Kann das Anthropozän gegen Populismus und Fake News helfen?

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Der Anlass für diesen Post
Dem Anthropozäniker hat, wie sicherlich vielen anderen auch, die gestrige Rede (v. 14.2.2025) des neuen US-Vizepräsidenten auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine schlaflose Nacht bereitet. Vance warf uns doch tatsächlich vor, die Redefreiheit einzuschränken und damit die “Annullierung der Demokratie” zu betreiben. Gut, dass es in den USA so ganz anders zugeht, da räumt der neue Sherrif mit seinem Disruptor-in-Chief, so richtig auf. Die Wissenschaften dürfen dort sagen, was sie wollen, sie werden gut gefördert, so dass keine Fake-Wissenschaften entstehen, dafür sorgen jetzt so viele, allen voran der neue Gesundheitsminister, aber auch viele weitere! Profitmaximierung (für wenige) ist der Schlüssel zur Demokratie. Oh halt, träume ich vielleicht immer noch???
Also lieber hellwach weiter. Der Anthropozäniker nimmt das mal zum Anlass, das Anthropozän auch hier aus der Tasche zu ziehen. Kann das Anthropozän vielleicht sogar gegen Populismus und Fake News helfen? Bisschen viel verlangt, oder? Aber mal der Reihe nach.
Gesellschaftliche Herausfordungen – eine viel zu kurze Kurzübersicht
Ich denke, alle Leser*innen der Scilogs (und hoffentlich auch möglichst viele andere) werden mir zustimmen, wenn ich feststelle, dass die heutige Welt zunehmend und stark beschleunigt von gesellschaftlichen Herausforderungen betroffen ist. Das Fake News-/Antiwissenschaften-Thema gibt es schon natürlich sehr lange. Ja bereits seit Beginn des Jahrtausends bin ich mit einem Kreationsmusblog gegen fundamentalistisch basierte Fakenews angetreten. Stefan Rahmstorf ist mit seiner KlimaLounge auch schon sehr lange hier, und viele andere Kolleg*innen positionieren sich erfreulicherweise ebenfalls, sei es hier auf den Scilogs, andernorts, bei den Scientists for Future, in Interviews, oder wo auch immer. Blogs wie dieser hier, bei dem Wissenschaftler*innen auch das aus der Forschung gewonnene Wissen als ethische Verantwortung ansehen, um sich ggf. gesellschaftlich einzumischen, werden wohl immer wichtiger. Gut, dass wir hier und andernorts tatsächlich frei reden dürfen, Herr Vance!
Welche Problematiken den Lösungen unserer gesellschaftlichen Herausfordungen entgegenstehen, darunter speziell auch denen, die sich aus der enormen Übernutzung unseres Erdsystems sowie (damit verbunden) aus der Unkenntnis darüber, wie stark wir ins Erdsystem eingebunden sind, ergeben, wurde auf diesem Blog schon häufiger diskutiert. Dazu gehört auch unser “distanzierter” Umgang mit diesen Problemen, sie befinden sich ja eigentlich(?) nicht in unserer Welt, also der ökonomisch-sozialen Welt, sondern in dieser anderen Welt da draußen, dieser uns in Distanz umgebenden sogenannten Umwelt (Abb. 1; siehe auch das Motto dieses Blogs). Außerdem sind wir alle hervorragend im aktiven (Er-)Finden von Selbstentschuldigungen, etwa warum wir selbst ja eigentlich nix tun können bzw. dass unser Anteil das Problem ja nicht lösen kann, also vielmehr andere zuständig sind (DIE, DIE, oder auch DIE!) (Abb. 2). Außerdem ist doch gut, dass wir sehr gerne die Größe von Problemen nach ihrer Wichtigkeit “ranken”. Das ist sehr förderlich, um vieles nicht in der notwendigen Weise anzupacken, zuvor ist doch anderes viel wichtiger, oder?

Bunt ist bäh, Schwarz-Weiß ist prima!
Nein, ich gehe jetzt hier nicht auf das Transgender-Thema ein, so wichtig dies auch ist. Aber auch daher wissen wir: es gibt doch nur Mann ODER Frau (auch wenn dies erfreulicherweise sogar Roland Kaiser anders sieht)! So werden in allen auch möglichen Problembereichen unsere Lösungsmöglichkeiten oft in einer dualistischen Schwarz-ODER-Weiß-Darstellung gesehen, was nicht nur gemeinsame Anstrengungen behindert, sondern zunehmend zu Populismus als „Pseudorezept“ für Problemlösungen führt. Hier spielt auch das mangelnde Wissen zu zeitbezogenen Herausforderungen, insbesondere deren zeitlichen Dynamiken eine bedeutende Rolle. Das Modewort „Technologieoffenheit“ bedeutet leider kaum mehr, hier zukunftsorientiert für noch zu entwickelnde neue Lösungen offen zu sein bzw. vielleicht auch, sofern machbar, von anderen zu lernen, etwa im Sinne von ‘Leapfrogging’ (z.B. dem Überspringen der Erstellung von Festnetzen für Telefonie in afrikanischen Ländern, statt dessen gleich der Sprung zu satellitengestützten Mobilfunknetzwerken). „Technologieoffenheit“ soll nun offensichtlich bei vielen in der aktuellen Politik bedeuten, dass wir doch daran arbeiten müssen, wieder in die „gute alte Zeit“, wo angeblich alles soo viel besser war, zurückzukommen, etwa mit so “tollen” Technologien, wie der Umwandlung von Strom aus Energien in Flüssigkraftstoffe für alles und jedes. (Warum fallen wir da so ein paar Möchtegern-zukünftige Bundeskanzler*innen bei uns ein, ach so, war ja auch nur der Traum. Sarkasmus off.)

