Von Kriegskondomen bis zu Drohnen. Earth Day 22. April 2018 zum Thema Plastikverschmutzung.

Abb. 1: Titelthema in “DIE ZEIT”, Foto: Kiên Hoàng Lê, Alina Emrich

Eigentlich wollte ich zum heutigen Earth Day, der Plastik zum Thema hat, einen eigenständigen Blogbeitrag schreiben, aber die aktuelle DIE ZEIT hat das mit ihrer Titelgeschichte schon vorweggenommen – ein Artikel, den man unbedingt lesen sollte. Er zeigt u.a. sehr schön auf, wieviel Geld sich nicht nur mit Plastik, sondern auch mit dem – bei Plastik völlig inadäquaten – Recycling verdienen lässt, weshalb auch politisch so gut wie nichts / viel zu wenig zur Plastikmüllvermeidung getan wird.

Auch die aktuelle Doku von ARTE “Plastik überall – Geschichten vom Müll” ist überaus (nach-)sehenswert (wir haben übrigens auch mitgemacht). (Nachtrag: die Mediathek-Verfügbarkeit ist inzwischen abgelaufen, hier eine ARTE-Textinfo zum Projekt. Weiterer Nachtrag 2020: Die Doku wurde mehrfach im TV auf verschiedenen Kanälen wiederholt und ist auch via youtube abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=d5itKSM_QJ8 )

Abb. 2: Unser Anthropozän-Headquarters am FU-Campus Lankwitz, gefilmt mit einer v.a. aus Plastik bestehenden Drohne. Screenshot aus der ARTE-PlastikDoku,

Also liste ich nur kurz einige wenige andere Berichte auf, die mir in diesem Kontext besonders interessant erscheinen, sowie einige Beiträge aus eigener Produktion zum Thema. Ja, und auch noch (fast) ganz exklusiv eine kleine Zugabe.

  • Auf Vermeidung setzen die Unverpackt-Läden, auf Ersatzmaterialien z.B. die niederländische Biosupermarktkette Ekoplaza. Wie sehr hier dann von der Plastikindustrie gegengeschossen wird, schrieb u.a. DIE WELT vor einiger Zeit auf.
Abb. 3: Der Plasticus-Wal, erstellt aus 250 Kilogramm Plastik, der Menge an Plastik, die jede Sekunde in die Meere gespült wird. Der Plastikwal soll dazu aufrufen, ein persönliches Bekenntnis zur Plastikreduktion abzulegen  (Bild #PassOnPlastic, via K. Hollinrake)
  • Hier zu den zugrunde liegenden Zahlen: Laut einer Studie von Jambeck et al. (2015) gelangen etwa 8 Millionen (metrische) Tonnen Plastik (das sind 8,8 us-amerikanische Tonnen) pro Jahr ins Meer. Einfache Rechnung: ((((8.000.000 t : 365 Tage) :24 Std) : 60 Min) : 60 Sek) = 254 kg/Sek. oder auch 15 Tonnen pro Minute, das ist etwa die Ladung eines sehr großen Lastwagens (Plastik ist an sich leicht). Bei einem “weiter so wie bisher” könnte sich dies bis ins Jahr 2050 auf 4 Lastwagen pro Minute (oder 1 Tonne pro Sekunde) erhöhen.
  • Ebenfalls sehr eindrückliche Zahlen stammen aus der Studie von Geyer et al. (2017): etwa 60% allen je produzierten Plastiks befinden sich irgendwo in der Umwelt, sei es in ungesicherten Mülldeponien, sonst irgendwo auf dem Festland (Böden, Flüsse, Seen) oder eben bereits in den Meeren (in der Wassersäule, in Organismen oder im Sediment).
Abb. 4: Etwa 60% allen je produzierten Plastiks befinden sich irgendwo in der Umwelt (Abb aus Geyer et al. (2017), leicht verändert)
  • Schon etwas früher haben Kollege Rüdiger Haum und ich mal aufgeschrieben, was das Plastik in den Ozeanen so anstellt, und wie es auch wieder zu uns zurück kommt.
  • Videoaufzeichnungen einer Veranstaltungsreihe zu Müll und Gesellschaft (auch mit Schwerpunkt Plastik) aus meiner Zeit am Rachel Carson Center München gibt es hier (Dez 2013, Jan 2014, ich bin auch mit einem Vortrag dabei, siehe auch Abb. 5).
Abb. 5: Mein Scribble zu Plastik in den Ozeanen, basierend auf einem Vortrag im Jan. 2014, aktualisiert. (Nachtrag von 2020: inzwischen sind wir bei ca 360 Mio t/Jahr Plastikproduktion und wohl eher bei mind. 10% des Erdölverbrauchs für Plastik).

