Die Zukunft der Korallenriffe – Auftakt zum Internationalen Jahr des Riffs (IYOR) 2018, deutsche Aktivitäten

In Kurzform verschriftlichter Keynote-Vortrag incl. Vortragsfolien zur Weiterbildung von etwa 800 Tauchausbildern anlässlich der Eröffnung der deutschen Aktivitäten zum 3. Internationalen Jahr des Riffes (IYOR 2018) am 27./28. Jan. auf der Fachmesse “boot”, Düsseldorf.

English version (via google translator, sorry for possible shortcomings):
The Future of Coral ReefsKeynote lecture in short form incl. presentation slides opening of the German activities for the 3rd International Year of the Reef (IYOR 2018) on 27./28. Jan. at the trade fair “boot”, Düsseldorf). -> see here

1. Intro

Die Idee eines  “International Year of the Reef (IYOR)” wurde im Jahr 1996  von einer Initiative von Riffwissenschaftlerinnen und Riffwissenschaftlern anlässlich des International Coral Reef Symposium in Panama-City diskutiert und ein Jahr später erstmalig umgesetzt.  Der Autor gehörte zu den Co-Initiatoren. Hauptinitiator war Prof. Dr. Robert “Bob“ Ginsburg, Univ. Miami (verstorben 2017). Die International Coral Reef Initiative, eine Partnerschaft zwischen Nationen und Organisationen, mit dem gemeinsamen Ziel, Korallenriffe und damit verbundene Ökosysteme weltweit zu erhalten und zu schützen, kam dann noch dazu. Nach IYOR 1997 und IYOR 2008 startet nun also das 3. International Year of the Reef,  IYOR 2018. Bezüglich der deutschen Aktivitäten war der Autor von Anfang an im Organisationsteam dabei.

Trotz umfassender Aktivitäten und Aufklärung zum Zustand und zu Schutzmöglichkeiten von Riffen sind die Fortschritte leider eher gering, in manchen Bereichen überhaupt nicht vorhanden. Wir hoffen zwar, dass wir uns in Zukunft nicht nur mit gehäkelten Riffen im Museum (Abbildung oben) begnügen müssen, aber sicherlich werden die Riffe über lange Zeit nicht mehr so aussehen, wie sie noch vor Jahrzehnten aussahen. Auch dies wird nur gelingen, wenn Schutz- und Managementmaßnahmen auf lokaler, regionaler und globaler Ebene umfassend und rasch umgesetzt werden. Dieser Beitrag versucht gleichermaßen, Interesse, vielleicht auch Faszination für unsere Riffe zu wecken, sowie über ihren Nutzen für die Menschheit, aber auch über die Schädigungen und notwendigen Maßnahmen aufzuklären. Die Sporttaucher-Community wurde für Riffüberwachungsmaßnahmen, aber auch Riffschutzmaßnahmen immer wichtiger, schon seit 1997 existiert ReefCheck, bei dem Sporttaucher gemeinsam mit Forscher*innen den Zustand von Korallenriffen regelmäßg weltweit untersuchen. Die Ergebnisse werden zusammen mit anderen Monitoring-Ergebnissen (etwa des Coral Reef Monitoring Network) zu Zustandsberichten zusammengefasst und sind eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für Riffschutzmaßnahmen. Ich freue mich deshalb ganz besonders, hier vor fast 800 Tauchausbildern des Verbands deutscher Sporttaucher sprechen zu dürfen.


Folie 1: So sah es in den Medien während des 2. IYOR im Jahr 2008 aus, die Themen haben uns leider nicht verlassen.

Folie 2: Und dies sind die neuesten Berichte aus den Wissenschaften, darunter die wichtigen Arbeiten von Terry Hughes et al von 2017 (hier und hier)  und ganz aktuell vom Januar 2018, bei der insbesondere die katastrophalen Bleichungsereignisse des Großen Barriereriffs sowie vieler weiterer Riffe im Fokus stehen.  Selbst die UN hat im Januar reagiert und die enorme Bedrohung der Riffe gerade auch durch den Klimawandel unterstrichen. Wir seien vor einem entscheidenden Punkt bei der Zukunft der Korallenriffe, so der Direktor des UN Environmental Programs, Erik Solheim im Januar 2018.

Folie 3: Die Gegenreaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Schon einen Tag nach Erscheinen der Studie von Hughes et al. wird den Autoren Alarmismus vorgeworfen und diese  un andere Studien als unqualifiziert abgecancelt (so z.B. in der Australischen Sunday Mail / Courier Mail). Die klassische Argumentation, es gäbe doch noch Korallen, wird ins Feld geführt. Das Phänomen ist wissenschaftlich auch als „Shifting Baseline“ bekannt. Heute sehen junge Taucher*innen  – sofern nicht gerade in einem komplett gebleichten Riff tauchend –  immer noch viel buntes, manchmals sogar mehr als früher (weil absterbende, für den Rifferhalt so wichtige Steinkorallen verschwinden, dafür ggf. mehr bunte Schwämme, Weichkorallen und Algen von zunehmender Überdüngung profitieren und die Regeneration von Steinkorallen zusätzlich behindern). Wer nicht weiß, wie die Riffe noch in den 50ern bis 70er Jahren ausgesehen haben, wird sich schwerer tun, die dramatische Änderung der Riffe zu erkennen.

Folie 4: Auch Terrry Hughes reagierte prompt und durchaus vehement.

Folie 5: Noch Ende letzten Jahres erschien eine neue Studie, die untersuchte, wie möglicherweise durch Neuzüchtungen und entsprechenden Freisetzungen solcher Korallen eine stärkeren Widerstandskraft gegen Klimawandel und andere Umweltschädigungen erreicht werden könnte.

Folie 6: Auch die Strategie, Korallenlaich einzusammeln, im Labor auszubrüten, ggf. auch auf resistentere Varianten zu testen und dann die Larven wieder ins Riff zu bringen, erfuhr Ende 2017 mediale Aufmerksamkeit.