Ja, ich denke, dass das Konzept des Anthropozäns das Potenzial hat, ein Augenöffner für komplexe Zusammenhänge und damit insbesondere auch für unse Eingebundenheit in das Erdsystem zu sein, darunter auch für die Bedeutung zeitlicher Entwicklungen und deren Beschleunigung, daher schreibe ich diese Gedanken hier auf. Gleich vorab gesagt, der Anthropozän-Gedanke allein wird die Welt nicht retten, kann aber zum Einübung des dafür notwendigen Denkens, also hoffentlich auch für ein Umdenken in etlichen Bereichen, sehr hilfreich sein. Fassen wir aber zuvor nochmals die ganz große Herausforderung zusammen. Diese mag so in einer Zusammenfassung so lauten: In unserer (westlichen) Welt sind wir darauf ausgerichtet, Neues, bis dato Unbekanntes, generell in „richtig“ ODER „falsch“ einzuordnen (Abb. 2). Dazu dienen dann als Zugang bzw. Selbstverstärker auch die Stimmen anderer, welche dies bereits vor einem getan haben – also ein weiterer Dualismus von „gefällt mir“ ODER „gefällt mir nicht“, der schnell auch dem Populismus die Türen öffnen kann. Aber auch ohne populistische Anwandlungen können derartige Vereinfachungen neuen Ansätzen im Weg stehen. Schon seit 2015 und zuvor habe ich hier im Blog versucht, meine eigenen Erfahrungen zu solchen Pauschalkritiken zusammenzutragen, das sind oft ebenfalls dualistische Bewertungen, etwa das Anthropozän sei „unethisch“ ODER „ethisch“ (ersteres sei etwa „westlich“, „genderunkonform“, „technologiegläubig“, „größenwahnsinnig“, „undemokratisch“, „anthropozentrisch“; letzteres etwa: „verantwortungsbewusst“, „gerecht“, „wissensbasiert“, „zukunftsfähig“, „nachhaltig integrierend“, „weder anthropozentrisch noch bio-/physiozentrisch, sondern anthropozänisch“). Solche Stimmen mit Pro- sowie mit Kontraargumenten zum Anthropozän-Konzept kamen aus allen Fachrichtungen. Meine hier im Blog veröffentliche Zusammenstellung derartiger Pro- und Kontrameinungen wurde sogar in einen geographischen Fachartikel (ohne exakte Quellenherkunft, nur Bildlink) verwendet, um daraus – sinngemäß ausgedrückt – abzuleiten, dass es bei soviel Negativstimmen doch offensichtlich sei, dass das Anthropozän-Konzept unbrauchbar wäre (die Pro-Stimmen waren allerdings genauso häufig, aber das wurde ignoriert). Von einem anderen Geographen stammte die Aussage „Das Anthropozän muss wissenschaftlich bleiben“. Dies sollte wohl heißen, Wissenschaftler*innen sollen schon antworten, wenn sie, etwa von Journalist*innen, gefragt werden, dann aber bitte wieder Klappe zu und weiterforschen. Politik ist doch nicht die Aufgabe der Wissenschaften! Oder? Durch unaufgeregte Diskussionen hat sich gerade letzteres erfreulicherweise sehr schnell geklärt (wir schätzen uns gegenseitig). Inzwischen ist das Anthropozän sogar bereits Thema in manchem Schulunterricht (z.B. hier und hier) und startete in Österreich z.T. sogar schon in der Primarstufe durch, siehe z.B. -> hier, die Akzeptanz ist also deutlich gewachsen.
Disruption als Lösung???
Ich denke, es sollte zwischenzeitlich (nicht nur, aber gerade auch wegen der aktuellen Entwicklungen in den USA) überwiegend akzeptiert sein, dass Forscher*innen als Mitglieder der Zivilgesellschaft ein soziales Bewusstsein haben, ja auch haben müssen, also auch „Gewissenschaftler“ (sensu H.J. Schellnhuber) sind. Dennoch steckt uns dieses Schwarz-Weiß-Denken (etwa aufgrund der Hegel’schen Dialektik) tief in den westlichen Knochen. Auf einer Soziologie-Tagung wurde mir nach meinem Plädoyer zum teilweisen Überdenken auch des in den Wissenschaften gebräuchlichen dualistischen Ansatzes „These – Antithese“ (- oft verbunden mit einer „Synthese“, die gerne auch öfters als „fauler Kompromiss“ aufgefasst wird -) von einem Teilnehmer vorgeworfen, dass ich ihn wohl der Grundlagen seiner Wissenschaften berauben möchte. (Auch hier hat uns die Diskussion dann wieder zusammengeführt). Aber wenn nun der ebenfalls aus den Gesellschaftswissenschaften (speziell Wirtschaftswissenschaften) stammende Begriff „Profitmaximierung“ (synonym mit Gewinnmaximierung; deren “dualistischer” Gegensatz wäre die „verhaltenswissenschaftliche Betriebswirtschaftslehre“) vom bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultur mit dazu verwendet wird, um eine gesellschaftlich aktive Studentin nicht als Schulreferendarin zuzulassen (weil der Begriff ja kommunistisch und damit antidemokratisch sei), frage ich mich, warum gerade die Gewinnmaximierung (aka, weniger Gesetze, Vorgaben etc. mit der Ausrede, dann mehr Steuereinnahmen zu haben) im Sinne einer „Disruption“ auch im derzeitigen Bundestagswahlkampf so wichtig ist. Der Missbrauch des Disruptionsbegriffs als neues Buzzword ist zwischenzeitlich weit verbreitet. (siehe z.B. DLF: „Die Sehnsucht nach dem großen Bruch“). Tatsächlich wurde der Begriff bislang gerne z.B. von Startups verwendet, allerdings in der Bedeutung, dass etablierte Produkte, Dienstleistungen, Geschäftsmodelle etc. durch Innovationen abgelöst werden und sich nach einiger Zeit beschleunigt durchsetzen. (Insbesondere sind auch Zukunftstechnologien damit gemeint.) Was neuerdings nicht nur US-amerikanische Politiker *innen und Unternehmer(*innen?), sondern auch zu viele deutsche Politiker*innen damit meinen, ist allerdings etwas vollkommen anderes. Der Anthropozäniker, der unter anderem auch an pädagogischen Publikationen mitarbeitet (kleine Auswahl dazu siehe Literaturverzeichnis am Ende dieses Beitrags) hat in seiner Gruppe intern dringend davor gewarnt, diesen inzwischen so umgedeuteten Begriff (der wohl Potential für das neue Unwort des Jahres hat), derzeit in wissenschaftlichen Publikationen zu verwenden – Missverständnisse wären vorprogrammiert.