Inzwischen ist also soviel Plastik in der Umwelt, dass wir Geologen diesen Plastikmüll sogar als Technofossilien bezeichnen und zur Definition des Anthropozäns verwenden (siehe z.B. unsere Arbeiten zum geologischen Zyklus von Plastik und als stratigraphischer Indikator (Zalasiewics et al., 2016) sowie unseren Vorschlag zur Definition des Anthropozäns auch mithilfe von Plastik (Waters et al., 2016, siehe auch Abb. 6).  Zu unserer “Technosphere”-Pubikation hab ich auf diesem Blog schon berichtet. Zum aktuellen Stand der Definitionsbemühungen siehe auch hier.

Abb. 6: Plastik als eine der wichtigen Geosignaturen im Anthropozän (sowie weitere Signaturen), basierend auf Waters et al. (2016), für einen Vortrag ergänzt.

Mit Plastik lässt sich sogar Mikrotechnostratigraphie betreiben (Abb. 7):

Abb. 7: Möglichkeiten zur mikrostratigraphischen Untergliederung anthropozäner und präanthropozäner Sedimente anhand verschiedener Plastiktypen (Links, aus Zalasiwecicz et al. 2016, ergänzt). Rechts zum Vergleich eine klassische Feinstratigraphie mit Ammoniten aus dem Jura der schwäbischen Alb (aus Geyer & Gwinner 1986, Geologie von Baden-Württemberg, Stuttgart).

Hier nun also fast exklusiv (- ok, ARTE hat zuvor kurz auch dazu berichtet – ) ein paar bislang noch unpublizierte Beispiele vom Teufelsberg in Berlin. Der Teufelsberg ist ein Schuttberg, in dem etwa 2/3 des Berliner Häuserschutts aus dem 2. Weltkrieg aufgehäuft wurden (Abb. 8; siehe dazu auch hier). In diesem anthropogenen Sediment findet sich Plastik neben den dominierenden Baustoffen erstaunlich häufig, obwohl vor 1950 noch sehr wenig Plastik produziert wurde. Vorkriegsplastik (wie Bakelit, Celluloid, Schellack, Nylons etc) macht mengenmäßig kaum etwas aus, die Plastikproduktion legte dann vor und während des Krieges los (etwa mit Plastikgeschirr in Feldküchen, Porzellan war dort zu schwer), aber auch PVC-Schläuche verbreiteten sich, auch Polystyren („Styropor“) und Nylon (bzw. genauer das annähernd identische Perlon, denn auf Nylon gab es in den USA ein Patent) wurden wichtiger, letzteres übrigens nicht nur für Strümpfe, sondern v.a. auch aus strategischem Interesse – als Ersatzstoff für die knapp werdende Seide für Fallschirme. Aber so richtig los ging es erst mit der Verpackungsindustrie ab den 50er Jahren. 1950 wurden etwa 1,5 Millionen Tonnen Plastik weltweit produziert, 2015 schon 320 Millionen Tonnen Plastik, etwa soviel wie alle derzeit lebenden Menschen insgesamt wiegen, Tendenz extrem rasch steigend (siehe Abb. 6, 7).

Abb. 8: Aufstieg durch die Teufelsberg-Neonatur zum Drachenberg, dem Nordausleger des Teufelsbergs. Gefilmt mit einer Drohne, überwiegend auch aus Plastik erstellt (Screenshot aus der oben erwähnten ARTE-Dokumentation).

