Die Flucht nach Abessinien

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Die Flucht nach Abessinien

 

Das erste Aufeinandertreffen von Christen und Muslimen

 

Muhammad trat im Jahre 610 als vierzigjähriger erstmals in seiner polytheistisch geprägten Geburtsstadt Mekka als Prophet auf. In den darauf folgenden zwölf Jahren war er hauptsächlich darum bemüht, seine Mitmenschen vor Ort zum neuen Glauben zu leiten und fand sehr schnell seine Gegenspieler in der Führung der Stadt, die ihre Macht, aber auch ihre wirtschaftlichen Interessen durch Muhammads Lehren gefährdet sah. Schließlich genossen sie den Status, die Hüter der Kaaba zu sein, die schon damals die wichtigste Wallfahrtsstätte der Araber war und an deren Anlage die Verehrung zahlreicher Götter aus Holz und Stein gepflegt wurde. So wurde der Stadtgott Mekkas Hubal in der Kaaba selbst verehrt. Der Polytheismus stellte nicht nur eine religiöse Überzeugung dar; vielmehr waren der Verkauf der Götter und die periodischen Pilgerfahrten zur Kaaba ein lukratives Geschäft.

Seine erste Berührung mit dem Christentum hatte der Prophet Muhammad der islamischen Überlieferung zufolge, kurz nachdem ihn die ersten Offenbarungen erreicht hatten. Demnach soll seine Frau Chadiga ihren zum Christentum konvertierten Vetter Waraqa ibn Naufal aufgesucht und ihm über Muhammads Begegnung mit dem Erzengel Gabriel berichtet haben. Dieser zeigte sich höchst erfreut darüber und erkannte in Muhammad den neuen Propheten. Daraufhin suchte er Muhammad selbst auf. Als dieser ihm die Ereignisse nochmals schilderte, bestätigte Waraqa seine Aussage und wies Muhammad darauf hin, dass er wie andere Propheten ebenfalls mit Repressalien und Vertreibung zu rechnen habe. Zudem äußerte er den Wunsch, diese Ereignisse mitzuerleben, um dann Muhammad beizustehen.

Sollte diese Überlieferung der Wahrheit entsprechen, so hatte Waraqa etwas vorhergesagt, was nicht allzu lange auf sich warten ließ. Die Führung Mekkas versuchte mit allen Mitteln Muhammad und seine Anhänger, welche vorwiegend aus ärmlichen Verhältnissen stammten zu bekämpfen. Um seine Anhängerschaft zu schützen, veranlasste Muhammad elf Familien dazu, ins christliche Abessinien zu flüchten und dort beim herrschenden König um Asyl zu bitten. Hierbei soll Muhammad gesagt haben: „Geht nach Abessinien, denn dort herrscht ein König, bei dem niemand Ungerechtigkeit erfährt.“ Dies soll Muhammad gesagt haben, weil er wusste, dass der Gerechtigkeitssinn des Königs auf der Grundlage des christlichen Glaubens basierte, der Jesus offenbart worden war. Den Auswanderern gab er einen Auszug aus der Sure Maria mit. Die Mekkaner sandten ihnen eine Delegation nach, die unter der Leitung des damaligen „Außenministers“ ´Amr ibn al-´As stand. ´Amr pflegte schon seit langer Zeit einen guten Kontakt zum abessinischen König und bat ihn, ihm die Muslime auszuliefern. Der König weigerte sich jedoch ihm die Muslime zu überlassen bevor er sich nicht zumindest ihr Gesuch angehört hatte und forderte die Auswanderer auf, ihn über ihre Religion aufzuklären. Ga´far, ein Vetter Muhammads, ergriff das Wort, berichtete ihm über ihre Verfolgung in Mekka und erklärte die wesentlichen Grundzüge des Islam. Dabei machte er unter anderem deutlich, dass man vor Muhammads Prophetie dem Götzendienst angehangen hatte und dass soziale Ungerechtigkeit geherrscht hatte. Nun hätten sie sich aber der Verehrung des einen einzigen Gottes zugewandt und würden der Aufforderung ihres Propheten nachkommen, nach hohen ethischen Werten zu leben.

´Amr bemerkte, dass der König von dieser Schilderung sehr angetan war und versuchte ihn daher gegen die Muslime anzustacheln, indem er behauptete, sie würden über Jesus und Maria spotten.

Der König wollte sich nun darüber vergewissern und fragte Ga´far nach der Haltung des Islam zu Jesus und Maria. Daraufhin trug dieser folgende Koranverse vor:

 

Und berichte im Buch über Maria. Als sie sich von ihren Angehörigen an einen östlichen Ort zurückzog.