Anthropozän als Anmaßung? Ist es nicht nur ein ‘Event’chen?
Zurück zum Anthropozän, und weiteren eigenen Erfahrungen innerhalb der Geowissenschaften: das häufige „Auftreten“ des Anthropozäns in den Medien sowie das Interesse vieler Studierenden an Anthropozän-Kursen wurde von etlichen Kollegen skeptisch, um nicht zu sagen mit Neid, gesehen. Außerdem wäre das Anthropozän ja nur ein Zwinkern innerhalb der Erdgeschichte, also viel zu kurz, um daraus eine erdgeschichtliche Einheit zu definieren. (Tatsächlich werden aber nicht nur die sedimentären, sondern auch die erdsystemaren Charakteristika des Anthropozäns sehr viel länger, wohl 10.000e von Jahren andauern, also viel länger als jede der Stufen, die das Holozän untergliedern.) So werden selbst bei einem theoretisch schon morgen erfolgenden Stopp (haha!!) des Aussstoßes von anthropogenem CO2 die anthropogen erhöhten atmosphärischen CO2-Werte wohl über 50.000 Jahre, vermutlich deutlich länger anhalten (z.B. Ganopolski et al. 2016).
Immer wieder hörte der Anthropozäniker – meist nur über Umwege – auch den Vorwurf, die Geologie wolle den anderen Fächern etwas wegnehmen, sie mache nun also auch Geographie, Klimatologie, Humangeschichte, Politikwissenschaften, Soziologie etc. etc. Konkurrenz. Dazu kommt oft sogar das auch mir von Klimaforschern (wieder keine *innen) schon persönlich entgegengebrachte Argument, die Geologenschaft könne halt nur in großen Zeiträumen denken (siehe auch oben) und bediene damit leider oft auch eines der bekanntesten Klimawandelleugner-Argumente, nämlich “das Klima habe sich doch schon immer geändert, das sei doch normal”. Die Geologie disqualifiziere sich damit selbst (auch hier hat die spätere intensive Zusammenarbeit erreicht, dass dieser Vorwurf zumindest nicht so pauschal stehen blieb, dennoch gilt dies leider tatsächlich weiterhin für immer noch zu viele Geolog*innen, und zwar nicht nur in der Forschung tätigen, sondern auch für manche entsprechend ausgebildete Journalisten (*innen kenne ich hier wiederum nicht, aber das wäre ein anderes Thema).
Und in den Wissenschaften sind auch heute noch viele Wissenschaftler*innen aus Geologie und Geographie, z.T. auch Archäologie und Paläoanthropologie zwar mit dem Begriff des Anthropozäns, aber nicht mit dessen Definition als formale chronostratigraphische erdgeschichtliche Epoche einverstanden. Statt dessen wird eine informelle Einheit vorgeschlagen, ein sogenannter Anthropozän-Event, der die gesamte Kulturgeschichte der Menschheit mit ihren Hinterlassungen umfassen solle. An Argumenten hört man u.a. auch, dass die Definition einer in die Zukunft andauernden formalen Epoche in der Erdgeschichte nichts verloren hätte. Tatsächlich wird der Begriff “Event” (Ereignis) in der erdgeschichtlichen Forschung häufig verwendet, früher in der Regel sehr unscharf, also auch für teilweise sehr lange Zeitspannen, wie etwa die über 400 Millionen Jahre andauernde Entwicklung einer frühen Sauerstoffatmosphäre (GOE: Great Oxigenation „Event“). In der modernen Geologie hat der Begriff „event“ jedoch eine völlig andere Bedeutung erhalten. Nur sehr kurzfristige Ereignisse, wie etwa einzelne regionale Sturmereignisse, die Sturmablagerungen verursachen, oder Vulkanausbrüche, die weitverbreitet Aschelagen hinterließen, welche auch gut mit absoluter Altersbestimmung (mittels radioaktiver Isotopen) datierbar sind, werden als Eventlagen gesehen und helfen so der stratigraphischen Einordnung von schwer datierbaren Sedimentpaketen, was als Event-Stratigraphie (oder Ereignisstratigraphie) bezeichnet wird. Insbesondere werden Events auch bei der modellhaften Chronostratigraphie sedimentärer Veränderungen durch Meeresspiegelschwankungen (der Sequenzstratigraphie) als bestmögliche chronostratigraphische Zeitlinien verwendet. Dazu zählen etwa maximal kondensierte Sedimentlagen (sowie deren landwärtigen Substituten, etwa Ästuarsedimenten) als Kriterium für den Zeitpunkt maximaler Meeresausbreitung oder umgekehrt terrestrische Erosionsreliefs (sowie mit ihrem meerwärtigen Substituten, etwa Sedimentfächern in der Tiefsee) als Umschlagspunkt für minimale Meeresausbreitung. Der oben erwähnte Great Oxigenation Event ist also keinesfalls ein Event, sondern eine Episode (wobei die Abkürzung bestehen bliebe: GOE).

Sehr viele wissenschaftliche Arbeiten und Replies wurden dazu von beiden Seiten geschrieben (u.a. Gibbard et al. 2022, Entgegnungen z.B. Head et al. 2021, Zalasiewicz et al. 2021, 2024, siehe auch die Anthropozäniker-Postings von 2024 auf diesem Blog). Die Anthropocene Working Group (zu der der Anthropozäniker ja auch gehört) stimmt durchaus zu, dass der Prozess der Entwicklung und Zunahme menschlicher Tätigkeiten zum Verständnis der Humangeschichte, aber auch des Anthropozäns enorm wichtig ist, auch um die heutige Situation besser einordnen zu können. Dies steht aber einer stratigraphischen Definition des Anthropozän im chronostratigraphischen Sinne keineswegs im Wege, im Gegenteil (s.u.). Die AWG schlug vor, statt eines informellen, früh beginnenden chronostratigraphischen Anthropozän-„Events“ von der „anthrogenen Modifikationsepisode“ (AME) zu sprechen, zu der am Top dann auch die geologisch-stratigraphische Epoche des Anthropozäns gehört (Abb. 3; siehe auch Waters et al. 2022). Auch eine informelle Bezeichnung als präanthropozäne Episode (die dann von der Anthropozän Epoche überlagert wird) wäre möglich. Der Wunsch nach diachronen Sichtweisen stammt sicherlich auch daher, dass kulturhistorische Episoden, wie das Neolithikum, die Bronzezeit, aber auch die Renaissance oder die Industrialisierung regional “dispers” einsetzen und stark diachron verliefen. Umso wichtiger sind damit aber auch exakte Altersangaben, sofern möglich auch kalendarischer Art, um nicht Unpassendes, insbesondere also unterschiedlich Altes miteinander zu vergleichen, sondern die Heterogenität und Diachronie solcher Entwicklungen besser zu verstehen..