Im Teufelsbergschutt findet sich recht viel PVC (als Schläuche und Ummantelung von Kupferkabeln), aber auch viel Polystyrol (“Styropor”), teilweise auch Hartplastik. Plastiksackfragmente sind besonders häufig und gehen vermutlich auf Antransport von Bauschutt zurück, sind also aus der Nachkriegszeit (Abb. 9). Der Teufelsberg wurde von 1950 bis 1972 aufgeschüttet (siehe auch hier).

Abb. 9: Plastikmaterialien aus dem höheren Bereich des Drachenbergs (Teil des Teufelsbergs). PVC-Schläuche, Polystyrol (Styropor) und verwitterte Plastikfolien (vermutlich aus Transportsäcken) sind neben dem dominanten Bauschutt zu sehen (Fotos Leinfelder)

Und anlässlich der Filmaufnahmen mit dem ARTE-Team schauten wir nochmals etwas genauer hin – ein kleines kreisrundes Plastikdöschen erregte unser besonderes Interesse (Abb. 10). Der Schriftzug Dublosan wies nach kurzer Recherche darauf hin, dass es sich um ein “fossiles” Kondomdöschen handelte. Diese Kondome waren seit den 30er Jahren weit verbreitet, während der Kriegszeit auch in der Wehrmacht, allerdings waren die Döschen ursprünglich aus Aluminium und änderten in der Nachkriegszeit auch noch ihr Schriftzug-Design. Ab 1968 wurde – bei ansonsten gleichem Design – auf Plastik umgestellt, diese Plastikdöschen existierten bis in die 80er Jahre, diese Kondome wurden dann aber schlagartig verboten, denn sie enthielten hohe Quecksilbergehalte, was gegen Syphilis helfen sollte, nun aber auf den “Index” kam). Da wir aus historischen Aufzeichnungen wissen, dass die Aufschüttungen am Teufelsberg im Jahr 1972 eingestellt wurden, konnten wir also das Sedimentationsalter der Fundschicht mit diesem Technofossil auf 4 Jahre genau datieren (1970 +/- 2 Jahre), das geht mit keinem Ammoniten 😉

Abb. 10: Der Dublosan-Fund in Sedimenten des höheren Nordhangs des Teufelsbergs: Links oben: Fundstück. Rechts oben: Aluminium Ausfertigung der Kondomdöschen von 1930-1945, links unten: Änderung des Schriftzugs in der Nachkriegszeit, immer noch aus Aluminium; rechts unten: das geöffnete Fundstück: das originale Latexprodukt ist noch zu sehen, aber im Unterschied zum Plastikdöschen schon stark zersetzt. Das Fundalter konnte damit auf 4 Jahre eingegrenzt werden (1968-1972, siehe auch Text). Fund A. Hamann, Foto R. Leinfelder, Aluminiumdöschen aus Internetrecherche.

Aber dennoch: wir Geologen würden sehr gerne auf die geostratigraphischen Möglichkeiten mit Plastik verzichten, deswegen müssten wir also keinesfalls mit dem Plastikmüll weitermachen. Wir haben genügend andere stratigraphische Möglichkeiten. Und gerade weil Plastik ein unverzichtbares Material für so viele Dinge ist, müssen wir einfach mit dem Verpackungs- und ExundHopp-Wahn aufhören. Die anthropozänen Gesteinsschichten werden auch in Zukunft darüber Auskunft geben, ob wir diesen Vorsatz auch wirklich in die Tat umsetzen.

Reinhold Leinfelder ist Geologe, Geobiologe und Paläontologe. Er ist Professor an der Freien Universität zu Berlin (Arbeitsgruppe Geobiologie und Anthropozänforschung) sowie (seit Okt 2018) zusätzlich Senior Lecturer am Institut Futur der FU. Seit April 2022 ist er formal im Ruhestand. Seit 2012 ist er Mitglied der Anthropocene Working Group der International Stratigraphic Commission. Von 2006-2010 war er Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin, von 2008-2013 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), von 2011-2014 Research Fellow und affiliate Carson Professor am Rachel Carson Center an der LMU, München, von 2012-2018 Principal Investigator am Exzellenzcluster "Bild-Wissen-Gestaltung" der Humboldt-Universität zu Berlin, von 1. Sept. 2014 bis 15. Sept. 2016 Gründungsdirektor der Futurium gGmbH in Berlin. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte liegen beim Anthropozän, Korallenriffen, neuen Methoden und Herausforderungen des Wissenstransfers und Museologie | Homepage des Autors | blog in english, via google translate

