitmenschen helfen will.

Als Ende Dezember dann der Impfstoff kam, half ich noch beim Impfen von Klinikmitarbeitern. Als der Impfstoff da war, war ich euphorisch. Ich war sicher: das schlimmste ist jetzt vorbei.

Von der ersten Stunde an habe ich wirklich versucht zu helfen, so weit es meine Möglichkeiten zugelassen haben. In dieser historischen Katastrophe wollte ich nicht nichts tun, ich wollte wenigstens ein bisschen zu helfen.

Dass wir jetzt, ein Jahr später und mit verfügbaren Impfstoffen, vor derselben Katastrophe wie vor einem Jahr stehen, als mir auf der COVID-19-Station Tränen in die Augen geschossen sind, das kann und will ich nicht glauben. Und wie fühlen sich erst die Patienten? Die mit COVID-19 und die, die wegen der hohen Fallzahlen nicht angemessen behandelt werden können? Wie fühlen sich ihre Angehörigen, ihre Ärzte und Pfleger?

Nach einem Arbeitstag verkittelt mit FFP-Maske auf der COVID-19 Station

Veröffentlicht von

Marisa Kurz ist Assistenzärztin an einem Universitätsklinikum und befindet sich in der Ausbildung zur Fachärztin für Hämatologie und Onkologie. Vor dem Medizinstudium hat sie ein Studium der Biochemie (M. Sc., B. Sc.) und der Philosophie mit Nebenfach Sprache, Literatur und Kultur (B. A.) abgeschlossen. Nebenbei schreibt sie als freie Journalistin, u. a. für den Georg Thieme-Verlag. Sie promoviert in der Krebsforschung zu Immuncheckpoints bei Lungenkrebs. Mein Ziel: Ich will, dass Patienten ihre Erkrankungen und Therapien besser verstehen. Deshalb möchte ich Medizin leicht verständlich ohne Fachbegriffe erklären. Nur gut informierte Patienten können autonome Entscheidungen über ihre Behandlungen treffen. Und gut informierte Patienten fühlen sich, so bin ich überzeugt, besser aufgehoben.

25 Kommentare

  1. Das Schlimmste wird erst noch kommen, denn wir suhlen uns immernoch nur im Elend das dieses System des “Zusammenlebens” IN ALLEN Bereichen produziert und für die Profitler pflegt, anstatt es durch konstruktive Kommunikation zweifelsfrei-eindeutig und wirklich-wahrhaftig vernünftig zu verändern – Die durch Kreuzchen auf dem Blankoscheck gewählten parlamentarischen “Treuhänder” / Lobbyisten werden es SICHER nicht tun, denn dafür hat ihre gebildete “Expertise” in dieser Hierarchie nicht den nötigen Verstand!!!

  2. Besten Dank für die eindringliche Schilderung des Klinikalltags samt dem ganzen Drumherum.

    Zitat:

    Ich hatte zu keinem Zeitpunkt Angst vor einer Infektion, Angst um mich selbst.

    Ja, scheinbar haben diese Angst sowieso nur Wenige, sonst wäre es schwierig zu erklären, dass sich so viele nicht impfen lassen. Wobei: es sind eben meist jüngere Menschen, die sich nicht impfen lassen und die die Impfung für gefährlicher halten als die Krankheit.
    Und die – das ist ehrlich gesagt mein Eindruck -, sich selbst für wichtiger nehmen als die Gesellschaft in der sie leben. Denn es ist doch offensichtlich, dass jeder freiwillig und grundlos Ungeimpfte diese Verweigerungs-Haltung auf Kosten der Gesellschaft einnimmt.