Und dazu nochmals zurück zur für viele so klar definierten erdgeschichtlichen Forschung, zu der ein Anthropozän-Epoche nicht passe. Ein klassisches Bonmot, gerade auch in geologischen Zirkeln ist die Aussage „aus der Vergangenheit für die Gegenwart und auch für die Zukunft lernen“. Dies gilt bei richtigem Vorgehen sicherlich in vielen Fällen – viel zu lange etwa wurden in der Geologie und Geobiologie rezente Korallenriffe als Modell auch für frühere Korallenriffe genommen, eine Annahme, die zu großen Teilen falsch war – so waren frühere Korallenriffe, etwa in der Jurazeit, durchaus auch an terrigenen Eintrag und damit erhöhte Nährstoffraten angepasst (z.B. Leinfelder 2019). Außerdem gilt es insbesondere, die Zeitdynamiken zu unterscheiden. Auch die Aussage „Korallenriffe sind in der Erdgeschichte immer wieder ausgestorben und kamen wieder zurück“ darf nicht pauschal ins Heute übersetzt werden, denn nach fossilen Riff-Aussterbeereignissen dauerte es viele Millionen Jahre, in einem Fall sogar 140 Millionen Jahre (von Ende Devon bis Obere Trias), bis Korallenflachwasserriffe wieder erblühten (op.cit., siehe ggf. auch diesen Anthropozäniker-Beitrag von 2018, Folie 78). Tatsächlich gab auch immer wieder Zeiten in der Erdgeschichte, in denen Organismen die Erde ebenfalls komplett umgestaltet haben, dies war sogar zu unserem späteren Nutzen, erstreckte sich aber im Unterschied zu den heutigen anthropogenen Veränderungen ebenfalls über extrem lange geologische Zeiträume (siehe dazu Abb. 6 in diesem Anthropozäniker-Beitrag von 2016.). Derartige globale biogene Umgestaltungen und darauffolgende Neuanpasungen sind daher daher absolut nicht mit der heutigen Umweltkrise vergleichbar.

Hier hat die Definition des Anthropozäns als global und synchron beginnende erdgeschichtliche Epoche, die auch auf der Analyse des gesamten Erdsystems basiert (- woraus eben auch eine konsequentiale Metaebende resultiert: Abb. 4 – ), einen weiteren wichtigen Mehrwert sowohl für die Geologie als auch für sehr viele andere Wissenschaften, und darüber hinaus auch für die gesamte Gesellschaft. Das Anthropozän, mit seiner durch die Große Beschleunigung verursachten, global quasi zeitgleich einsetzenden Entwicklung, zeigt auf, dass die enorme Geschwindigkeit dieser erdsystemaren Veränderung eben überhaupt nichts mit dem Rest der Erdgeschichte zu tun hat. (Wir vergleichen ja auch nicht den Zeitbedarf für den Jakobsweg, etwa ab Deutschland, mit einem 100-Meter Spurt.) Auch durch diese hervorragende Datierbarkeit und Zeitauflösung werden die Sedimente des Anthropozäns damit zu einem gut zeitlich bestimmbaren, klar definierten geologischen Archiv menschlicher Tätigkeiten, wobei die Zeit sowohl sedimentär, d.h. chronostratigraphisch, als auch kalendarisch gefasst werden kann. Alle anderen Archive unseres Tuns, von Aufschrieben zu Fischanlandungen in einzelnen Häfen, über Wetter- und Klimamessungen, bis hin zu Daten aus Luftbildmonitoring und Satellitenflügen sind von Menschen eingerichtet, die auch den Beginn, den Typ, die Erfassungsart und die Häufigkeit der Erfassung bestimmen. Das geologische Anthropozän-Archiv ist davon nicht „ge-biased“ und zeichnet alle überlieferungsfähigen Daten an allen durch die Geologie möglichen Orten, etwa zu Plastikpartikeln von tiefsten Meeresarealen, bis hin zu kleinen Hochgebirgsseen auf. Dies, zusammen mit den vielen weiteren Kurzfrist-Event-Unterteilungsmöglichkeiten unterhalb an sowie oberhalb der basalen Grenze des Anthropozäns (siehe Abb. 2) erschließt nicht nur für die Paläoanthropologie und Archäologie, sondern auch für die Geoökologie, Kultur-, Technik- und Geschichtswissenschaften ein neues Archiv, welches mit den vorhandenen, von Menschen eingerichteten Archiven gemeinsam und multi-/interdisziplinär auch von Historischen Wissenschaften, Soziologie, Geoökologie, Technikwissenschaften, Archäologie, Anthropologie, bis hin zu weiteren, darunter auch den Zukunftswissenschaften ausgewertet werden kann. Was für ein Mehrwert! Gerade in Zeiten des Populismus ist dies nur ein Beispiel für die Notwendigkeit der Kooperation aller Wissenschaften auch untereinander (siehe hierzu bereits Schwägerl 2017), (siehe auch Abb. 4).
Versuch eines Fazits
Eine offenere, “ganzheitliche” Sichtweise ist nicht nur für die Analyse vieler unserer gesellschaftlichen Problemkreise, sondern auch für das Erarbeiten entsprechender Lösungsansätze wichtig. Dem stehen allerdings insbesondere auch folgende Herausforderungen entgegen:
- unsere dualistischen Denk- und Lösungsansätze, die leider zunehmend auch in populistische Denkweisen führen;
- die hier im Blog vielfach erwähnte Sektoralisierung von Forschung, Bildung, Journalismus, Behörden etc..