10 Kommentare

  1. Ja, Plastikteile können heute zu stratigraphischen Zwecken verwendet werden. Doch es könnte sein, dass diese Teile in 1000 Jahren biologisch abgebaut sind, denn inzwischen gibt es mehrere ganz unterschiedliche Organismen, die Plastik abbauen können und diese Organismen haben die Fähigkeit dazu erst kürzlich erworben. Kürzlich las man beispielsweise über die PETase, ein Enzym des Bakteriums Ideonella sakaiensis, welches 2016 entdeckt wurde und welches Recht spezifisch PET abbaut. Organismen, die Kunstoffe abbauen würden tief vergrabenes Plastik allerdings wohl nicht mehr verdauen. Sie könnten aber heute der Entsorgung dienen, denn abgebautes Plastik ist besser als vermeintlich rezykliertes, dass dann doch irgendwo in der Umwelt landet.

  2. Hallo Herr Holzherr, ja, es wäre zu hoffen, dass Plastik einmal wirklich biologisch abbaubar wird. Mir ist die neue Arbeit bekannt und ich wäre der allererste, der sich freuen würde, wenn dies klappt. Allerdings haben sich frühere Hoffnungen und Berichte zu Abbau von Plastik über Bakterien, Pilze, Mehlwürmern oder anderen Organismen bislang nicht wirklich erfüllt, meist gab es bestenfalls Zerkleinerung, aber in Zukunft könnten hier manche Organismen, die zum Abbau beitragen können, evolutionär bevorzugt werden (siehe auch Zalasiewicz et al. 2016), wie ja auch die von Ihnen erwähnte neue Arbeit zeigt. Auch sind die Eintragswege sehr unterschiedlich, sogar über die Luft wird kräftig Mikroplastik eingetragen (> Studie zur Pariser Luft). Ansonsten muss Plastik nicht einmal tief einsedimentiert werden, um nicht abgebaut zu werden, es genügt bereits Sauerstoffmangel. Auf diese Weise sind ja auch viele organische Materialien (teils in veränderter, aber dennoch in identifizierbarer Form) über Hunderte von Millionen Jahren erhalten geblieben (oder es hat sich, je nach Versenkungstiefe daraus Bitumen oder Erdöl / Erdgas gebildet). Aber selbst bei Zersetzung des Plastikmaterials könnten Abdrücke erhalten werden, oder auch die Originalstruktur/-Form durch die zersetzenden Bakterien nachgebaut werden – im weltberühmten, etwa 50 Millionen Jahre alten Messeler Ölschiefer sind Haare, Froschhäute und sonstige Weichteile auf diese Weise erhalten – das organische Originalmaterial ist dort abgebaut, wird aber morphologisch identisch durch die mineralisierten Relikte der abbauenden Bakterien nachgebildet. Und auch falls dies nicht geschähe, werden vermutlich insbesondere die Additive von Plastik charakteristische geochemische Signaturen hinterlassen. (Wir sind zum Thema Langzeiterhaltung von Plastik in Sedimenten in unserer Plastikarbeit der Anthropocene Working Group (Kap. 4) ausführlicher darauf eingegangen, (Zalasiewicz et al. 2016, siehe hier)

  3. Plastik wird kaum wieder gänzlich verschwinden, dazu ist es zu praktisch und vielfältig in seiner Verwendung. Deshalb muss man beim Abfallmanagement ansetzen, wenn man die Auswirkungen auf die Umwelt minimieren will. In Deutschland ist das schon weitgehend geschehen. Tatsächlich stammt heute fast alles Plastik, das im Ozean landet aus Schwellenländern, wo es noch keine zuverlässige Abfallentsorgung gibt. 10 Flüsse, nämlich Yangtze, Yellow, Hai He, Pearl, Amur, Mekong, Indus, Ganges Delta, Niger und Nil sollen für 88 bis 95% von allem per Fluss in den Ozean transportiertem Plastik verantwortlich sein und das sind 4 Millionen Tonnen pro Jahr. Die Karte the ocean cleanup zeigt die Küsten, an denen Plastik in den Ozean gelangt. Es sind vor allem Südostasien mit Indonesien, West- und Südafrika, Brasilien und Mittelamerika, die sehr viel Plastik ins Meer entlassen.
    Würde man diesen Ländern helfen, ihren Abfall besser zu entsorgen könnte man den Transport von Plastik ins Meer auf eine Viertel oder noch weniger reduzieren.