  3. Als bekannt wurde, dass bei Impfungen mit AstraZeneca einzelne Fälle von Hirnvenenthrombose auftraten hat man das Impfen gestoppt – um die Situation in Ruhe zu prüfen. Diese korrekte Vorgehensweise von Regierung und STIKO ist ein wesentlicher Grund, warum sich viele Leute immer noch nicht impfen lassen wollen. Zusätzlich wurde die Botschaft verbreitet, dass Corona für jüngere Menschen ungefährlicher ist, als für Ältere – insbesondere wird immer noch in Frage gestellt, ob man Kinder/Jugendliche überhaupt impfen muss.

    Damit hat man für die Bevölkerung die falsche Botschaft suggeriert, dass das Impfen wesentlich gefährlicher sei, als die Impfung.

    Das ist ein Totalversagen von Wissenschaftskommunikation!

    Die Vorgehensweise der STIKO zu dem Impfempfehlungen mag sachlich korrekt sein – aber leider kommt bei der Bevölkerung eine falsche Botschaft an:
    Indem sich die STIKO nur mit den Risiken der Impfung beschäftigt – was fachlich korrekt ist – wird dabei gleichzeitig ignoriert, wie groß die Risiken sind, wenn man sich nicht impfen lässt. Dieses Unterlassen von Hinweisen auf das Risiko von Erkrankungen erzeugt Skepsis gegen das Impfen.

    Wenn sich jetzt die Krankenhäuser mit Corona-Patienten füllen, muss man sich nicht wundern. Ein Logdown würde die Situation nicht verbessern – denn rechtlich ist er nicht mehr zulässig (da ein Impfstoff vorhanden ist) und er würde auch nichts nützen, da sich die Impfgegner trotzdem nicht impfen lassen werden.

    Leider muss man feststellen, dass die Wissenschaftskommunikation immer noch nicht besser geworden ist. Statt die GefahrenRisiken einer Ansteckung für Ungeimpfte klar/deutlich zu publizieren und damit Vernunft/Verstand von Bürgern zu erreichen versucht man es mit Drohungen – wie 2G-Einschränkungen

    • @KRichard: Ja: jüngere lassen sich womöglich nicht impfen, weil sie die Impfung für gefährlicher als die Erkrankung halten oder sie eine Erkrankung für unwahrscheinlich halten.

      Doch ihre Aussage (Zitat): „ Ein Logdown würde die Situation nicht verbessern„ ist falsch: ein Lockdown würde weniger Ansteckungen pro Woche bedeuten und damit weniger Neu-Erkrankungen pro Woche . Da die Delta-Variante aber so ansteckend ist wie Windpocken, würde ein Lockdown Infektionen wohl nur verzögern, nicht völlig verhindern. Eine Verzögerung aber bedeutet, eine flachere Krankheitswelle und damit weniger stark belegte Intensivstationen.

  4. “Dass wir jetzt, ein Jahr später und mit verfügbaren Impfstoffen, vor derselben Katastrophe wie vor einem Jahr stehen, als mir auf der COVID-19-Station Tränen in die Augen geschossen sind, das kann und will ich nicht glauben.”

    Das ganze hat drei Ursachen:
    1.) Durch den Mangel an Pflegepersonal stehen dieses Jahr sogar weniger Intensivbetten zur Verfügung als letztes Jahr.
    2.) Die Impfstoffe scheinen nicht zu wirken (oder sogar kontraproduktiv zu sein), denn wie sonst ist es zu erklären, dass die Fallzahlen heute höher sind als vor einem Jahr, obwohl nun rund 70% geimpft sind und letztes Jahr so gut wie niemand. Die 30% Ungeimpften dieses Jahr können ja wohl kaum mehr Fälle versuchen als die 99% Ungeimpften letztes Jahr.
    3) Zu den “normalen” Intensivpatienten kommen nun auch noch Patienten mit Impf-Nebenwirkungen hinzu