- das mangelhafte gesamtgesellschaftliche Wissen über die Relevanz zeitlicher Dynamiken (fehlende Zeitbewusstheit bzw. timefulness sensu Björnerud 2018, siehe auch Anthropozäniker-Post vom 23.10.2023)
Das Konzept des Anthropozäns (Abb. 4) hat als weiteren Mehrwert auch das Potenzial, ein solcher Augenöffner für bessere Imagination von Unbekanntem, zudem vielleicht auch eine “Spielwiese” für kreatives Ausprobieren, sowie insbesondere ein ethischer Appell zum Angehen von Problemlösungen zu sein. Dies fördert zum einen die Öffnung hin zu systemischem Denken (was Sektoralisierung nicht aufheben, sondern ergänzen soll, indem es die Sektoren und ihre Wechselwirkungen übergreifend verbindet). Dies ist auch maßgeblich für das bessere Erkennen unserer Einbindung ins, unserer Abhängigkeit vom, und unserer Verantwortung für das Erdsystem (konsequentielle Metaebene des Anthropozän-Konzepts, siehe Abb. 4). Zum anderen kann diese Öffnung auch eine bessere Wahrnehmung und Fähigkeit zur Differenzierung zeitlicher Entwicklungen fördern. Damit unterstreicht das Anthropozän-Konzept gerade auch die enorme Bedeutung zeitlicher Beschleunigungen, welche Wechselwirkungen verändern und zu bedrohlichen Kipppunkten führen können.
Als Schlussabsatz also hier noch ein Gedanke, der im Blog schon häufiger in ähnlicher Weise ausgeführt wurde, aber nun immer noch wichtiger wird: Auf der Grundlage wissenschaftlicher Analysen konzentriert sich das Anthropozän-Konzept auf den menschlichen Einfluss auf das gegenwärtige Erdsystem, der sich auch in der unterschiedlichen Zusammensetzung moderner Sedimente niederschlägt (erdsystemare Ebene und geologisch/stratigraphische Ebene des Anthropozän-Konzeptes, s. Abb. 4). Auch um dieses geologische Archiv der menschlichen Tätigkeiten auswerten und bewerten zu können (was damit übrigens auch viel mehr Verantwortungsbewusstsein für die geologische Community anmahnt, Stichworte z.B. die gigantische Masse der Technosphäre, also ungezügelte Ressourcennutzung bis hin zu Kriegen um diese), sollte tatsächlich eine neue formale erdgeschichtliche Epoche eingeführt werden. Ein weiterer damit verbundener Mehrwert ist auch die Einmaligkeit des Anthropozäns im Vergleich zu anderen erdgeschichtlichen Abschnitten, was verhindern kann, falschen Pseudoberuhigungen zu verfallen (wie „Klima und Umwelt haben sich immer schon geändert, Organismen haben das Erdsystem immer wieder umgestaltet. Ja, aber…!!!!, siehe oben). Die konsequente Metaebene des Anthropozäns, also die Schlussfolgerungen aus dessen Analyse, sollte uns auch insgesamt zu einem anderen, verantwortungsvollen Handeln auffordern. Aufgrund seiner räumlichen und zeitlichen Komplexität ist das Anthropozän zwar einerseits eine große Herausforderung für eine notwendige, hochgradig interagierende, integrierte Sichtweise der Dinge und Vorgänge (cf. Leinfelder et al. 2024). Lösungen für unsere Umweltproblematiken (sowie daraus resultierender weiteren Problematiken) sind allerdings leichter möglich, wenn wir unsere Vorstellungskraft auch anhand des Anthropozän-Beispiels besser schulen, damit wir – und damit ist durchaus auch die aktuelle Politik mit gemeint – aufhören, romantisierend rückwärts zudenken oder die Zukunft nur in einem Business-as-usual-Pfad mit sehr geringen Veränderungen davon zu sehen. Statt dessen müssen wir lernen, uns andere, wünschbare Zukünfte vorzustellen und ggf. sogar ausmalen zu können, um gemeinsam mit anderen auch begehbare Wege dorthin zu finden. Dies beginnt bei Bilderbüchern für Kinder (siehe z.B. hier), sowie vielen weiteren Formaten wie Sachcomics, Ausstellungen, Citicen Science-Unsweltmonitoring, Zukunftswerkstätten, anderen partizipativen Projekte und vielem mehr, damit auch Jugendliche und Erwachsene, egal welchen Alters, diese notwendige Vorstellungskraft schulen und so komplexe und zeitbezogene Themen besser verstehen. Damit kann das komplexe Anthropozän nicht nur dazu beitragen, zu einem besseren Verständnis aktueller und künftiger Herausforderungen sowie ihrer Lösungsmöglichkeiten zu führen, sondern auch zu einer genussvollen Beteiligung an der „Mitgestaltung“ solcher wünschenswerter Zukunftspfade anregen und diese fördern (Leinfelder submitted, Leinfelder et al. submitted ).
Version 1a, 15.02.2025 (Vers. 1b: Korrekturen und leichte Überarbeitung v. 18/19.02.2025; Vers.1c weitere stilistische Korrekturen, zwei weitere Links, v. 13.3.2025)
Literaturangaben zum Blogartikel sowie zur weiteren Vertiefung
Björnerud, M. (2018): Timefulness. How Thinking like a Geologist can help save the World, Princeton.
Ganopolski, A., Winkelmann, R. & Schellnhuber, H. (2016): Critical insolation-CO2 relation for diagnosing past and future glacial inception. Nature, 534, S.19–S20, https://doi.org/10.1038/nature18452
Gibbard, P., Walker, M., Bauer, A. et al. (2022). The Anthropocene as an event, not an Epoch.- Journal of Quaternary Science, 37(3), 395–399, https://doi.org/10.1002/jqs.3416
Head, M.J., Steffen, W., Fagerlind, D., Waters, C.N., Poirier, C., Syvitski, J., Zalasiewicz, J.A., Barnosky, A.D., Cearreta, A., Jeandel, C., Leinfelder, R., McNeill, J.R., Rose, N.L., Summerhayes, C., Wagreich M., & Zinke, J. (2021): The Great Acceleration is real and provides a quantitative basis for the proposed Anthropocene Series/Epoch..- Episodes, 18 pp., IUGS, doi.org/10.18814/epiiugs/2021/021031
Leinfelder, R. (2018): Nachhaltigkeitsbildung im Anthropozän – Herausforderungen und Anregungen.In: LernortLabor – Bundesverband der Schülerlabore e.V. (Hrsg.): MINT-Nachhaltigkeitsbildung in Schülerlaboren – Lernen für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesellschaft, Berlin, S. 130-141.