  4. Plastik kann bald zu fast 100 % recyclet werden. Auch in anderen Bereichen des Lebens wird es massive Verbesserungen geben. Mehr dazu auf meiner Internetseite (bitte auf meinen Nick-Namen klicken).

    • An den Öko-Theosophen: interessant, woher Sie das alles wissen. Oder verwechseln Sie da vielleicht doch wissen mit glauben? Wenn ich auf Ihrer Webseite lese “Es bedeutet eine Entheiligung der Natur, wenn Traumforscher die Hirnströme von Schlafenden messen. Die Wissenschaft darf nicht alles erforschen”, dann sind Sie hier eher falsch. Sie liegen da z.B. auch überhaupt nicht auf einer Linie mit den modernen Kirchen. Und in Sachen Ökologie und Religion empfehle ich einfach nur die Lektüre der Umweltenzyklika Laudatio Si von Papst Franziskus.

    • Ob Ihnen zum Lachen zumute ist, ist Ihre Sache. Ansonsten:
      – Ich habe nicht bestritten, dass an der Kirche oder den Wissenschaften nichts zu kritisieren sei, darum ging es nicht. Ich habe Ihren Kommentar bzw. Ihre Webseite, auf die Sie ja explizit hingewiesen hatten, kritisiert.
      trendsderzukunft ist wirklich keine wissenschaftliche Seite. Ab und an wird interessantes berichtet, allerdings sehr verkürzt, leider auch oft mit eklatanten Fehlern. Gehen Sie doch mal auf deren Eingangsseite. Sie können immer auch einen Produktgutschein bekommen (oder Sie gehen gleich auf die dort ebenfalls angepriesenen Portale derselben Gruppe wie Gutscheinmagazin.com oder Hochzeit.com
      – Bioplastik ist ein wichtiges Thema und es gibt viele Entwicklungen, aber leider auch v.a. Probleme (spezielle Kompostierbedingungen etc.). Selbst wenn die von Ihnen verlinkte Meldung stimmen sollte, können Sie mit diesem Typ von Plastik längst nicht alles ersetzen, was wir an verschiedenen Typen von Plastik haben und verwenden (etwa auch in unseren Computern, auf denen wir schreiben). Zu dem dort gefeaturten Gamma-Butrylacton. Dies ist zuallererst einfach ein vielverwendetes Lösungsmittel (u.a zur Nagellackentfernung), wird auch gerne als Droge verwendet: http://www.chemie.de/lexikon/Butyro-1%2C4-lacton.html . Leider werden manchen Plastikmaterialien Zusatzstoffe gegeben, die rascheres Zerfallen ermöglichen sollen, das ist aber keine Kompostierung, statt sichtbarem Plastik bleibt dann nur Mikroplastik übrig. Nochmals, das Thema Bioplastik bzw. kompostierbares Plastik ist ein wichtiges, aber auch ein überaus komplexes. Vertrauen, dass uns schon noch irgendwas einfallen wird, ist leider auch eine der beliebtesten Ausreden, jetzt nichts zu tun (was ich Ihnen aber wirklich nicht unterstelle). Ich wünsche einen schönen Tag.

      PS/Nachtrag vom 28.4.18: Obige Ausführungen waren insb. generelle Bemerkungen zu den häufigen Heilsversprechungen bei kompostierbarem Plastik, die neue Studie, die nun seit gestern verfügbar ist, scheint allerdings durchaus vielversprechend, und es geht offensichtlich nicht um Mikrozerfall, sondern um tatsächlich sehr gute Recyclingfähigkeit, siehe hier über die Studie: http://science.sciencemag.org/content/360/6387/380 (und hier die Originalstudie).