Folie 7: Andere „Rettungs“-Ansätze gibt es zuhauf. Wenn das Wasser nur vorübergehend, wie bei den Bleaching-Ereignissen zu warm wird, könnte man doch ggf. auch einfach mit Ventilatoren kühlen, so einer der Ideen. Tatsächlich soll es dafür von der australischen Regierung Forschungsgelder in Höhe von über 2 Millionen Dollar geben.

Folie 8: Insgesamt möchte die konservative, stark auf Kohleexport setzende australische Regierung Turnbull weitere 60 Millionen Dollar ausgeben, um den Riffen zu helfen. Davon sollen über 10 Millionen für das Einsammeln der Dornenkronenseesterne ausgegeben werden. Der sarkastische Kommentar von Terry Hughes auf Twitter spricht für sich.

Folie 9: Ich habe diese Beispiele zusammengestellt, um darauf hinzuweisen, wie froh wir doch alles sind, wenn wir entschuldigen können, warum wir nichts tun müssen. Wir sind überaus kreativ dabei, Selbstentschuldigungen zu generieren. Auch ich schließe mich da überhaupt nicht aus. Ein freundlicher Blick in den Spiegel und ein Lächeln über das Erkennen, wie wir uns selbst belügen können, könnte da schon weiter helfen (siehe dazu ggf. auch einen früheren Beitrag in diesem Blog).


Folie 10: Die Problematik ist komplex, wir gehen später noch in etwas größerem Detail darauf ein, aber wichtig ist doch, erst einmal bessere Einblicke in dieses faszinierende, allerdings auch hochkomplexe Ökosystem zu bekommen, denn nur was man kennt und liebt, kann man auch schützen. Auch wenn wir besser verstehen, wie jeder von uns auch mit Korallenriffen vernetzt ist, ist es möglich, auch über Gefährdungen (Kap. 3) zu sprechen, ohne gleich wieder den „Flucht-/Frustreflex“ (“alles zu spät“, „ich kann eh nichts tun“) auszulösen. Natürlich müssen sich dann auch noch machbare Lösungsvorschläge anschließen, an denen es aber nicht mangelt (siehe Kap. 4).

2. Faszination Korallenriffe – Städte unter Wasser

Um das faszinierende Ökosystem Korallenriffe vorzustellen, haben wir sehr gute Erfahrungen mit der Metapher „Städte unter Wasser“ gemacht (Folie 11). Bob Ginsburg führte sie ein, ich hatte die Ehre sie gemeinsam mit ihm weiterentwickeln zu können (z.B.  hier). Die nachfolgenden Folien müssen vermutlich nicht lange erläutert werden, sondern sollten ziemlich für sich sprechen.

Folie 11: Die Hauptkriterien für den Vergleich des Ökosystems Korallenriffe mit Städten.

Folie 12: Hier sind die Gebäude der Steinkorallenpolypen, der Hauptbaumeister der Riffe zu sehen. Im mittleren Bild sieht man die Baumeister auch mal selbst auf den „Balkonen“. Meist ist dies nachts, denn die meisten Steinkorallenpolyplen sind nachtaktiv.

Folie 13: Die Polypen können externe Energieträger tanken, indem sie Plankton fangen. Allerdings gibt es in den Nährstoffwüsten der tropischen Ozeane nicht besonders viel davon, daher setzten die tropischen Riffkorallen vor allem auf dezentrale Solarenergieversorgung. Diese wird von einzelligen Algen bewerkstelligt, die als “Untermieter“ im Gewebe der Korallen leben und aus CO2 und Wasser sowie einigen, von der Koralle bezogenen Nährstoffen (den Ausscheidungsprodukten der Korallen) feine und nahrhafte Zucker und Fette generieren. Der Mietzins ist allerdings hoch, bis zu 90% des synthetisierten Materials wird an die Korallen abgegeben, die davon sehr gut leben können. Durch diese „Photosymbiose“ werden die Korallen tatsächlich zu so etwas wie „Blumentieren“ und entwickeln in ihrem Skelett auch Jahressringe, da in den sonnenreichen Trockenzeiten die Solarkraftwerksversorgung dominiert und dabei ein anderes Verkalkungsmuster auftritt als in der dunkleren Regenzeit .

  Folie 14: Kaum stehen die Stadthäuser aus Korallenkalk, werden Märkte und Gemüseläden angelegt. Auf dem harten Grund siedeln sich viele Weichorganismen an, darunter viele Algen und Cyanobakterien (ebenfalls algenartig, früher als Cyanophyta bzg. Blaualgen bezeichnet). Das zieht  Kunden an, darunter insbesondere algenabweidene Fische (die ihrerseit dann fleischfressende Fische anziehen, wodurch die Nahrungsnetze immer  komplexer werden).

Folie 15: Manche Fische, wie die Damselfische (z.B. die zu den Riffbarschen gehörende Gattung Stegastes) sind wahre Kleingärtner, sie legen Algenfelder an, pflegen diese (indem sie z.B. “Unkraut jäten”, also schlecht schmeckende Algenarten herauszupfen und so den wohlschmeckenden mehr Platz lassen) und schützen diese “Schrebergärten” vor Fressfeinden. Nähern sich etwa Taucher, werden die kleinen Fischchen recht lästig und versuchen die Taucher zu vertreiben.

Folie 16: Papageifische sind besonders effiziente ökologische Gartenbauamt-Mitarbeiter. Sie beißen kleine Stückchen von Korallenskeletten ab, allerdings v.a. alte, kranke und abgestorbene, weil dann dort auch besonders viele Bohralgen im Skelett stecken, auf die die Fische aus sind. Der mitgeflossene Kalk wird als Sand wieder ausgeschieden, das sind durchaus enorme Mengen (siehe auch Folie 25). Dieser Sand sammelt sich gerne auch in Lagunen oder wird an den Strand gewaschen. Aber auch viele andere herbivore Fische und andere algenabweidenden Tiere verhindern durch diese “Bewegung”, dass die Algen alles zuwuchern.

