Untergang des Abendlandes: Pestizidrückstände auf Strauchbeeren

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Gedanken, biologisch abgebaut
Detritus

Greenpeace erklärte Ende Juli aufgrund einer hauseigenen Untersuchung, dass Strauchbeeren aus konventioneller Landwirtschaft gesundheitsgefährdende Rückstände von teilweise illegalen Pestiziden aufweisen würden. Politisch korrekte Bio-Produkte seien dagegen pestizidfrei gewesen.

BVL und BfR nahmen sich der Meldung dann bald an und das BfR folgerte aus den Daten der Greenpeace-Untersuchung:

Von den Pestizidrückständen in Johannisbeeren, die in einer von Greenpeace veranlassten Untersuchung nachgewiesen wurden, geht kein gesundheitliches Risiko für Verbraucherinnen und Verbraucher aus. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) teilt hier die Einschätzung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). „Die Bewertung der gemessenen Pestizidrückstände durch Greenpeace entspricht nicht den Kriterien einer wissenschaftlichen Risikobewertung“, sagt BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel. So legt die Umweltschutzorganisation ihrer Bewertung unrealistische Verzehrsmengen zugrunde. Sie geht davon aus, dass ein Kind sein Leben lang täglich 500 Gramm Johannisbeeren verzehrt.

Von einer Grenzwertüberschreitung könne gar nicht die Rede sein, so das BfR weiter. Die entsprechenden Grenzwerte würden nicht einmal zu einem Prozent ausgeschöpft, selbst wenn man unrealistischerweise alle Pestizidgehalte aufaddieren würde (wie es Greenpeace in seiner Untersuchung gemacht hat). Zu den illegalen Pestiziden hat Greepeace ein wichtiges Detail verschwiegen: Die beanstandeten Substanzen sind zwar in der Tat für den Johannisbeer-Anbau nicht zugelassen, jedoch für andere Feldfrüchte. Die Gehalte in den getesteten Beeren sind so gering, dass es sich als Ursache für die Rückstände ohne weiteres um Verwehungen von einem benachbarten Feld handeln könnte.

Was ist dazu zu sagen?

Dass die Greenpeace-Studie methodisch mangelhaft ist, ist eine Sache. Was mich aber wirklich ärgert, ist das Schüren von diffusen Ängsten vor chemischen Substanzen in der Bevölkerung, die quasi nichts über Pestizide, deren Grenzwerte und Wirkungen weiß: laut einer vom BfR durchgeführten Umfrage-Studie gehen 70% der Befragten davon aus, dass gar keine Pestizidrückstände auf Lebensmitteln vorhanden sein dürfen. Niemand will „Gift“ in seiner Nahrung haben, und schon gar kein chemisches! Das Anprangern von Giften, und ganz besonders von illegalen und krebserregenden Substanzen ist schön plakativ und eine gute Möglichkeit, sich zu profilieren. Ich habe das Gefühl, diese Uninformiertheit der Bevölkerung wird gezielt ausgenutzt und es wird sogar Desinformation betrieben, um die grüne Ideologie zu popularisieren. Das ist ganz genauso, wie in der Verbreitung von Schreckensmeldungen über die hochgefährliche grüne Gentechnik.

Die Greenpeace-Meldung wurde dann auch bald von den Mainstream-Medien aufgegriffen: Spiegel Online oder auch der Stern käuten die Pressemitteilung weitestgehend unreflektiert wieder und wiesen auf die angeblichen gesundheitlichen Gefahren hin. Besonders sauer aufgestoßen ist mir ein Artikel in dem „Wissenslog“ Öko-logisch? welcher mit Gift-Cocktail-Saison betitelt wurde. Autor Björn Lohmann, Wissenschaftsjournalist, fand: „Wer diesen Sommer Cocktails lieber ungiftig genießen möchte, der muss wohl weiterhin zu Bioobst greifen.“ Nachdem ich diese Einschätzung in den Kommentaren als unrealistisch kritisierte, bemerkte Lohmann: „Ökologisch wichtige Maßnahmen setzen sich leider oft erst dann durch, wenn die Masse der Menschen damit Vorteile für Geldbeutel oder Gesundheit verbindet“ – die Leute werden also für dumm verkauft, damit sie ökologisch wichtige Maßnahmen unterstützen. Hier geht es nicht um Aufklärung über reale Gefahren. Es werden Schreckensszenarien aufgebaut, die „der Guten Sache“, nämlich der Schaffung eines ökologischen Bewusstseins in der Bevölkerung, dienlich sein sollen. Mit einem Wort: Propaganda.

Dabei ist diese Angst vor „der Chemie®“, was die Gesundheit angeht, irrational und unbegründet, und das aus zwei Gründen. Erstens, unterscheidet sich ein Gift natürlichen Ursprungs prinzipiell nicht von einem Gift synthetischen Ursprungs. Eine Substanz, die in Lebensmitteln vorkommt und möglicherweise toxikologische Wirkungen hat, muss unabhängig von seiner Herkunft charakterisiert und bewertet werden. Dies findet in auf nationaler Ebene in Deutschland und auf EU-Ebene durch die zuständigen Zulassungsbehörden statt. Sowohl die Grenzwerte von zwar natürlichen, aber krebserregenden Schimmelpilzgiften dürfen ganauso wenig überschritten werden, wie Pestizid-Grenzwerte. Zweitens muss man angesichts des Fakts, dass Pflanzen a priori eine Menge von krebserregenden Giften enthalten, die Rolle von synthetischen Rückständen differenzierter betrachten. Ihre Menge ist bei Einhaltung der gesetzlichen Grenzwert  im Vergleich zu den endogenen Giften so verschwindend gering, dass sie nicht die Rolle bei der Krankheitsentstehung spielen, die ihnen landläufig zugeschrieben wird. So spielt die größte Rolle bei der Krebsentstehung beim Menschen immer noch die Ernährungsweise, gefolgt vom Tabakkonsum und Infektionen.

Der europäische Lebensmittelmarkt ist so streng kontrolliert und reguliert, dass es sehr schwierig ist, die Verbraucher aus Profitgier zu vergiften. Wir brauchen keine „grüne Ideologie“, die die Agrar- und die Lebensmittelindustrie verteufelt. Was wir brauchen, ist eine möglichst neutrale Bewertung der Risiken, die von bestimmten Nahrungsmitteln ausgehen. Am wichtigsten scheint mir aber die Aufklärung der Bevölkerung zu sein, wo die echten Gefahren liegen: Nicht von synthetischen Rückständen und industriellen Zusatzstoffen, sondern von einer fettreichen, einseitigen Ernährung ohne frische Früchte und Gemüse.

  • Veröffentlicht in: Grün

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

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