Leinfelder, R. (2019): Using the state of reefs for Anthropocene stratigraphy: An ecostratigraphic approach.- In: Jan Zalasiewicz, Colin Waters, Mark Williams, Colin Summerhayes, (eds), The Anthropocene as a Geological Time Unit. A Guide to the Scientific Evidence and Current Debate, pp. 128-136, Cambridge (Cambridge University Press)
Leinfelder, R. (2020a): Von der Umwelt zur Unswelt – Das Potenzial des Anthropozän-Konzeptes für den Schulunterricht. In: Schörg, Ch. & Sippl, C. (Hrsg.): Die Verführung zur Güte. Beiträge zur Pädagogik im 21. Jahrhundert. Festschrift für Erwin Rauscher, S. 81-97, Innsbruck, Wien (StudienVerlag). (Reihe: Pädagogik für Niederösterreich Band 8). open access für ganzen Band: doi: 10.53349/oa.2022.a2.140
Leinfelder, R. (2020b): Das Anthropozän – mit offenem Blick in die Zukunft der Bildung. In: Sippl, C.Rauscher, E.& Scheuch, M. (Hrsg.): Das Anthropozän lernen und lehren, S. 17-65, Reihe: Pädagogik für Niederösterreich, Band 9, Innsbruck, Wien (StudienVerlag), open access für ganzen Band: doi: 10.53349/oa.2022.a2.130
Leinfelder, R. (subm. ): Potentiale des Anthropozän-Konzeptes. Herausforderungen und Aussichten.- Geographische Rundschau
Leinfelder, R., Thomas, J.A., Vidas, D., Williams, M. & Zalasiewicz, J. (2024): Geoethics and the Anthropocene: Five Perspectives.- In: Silvia Peppoloni & Giuseppe Di Capua (eds): Chap. 6; Geoethics for the Future: Facing Global Challenges, pp 69-83, chap. doi: 10.1016/B978-0-443-15654-0.00005-0 (Elsevier)
Leinfelder, R. et al. (subm.): Imagining the Anthropocene with Images. The Potential of Slow-Media for Co-Designing Futures.- In: Sippl., C., Capatu, I. & Krebs, R.E. (Hrsg.), “Es wird einmal …” Wissen schaffen – Zukünfte erzählen, Pädagogik für Niederösterreich, Bd. 17, Innsbruck, Wien (StudienVerlag).
Schwägerl, Chr. (2017): Humboldt, der Anti-Trump. Die Anthropozän-Idee als Hilfe in hysterischen Zeiten.- Politik & Kultur, 2/17, S. 11, https://www.kulturrat.de/publikationen/zeitung-pk/ausgabe-nr-022017
Waters, C.N., Williams, M., Zalasiewicz, J., Turner, S.D., Barnosky, A.B., Head, M.J., Wing. S.L., Wagreich, M., Steffen, W., Summerhayes, C.P., Cundy, A.B., Zinke, J., Fialkiewicz-Koziel, B., Leinfelder, R., Haff, P.K., McNeill,J.R., Rose, N.L., Hajdas, I., McCarthy, F.M.G., Cearreta, A., Galuszka, A., Syvitski, J., Han, Y., An, Z, Fairchild, I.J., Ivar do Sul J.A.& Jeandel, C. (2022): Epochs, events and episodes: marking the geological impact of humans.- Earth-Science Reviews, Vol. 231, November 2022, , 104171, doi: 10.1016/j.earscirev.2022.104171 (open access).
Zalasiewicz, J., Waters, C.N., Ellis, E.C., Head, M.J., Vidas, D., Steffen, W., Adeney Thomas, J., Horn, E., Summerhayes, C.P., Leinfelder, R., McNeill, J. R., Galuszka, A., Williams, M., Barnosky, A.D., Richter, D. deB., Gibbard, P.L., Syvitski, J., Jeandel, C., Cearreta, A., Cundy, A.B., Fairchild, I.J., Rose, N.L., Ivar do Sul, J.A., Shotyk, W., Turner, S., Wagreich, M., Zinke, J. (2021): The Anthropocene: comparing its meaning in geology (chronostratigraphy) with conceptual approach arising in other disciplines. Earth’s future, EFT2777, doi: 10.1029/2020EF001896 (open access)
Jan Zalasiewicz, Martin J. Head, Colin N. Waters, Simon D. Turner, Peter K. Haff, Colin Summerhayes, Mark Williams, Alejandro Cearreta, Michael Wagreich, Ian Fairchild, Neil Rose, Yoshiki Saito, Reinhold Leinfelder, Barbara Fialkowicz-Koziel, Zhisheng An, Jaia Syvitski, Agnieszka Galuszka, Francine McCarthy, Juliana Ivar do Sul, Anthony Barnosky, Andy Cundy, John R. McNeill & Jens Zinke (2024): The Anthropocene within the Geological Time Scale: a response to fundamental questions.- Episodes, 47 4(1), 65-83, DOI: 10.18814/epiiugs/2023/023025 (open access)
Siehe auch frühere Blogbeiträge, etwa:
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Das Anthropzän als Begriff für eine Epoche des Wandels
Anstatt im Anthropozän einen neuen Zustand zu sehen, nämlich den Zustand der Dominanz des Menschen über das Erdsystem, sollte man angesichts von Klimawandel, Artensterben& Biodiversitötsverlust und „Terraforming“, was ja alles Prozesse und keine Zustände sind, eher von einer langen Phase des Wandels sprechen, eines Wandels, der zu verschiedenen Zukünften führen kann. Mögliche Alternativen sind:
1) eine neue Heisszeit infolge des Klimawandels und damit einhergehend eine Anpassung an veränderte klimatische Verhältnisse (politisch gewollte Migration, Massnahmen gegen Extremwetter, etc.)