Folie 17: Man kann es mit der Rasenpflege auch übertreiben. Auch Seeigel sind effizienz, um Algen abzuweiden (genauer sind das die sogenannten regulären Seeigel, das sind meist die mit vielen spitzen Stacheln, wie die Diademseeigel). Auch sie müssen also ihrerseits kurzgehalten werden. Pufferfische als natürliche Feinde dieser Seeigel kontrollieren sie.

Folie 18: Auch Zahnärzte gibt es im Riff. An Putzerstationen stellen sich auch große Raubfische, wie Zackenbarsche (mehr oder weniger) geduldig an, bis sie an der Reihe sind. Putzerlippfische (aber auch Putzergarnelen und andere) entfernen Parasiten und Speisereste. Untersuchungen zeigen, dass große Fische häufiger erkranken, wenn keine Putzerstationen vorhanden sind.


Folie 19: Übrigens können sich auch Taucher die Zähne von Putzerfischen reinigen lassen. Frank Schweigert von der Deutschen Meeresstiftung und ebenfalls Unterstützer von IYOR scheint es zu gefallen.  (Im Netzgibt es einige ähnliche Videos dazu, z.B. hier). Nachahmung dennoch nicht unbedingt empfohlen, siehe z.B. nächste Folie  😉


Folie 20. Der Falsche Putzerfisch tarnt sich als echter Putzerfisch und  wird daher auch von vielen Fischen mit diesem verwechselt. Er zupft dann allerdings nicht langwierig Parasiten und Speisereste vorsichtig aus den Mäulern der Großfische, sondern beißt einfach ganze Stücke aus dem „Kunden“, oft auch aus dem Auge, damit der geschädigte Fisch den Überblick verliert und sich nicht verteidigen kann.

Folie 21: Viele Krebse und Krabben ernähren sich von totem Material, was durch Kämpfe im Riff, durch Speisereste anderer, etc häufig anfällt. Sie gehören also zur Müllabfuhr und sind wichtige Recycler.

Folie 22: Da gerade für Korallen das Wasser sehr klar sein muss, damit die Photosymbiose funktioniert, sind Organismen, welche Partikel aus der Wassersäule filtern, ebenfalls wesentlich. Schwämme, die aktiv große Mengen Wasser durch ihre Körper pumpen, um daraus fressbares auszufiltern gehören zu den besten Kläranlagen im Riff. Aber auch viele andere Organismen, wie filtrierende Würmer, filtrierende Muscheln oder Haarsterne und Weichkorallen gehören zu den Wasserreinigern.

Folie 23: Hier Weichschwämme aus einem unserer Arbeitsgebiete in der Bucht von Almirante, Karibik von Panama.


Folie 24: Bohrschwämme (hier in orange) gehören auch zu den Abbruchunternehmen im Riff. Sie ätzen und bohren sich in meist kranke oder tote Korallenskelette, um sich zu schützen. Auch Bohrmuscheln, Bohralgen und andere Organismen gehören zu diesen Abbbruchunternehmen.

Folie 25: Der uns schon bekannte Papageifisch hat gleich mehrere Jobs. Gartenbauamt, Abbruchunternehmen und Materialtransporter (vgl. Folie 16, sowie ggf. im Video hier)

Folie 26: Es ist ungünstig, wenn im Riff, viel lockereres Sand- und Gesteinsbruchstückmaterial herumliegt, so wie es die Abbruchunternehmen hinterlassen. Bei Wellenschlag wirkt dieses Material wie Schmirgelpapier und schädigt die Rifforganismen. Da ist es doch viel besser, dieses Material wieder zu befestigen und daraus neue Baugrundstücke zu generieren. Dies schaffen nur die inkrustierenden Kalkrotalgen (koralline Algen), sie sind die einzigen, die auch solches Lockermaterial gut im hochenegetischen Berieich befestigen können. Riffkämme und sehr flache Riffdächer bestehen daher hauptsächlich aus Rotalgen, aber auch in tieferen Bereichen sind sie von großer Bedeutung.

Folie 27: Links oben: Inkrustierende koralline Rotalgen; links unten: ein durch Rotalgen befestigtes hochenergetisches Riffdach, welches die starke Brandung aushält, wodurch sich die Wasserenergie aufzehrt.
Aber auch weiter innen im Riff, wo nur noch Streulicht hinkommt, wird gemörtelt und gekittet. Mikrobenfilme verkalken ähnlich wie mikrobieller Zahnbelag (Zahnstein) und können so fragile Hohlräume versiegeln (rechts oben). Oft auch tritt Mikrobenschleim auch in die Wassersäule aus und klebt dort fressbare Partikel. Diese klebrigen Schleime sind nahrhaft und können durch die recycelten Nährstoffe wieder von anderen Organismen verwendet werden.

Folie 28: Ansonsten leben, wie eben in einer großen Stadt, auch noch viele weitere, sehr unterschiedliche Charaktere im Riff. Viele im Untergrund, im Verborgenen, sie wollen eher nicht auffallen….


Folie 29: … andere sind durchaus aggressiv oder können sich zumindest gut verteidigen (z.B. Muräne rechts oben, Igelfisch rechts unten).

Folie 30: Um das Riffökosystem zusammenzufassen: Alles ist ziemlich ausbalanciert wie bei einem Mobile. Die Wassertemperatur muss stimmen, damit auch das Klima. Um genügend Licht zu erhalten, dürfen nicht zuviele Nährstoffe und zuviele Sedimentpartikel ins Riff kommen, auch der Sauerstoffgehalt muss hoch sein. Ein Mobile kann bei einer Störung schon auch mal zum Tanzen kommen, verschwindet der Luftzug (d.h. die Störung), wird es sich über kurz oder lang wieder auspendeln. Nur wenn die Gewichte an den Fäden ungleichgewichtig werden oder gar an einem oder gleich mehreren der Fäden zu heftig gezogen wird, kippt das Ganze und verheddert sich unauflösbar.