    • Lieber Herr Müller, bei 2 und 3 muss ich ganz klar widersprechen: das sind Falschbehauptungen. Der Unterschied zu 2020 ist, dass wir jetzt eine viel ansteckendere Virusvariante haben und erst mit der Zeit gelernt haben, dass wir zum Impfschutz vor Ansteckung mit dieser Variante tatsächlich drei und nicht zwei Grundimpfungen brauchen. Die Impfungen wirken extrem gut, denn sie schützen zu einem extrem hohen Prozentsatz vor schweren Verläufen – und genau das ist relevant. Denn die schweren Verläufe sind das, was das Virus von normalen Erkältungen unterscheidet und das, was die Intensivstationen füllt. Patienten mit so schweren Impf-Nebenwirkungen, dass sie auf Intensivstationen behandelt werden müssen, gibt es praktisch nicht. Bei aktuell 3,16 Milliarden Geimpften kennen wir die Nebenwirkungen sehr gut und das ist einfach eine frei erfundene Behauptung von Ihnen.

      • “…erst mit der Zeit gelernt haben, dass wir zum Impfschutz vor Ansteckung mit dieser Variante tatsächlich drei und nicht zwei Grundimpfungen brauchen.”

        Das das ganze ein Impfabo wird, hätte ich Ihnen schon letztes Jahr sagen können. Natürlich mutieren Coronaviren wie alle “Erkältungs”-Viren in jeder Grippesaison. Deshalb hilft eine Grippeimpfung vom letzten Jahr dieses Jahr auch nicht mehr.

        zu 2.) Wie erklären Sie sich denn das “Wunder von Afrika”?
        https://www.spiegel.de/ausland/hohe-durchseuchung-und-niedrige-sterblichkeit-in-afrika-a-5b16ecd0-1803-4659-8405-3696c0ef55cb

        Zu 3.) Wir kommt es dann zu der Übersterblichkeit von gut 10% im letzen Monat gegenüber dem Vorjahr, obwohl das keine Covid-Toten waren? Warum haben so viele junge Sportler plötzlich Herzprobleme?

      • Szenario: Ein 35-jähriger Investment-Banker ist kerngesund und sportlich aktiv. Er will sich nicht impfen lassen, weil a) statistisch gesehen das Risiko krank zu werden für ihn irrelevant ist und b) er diese Politik zutiefst unethisch findet. Er ist aber aus beruflichen Gründen dazu gezwungen und knickt ein. Nun trifft ausgerechnet ihn die durchaus seltene Nebenwirkung einer Herzmuskelentzündung. Was sagen Sie ihm als Ärztin?

        Randbemerkung: Ich würde Ihnen bei vielem widersprechem. Aber Sie fallen hier immer sehr positiv auf, da Sie sich nicht an plumper Hetze gegen Ungeimpfte und andere beteiligen.

    • “Die 30% Ungeimpften dieses Jahr können ja wohl kaum mehr Fälle versuchen als die 99% Ungeimpften letztes Jahr.”

      Warum denn nicht? Delta ist viel ansteckender als die früheren Varianten und das Reservoir an Menschen ist einfach sehr groß.

    • Peter Müller
      11.11.2021, 17:38 Uhr

      Wir haben in Deutschland noch so etwa 20.000.000 ungeimpfte potentielle Intensivstation-Aspiranten. Die werden sich ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen alle über die Zeit anstecken, aktuell ( und das bei vielen Geimpften ) sterben noch 0,5% der Infizierten, in den Hochzeiten ohne Impfung waren es noch 5% und mehr – bitte bemühen Sie mal Adam Ries …
      Es wurde hinreichend dargelegt, dass auch 2 Impfungen nicht zu 100% eine Infektion verhindern und wir wissen, dass die Wirkung der Impfung über die Zeit nachlässt. So können wir leicht “beweisen”, dass, wenn alle geimpft sind, auch die dann noch Erkrankten “zu 100% geimpft” sind, das ist nun mal kein Beweis für eine geargwöhnte Unwirksamkeit.
      Eine Impfung schützt mich “nur höchstwahrscheinlich” vor den schweren Folgen einer Infektion, eine dichte Maske über Mund und Nase schützt mich “nur höchstwahrscheinlich” überhaupt vor einer Infektion – und beides zusammen ist noch besser.
      Das ist so einfach, dass es überhaupt nicht kompliziert ist.
      Es gibt einiges an dem politisch-gesellschaftlichen Verhalten in der Vergangenheit und bis heute zu bemängeln, aber die Sicherheit und die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen Coronafolgen ( so sollten sie ehrlicherweise genannt werden ) sind über solchen Gesellschaftsschwachsinn ( “Freiheit!” ) erhaben.

