Faktencheck: Der BUND, Glyphosat und tote Babys (alte Version)

BLOG: Detritus

Gedanken, biologisch abgebaut
Detritus

Die neue Version des Artikels findet sich hier. Nach der Kritik durch diesen Beitrag und andere hat der BUND sein Factsheet leicht überarbeitet und eine Stellungnahme zur Kritik veröffentlicht. Anstatt ein ganz neues Fass aufzumachen, um erneut die BUND-Argumente zu untersuchen, habe ich die Kritik überarbeitet und spezifiziert, sodass sie nicht mehr so leicht missverständlich sind. Die untenstehende Version ist diejenige, auf die sich die Stellungnahme des BUND bezieht. 

Der BUND verteidigt seinen Babymörder-Spot damit, dass das Pestizid Glyphosat „alles andere als harmlos“ sei. Selbst wenn das so wäre – rechtfertigt das einen Spot, in dem man Babys umbringt?

Aber lassen wir für diesen Artikel die Moral außen vor. Der BUND glaubt die Wissenschaft auf der eigenen Seite und präsentiert uns „Studien und Fakten zu den Auswirkungen von Glyphosat“. Die Präsentation dieser „Fakten“ grenzt allerdings schon an Täuschung. Es scheint, als hätte der BUND sich seine ganz eigene Welt der Fakten etabliert.

Aber eins nach dem anderen, sehen wir uns doch die Wissenschaft des BUND genauer im Einzelnen an. Ich bin beileibe kein Glyphosat-Experte, hatte Toxikologie zuletzt im Studium, kann aber Publikationen lesen. Immerhin! Es wird sich zeigen, dass diese Basiskenntnisse schon reichen, um dem BUND den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Im Folgenden zitiere ich aus dem BUND-Dokument und kommentiere direkt darunter.

Glyphosat […] schädigt Menschen, besonders die, die in den Sojaanbaugebieten Südamerikas leben. [Dort] wird Glyphosat per Flugzeug versprüht. Menschen, die dort leben, sind dem schutzlos ausgeliefert. Die Folgen sind steigende Krebsraten, Fehlgeburten und Fehlbildungen.

Sicher, Glyphosat bzw. RoundUp sollte man nicht trinken und es ist bedauerlich, dass ein brasilianisches Flugzeug das Pestizid über einer Schule versprüht hat, und es dann zu Vergiftungsfällen kam. Niemand behauptet ernsthaft, Glyphosat und die Zusatzstoffe im Fertigprodukt wären völlig ungefährlich – wir erinnern uns an Paracelsus, denn die Dosis macht das Gift. Als Bewertungsgrundlage sollten allerdings nicht Unfälle oder unverantwortliche Anwendungen gelten, sondern der verantwortungsvolle Umgang mit Chemikalien. Denn ein Restrisiko im Umgang bleibt immer bestehen, Pestizide machen von dieser Regel keine Ausnahme.

Hier sucht man übrigens vergeblich nach Wissenschaft (in Form von Publikationen). Es gibt Verlinkungen auf eine Tageszeitung, eine TV-Sendung, und auf einen Verein, der sich „Umwelt-Institut“ nennt. Als unseriös sticht der „Instituts“-Bericht hervor, der praktisch keine Quellen angibt.

Die Qualität der zitierten Arbeiten wird vorerst nicht besser:

[…] In Europa finden sich Glyphosatrückstände in Brötchen und Mehl (siehe Ökotest 2013 und 2012). Glyphosat wurde auch im Urin von Menschen nachgewiesen. Das zeigt die Studie des BUND und Friends of the Earth, die im Juni 2013 veröffentlicht wurde. […]

Glyphosat nahe der Nachweisgrenze im Urin von Großstädtern – dazu habe ich bereits hier etwas geschrieben. Kurz zusammengefasst: Wenn man etwas in winzigen Spuren nachweisen kann, bedeutet das genau nichts.

Studien zeigen, dass Glyphosat über die Nahrung in den Körper gelangen kann und während der Schwangerschaft die Blut-Plazenta-Schranke überwinden kann (Williams et al (2000) in Toxicology and Pharmacology Vol 31 pp 117-165 sowie Poulsen et al (2009) in Toxicology In Vitro 23 pp 1380-1386).

Die Auswahl der Studien überrascht, denn sie sagen im Prinzip das Gegenteil von dem, was der BUND mit ihnen zu belegen versucht.