Und sich von ihnen absonderte, da sandten Wir Unseren Geist (den Erzengel Gabriel) zu ihr, und er erschien ihr wie ein vollkommener Mann.

Sie sprach: „Ich suche Zuflucht vor dir beim Erbarmer! Wenn du gottesfürchtig bist.“

Er sprach: „Ich bin nur ein Bote deines Herrn, um dir einen lauteren Sohn zu bescheren.“

Sie sprach: „Wie soll ich einen Sohn bekommen, wo mich kein Mann berührt hat und ich keine Dirne bin?“

Er sprach: „So sei es! Dein Herr hat gesagt: ‚Das ist Mir ein leichtes! Und Wir wollen ihn zu einem Zeichen für die Menschen machen und zu einer Barmherzigkeit von Uns. Und das ist eine beschlossene Sache.’“

Und so empfing sie ihn und zog sich mit ihm an einen entlegenen Ort zurück.

Und die Wehen trieben sie zum Stamm einer Palme. Sie sprach: „O dass ich doch zuvor gestorben und ganz und gar vergessen wäre!“

Da rief unter ihr jemand: „Sorge dich nicht! Dein Herr lässt unter dir Wasser fließen.

Und schüttele nur den Stamm einer Palme, dann werden frische, reife Datteln auf dich runterfallen.

So iss und trink und sei guten Mutes. Und wenn du einen Menschen siehst, dann sprich: ‚Siehe, ich habe dem Erbarmer gelobt, mich der Rede zu enthalten. Deshalb spreche ich heute zu niemand.’“

Und sie brachte ihn zu ihren Leuten, ihn mit sich tragend. Sie sprachen: „O Maria! Fürwahr, du hast etwas Unerhörtes getan!

O Schwester Aarons! Dein Vater war kein Bösewicht und deine Mutter keine Dirne!“

Da verwies sie auf ihn. Sie sagten: „Wie sollen wir mit ihm, einem kleinen Kind in der Wiege, reden?“

Er sprach: „Seht, ich bin Gottes Diener. Er hat mir das Buch gegeben und mich zum Propheten gemacht. Und Er machte mich gesegnet, wo immer ich bin, und befahl mir Gebet und Almosen, solange ich lebe.

Und Liebe zu meiner Mutter. Und Er hat mich weder gewalttätig noch unheilvoll gemacht.

Und Frieden war mit mir am Tage meiner Geburt und wird es am Tage sein, da ich sterbe, und am Tage, da ich zum Leben erweckt werde!“

So war Jesus, Sohn der Maria – eine wahre Aussage, die sie bezweifeln.

Es ist mit Gott nicht vereinbar, einen Sohn zu zeugen. Gepriesen sei Er! Wenn Er eine Sache beschließt, so spricht Er nur zu ihr: „Sei!“, und sie ist.

„Wahrlich, Gott ist mein Herr und euer Herr. So verehrt nur Ihn.(Sure Maria, Verse 16-36)

 

Bei diesem Vortrag sollen dem König Tränen aus den Augen geflossen sein und somit war jeglicher Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Muslime vergangen. Daher sagte er, dass der Koran und die Offenbarung Jesu aus derselben Quelle kämen und gewährte den Muslimen so lange es nötig war Asyl. Ein Jahr später erreichten weitere hundert Muslime das Land, denen der König ebenfalls Unterschlupf gewährte. Dort lebten sie bis zum Jahre 622, also bis zur Auswanderung Muhammads nach Medina in Frieden mit ihren christlichen Gastgebern. Dieses Ereignis deutet auf eine spezielle Nähe zwischen den beiden Religionen hin und gilt in der Geschichte als das erste Aufeinandertreffen einer muslimischen und einer christlichen Gemeinde.