2) ein kurzes klimatisches Überschiessen mit späterer Rückkehr zum Holozänklima im Rahmen eines beschleunigten Klimaschutzes mit „Restauration“ eines gemässigteren Klimas durch fortgeschrittene Technologie
3) Deglobalisierung, in der es kaum noch global koordinierte Handlungen gibt und jede Erdregion selber mit den globalen Änderungen klarkommen muss.
Zuerst aber zur Diagnose des Ist-Zustandes in Bezug auf den Klimawandel: Auch 2024 wurden global mehr Treibhausgase emittiert als in jedem Jahr zuvor und gemäss Global Carbon Project gilt:
Dazu kommt noch ein beschleunigter Klimawandel. So wurde im Jahrzehnt 2010 bis 2020 fast doppelt soviel Wärme im Ozean deponiert wie im Jahrzehnt 1990 bis 2000.
Kann das Anthropozän gegen Populismus und Fake News helfen?
Ja, und zwar dann, wenn die Anthropozän-Erzählung stärker beschreibend wird und sie den Wandel vor allem dokumentiert und wenn sie bis zu einem gewissen Grade darauf verzichtet den Imperativ der notwendigen Klimapolitik in den Vordergrund zu stellen. Grund: Die Dokumentation von Zuständen und Wandlungsprozessen ist inhärent unpolitisch, kann aber trotzdem nachdenklich machen.
Gesamtsicht des zu beobachtenden anthropozänischen Wandels: Der Klimawandel schreitet kaum gebremst voran, wobei Europa und die USA ihre Emissionen bereits deutlich reduziert haben, der Rest der Welt aber dementsprechend mehr emittiert. Die industrialisierten Länder haben auch den Naturschutz verstärkt, auf ihrem Gebiet aufgeforstet und sie haben nur noch wenig Bevölkerungswachstum und nur ein schwaches Wirtschaftswachstum. Doch in anderen Erdregionen ist das ganz anders. Diese grossen Unterschiede zusammen mit einer neuen politischen Tendenz, dass der „Stärkere“ bestimmt, was passiert, lassen sogar befürchten, dass im Rahmen einer Deglobalisierung schliesslich jede Erdregion selber mit dem anthropozänischen Wandlungsprozess zurecht kommen muss.
@Hauptartikel
Erst braucht es überhaupt hinreichenden Gemeinsinn. Und der muss sich dann globalisieren. Dann kann das doch noch was werden.
Die Wissenschaft inklusive der Diskussion um das Anthropozän ist sicher die Grundlage, reicht aber alleine so nicht unbedingt aus. Das ist letztlich eine persönliche und psychologische Angelegenheit, ob der Einzelne hier wirklich kooperativ wird, oder einfach weiter nur seine eigenen Interessen verfolgt.
Wenn wir soweit schon mal wären, dann wird es nochmal kompliziert, wenn es darum geht, wie wir denn unser Problem auch konkret lösen können. Je intelligenter und je konsequenter wir hier vorgehen, desto eher beschränken wir die Erdsystemschäden, ohne auf grundlegenden Wohlstand verzichten zu müssen.
Klar dürfte hierbei aber auch sein, dass eine ehrliche Überprüfung des persönlichen Konsums sehr hilfreich sein kann. Das verringert sofort die Emissionen an Treibhausgasen, ermöglicht mehr Ressourcen für einen schnelleren Umstieg auf grüne Technik und es reduziert auch noch die Ausbauziele. Eine erfolgreiche Konsumanpassung wirkt also gleich dreifach.
Nebenbei kann ein einmal entstandenes globales Bewusstsein auch das Miteinander in Frieden weltweit fördern können. Wie auch den Menschen im globalen Süden einen passablen Wohlstand ermöglichen können. Die müssen ja keineswegs unsere Verschwendung nachmachen, und können gleich in einen noch vernünftigen Wohlstand einsteigen. Ohne unsere vermutlich übermäßige Leistungsorientierung nachzumachen.
Ohne dieses Leistungsübermaß hätten wir auch mehr Zeit für uns selbst. Was dann wiederum auch zu einer Besinnung auf die wirklichen Realitäten nochmal beitragen kann.
Aus aktuellem Anlass erlaube ich mir einen Hinweis zu den Kommentaren:
Zu diesem Post sind bereits etliche weitere Kommentare bei mir eingegangen, die ich – so ist dies bei Scilogs ja vorgesehen – alle vor Freigabe noch genauer durchsehen werde. Ich freue mich über alle konstruktiven Beiträge, gerne auch wenn andere, möglichst auch begründete Meinungen oder Einschätzungen dabei sind.
Allerdings sind nun u.a. auch wieder Kommentare eingegangen, die den anthropogenen Klimawandel recht pauschal relativieren bzw. sogar leugnen. Auch gibt es Statements, die überhaupt nichts mit dem Thema zu tun haben bzw. bei denen den Wissenschaften überhaupt abgesprochen wird, etwas zu Problemlösungen beitragen zu können (dann wäre das Bloggen auf Scilogs wohl eher überflüssig).
Ich bitte daher für Folgendes um Verständnis:
Kommentare mit Links, die zu Posts bzw. Seiten von Leugnern des anthropogenen Klimawandels führen, werden hier nicht freigegeben.
Und zur auch in einigen Kommentaren wieder aufgeführten holozänen Temperaturkurve von Daansgard/Schönwiese (basierend auf dem von Dansgaard et al bearbeiteten Bohrkerns von Grönland ) sage ich nur noch folgendes:
Dies ist die Lieblingskurve der Relativierer/-leugner des anthropogenen Klimawandels. Da sie nur auf einem einzigen Bohrkern beruht (damals den ersten weltweit, der hinsichtlich Temperaturverlauf ausgewertet wurde), zeigt sie allerdings auch nur die lokale Variabilität der holozänen Temperaturen in diesem Bereich von Grönland. Der Eisbohrkern wurde 1960-1966 gewonnen (umfasst einen Zeitraum von ca. 100 000 Jahre, aber eben nur bis in die 1960er),´ zeigt also auch keinesfalls den sehr starken aktuellen Anstieg, wurde auch graphisch generalisiert und wird auch vom Autor Herrn Schönwiese, heute nicht als global repräsentativ angesehen.