Folie 31: Faszinierend ist wirklich, wie viele Organismenarten in den Riffen unserer Welt wachsen (konservativ geschätzt sind es ca 25% der marinen Diversität weltweit, auch wenn dies im Detail niemand ganz genau weiß, denn die meisten Arten sind noch unentdeckt. Auch die Angabe der Fläche ist unscharf, 1,5 wären alle Riffe incl. Vorriff, Rückriff und ggf. sogar Lagunen; nur auf die aktiven Riffe selbst bezogen wäre der Flächenanteil ggf. nur < 0,15% der Meeresflächen, und wieviel davon noch lebt, ist wiederum schwer quantitativ anzugeben).

3. Der Nutzen der Riffe für die Menschheit

Auch wenn die schiere Schönheit und Faszination des Ökosystems Riff wirklich Grund genug für dessen Schutz sein sollte, ist es doch hilfreich, auch einen Blick darauf zu werfen, wie die Menschheit ansonsten noch von Riffen erhält, und dies ist wirklich immens viel.


Folie 32: Dieses Bild zeigt bereits, wie wichtig Korallenriffe als Küstenschutz für zigtausende Kilometer Insel- und Festlandsküste sind (das Bild zeigt San Andres, eine kolumbianische Karibik-Insel)


Folie 33: Eine Studie aus dem Jahr 2014 hat die Bedeutung der Riffe als Küstenschutz am Beispiel der Riffe von Guam untersucht. Die Ergebnisse sprechen für sich.

Folie 34: Hier einige Detailergebnisse der erwähnten Studie.

Folie 35: Etwa 200 Millioen Menschen sind auf Küstenschutz durch Riffe angewiesen.

Folie 36: Nur kurz anklingen lassen soll hier die bereits eingangs geschilderte Bedeutung von Riffen für den Fischfang. 25% des globalen Fischfangs ist von intakten Korallenriffen abhängig, auch wenn der eigentliche Fang oft außerhalb stattfindet. Weiterhin gehen wir nachfolgend näher auf die Bedeutung von Rifforganismen als Blaue Apotheke sowie für den Tourismus ein.

Folie 37: Kegelschnecken sind räuberische marine Schnecken, die mit Giftpfeilen jagen. Die zum Einsatz kommenden Gifte, die Conotoxine sind für die Schmerzmittelforschung sehr interessant. Aus ihnen lassen sich starke Schmerzmittel entwickeln, die im Unterschied zu Opiaten und Morphinen nicht abhängig machen.


Folie 38: Prostaglandin ist ein weiterer spannender Wirkstoff mit einem extrem breiten Anwendungsspektrum (siehe Abbildung)


Folie 39:  Inzwischen gibt es viel Forschung zu Wirkstoffen aus dem Riff, hier einige Standardliteratur zum Thema.

Folie 40: Ara A und Ara C sind weiter spanndende Substanzen. Besonders wichtig: hier ist es bereits gelungen, den im Riff gefundenen Wirkstoff im Labor nachzubauen, nur so kann die „blaue Apotheke“ nachhaltig sein.

Folie 41: Selbst Knochenersatz kann aus dem Riff bezogen werden.

Folie 42: Leider gibt es auch derartigen Quatsch. Rheumatologe Dr. Kirsch kämpft seit Jahren gegen diese schädliche esoterische Überhöhung, vielen Dank dafür.

Folie 43: Auch zu Thema Bionik gibt es viel im Riff zu lernen. Schon heute lernen Ingenieure von den Rifforganismen, einige Beispiele sind oben angegeben, übrigens stammen die Beispiele aus einem interessanten neuen Comic zu Korallenriffen.

Folie 44: Immer wieder wird auch versucht, den Nutzen von Korallenriffen für uns Menschen auf Heller und Pfennig, bzw. besser in Euro bzw. Dollar auszurechnen. Hier einige Beispiele.


Folie 45: Auch als Archive zur Aufzeichnung von Umweltveränderungen, insbesondere Temperaturänderungen, aber auch vieler weiter Umweltparameter eigenen sich Korallen. Verwendet werden Bohrkerne aus Korallenskeletten.  Die Chemie des Skeletts (insbesondere das Verhältnisse der stabilen Isotopen) erlaubt z.B. z.B. die Rekonstruktion der Wassertemperaturen im jährlichen Durchschnitt, z.T. auch noch genaue. Auch viele weitere Umweltparameter lassen sich so nachträglich entschlüsseln.

Folie 46: Auch als Klimapuffer sind Korallenriffe wichtig. Vereinfacht gesagt wird laufend im Wasser gelöstes (genauer im Hdyrogencarbonat-Ion befindliches) CO2 durch das Riffwachstum in die Lithosphäre (Korallengestein) gepackt, Dabei kann ein weiteres CO2-Molekül frei werden, welches allerdings in der Regel in einem gesunden Riff gleich wieder von den symbiontischen Algen verwendet wird. Im Detail sind die Prozesse jedoch komplex und zeitlich verschiedenskalig.

4. Bedrohung der Riffe

Folie 47: Wir müssen uns nun doch nochmals der Bedrohung der Riffe zuwenden.  So wie hier kann ein Riff nach der (verbotenen, aber kaum ausrottbaren) Dynamitfischerei aussehen.


Folie 48: Rechts oben: Dynamitfischerei; links oben: unverwendbarer Beifang durch Schleppnetze (viele Schwämme, Korallen etc)., rechts unten:  meist unter Verwendung von Cyankali gefangene Edelfische. Die Fische werden betäubt, die überlebenden gelangen in den Lebendspeisefischverkauf (teils unter horrenden Gewinnspannen) sowie in den Aquarienhandel.