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Hussein Hamdan M.A., geb. 1979 studierte Islam- und Religionswissenschaft sowie Irankunde in Tübingen und schloss sein Studium 2007 mit einem Magister ab. Anschließend folgte, ebenfalls an der Universität Tübingen, die Doktorarbeit über das Wirken der Azhar-Universität im christlichen-islamischen Dialog, die im März 2013 abgeschlossen wurde. Hussein Hamdan war die ersten beiden Jahre seiner Promotion Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung, ehe er 2009 für zwei Jahre Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für interkulturelle Kommunikation in Heidelberg wurde. Dort verfasste er u.a. den Band „Muslime in Deutschland. Geschichte, Gegenwart und Chancen“. Aktuell ist er an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart angestellt und für das Projekt „Gesellschaft gemeinsam gestalten – Junge Muslime als Partner“ verantwortlich. Hussein Hamdan ist Autor und Sprecher der Kolumne „Islam in Deutschland“ (SWR) und Referent zu diversen Themen des Islam. Seine Schwerpunkte sind Muslime in Deutschland, Interreligiöser Dialog, Humor im Islam sowie Einführungen in die Grundlagen, Quellen und Geschichte des Islam. Zudem ist er Mitglied des Runden Tischs Islam von Integrationsministerin Bilkay Öney in Baden-Württemberg. Hamdan hat sich in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen des interreligiösen und interkulturellen Dialogs engagiert. Von 2004-2007 moderierte er in Tübingen den Arabisch-Amerikanischen Dialog. Aktuell ist er Vorstandsmitglied des Bendorfer Forums.

8 Kommentare

  1. Herzlich willkommen!

    Lieber Hussein,

    herzlich willkommen in den Chronologs! Super, dass Du mitmachst!

    Wie ich sehe, wirst Du v.a. Aspekte islamischer Geschichtstraditionen vorstellen. Das freut mich sehr und es dürfte Leserinteresse finden!

    Eine Frage meinerseits: Mir ist eine Überlieferung bekannt, wonach der abessinische König den geringen, aber bestehenden Unterschied zwischen den Religionen als einen Strich mit dem Stock in den Sand gezeichnet haben soll. Kennst Du diese und wie glaubwürdig ist diese Überlieferung?

    Und gleich eine Anregung bzw. Frage: Du sprichst oben kurz Chadiga an, die erste (und Zeit ihres Lebens einzige) Frau des Propheten, dazu ein besonders starker Charakter, der aber vielen nicht bekannt ist. Würdest Du bei Gelegenheit einmal einen eigenen Beitrag zu Chadiga machen?

    Herzliche Grüße, freue mich sehr!

    Michael

  2. Überlieferung und “glaubwüdig”

    Auch meinerseits: Herzlich willkommen; und gerne habe ich diese überlieferte Begegnungs-Geschichte gelesen. Gerne erwarte ich auch weitere entsprechende Geschichten.
    Nur als kleiner Einwand, mehr zu @Michael Blume: Ich halte es in solchen Geschichten nicht für unbedingt notwendig, dass sie “glaubwürdig” im Sinn von “historisch glaubwürdig” sind; sondern dass in ihnen ein positives erzählerisches Interesse sichtbar wird. Sie können durchaus auf historische Begebenheiten zurückgreifen UND dürfen gleichzeitig durchaus legendenhaft eingefärbt sein; wichtig ist, warum sie überliefert werden, was mit der Erzählung bewirkt werden soll. Und das ist wegen des darin bekundeten gegenseitigen Respekts eine gute Geschichte, die dazu hilft einander über den Weg zu trauen. Insofern ist sie “glaubwürdig”.
    Gerade wegen der gegenwärtigen Geschichte ist es gut und notwendig, dass es noch mehr solcher Gegen-Geschichten gibt.

    Basty

  3. Grund der Geschichte?

    Hallo Hussein,

    ich gehe davon aus, dass die monotheisitischen Glaubensrichtungen einen gemeinsamen Grund haben, der nicht einfach geheimnisvoll als “Allmacht” oder “Gott” zu bezeichnen ist, der von charismatischen Gründergestalten in die Welt gesetzt wurde.

    Vielmehr versuche ich in Moses, Jesus und Muhammad Vermittlergestalten eines Wortes (einer universalen Vernünftigkeit allen Werdens) im fortschreitenden Verständnis der Zeit zu verstehen: http://www.theologie-der-vernunft.de

    Wenn ich den Islam als eine Weiterentwicklung der monotheistischen Glaubensreform sehe, die wir in “Christus” begründen, dann ist das keine Verkürzung. Vielmehr kann so deutlich werden, dass es um mehr geht, hinter schönen Geschichten und den Gestalten ein andere Geschichtswirklichkeit steht, als wundersame Menschen, die es nur etwas besser wussten.

    Gerade die Verehrung von Maria und Jesus im Islam machen mir deutlich, dass es weder im damaligen Kirchenstreit, noch im Koran um Menschen gegangen sein kann, die vergottet wurden, wie heute im Kurz-schluss angenommen wird.

    Dass wir Geschichten und Gestalten brauchen ist mir wohl bewusst. Doch reichen solche Geschichten, um die Kulturprobleme zu lösen, die uns derzeit u.A. in Indien begegnen?