    • “Die Impfstoffe scheinen nicht zu wirken (oder sogar kontraproduktiv zu sein), ”
      Man muss sich nur mal vor Augen führen wie es ohne Impfung aussähe: Die Fallzahlen (der ansteckenderen Delta-Variante) durch die Impfung nicht verringert, wesentlich mehr schwere Verläufe und Tote und viele Long-Covid-Patienten, die alle nicht mehr wirklich gut versorgt werden können.

  5. @ alle Verschwörungsmystiker und Fakenewsverbreiter.
    https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2021-11-11.pdf?__blob=publicationFile
    Seite 22

    Altersgruppe 60+
    85,1% ist die allgemeine Impfquote und 36,0% ist die Impfquote bei der Intensivbettenbelegung.
    (85,1/14,9)/(36/64)~10,2 mal so hoch ist das Erkrankungsrisiko eines Ungeimpften gegenüber eines Geimpften.

    Altersgruppe 18-59
    72,5% ist die allgemeine Impfquote und 12,9% ist die Impfquote bei der Intensivbettenbelegung.
    (72,5/27,5)/(12,9/87,1)~17,8 mal so hoch ist das Erkrankungsrisiko eines Ungeimpften gegenüber eines Geimpften.

  6. @Grenznutzen

    Die Krankenkassen sollen 80% ihrer Aufwendungen für die letzten 2 Lebensjahre ausgeben. Entsprechend hat man vermutlich auch auf den Intensivstationen überwiegend Menschen liegen, die bald sterben werden. Und hier ist oft gar nicht klar, ob ein Weiterbehandeln überhaupt noch sinnvoll ist.

    In meinem persönlichem Umfeld ist letzte Woche ein guter Freund aus der Skatrunde mit 72 verstorben. Der war auch zuvor 8 Wochen auf der Intensivstation. Eingeliefert mit einem schwerem Schlaganfall wurde er zunächst operiert, und dann in ein künstliches Koma versetzt. Wir haben ihn ein paar mal besucht, aber er war nicht ansprechbar, hat nur einmal kurz die Augen aufgemacht. Dann kam noch eine Lungenentzündung dazu, an der er dann letztlich gestorben ist. Zwischendurch hatten wir als Besucher – der Mann hatte sonst keine Angehörigen außer uns von der Skatrunde – mit dem Arzt gesprochen. Der hätte gerne eine Patientenverfügung gehabt, aber wir wussten davon nichts, und wussten auch nicht, ob der Mann überhaupt noch am Leben gehalten werden will, in diesem Zustand. Eine Frau aus der Skatrunde meinte, auch ein Funken Leben sollte auf jeden Fall noch erhalten werden, ich selber meinte, ich hätte schon nach 3 Wochen Koma keine Lust mehr gehabt. Zumal die ganze Zeit die Ärzte nicht mal wussten, welche Ausfälle der ursprüngliche Schlaganfall verursacht hatte, weil der Mann die ganzen 8 Wochen ununterbrochen im Koma war.

    Die Ärzte haben dann eben das Mögliche gemacht, bis es wirklich vorbei war mit dem Leben. Wäre jetzt ein Coronanotstand dazu gekommen, hätten sie vermutlich unseren Skatkumpel mit als erstes von den Strippen getrennt, um Platz zu machen für einen Covid19-Patienten, der wesentlich bessere Überlebenschancen hat. Mir selber wäre es sogar lieber gewesen früher zu sterben, an Stelle meines Kumpels, aber andere Meinungen gab es wie gesagt auch.