Folie 49: Auch das Abschneiden von Haifischflossen vom lebenden Tier ist ein sehr weit verbreitetes Übel. Oft geht es um die Verwendung als Potenzmittel oder anderer mythischer Verwendungen.

Folien 50, 51: Auch die großindustrielle Fischerei ist bzgl. ihres Ausmaßes und ihrer sonstigen Auswirkungen problematisch. Diese beiden Folie verdeutlichen, wieviel mehr Energieaufwand bei der industriellen Fischerei nötig ist, wieviel weniger Leute beschäftigt sind, wieviel mehr Beifang es gibt und wie auch noch enorm viel Fisch für Fischmehl, also im wesentlichen als Tierfutter gewonnen wird.

Folie 52: Ankerschäden von Touristenbooten sind ein weiteres Problem, auch wenn zunehmend Ankerbojen zum Einsatz kommen. Manchmal werden Korallen unter Wasser sogar mutwillig beschädigt (James, das spricht gar nicht für dich!). Ganze Korallenriffe werden für den Tourismushandel abgebaut, nicht immer wie hier, nur mit Kanu und von Hand, sondern leider auch mit Bagger und anderem großen Gerät.

Folie 53: Auch die Regenwaldabholzung sowie Starkregen bei landwirtschaftlicher Hinterlandnutzung sind ein großes Problem. Bei beidem wird viel Boden abgewaschen, der v.a. bei landwirtschaftlichen Flächen sehr düngerreich ist. Damit ergeben sich Überdüngungen, Wassertrübungen und z.T. richtiges Zusedimentieren von Korallenriffen. Korallen sind daran nicht angepasst, v.a. wenn dies häufig oder gar dauerhaft passiert. Schon bei Überdüngung wachsen die Algen und überwuchern die so wichtigen Hartgründe. Sind dann noch die algenabweidenden Fische durch Überfischung dezimiert, bleibt das Riff dauerhaft “veralgt”.

Folie 54: Auch Bautätigkeit an der Küste führt oft zum Verschwinden von Korallenriffen, sei es durch direkten Abbau der Riffe, um Booten bessere Zugänge zu Häfen zu bieten, oder auch einfach durch den Schlamm, der bei solchen Bauarbeiten aufgewühlt wird und wiederum die Korallenriffe schädigt.


Folie 55: Das Thema Plastikmüll ist ein weiteres großes Problem. Plastik schädigt auch Korallenriffe. Eine Vertiefung würde hier zu weit gehen, obige Abbildung zeigt die generelle Problematik. Wir produzieren jedes Jahr fast soviel Plastik wie wir Menschen selbst wiegen. Jede Minute gelangt etwa eine Lastwagenfüllung Plastik in die Weltmeere (zur Vertiefung der Plastikproblematik siehe z.B. hier, hier, hier und hier, zur Schädigungen der Korallen durch Plastik siehe hier und hier). Ein paar Details dazu auch nachfolgend.

Folie 56: Ohne Worte!

Folie 57: Nochmals: Ohne Worte! (Quelle)


Folie 58: Eine neue Studie von Jan 2018 zeigt auf, dass nicht nur das Plastik selbst, sondern v.a. auch Pathogene, die über driftendes Plastik verbreitet werden, eine große Gefahr für Riffe darstellt. Leider titelten auch deutsche Zeitungen nach dieser Studie (sinngemäß): ist es nun der Klimawandel oder doch das Plastik, welches unsere Riffe tötet? Natürlich ist es beides und noch viel mehr (siehe nachfolgend).

Folie 59: Dieses Bild zeigt die globale kumulative Produktion, Gebrauch und weiteres Schicksaml von Plastik (als Summe aller Kunstpolymerharze, synthetischer Fasern und weiterer Additive von 1950-2015, in Millionen metrischer Tonnen. Recyceln verlängert bislang die Lebensdauer von Plastik leider eher unwesentlich. Fast fünf Milliarden Tonnen Plastik sind inrgendwo in der Umwelt, sei es in (langfristig nicht dauerhaft sicheren) Deponien, irgendwo auf dem Festland oder in Flüssen und Seen, oder eben bereits in den Meeren (Quelle).

Folie 60: Nun zum Klima. Die letzten 10.000 Jahre waren sehr umwelt- und klimastabil. Dies erlaubte uns, uns niederzulassen und unsere modernen Gesellschaften zu entwickeln. Den Korallenriffen erlaubte es die weitere gute Einnischung in die Bereiche, in denen sie heute vorkommen.  Das Bild zeigt die mittleren Temperaturen der nördlichen Hemisphäre in den letzten 2000 Jahren sowie den Verlauf von Business as usual Szenarien im selben Maßstab bis 2011. (Quellen insb. IPCC sowie PagesK2-consortium)

Folie 61: Die 2°C-Leitplanke liegt deutlich höher als das gesamte Mittel für die letzten 10.000 Jahre, also für das gesamte Holozän. Korallenriffe müssten also die Fähigkeit haben, sich daran anzupassen, was mehr als umstritten ist. Jedenfalls würden sich nicht mehr aussehen wie heute. Selbst 1,5 Grad ist bereits eine große Herausforderung, setzt doch das gefürchtete Korallenbleichen meist bereits bei einer Temperaturzunahme von nur 1 Grad ein.  (Cartoon aus unserem WBGU-Transformationscomic, siehe hier).

Folie 62: Hier eine Zusammenstellung der Zunahme der oberflächennahem Wassertemperaturen, die roten Horizontallinien zeigen die auslösenden Schwellen für Korallenbleichen. Dieses könnte zum Normalfall werden.

Folie 63: 1998 war der Auftakt für bis dato unbekannt starkes Korallenbleichen.