      Dennoch gilt vieles des oben gesagten auch nach dieser Pilot-Studie. Vor allem werden wir kein “weiter wie bisher” machen können, bis ggf. alles an für alle Anwendungen notwendigen Plastiktypen auf benign design (also z.B. komplett und schadstoffrei selbstzerfallend) bzw. verlustfrei und schadstoffrei recycelbar umgestellt ist. Dies gilt ja analog auch für viele andere Bereiche. Die Strategie “erst mal abwarten, bis wir ne ordentliche Lösung entwickelt haben” ist halt auch eine Ausrede, jetzt nichts tun zu müssen (ähnlich z.B. bei Windkraft und Co: “Keine Verspargelung der Landschaft, lieber abwarten, bis wir was ordentliches haben, etwa Kernfusion” Vielleicht ist Kernfusion irgendwann einmal eine wunderbare Lösung, aber schon über 60 Jahre wird daran geforscht, und vermutlich dauert es bis zur Serienreife nochmals 60 Jahre. Soviel Zeit haben wir nicht, um abzuwarten. Gerne kann man ja dann später auf derartiges umsteigen, ggf. gilt dies auch für Plastik, nur abwarten können wir nicht, in der Zwischenzeit braucht es andere Strategien, darunter halt gerade bei den Verpackungen auch Vermeidung.

  5. @Reinhold Leinfelder: Ihre Publikation Ozeane – Inwastement. Abfall in Umwelt und Gesellschaft enthält unter anderem die Idee den Ozean als Teil des Menschheitserbes zu verwalten. Das scheint mir eine tragfähige Idee, die heute allerdings noch nicht institutionalisierbar ist, denn die Nationen wollen das Meer kaum der UNO überlassen. Tragfähig ist die Idee dennoch und wirksam kann sie werden über private Inititativen, die das Meer beobachten und die nach Handlungsoptionen basierend auf diesen Beobachtungen suchen. Dazu gehört die EarthNow-Inititative (unterstützt unter anderem von Bill Gates), welche die gesamte Erdoberfläche in Echtzeit und hochaufgelöst per Video überwachen will um unter anderem (Zitat)
    Catch illegal fishing ships in the act, Watch hurricanes and typhoons as they evolve, Detect forest fires the moment they start, Watch volcanoes the instant they start to erupt, Assist the media in telling stories from around the world, Track large whales as they migrate, Help “smart cities” become more efficient, Assess the health of crops on demand, Observe conflict zones and respond immediately when crises arise
    Instantly create “living” 3D models of a town or city, even in remote locations
    See your home as the astronauts see it—a stunning blue marble in space

  6. Vielleicht ist dies auch hier von Interesse? Eine Studierende des BSc-Studiengangs Informationsmanagements hat kürzlich für ihr Studienfach “Journalismus” ein kleines Interview zu Plastikmüll, insb. im Ozean mit mir geführt (für eine interne Studienarbeit). Ich stelle mal die Fragen und meine Antworten hier zur Verfügung.

    Frage: Welche Möglichkeiten sehen Sie, um das weltweite Plastikproblem und die damit verbundene Verschmutzung der Meere in den Griff zu bekommen?

    Antwort: ca.60% allen produzierten Plastiks sind laut der STudie von Geyer et al. 2017 in der Umwelt, sei es in Deponien (die aber nicht dauerhaft gesichert und stabil sind), irgendwo verstreut auf dem Festland und im Süßwasser oder eben in den Meeren. Nach manchen Hochrechnungen bestehen 80% des Meeresmülls aus Plastikmüll

    Es gibt keinesfalls einen großen Knopf, auf den man nur drucken müsste und alles wird gut. Dazu ist die Problematik zu komplex. Sind das Plastik und sonstige Schadstoffe erst einmal im Meer, gibt es kaum eine Chance, dies wieder herauszubekommen, trotz mancher interessanter Projektideen dazu.
    Insgesamt denke ich gerne in verschiedenen Zukunftsszenarien, die (außer bei Business as usual) alle diskutiert werden sollten. Lösungsportfolios können dann aus Mischungen bestehen:

    1) Business as usual: keine Option

    2) Reaktiv: Plastik nach der Entstehung herausfiltern, möglichst weit upstream, zumindest in den Kläranlagen (dann aber den Klärschlamm verbrennen oder zumindest nicht mitsamt des Plastiks wieder auf die Felder schütten), besser wären noch Filtermöglichkeiten in den Häusern/Wohnungen/direkt an der Waschmaschine, etc.. Filtern ggf. auch an Staustufen oder am Unterlauf der Flüsse direkt an der Mündung (hier gibt es einige interessante Projekte). Auch Mülltrennung und Recycling gehören dazu, siehe aber dazu weiter unten. Auch das Verfrachten von Rohplastik über die Meere muss sicherer werden. Viele Primärplastikpellets gehen beim Auswaschen von Containern oder durch Verlust ganzer Container direkt ins Meer (bekannt wird aber nur, wenn Plastikentchen über Bord gehen). Zu den reaktiven Optionen gehört natürlich auch eine Verschärfung der Gesetzgebung, ggf. auch der Sanktionen (z.B. Verbot von Microbeads, Strafen bei Biotonnenverschmutzung durch Plastik uvm).

    3) Suffizient, weniger ist mehr: absolutes Muss. Plastik ist ein hervorragendes Material, aber es wird für zuviel benutzt, insbesondere viel zuviel für Verpackungen. Wir produzieren derzeit jährlich fast soviel Plastik, wie es dem Gewicht aller heute lebenden Menschen entspricht. Also, keine Tüten, aber auch kein Einschweißen (leider besonders extrem auch bei Bio-Lebensmitteln). Leitungswasser trinken statt Wasser in Plastikflaschen kaufen, Aktiv auch mehr unverpackt auf Märkten kaufen etc, Seifen statt Duschgels, Flaschen etc., keine Mikrofaserkleidung, keine Einwegbecher usw usw.

    4) bioadaptiv, z.B. Kreislaufwirtschaft: nur sehr wenig Plastik wird tatsächlich recycled (siehe Arbeit von Geyer et al) und dabei leider auch nur in aller Regel einmal. Auch werden daraus Produkte erstellt, die wiederum nur eine sehr kurze Lebensdauer haben. Vereinfacht: eine weitere Plastiktüte aus recycelten Plastiktüten zu machen, ist keine Option. Sinnvoll sind z.B. Bau-Dämmstoffe, Möbel etc., bei denen das recycelte Plastik zumindest über Jahrzehnte eine Funktion erfüllt. Die Entwicklung alternativer Ersatzstoffe, die kompostiert, verfüttert oder selbst aufgegessen werden können, gehört auch in diese Kategorie. Export von Müll zur Externalisierung von Plastik ist abzulehnen (der entsprechende Rückzug von China aus diesem Geschäft ist zu begrüßen).

    5) Hightech: hierzu gehört u.a. die Produktion von plastikähnlichen Materialen aus CO2 (ggf. Carbon Capture and Usage), am besten wieder selbstzerfallend ohne Schadstoffe (benign design, etc.), aber auch andere intelligente Systeme (etwa zu Auslieferung und Transport unverpackter Materialien)
    (zu meinem Szenarienfünfeck siehe ggf. auch hier: https://scilogs.spektrum.de/der-anthropozaeniker/haus-zukunft-berlin/ (insb. Abb. 13 ff).

    Frage: Ist es Ihrer Einschätzung nach ausreichend das Plastik oberflächlich aus dem Meer zu filtrieren – so, wie es von vielen Organisationen gehandhabt wird?