    In weiterer Advents-Hoffnung:
    dass dass der gemeinsame Grund des monotheistischen Glaubens
    -das ewige Wort/Sinn/Logos-
    in aufgeklärt-zeigemäßer Weise (universaler, naturwissenschaftlicher Welterklärung)
    wieder verständlich wird.

    Gerhard

  4. Glaubwürdigkeit und Sinn der Geschichte

    Lieber Michael: Ich möchte immer wieder mal Persönlichkeiten aus der islamischen Geschichte vorstellen und werde bestimmt auch einen Artikel über Chadiga verfassen. Die Überlieferung, die du erwähnt hast, ist mir auch bekannt und ist soviel ich weiß auch in allen bedeutenden Quellen dokumentiert. Die Kette der Überlieferer (ich werde in einem Artikel auf die Untersuchung der Hadithe/ Überlieferungen eingehen) ist sehr zuverlässig, was die Glaubwürdigkeit der Geschichte noch verstärkt. Dem Wissenschaftler bleibt jedoch immer ein Rest Zweifel, da es sich hierbei ausschließlich um islamische Quellen handelt, deren objektive Darstellung der Ereignisse nicht ganz gesichert ist. Aus meiner Forschungsarbeit kann ich aber sagen, dass viele Wissenschaftler dieses Ereignis und die von dir genannte Überlieferung als sehr glaubwürdig einstufen. Im Gegensatz dazu wird die Überlieferung über Waraqa (Chadigas Vetter) eher kritisch bewertet. Man zweifelt teilweise sogar die Existenz dieses Mannes an. Daher habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass seine Geschichte eventuell nicht der Wahrheit entspricht.

    Lieber Gerhard: Solche Geschichten reichen mit Sicherheit nicht aus, um die Probleme zwischen den Kulturgemeinschaften zu lösen.
    Sie können aber eine Grundlage für den Dialog sein, der meiner Meinung nach ein sehr starkes Mittel im Kampf gegen radikale Kräfte darstellt. Diese Geschichten zeigen mir persönlich immer wieder, dass ein friedliches Zusammenleben möglich ist und ermutigen mich an meiner Dialogarbeit festzuhalten.

  5. Maria und Josef

    Frage:
    Wie denken Muslime über Josef, den Begleiter Marias, und Bethlehem, den Geburtsort von Jesus.

  6. Josef und Betlehem

    Im Koran werden weder Josef noch Betlehem erwähnt. Ich habe mir aber ein arabisches Buch angeschaut, dass die Prophetengeschichten darstellt. Dort taucht Josef als Zimmermann auf, der sich mit Maria verlobt hat. Mehr Angaben macht der Autor nicht über ihn.
    Zur Geburtsstadt Jesu bekommt man auch keine eindeutigen Angaben. Nach koranischer Darstellung zieht sich Maria an einen fernen Ort zurück um Jesus auf die Welt zu bringen. Maria lebte der Überlieferung nach in Betlehem. Wenn sie sich also an einen fernen Ort zurückgezogen hat, dann hat die Geburt vermutlich an einem anderen Ort stattgefunden. Leider fehlen mir aber auch hierzu die klaren Angaben. Sollte ich mal mehr darüber erfahren, dann lass ich dich das wissen lieber Johann.

  7. @ Hussein: Yussuf?

    Lieber Hussein,

    mir begegnet freilich die arabisch-muslimische Form von Joseph – Yussuf – recht häufig. Bezöge sich dies auf den genannten Joseph (hebr. iosef = Gott gibt hinzu), würde dies eine gewisse Popularität oder doch einen gewissen Respekt vor dem Gatten Marias bezeugen, den das Magazin Chrismon übrigens gerade mit dem humorvollen Titel “Beste Nebenrolle” geschmückt hat! Oder bezieht sich womöglich die Häufigkeit des Namens auf einen anderen Joseoph/Yussuf?

  8. Joseph (Yusuf)

    Lieber Michael,

    die Häufigkeit des Namens geht sehr wahrscheinlich auf den Propheten Joseph (arab. Yusuf) zurück. Die 12. Sure des Korans ist nach ihm benannt und sie schildert seine Geschichte ausführlich. Immerhin bezeichnet der Koran die Joseph-Geschichte als die schönste Geschichte, die der Koran erzählt (siehe Vers 3 der Sure).
    Joseph, der Gatte Marias spielt in der islamischen Tradition keine große Rolle. Man würde in der islamischen Welt auch nicht auf die Diskussion stoßen, ob Joseph der Vater Jesu ist oder nicht. Zumindest ist mir nichts darüber bekannt.

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