Hierzu, sowie überhaupt zum Klimawandelleugner-Thema empfehle ich das Studium der Klimalounge, dem Scilog-Blog von Klimaforscher Stefan Rahmstorf. Dort ist wirkich alles gesagt, das muss hier nicht laufend wiederholt werden:
Rund um die Schönwiese-Kurve hier zwei Direkt-Links auf die Klimalounge:
https://scilogs.spektrum.de/klimalounge/herr-hilse-von-der-afd-beantwortet-die-fragen-der-klimalounge/ sowie
https://scilogs.spektrum.de/klimalounge/das-klimaquiz-der-afd-die-aufloesung/ (auch mit eingebettetem Video eines Gesprächs von Harald Lesch mit Stefan Rahmstorf, bzw. direkt zu diesem Video: https://www.youtube.com/watch?v=pxLx_Y6xkPQ )
Ansonsten: Bitte posten Sie ggf. eigenständige, von einem konkreten Anthropozäniker-Beitrag völlig unabhängige Texte doch bitte auf einem eigenen Blog unter Ihrem eigenem Namen, wo auch immer, aber eben nicht in den Kommentaren hier, wenn kein wirklicher Zusammenhang besteht. Danke.
RL
Bißchen chaotischer aber guter Artikel.
“Disruption” ist eine Radikalisierung des “Weiter wie bisher”, vermute daß das sogar ein immer wieder kehrendes Merkmal fundamentaler Krisen ist.
“Untergehende Kulturen neigen dazu, angesichts von Krisen und schwindender Ressourcen, die Rezepte zu verschärfen mit denen sie bisher erfolgreich waren”.
(Hinweis von Harald Welzer in “Zeitenende “).
Anthropozän kann helfen, einfach wenn dahinter gute Arbeit der Wissenschaft steht, nach der es in diesem Punkt auch aussieht, bei allen zitierten Schwierigkeiten.
Dennoch braucht es auch die politische Seite auf die die Wissenschaft direkt nur teilweisen Einfluß hat und da stimme ich zu, die Schwarz-Weiß-Denke ist ein wesentlicher Teil des Problems, von allen Seiten.
Auch die Ökobewegung zeigt deutliche Züge einer gewissen Bräsigkeit und von Tendenzen zur Vereinfachung, auch dort hat man oft keine Lust mehr, detailliert darüber nachzudenken ob die eigenen Konzepte etwas taugen, es reicht nicht nur für Umweltschutz zu sein.
Leider ist meine mittlerweilen häufige Erfahrung daß es dort praktisch keine Diskussionsbereitschaft mehr gibt, die aber nötig wäre um gute Ideen zu erarbeiten und die Populisten in ihre Schranken zu verweisen.
Danke für Ihren Kommentar. Ja, im Beitrag sind so ein paar Versatzstücke drin, die mich einfach rumtrieben und nun mal raus mussten. Vielleicht gehe ich demnächst nochmals drüber, ansonsten verspreche ich Besserung im nächsten Beitrag 😉
Zur Schwarz-Weiß-Denke. Ja, ich hab da in vielen Bereichen, darunter auch in Sachen Umwelt meine Schlüsselerlebnisse. Alle dort sind sich zwar immer sehr schnell einig, dass Business-as-usual nicht geht. Bei Lösungsansätzen unterscheiden sie sich aber oft sehr. Etliche meinen, erst müsse man “den Karren noch mehr an die Wand fahren”, bevor die Gesellschaft aufwacht und man reaktiv (also etwa via Gesetzen, Abgaben etc.) etwas machen kann. Dann gibt es viele, die als Patentrezept ein “weniger ist mehr” propagieren (also z.B. lokale, saisonale Kost, weniger Reisen, kleinere Wohnungen usw). Die nächste Gruppe meint, also gerne doch eine neue Überflussgesellschaft, sofern alles in kompletter Kreislaufwirtschaft läuft. Und wieder andere sagen: Nö, Hightech muss uns retten. Mir wurde dann klar, dass es Anteile von allem in gemischten Lösungs-Portfolios geben muss, dass diese Portfolios auch immer wieder in Teilen umgebaut werden können, wenn Neues da ist etc., das war dann ein richtiger Augenöffner für mich (siehe z.B. bereits Abb. 13-20 hier: https://scilogs.spektrum.de/der-anthropozaeniker/haus-zukunft-berlin/ )
“dass es Anteile von allem in gemischten Lösungs-Portfolios geben muss, ”
Denke ich auch, die Mischung machts.
Zu “Haus der Zukunft” (bereits realisiert?):
Besonders hervorzuheben:
“Mit dem rede ich doch gar nicht”, ist in der Tat kein zukunftsfähiger Ansatz. Das zu ändern ist sicherlich ein Teil der Zerschlagung des Knotens.
Die Vorstellung sich auch an Otto Normalbürger zu wenden, niedrigschwellig, über Blogs oder andere Foren, ist ebenfalls wichtig, darin hat das ökologische Feld noch erheblichen Nachholbedarf.
Das was da ist beschränkt sich oft auf detailierte Fragen wie die der Ernährung, was legitim ist, aber es fehlt an Foren die auch die Verbindung zum Politischen herstellen, wie etwa in der Aussage, daß es weder mit reinem “bottom-up”, noch mit reinem “top-down” geht, daß also Methoden oft genauso wichtig sind wie nur “das Richtige” zu sagen.
Insgesamt ein interessanter Ansatz, solche und ähnliche Modelle könnten einen guten Beitrag leisten.
@Reinhold Leinfelder 17.02. 10:55
„Mir wurde dann klar, dass es Anteile von allem in gemischten Lösungs-Portfolios geben muss..“
Nur so gehts dann auch. Eine grundsätzliche Bereitschaft doch recht Vieler braucht das dann aber immer noch.
Und wenn die fossilen Lobbyisten erfolgreich sind, dann werden zuweilen sogar grüne Lösungen boykottiert, auch wenn sie kaum oder gar nicht teurer wären.
Das können Windkraftanlagen an Land sein, aber auch Elektroautos. Für die Windkraft fehlen teils einfach die Baugenehmigen und unsere Autofirmen investieren einfach kaum was in die Elektromobilität.
Das macht es nicht einfacher. Je mehr Akteure aber hier mitmachen, desto schneller kommen wir dennoch voran.