Folie 64: Die neueste Arbeit von Hughes et al. zeigt, wie stark diese Bleichungsereignisse weltweit zugenommen haben. Erstmals war 2017 Korallenbleichen nicht an eine sogenannte ElNiño-Situation gekoppelt, also an eine teils natürliche Temperaturerhöhung, die oszillierend vorkommt.

Folie 65: Hier weitere Daten aus der erwähnten Arbeit, auch zur Zunahme der Intensität des Bleichens.

Folie 66: Aber die Erhöhung des atmosphärischen CO2-Anteils bedingt nicht nur eine Temperaturerhöhung im Wasser und auf dem Land, sondern auch Meerespiegelanstieg und Versauerung der Ozeane, was wiederum Korallen, aber auch vielen anderen Riff- und Hochseeorganismen sehr zu schaffen macht (Quelle).

Folie 67: Ein Klassiker: die Zusammenstellung des Wechselspiels zwischen Temperaturerhöhung und Versauerung durch Hoegh-Guldberg et al. 2007. Dargestellt ist auch, wie sich Korallenriffe zu Weichkorallen- und algendominierten Strukturen und weiter zu überwiegend toten Steinhaufen verändern werden.

Folie 68: Hier die Prognose für Versauerung und damit verbundenen Rückgang von Korallenriffen bei einem Business as usual-Szenario. Wir sind inzwischen übrigens nicht mehr bei 380 ppm sondern bei über 400 ppm als Wert für den atmosphärischen CO2-Gehalt. Je weniger blaue Farben, desto stärker die Versauerung, Korallenriffe bräuchten eine blaue Situation. Heutige Korallenriffe sind in Pink angegeben.
Folie 69: Bei Stress von verschiedenen Seiten reagieren Korallenriffe mit Kipppunkten (Tipping Points). Hier sind als Stressoren zunehmende Überdüngung (Y-Achse) und Überfischung (X-Achse) angegeben. Beides schwächt die Robustheit und Toleranz (Resilience) von Riffen, so dass sie in einen Weichalgenstatus, einen seeigeldominierten Status und einen toten Status kippen können. Der Rückweg ist selbst bei Verbesserung der Situation kaum mehr möglich (Quelle).

Folie 70: Tipping point-Verhalten und shifting baselines, wie wir es in unserer eigenen Arbeitsgruppe beobachten konnten. Die meisten Fotos stammen von Jörn Geister. Es handelt sich immer um dasselbe Riff. 1996 und 1998 konnten wir selbst inspizieren. 2001 war das Riff komplett verschwunden (dh. von Seeigeln abgeraspelt, von Bohrorganismen zerbohrt und von Wellen aufgearbeitet)

Folie 71: Besonders faszinierend ist das sogenannte Korallendreieck im Pazifik. Hier finden (oder fanden?) sich 76% aller bekannten Korallenarten und 37% aller bekannten Korallenfischarten (Quelle). Allerdings leben auch sehr viele Menschen in der Region.

Folie 72: Eine Studie von 2011 zeigt die hohe Gefährdung der Riffe, hier durch Überfischung und falsche Fischereimethoden

Folie 73: … und hier durch Küstenbebauung (das Problem ist insbesondere rund um die Philippinen akut).

Folie 74: Dies ist die Aufteilung der Bedrohungen im Korallendreieck

Folie 75: Und hier der Vergleich des Korallendreieck mit der globalen Situation, Stand 2011. Inzwischen ist die Situation deutlich dramatischer.

Folie 76: Eine frühere Studie zum Korallendreieck kam zu dem Schluss, dass auch die Einrichtung sehr guter Riffparks und sonstigen sogenannten Reef Managements (also Vermeidung von Zulauf durch überdüngte Wässer, Verhinderung von Überfischung etc.) nichts bringt, wenn nicht gleichzeitig der Anstieg des atmosphärischen CO2 bei etwa 450 ppm gestoppt wird (linke Grafik). Die gute Nachricht bei 450pp Stabilisierung ist, dass dann, unter Voraussetzung eines „starken Managements“ Korallenriffe eine Zukunft haben würden. Die schlechte Nachricht ist, dass nur ein bisschen Management oder auch nur CO2-Stopp alleine nichts hilft, sondern dass aber auch bei gutem Management und Einhalten des 450 ppm-Grenze (etwa + 2°C global) die Riffe durch ein tiefes und langes Tal der Tränen gehen würden. Dies bedeutet, dass wir in unseren Bemühungen um Klimaschutz, Riffparks, Kampf gegen Überfischung und Reduzierung von Schadstoffen nicht aufhören dürfen, auch wenn sich die sichtbaren Erfolge nicht sofort einstellen werden (siehe dazu auch weiter unten). Aber könnte es vielleicht doch eine Möglichkeit geben, dieses Tal der Tränen weniger tief und weit zu gestalten? Könnten wir hier vielleicht etwas von fossilen Riffen der Erdgeschichte lernen?

5. Von fossilen Riffen lernen?


Folie 77: Viele fossile Riffe sehen auf den ersten Blick tatsächlich so aus wie heutige Riffe. So sehen wir am Schlern der Dolomiten (aus der  mittleren Trias-Zeit, also vor etwa 240 Millionen Jahren) sowohl die Riffkante als auch die Lagune, also auch das Vorriff. Allerdings bestand das Riff nicht aus Korallen, sondern v.a. aus einer speziellen Form von Schwämmen mit Kalkskelett. Die Rahmenbedingungen waren sicherlich in Teilen deutlich anders (tieferes Wasser, ggf. mehr Nährstoffe etc).