Williams (2000) ist ein Übersichtsartikel, der andere Arbeiten zusammenfasst. Im Abstract kann jedermann unter anderem lesen: Glyphosat wird kaum vom Körper aufgenommen, wird praktisch nicht metabolisiert, wird kaum über die Haut aufgenommen, reichert sich nicht im Körper an. Es konnte bislang keine signifikante akute, chronische oder subchronische Toxizität nachgewiesen werden. Es gab keine überzeugenden Belege für Gentoxizität (also Erbgutschädigung) oder krebserzeugende Wirkungen, fruchtschädigende Wirkungen, oder Entwicklungsschäden. Im gesamten Dokument findet sich nirgends das Wort „Plazenta“.

Poulsen (2009) ist eine „richtige“ Forschungsarbeit, die Koffein, Benzoesäure, Phenazon und Glyphosat in Zellkulturen angesehen hat. Es wurde gemessen, wie stark die vier Substanzen durch eine geschlossene Schicht einzelner humaner Plazenta-Karzinomzellen hindurchtritt (BeWo (b30) cell monolayers). Von den gemessenen Substanzen hat Glyphosat den geringsten Effekt! Ohne das BeWo-Zellsystem zu kennen – so ein Petrischalenversuch zeigt nicht im Entferntesten, dass es einen Übertritt durch die Blut-Plazenta-Schranke im Menschen gibt. Der größte Witz ist natürlich, dass sich der BUND aus dem Experiment die Substanz mit der geringsten Durchtrittsrate herausgesucht hat und als Beleg für die Überwindung der Blut-Plazenta-Schranke hernimmt!

Entweder habe ich etwas übersehen, der BUND hat aus Versehen die falschen Studien zitiert, oder er hat das mit voller Absicht getan. Übrigens stammen die Links zu den Publikationen von mir. Der BUND verlinkt keine der Studien in ihrem Factsheet.

Glyphosat gilt als fruchtschädigend. Es wurde nachgewiesen, dass glyphosathaltige Herbizide bereits in geringen Dosen toxisch für menschliche Zellen sind, so für Embryonal- und Plazenta-Zellen (Benachour/Seralini (2009) in Toxicology Vol 22 pp 97-105).

Oh, wir hatten doch bereits oben etwas zur Fruchtschädigung gelesen, und zwar bei der zusammenfassenden Arbeit von Williams (2000). Der hatte keine Hinweise darauf gefunden.

Séralini ist ein alter Bekannter: Der französische Wissenschaftler verklagt Kritiker, ist Mitglied in einer Anti-Gentechnik-Lobbyorganisation, und ist zuletzt durch übelste Propagandawissenschaft aufgefallen. In der genannten Arbeit zeigt er übrigens, dass empfindliche Zellen in Kultur es nicht mögen, wenn man Tenside, also die seifenartigen Stoffe aus den Fertigherbiziden darauf gibt. Das ist nicht überraschend und sagt leider gar nichts über die Teratogenität von Glyphosat.

Faustregel: Wer Séralini ins Feld führt, hat das Argument bereits verloren.

[…] Eine Studie aus Paraquay ergab für Frauen im Radius von einem Kilometer zu glyphosatbesprühten Feldern ein doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, ein fehlgeborenes Kind zu bekommen (Benitez-Leite et al (2009) in: Archiv de Pediatria del Uruquay Vol 80 pp 237-247).

Die Arbeit ist auf spanisch verfasst und ich kann kein Spanisch. Der englische Abstract fasst allerdings zusammen: „The results show an association between exposure to pesticides and congenital malformations. Further studies are required to confirm these findings.“ Wer kann hier weiterhelfen?

Update: Heute hat sich eine Reihe von Personen gemeldet und mich über den Inhalt der Studie informiert. Es stellt sich heraus, dass in der genannten Publikation weder das Wort „Glyphosat“, noch „Herbizid“ vorkommt, lediglich ein zitierter Zeitungsartikel erwähnt Glyphosat! Stattdessen wurde die Exposition gegenüber „Pestiziden zur Kontrolle von Schadorganismen auf dem Acker“ untersucht. Unter den Überbegriff „Pestizid“ fallen neben Unkrautvernichtungsmitteln (Herbizide) auch Gifte gegen Insekten (Insektizide), Milben (Akarizide), Nematoden (Nematizide) oder Schimmel (Fungizide). Hier gibt es einige fiese Substanzen, die sehr schädlich sein können. Glyphosat zählt aber selbst unter den Pflanzengiften zu den ungefährlichsten Mitteln. Die Daten wurden durch eine Befragung erhoben, nicht etwa durch Konzentrationsbestimmung aus Blutproben. Es wurde nach der Lagerung im Haus, dem Aufhalten in oder nahe besprühten Feldern, oder versehentlichem Kontakt mit den Chemikalien gefragt – wie bereits aus dem englsichsprachigen Abstract hervorgeht. Die Kernbotschaft des Papers ist übrigens, dass Landarbeiter/innen besser im verantwortungsvollen Umgang mit Pestiziden geschult werden müssen. Es scheint beim BUND also Unklarheit bei den Fachbegriffen zu geben. Es ist festzuhalten: Die genannte Publikation stellt laut der Informanten den behaupteten Zusammenhang zwischen Glyphosat nicht her, damit ist das als eine weitere falsch zitierte Studie zu werten.

