Naturköstliches Pirin-Quellwasser aus Bulgarien. In PET-Flaschen!

BLOG: Detritus

Gedanken, biologisch abgebaut
Detritus

Letztens stieß ich vor der BioCompany in Berlin-Friedrichshain auf einen Stand von Michael Tag, der für das Mineralwasser Pirin warb. Dieses Wasser ist angeblich besonders rein und natürlich, sehr mineralarm, und entspricht sogar „den physiologischen Anforderungen einer ganzheitlichen Ernährungslehre und Heilkunde“ – das entspricht bei Hardcore-Homöopathen wahrscheinlich einem Kaufbefehl. Den Haken, den ich sehe: Pirin wird äußerst unökologisch aus Bulgarien geliefert und zudem in PET-Plastikflaschen abgefüllt.[1]

Es wird betont, dass Pirin im Gegensatz zum Leitungswasser frei von diversen Rückständen und Schadstoffen ist. Einen Nachweis dafür bleibt man indes schuldig, der Nitrat-Wert muss als Indikator herhalten. Rückstände von Pestiziden, Arzneimitteln und Hormonen werden in der Tat durch verbesserte Analysetechniken seit den 90er Jahren vermehrt im Trinkwasser festgestellt, jedoch sind die Konzentrationen so gering, dass keine gesundheitlichen Effekte zu erwarten sind.[2] Gerade aber der stetig steigende Eintrag von Arzneimitteln ist aber auch ein Thema, das zu recht in die Diskussion geraten ist und ein Problem, dem zukünftig etwa durch technologische Aufrüstung der Kläranlagen begegnet wird. Gerade die Ökotoxizität ist ein reales Problem. So wurde etwa berichtet, dass Fische ihr Geschlecht umgekehrt haben, womöglich weil sie an Klärwerksausleitungen synthetischen Hormonen exponiert waren.[3] In der Umwelt können geringe Konzentrationen von Arzneimitteln schon starke Effekte bewirken. Das ist aber kein Grund, auf das Trinken von Leitungswasser zu verzichten. Die Konzentrationen der Wirkstoffe sind im Allgemeinen weit unter der pharmakologischen Wirkschwelle, weshalb für den Menschen keine gesundheitliche Gefährdung besteht.

Zu der Rückstands-Panikmache gesellt sich dann handfester pseudowissenschaftlicher Müll: in verlinkten YouTube-Videos, etwa zu DEIGM-Symposien, wird von „informiertem Wasser“, Wassergedächtnis, und Verwirbelungen zur Löschung der Wasserinformationen referiert. Es wird mehrfach der Eindruck erweckt, dass das normale Leitungswasser dem Mineralwasser qualitativ weit unterlegen sei, oder sogar schädlich ist.

Einerseits legt man so viel wert darauf, schadstofffreies Wasser zu liefern und dann füllt man es in Plastikflaschen? Einweg-PET-Flaschen? Aus PET können potentiell schädliches Antimon, Acetaldehyd und Phthalat-Monomere auslaugen, die sich dann im Wasser wiederfinden. Die Konzentrationen dieser Schadstoffe scheinen aber wiederum zu gering zu sein, um schädlich zu sein. Das wird auf der Website  mit toxikologischen Grenzwerten und Informationen vom BfR begründet, was auch vernünftig ist. Trotzdem ist die Thematik um „endokrine Disruptoren“ aus Kunststoffverpackungen ein vieldiskutiertes Thema. Der Aufsatz von Martin Wagner (2008) hat für einigen Wirbel gesorgt, als er hormonähnliche Wirkungen von PET-Flaschen in vitro nachweisen konnte. Die Ergebnisse wurden in der Folge lebhaft diskutiert (z.B. hier oder hier).

Riecht das Ganze nicht nach Doppelmoral? Die bösen Rückstände aus dem Grundwasser in Mitteleuropa sind unbedingt zu vermeiden und man soll doch unbedingt das teure Pirin-Wasser aus Bulgarien kaufen. Die Schadstoffe aus den Plastikwasserflaschen und deren schädliche Gedächtnisabdrücke und „schlechte Schwingungen“ sind aber vernachlässigbar?

Muss ich das verstehen?
Anmerkungen

[1] aber „CO2-neutral“. Pfft.
[2] Bayerisches Landesamt für Umwelt (2008): „Arzneistoffe in der Umwelt“.
[3] Bayerisches Landesamt für Umwelt (2008): „Umweltchemikalien mit hormoneller Wirkung“.

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

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