    Es ist wohl so, dass Einige auf den Intensivstationen mit unklarem Nutzen da liegen, auch werden wohl viele Operationen am Lebensende gemacht, deren Erfolg sehr ungewiss ist. Ein anderer Fall ist ein 76 Bekannter, der vor 10 Jahren verstorben ist. Der hatte Magenkrebs, und man wollte ihn operieren. Er wollte nicht, vor allem weil er ganz sicher war, dass er das nicht überleben würde. Wochenlang ist der von seinen Angehörigen bequatscht worden sich operieren zu lassen. Schließlich hat der sich doch operieren lassen. Und was ist passiert? Es gab Komplikationen, er musste noch wochenlang im künstlichem Koma gehalten werden. Und starb dann, ohne nach der OP nochmal aufzuwachen.

    Ein anderer gute Freund aus unserer Skatrunde ist vor Jahren an einer Lungenembolie verstorben. Er war zusammen mit seiner Frau unterwegs, und wurde plötzlich schwach, musste sich erst hinsetzen, und dann hinlegen. Seine Frau hatte den Notruf angerufen, der kam aber erst nach 10 Minuten, da war es zu spät. Wenigstens ist er in den Armen seiner Frau verstorben.

    Im Internet habe ich hinterher gelesen, dass wenn er die Lungenembolie zunächst überlebt hätte, dann wäre er mit hoher Wahrscheinlichkeit nach ein paar Wochen an den Lungenschäden doch noch verstorben. Auf diese Gnadenfrist auf der Intensivstation hätte ich eigentlich auch verzichtet, und so hat dieser Kumpel vielleicht sogar Glück gehabt, dass der Rettungsdienst zu spät kam.

    Eine mäßige Überlastung von Intensivstationen kann also auch damit einhergehen, dass über Maßnahmen, die sowieso von unklarem Nutzen sind, dann eben schneller entschieden wird.

  7. Dann erst einmal ganz herzlichen Dank an die Monacologin für das Engagement und diesen wieder einmal gelungenen Blogbeitrag.

    Ich schrieb in den letzten Wochen ja wiederholt, dass auf den Intensivstationen hier in den Niederlanden jetzt wieder Notzustände herrschen bzw. kurz bevorstehen.

    Doch einen kritischen Hinweis über die Charité kann und will ich mir nicht verkneifen: Dass in Berlin alles so exzellent sei, das redet man sich dort gerne ein. Mir ist die Klinik vor allem wegen ihrer schlechten Arbeitsbedingungen bekannt. Dort 2009/2010 eine Stelle (BMBF-Projekt) nicht anzunehmen, war eine meiner besten Karriereentscheidungen.

    P.S. Hoffentlich dauert’s noch lang bis zum Artikel übers monacoläre Burn-Out.

  8. @Peter Müller “Die Impfstoffe scheinen nicht zu wirken (oder sogar kontraproduktiv zu sein), ”
    Man muss sich nur mal vor Augen führen wie es ohne Impfung aussähe: Die Fallzahlen (der ansteckenderen Delta-Variante) durch die Impfung nicht verringert, wesentlich mehr schwere Verläufe und Tote und viele Long-Covid-Patienten, die alle nicht mehr wirklich gut versorgt werden können.

  9. Unsere Regierung hat versagt! So einfach lässt sich dieses Elend in Worte fassen. Das ist leider nicht nur traurig und schade, sondern bitter und schadet jedem von uns. 90 % der Bevölkerung sind nun mal ein tumber Mob, der angeleitet und geführt werden muss wie ein Kind.