Im Labor zeigen sich Missbildungen bei Frosch und Hühnerembryonen, die glyphosathaltigen Herbiziden ausgesetzt sind (Paganelli et al (2010) in Toxicology Vol 23 pp 1586-1595).

Professor Carrasco hat die Embryonen direkt in den Herbizidformulierungen gebadet bzw. sie in die Embryonen injiziert und hat Schädigungen gefunden. Das ist eine sehr unnatürliche Situation – wenn man die Fruchtschädigung toxikologisch bestimmen will, muss man die Substanz an die Muttertiere verabreichen. Ob die Versuchsergebnisse also wirklich für das „echte Leben“ relevant sind, ist völlig unklar.

Sowohl Glyphosat als auch sein Abbauprodukt AMPA wirken im Laborversuch genotoxisch. Es kann zu Mutationen führen und damit verbunden zu einem höheren Krebsrisiko. In Ecuador und Kolumbien werden glyphosathaltige Herbizide in Coca-Plantagen eingesetzt. Studien zeigten genetische Schäden und eine erhöhte Fehlgeburtsrate während der Sprühperiode. (Paz-y-Mino et al (2007) in Genetics and Molecular Biology Vol 30 pp 456-60Bolognesi et al (2009) in Journal of Toxicology and Environmental Health Part A Vol 72 pp 986-997).

Paz-y-Mino (2007) wollte die Effekte von Herbizidversprühungen via Flugzeug untersuchen. 24 Blutproben von exponierte Menschen wurden mit 21 in der Kontrollgruppe verglichen. Die Genotoxizität wurde mit dem Comet-Assay bestimmt.
Die Stichprobe ist natürlich recht klein. Es gibt keine detaillierten Informationen zu den Unterschieden der beiden Gruppen (Altersstruktur, Ethnizität, biochemische Vergleichsparameter), also kann man als Leser nicht abschätzen, ob die gefundenen Effekte wirklich auf das Herbizid zurückgehen können. Es gab irgendeine statistische Auswertung der Ergebnisse, der Leser erfährt allerdings nicht, wie die ausgesehen hat. Zu guter Letzt kann die Studie natürlich per Design keine Glyphosat-Effekte nachweisen, denn sie vergleicht ja nicht reines Glyphosat, sondern gesamtes Herbizid, mit allen enthaltenen Zusatzstoffen (Tenside, Verunreinigungen aus der Produktion, etc.) – also enthält schon der Abstract eine Falschbehauptung. Das erhöht leider nicht das Vertrauen in die ohnehin eher schwache Arbeit.

Bolognesi (2009) hat 137 Personen unterschiedlichsten Alters aus fünf kolumbianischen Regionen verglichen, die jeweils unterschiedliche Exposition gegenüber Glyphosat und anderen Pestiziden haben. Als Messparameter wurden die Zellkerne von weißen Blutkörperchen untersucht. Die Studie ist detailliert und ordentlich geschrieben und kann als Gegenbeispiel für Paz-y-Mino dienen: So muss eine vernünftige Publikation aussehen! Die Diskussion der Ergebnisse ist sehr lesenswert und geht auf die vielen Schwierigkeiten bei der Erhebung der Daten ein. Der Befund – direkt nach dem Sprühen scheint es geringe und vorübergehende genotoxische Effekte zu geben – wird durch eine Vielzahl von Einschränkungen abgemildert. Auf Grundlage der Bradford-Hill-Richtlinien dürfe man nicht auf einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen Glyphosat-Exposition und den erhobenen Gentoxizitäts-Parametern schließen, schreiben die Autoren. Alles in allem eine auf den ersten Blick sehr ordentliche Arbeit, aber kaum unumstößliche Beweise.

In keiner der beiden Studien konnte ich übrigens etwas über die Fehlgeburtsrate finden. Die Studie ist damit falsch zitiert.

Zur Genotoxizität haben wir ebenfalls bereits etwas bei Williams (2000) gelesen, der keine der behaupteten Effekte gesehen haben will.