Folie 78: Hier ist kein Platz, um die gesamte Entwicklung der Riffe durch die Erdgeschichte aufzuzeigen (Einige Artikel des Autors dazu gibt es z.B.  hier oder hier oder hier). Aber diese Abbildung (aus Leinfelder et al. 2018a, siehe auch hier)  soll helfen, einige wichtige Aussagen dazu zu machen:

A: ja, Riffe, auch Korallenriffe, sind immer wieder mal ausgestorben, auch im globalen Maßstab, und haben sich auch wieder erholt (rot: Zeiten ohne korallenreiche Flachwasserriffe), meist hat es Millionen von Jahren gedauert, einmal sogar 140 Millionen Jahre, bis wieder (dann ganz neue) Korallenriffe in großem Ausmaß vorhanden waren. Aus der Erdgeschichte können wir hier also keinen Trost, statt dessen eine stark Warnung ableiten:

B: Die Riffe haben sich wärend der Erdgeschichte immer weiterentwickelt, dies gilt auch für die Korallenriffe. In den Urzeiten der Erdgeschichte gab es nur Kalkfelsen, die von Mikroben, darunter die Cyanobakterien generiert wurden (Stromatolith-Riffe, Thrombolith-Riffe etc.; grauer und grüner Balken),, später kamen immer weiterer Riffbausteine dazu (Weichschwämme, Kalkschwämme, Korallen, erst ohne, dann mit Photosymbionten, erst sehr spät auch die korallinen Rotalgen. Die früheren Bausteine verschwanden aber nicht sondern waren weiter verfügbar. Nicht immer hatte jedes Riff alle Grundbausteine, so gab es in der Jurazeit z.B. Korallenriffe, aber auch Kieselschwamm-Mikrobenriffe sowie reine Mikrobenriffe.

C: das bedeutet, dass sich die Milieus in denen Riffe wachsen konnten erst einmal kräftig ausbreiteten. In der Jurazeit, in der z.B. noch längst nicht alle Korallen eine optimale Photosynthese-Beziehung entwickelt hatte, gab es “Schmutzfink-Korallenriffe“ im trüben und nährstoffreichen Wasser, oder auch Kieselschwammriffe auf dem tieferen Schelf, ggf. sogar in 100 bis  mehreren 100 metern Wassertiefe (siehe z.B. meinen “Jurassic Reef Park” aus den Anfängen des Internets ;-).  Erst seit dem vermehrten Aufreten der korallinen Rotalgen konnten sich Riffe ins extreme und sehr hochenergetische Flachwasser wagen, außerdem war inzwischen die Photosymbiose dermaßen optimiert, dass sich unsere bekannten tropischen Riffe eben ins extrem nährstoffarme (oligotrophe) Wasser einnischen konnten (siehe hierzu die Einnischungssituation im Oberjura vor 140 Millionen Jahren). Aber tatsächlich gibt es, meist sogar von der Forschung übersehen, noch Riffe, die an frühere Zeiten erinnern, und die ganz andere Umweltparameter benötigen. Könnten sie uns über das Tal der Tränen der oligotrophen Korallenriffe führen? (zur Vertiefung hier und hier im Blog, oder auch hier und hier )

Folie 79: Hier sind sie: die heute noch existierenden Riffe mit Charakteristika erdgeschichtlich früherer Riffe mit sogenannten atavistischen Merkmalen (Atavismus laut Wikipedia, gekürzt: „Wiederauftreten von Merkmalen bei einem Lebewesen, die bei entfernteren stammesgeschichtlichen Vorfahren ausgebildet waren, bei den unmittelbaren Vorfahren jedoch reduziert wurden, da sie für die gegenwärtige Entwicklungsstufe keinerlei Funktion mehr besitzen“).

  • Riffe aus Rotalgen und speziellen Korallen vor der Mündung des Amazonas, in sedimentbeladenen und nährstoffreichen Wässern (vor kurzem entdeckt);
  • Abrolhos-Riffe vor Brasilien, wiederum spezielle, aus dem Teritär bekannte Korallen und coralline Rotallgen, wiederum im nährstoffreichen und sedimentbeladenen Wasser (hier und hier).
  • Bucht von Almirante, Karibik, Panamá, hier haben sich die Riffe seit einigen 1000 Jahren an erhöhte Nährstoffraten angepasst. Im Zuge des Klimawandels sind die Geweihkorallen verschwunden, andere, besser angepasste (Porites furcata, Agaricia agaricites)  haben sich ausgedehnt, Schwämme haben zugenommen (z.B. hier und hier und hier). Dennoch sind die Riffe anfällig, 2017 gab es einen Veralgungs- und Sauerstoffzehrungsevent.
  • Die Palau-Riffe sind bekannt dafür, dass sie recht hohe Versauerungsraten ertragen.
  • Auf American Samoa wächst die Koralle Acropora hyacinthus, die mit erhöhten Wassertemperaturen gut umgehen können.

Folie 80: weitere Beispiele für ungewöhnliche Riffvorkommen.

  • Auch im Mittelmeer gibt es riffähnliche Strukturen, einerseits durch die photosymbiontische Cladocora-Koralle, andererseits durch die nicht photosymbiontische Koralle Cariophyllia. Könnten Sie sich ggf. weiter auch in andere Meere  ausbreiten?
  • Nicht zu vergessen sind die Kaltwasserriffe, die nur von Plankton abhängig sind und daher auch in teilweise sehr tiefem Wasser wachsen. Sie finden sich weltweit verbreitet,  das Bild stammt vom Golf von Mexiko. Vor Chile sind riffähnliche Strukturen von Kaltwasserkorallen schon in recht flachen Gewässern gefunden worden.
  • Und selbst die Kieselschwämme der Jurazeit haben überlebt, auch sie sind erst vor recht kurzer Zeit entdeckt und durch Manfred Krautter (einem Spezialisten für jurassische Kieselschwammriffe) und weiteren Kollegen näher identifiziert worden, das war, als seien echte Dinosaurier heute noch lebend angetroffen worden (> Studie).