  10. @Marisa Kurz
    “Als ein Mitte 50-jähriger Patient mit einer Sauerstoffmaske mit Reservoir auf dem Gesicht, der unter 14l Sauerstoff pro Minute mit schneller Atmung gerade so eine Sättigung von 90% erreichte, von den Intensivstation auf die COVID-19-Station zurückverlegt wurde, da wurde mir zum ersten Mal so richtig bewusst, was gerade passiert.

    Ich weiß noch, dass mir Tränen in die Augen geschossen sind und ich herumgefragt habe, warum der Patient bei uns ist, warum er nicht auf Intensiv ist. Ich habe herumgefragt, obwohl ich die Antwort kannte, aber irgendwie musste ich sie hören.

    So einen Patienten hätten wir normalerweise auf die Intensivstation geschickt. Die Atmung erschöpft sich mit der Zeit, wenn er schnell atmend mit so viel Sauerstoff nur auf 90% kommt, dann ist das nicht gut.

    Aber anscheinend ging es ihm besser als anderen. Also musste er das Intensivbett räumen.

    Der Mann kam Tage später wieder auf Intensiv, zum Glück. Über Weihnachten lag er beatmet und narkotisiert auf der Station. Im März hat er soweit ich weiß das Krankenhaus lebend verlassen.”

    Sicherlich wird in München bei der Intubationsentscheidung auch der CO2-Gehalt des Blutes berücksichtigt?
    Durch dessen Berücksichtigung kann manche vermeidbare Intubation verhindert werden.
    Nicht Neues für Sie.

    “Intensivmediziner stehen kopf

    Dieser einfache Dreisatz: Sauerstoffgehalt = Sauerstoffsättigung x Hämoglobinkonzentration, überfordert erstaunlicherweise nicht wenige Intensivmediziner. Die folgende Abbildung veranschaulicht das Problem. Links ist die Zahl der Sauerstoffmoleküle eines Gesunden im Blut dargestellt, wenn das Hämoglobinmolekül zu 95 % mit Sauerstoff gesättigt ist (SaO2). Auf der rechten Seite ist der Sauerstoffgehalt durch eine angenommene coronabedingte Lungenentzündung (Pneumonie) auf die Hälfte gefallen, weil die Hämoglobinmoleküle nur noch zu 50 % gesättigt sind.

    Bei einem solchen Wert stehen viele Intensivmediziner kopf, weil sie den Tod des Patienten fürchten. Bereits bei einer SaO2 unter 92% (WHO-Vorgabe anfangs, jetzt 90 % bei Nicht-Schwangeren) sehen Sie die Patienten gefährdet: Die Konsequenz ist die Intubation selbst bei normalen CO2-Werten im Blut. (Bei erhöhten CO2-Werten muss beatmet werden, um der geschwächten Atempumpe zu helfen.)

    https://www.cicero.de/innenpolitik/covid-patienten-kant-popper-und-die-invasive-beatmung

    • @Peter Müller

      Der verlinkte Artikel erklärt “Das Wunder von Afrika” selber sehr gut. Hier die Zusammenfassung:
      Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass in Afrika die echten Todeszahlen bis zu dreimal höher liegen als offiziell erfasst. Auch dann läge die Sterblichkeit aber immer noch unter der in Europa. Dafür gibt es weitere Erklärungen:
      Die afrikanische Bevölkerung ist wesentlich jünger als die europäische.
      Krankheiten wie zB Diabetes und Übergewicht (“Zivilisationkrankheiten”) sind wesentlich weniger verbreitet.
      Zusätzlich gibt es die These dass die Menschen dort eine Kreuz-Immunität entwickelt haben da in Afrika mehr Viren kursieren (u.a. Coronaviren) als in Europa.
      Weiterer Fakt (nicht aus dem Spiegel-Artikel): Die Menschen in Afrika verbringen wesentlich weniger Zeit in geschlossenen Räumen, verglichen mit Menschen in Europa.

      Ist Ihnen damit geholfen?
      Haben Sie den Artikel selber noch nicht gelesen?

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