    Siehe oben, nein. Zum einen ist es viel zu viel, was da rumschwimmt, zum zweiten schwimmt nicht jedes Plastik, zum dritten kann auch schwimmendes Plastik von Organismen bewachsen werden, es sinkt dann ab. Oft wird das aufgewachsene wieder abgeweidet, dann kommt der Plastikpartikel wieder hoch und das Spiel kann mehrfach von neuem beginnen, bevor der Partikel einsedimentiert wird. Bei Mikroplastik (sowohl primäres als auch sekundäres) hat man überhaupt keine Chance der nachträglichen Entfernung aus den Meeren. Projekte wie Ocean Cleanup, One Earth one Ocean etc. sehe ich folgendermaßen: es besteht keine Chance, das im Ozean vorhandene Plastik wieder komplett rauszubekommen, siehe oben, sowie Jambeck et al. 2015.: pro Minute landet das Äquivalent etwa einer Lastwagenfüllung Plastik in den Meeren (könnte in absehbarer Zeit auf vier Lastwagenladungen pro Minute steigen), man müsste also jede Minute mehr als einen Lastwagen Plastikmüll (zzgl. dessen was jetzt schon drin ist) rausnehmen, keine Chance. Dennoch haben diese Projekte ihre Berechtigung, allerdings nur, wenn sie nicht die Vorstellung schüren (- oder sich von anderen für diese Ausredevorstellung missbrauchen lassen – ), dass damit alles im Griff sei und man Business as Usual weitermüllen könne. Unter dieser Voraussetzung könnte dort, wo lokal besonders viel Plastikmüll schwimmt/eingetragen wird, zumindest reduziert werden (wobei ich technische Probleme bei Slats Ocean Cleanup Technologie sehe, wenn Seegang herrscht, außerdem ist immer noch unklar, wie nicht auch anderes (Fische, Quallen, Plankton etc.) unerwünschterweise mit eingesammelt wird („Beifang“). Der Portfoliosatz von One Earth One Ocean erscheint mir da besser geeignet, auch flexibler einsetzbar. Die „Seekuh“ kann wirklich in Flussmündungen und ggf. Ästuaren aktiv werden, auch die sonstigen Technologien klingen gf. interessant, müssen aber noch weiter getestet werden. Der zweite Aspekt dieser Projekte ist natürlich die Bewusstseinsgenerierung für die Plastik-Problematik. Aber wie gesagt, die Gefahr ist gegeben, dass diese Aktivitäten auch von der Politik oder der Wirtschaft als insgesamt das Problem lösend dargestellt werden. (wir erleben vergleichbares derzeit z.B. beim Großen Barriereriff, dort wurden gerade 10 Millionen Dollar zum Einsammeln des Dornenkronenseesterns, der Korallen frisst, zur Verfügung gestellt und wohl etliche weitere Millionen für Projekte, die z.B. mit Ventilatoren die Meere kühlen sollen, alles offensichtlich nur, um an das besonders notwendige, die Verringerung und Vermeidung weiteren anthropogenen CO2-Ausstoßes nicht ranzugehen.)

    Frage: Kann eine einzelne Person etwas tun, oder erfordert es Ihrer Meinung nach ein Umdenken bei den asiatischen Ländern, die die Rangliste der Umweltverschmutzer anführen. Und wie könnte man dies erreichen?

    Jeder kann natürlich etliches tun und sollte dies auch tun (siehe z.B. auch die Punkte suffizient und reaktiv oben). Es ist natürlich nicht hinreichend, selbst etwas zu tun, aber es ist notwendig. Wichtig dabei ist auch ein Reflektieren dessen, was man tut. Sicherlich auch eine wichtige Bildungsaufgabe.

    Wir tun uns immer leicht, Ausreden zu finden und die Schuldigen anderswo zu sehen. Immer wieder hört man, es seien doch v.a. die asiatischen Länder, die den meisten Plastikmüll in den Meeren generieren. Das sind sie u.a. aber auch deshalb, weil

    a) unser westlicher Lebensstil als Vorbild dient, die Infrastrukturen dabei aber nicht mithalten;
    b) die westliche Industrie auch gerne mal die Produktion dorthin auslagert, wo entsprechende Umweltstandards noch nicht entwickelt sind oder zumindest nicht eingehalten werden;
    c) auch deutsche und andere westliche Firmen in Asien produzieren lassen.

    Das Plastikproblem benötigt also, wie auch viele andere Transformationsthemen eine gemeinsame Anstrengung von lokaler, nationaler (auch in asiatischen Staaten) und internationaler Politik (Top Down), aber auch von bottom up (NGOs, Proteste, Unverpackt und Lokal-lebensweise etc.), um insgesamt das besonders Nötige, eine mittlere Ebene des Miteinanders von Behörden, Wissenschaften, Bildung, dezidierten innovativen Firmen, zivilgesellschaftlichen Engagement zu kreieren (siehe dazu auch hier den oben verlinkten Scilogs-Artikel, insb. Abb. 4)

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