In der argentinischen Provinz Chaco, in der Glyphosat in den Gentech-Sojakulturen intensiv gespritzt wird (Kultur Round up Ready Soja), sind die Krebsraten in den vergangenen Jahren um das Vierfache gestiegen (López et al (2012) in Advances in Molecular Biology Vol 6 pp 41-75).

Diese Arbeit ist eine Überblicksarbeit, sie fasst also andere Studien zusammen und bewertet sie. Senior-Autor Carrasco ist ebenfalls für die oben genannte Paganelli-2001-Arbeit verantwortlich. Es werden unterschiedliche Effekte von Pestiziden diskutiert. Für die Inzidenzzahlen für Krebs und Missbildungen wird auf Zahlen von Behörden verwiesen. Warum zitiert der BUND nicht dieses Dokument? Die offiziellen Zahlen finden sich in einem spanischsprachigenen Bericht, den ich nirgendwo zugänglich fand. Wenn jemand diesen Bericht findet und querlesen könnte, wäre ich der/demjenigen sehr verbunden. Es ist die Referenz 149: „Comisión Investigadora de contaminantes del agua de la Provincia del Chaco, Informe de la Comisión Investigadora de contaminantes del agua de la Provincia del Chaco, Resistencia, Chaco., Argentina, 2010.“

Update: Detlev Gürtler hat den Bericht gefunden: „Er gibt auf 14 Seiten eine ganze Reihe von Zahlen an, darunter allerdings keine, die eine Vervierfachung von Krebsraten in der Provinz belegen könnte.“ Weiter geht es unten in den Kommentaren.

Zusätzlich kann Glyphosat das menschliche Hormonsystem negativ beeinflussen. Störungen in der Schwangerschaft sind möglich (Gasnier (2009) in Toxicology Vol 262 pp 184-191).

Schon wieder Séralini! Ich ziehe den Séralini-Joker und tue mir das nicht an.

Fazit

Insgesamt sind auch nach grober Durchsicht die vom BUND genannten Studien eher unbefriedigend: zwei Mal Dr. Frankenstein-Séralini, mindestens drei vier falsche Zitierungen (Williams 2000, Poulsen 2009, Bolognesi 2009, Benitez-Leite 2009), dann die Carrasco-Studie mit unklarer biologischer Relevanz. Die Paz-y-Mino-Studie ist Schrott, die Bolognesi-Studie hat geringe, transiente Effekte von unklarer Kausalität gefunden, und die Krebszahlen sind wahrscheinlich nicht einmal öffentlich zeigen möglicherweise einen Zusammenhang, allerdings über geringe Fallzahlen (siehe hier).

Unter dem Strich ist das alles ziemlich dünn für eine Kampagne, die Landwirte als Babymörder darstellt.


Hinweise

  • Ich will gar keine Lanze für Glyphosat brechen, oder Studien, die für eine Unbedenklichkeit des Herbizids plädieren, verteidigen. Ich kann nicht sagen, ob die Zulassungsbehörden korrupt sind und Industrieinteressen bei der Risikobewertung von Glyphosat zu stark gewichtet werden. Ich kann nur feststellen: der BUND argumentiert in der Sache, die er vertritt, unzureichend.
  • Meine Einschätzungen sind mit Vorsicht zu genießen. Ich habe die Studien nur oberflächlich gelesen und erlaube mir da kein abschließendes Urteil. Ich bin schließlich kein Toxikologe oder Epidemiologe. Allerdings kann ich Anspruch des BUND mit der Realität der Aussagen der Autoren vergleichen und auch die Qualität einer Arbeit grob einordnen, auch wenn sie nicht Teil meiner Fachexpertise ist. Deshalb bitte ich ganz dringend darum, mich auf Fehler in meiner Schnellanalyse hinzuweisen!
  • Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat eine Frage-Antwort-Seite zu dem Thema zusammengestellt.
  • Am 4.11. habe ich das den Artikel um die Leserzuschrift zu Benitez-Leite 2009 ergänzt und das Fazit entsprechend angepasst.
  • Der SWR2 hat mich zu dem Thema kurz interviewt. Wen es interessiert, findet die Aufzeichnung hier:

http://www.youtube.com/watch?v=I0gAAllrv2M

Martin Ballaschk ist promovierter Biologe, aber an vielen anderen Naturwissenschaften interessiert. Das Blog dient ihm als Verdauungsorgan für seine Gedanken. Beruflich ist er als Wissenschaftskommunikator, hier rein privat unterwegs.

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