6. Wer kann wie helfen?

Folie 81: Folgendes kann die Wissenschaft beitragen:

  • die umfassende Kenntnis des Systems heute und früher,
  • die aktuelle Situationsbeschreibung, also die methodische Untersuchung und Analyse,
  • die Diagnose.

Sehr umstritten ist, ob sich die Wissenschaften darauf beschränken müssten oder auch bei der Lösung der Probleme kräftig mitarbeiten sollten, auch wenn es damit auch mal „politisch wird“. Wenn wir mit dem medizinischen System vergleichen, würde sich die Frage gar nicht stellen. Selbstverständlich wollen wir, dass uns der Arzt nach der Untersuchung und der daraus abgeleiteten Diagnose nicht einfach entlässt, sondern uns die Diagnose erklärt, uns behandelt, oder falls Spezialisten notwendig sind, uns auch dorthin überweist, aber dennoch unseren Gesundungsprozess überwacht, und ja, wir akzeptieren auch, dass er uns ggf. einen anderen Lebensstil dringend empfiehlt, wenn wir wieder gut weiterleben wollen.

Folie 82: Die Wissenschaften zum Riffschutz lassen sich vielleicht so zusammenfassen: Vermeidung des weiteren CO2-Anstiegs in der Atmosphäre, aber auch Maßnahmen gegen sonstige globale schädliche Einflüsse sind unabdingbar, ohne dies anzugehen, können wir eigentlich alle anderen möglichen Maßnahmen vergessen. Es geht also nicht um ein “entweder oder”, sondern um ein “sowohl als auch”. Allerdings genügt dies alleine nicht, umfassendes regionales Riffmanagement muss dazu kommen, Beispiele sind in der Abbildung angegeben.

Die große und teils umstrittene Frage ist: wieviel bringen sonstige Maßnahmen, wie Auspflanzen von Korallen, Schaffung künstlicher Untergründe, Kühlung von Riffgewässern, “Kalkung” von Riffgewässern (gegen Versauerung), neue Züchtungen oder gentechnische Optimierungen? Manches kann man sicherlich vergessen, anderes könnte lokal hilfreich sein, wenn etwa durch eine Schiffshavarie ein mechanischer Schaden im Riff auftritt, der durch künstliche Substrate, vielleicht auch durch Ausbringen von Jungkorallen rascher schließbar ist. Alles andere ist eher großskalig nicht durchführbar bzw. hat keine Aussicht auf Erfolg, etwa wenn Überdüngung, Überfischung und Überhitzung nicht abgestellt sind, haben auch ausgepflanzte Korallen keine Chance.

Allerdings sollten Korallenriffe, die vielleicht nicht mehr gut aussehen, aber „kämpfen“, um sich anzupassen, genauso geschützt werden, wie die atavistischen Riffe, die sich an Versauerung und Sediment-/Nährstoffsituation besser anpassen können. Sie könnten sich unter diesen Voraussetzungen ggf stärker ausbreiten und das “Tal der Tränen” weniger tief und breit gestalten. Wichtig bei allen eventuellen Maßnahmen ist allerdings, dass auch ein umfassendes Monitoring, also eine Überwachung des Zustands und der Veränderung aller Riffe kontinuierlich durchgeführt wird. Dazu braucht die Wissenschaft nicht nur neue Technologien, sondern vor allem auch weiterhin die Beteiligung von Sportttauchern an Projekten wie Reefcheck und ähnlichen Programmen.

Folie 83: Diese im Druck befindliche Abbildung (Leinfelder 2019, in press) zeichnet modellhaft die möglichen Szenarien für die beiden unterschiedlichen Situationen, diesmal versuchsweise nicht nur für das Korallendreieck, sondern für alle Riffe weltweit:

A: keine CO2-Vermeidung: wir befänden uns nun in der Verschlechterungsphase, die spätestens zum Ende des Jahrhundert von einer Kippunktphase abgelöst würde, nach der keinerlei Korallenriffe, so wie wir sie kannten, mehr übrig wären.

B: bei einem Eindämmen der atmosphärischen CO2 werte auf etwa 440 ppm und gleichzeitigem starken Management könnte vielleicht insbesondere durch Pflege der besser angepassten „atavistischen“ Riffe“ die Rückkehr robusterer großskaliger hochdiverser Korallenriffe schneller erreicht werden also ohne diese Maßnahmen. Anders ausgedrückt: Das “Tal der Tränen” wäre weniger weit und weniger tief. Die „atavistische“ Riffphase könnte eine besondere Herausforderung für die Menschheit werden, erfordert sie doch auch wesentliches Umdenken für unsere Managementkonzepte. (aus Leinfelder2019, in press)

Folie 84: Was aber kann nun die Tauchercommunity und  jeder einzelne selbst tun?


Folie 85: Wer das Riff wertschätzt, wird davon erzählen, wird Faszination ausstrahlen, und andere damit anstecken. Umweltverträgliches Schnorcheln und Tauchen, aber auch Besuche in gut geführten Aquarien, Ausstellungen in Museen oder Filmdokumentation können helfen, sich in die Korallenriffe wirklich zu verlieben.


Folie 86: Überfischung ist eines der ganz großen Herausforderungen. Reduktion oder gar Verzicht auf Fischprodukte ist sicherlich hilfreich, bei Fischverzehr bitte auf zertifizierten Fisch achten. Bei Fischzucht am besten auf herbivore Fische oder Aquaponik-Kprodukte ausweichen (Comics aus unserem Sachcomic Die Anthropozän-Küche, siehe hier im Blog).

Folie 87: Fische wie die Zackenbarsche in der Mitte, den Papageifisch dahinter oder den Red Grouper (hier kürzlich aufgenommen auf der Grünen Woche in Berlin) sollten Sie nicht essen.

Folie 88: Fallen Sie auch nicht auf Umettkettierungen herein. Der Granatbarsch braucht als Tiefwasserfisch 20 Jahre bis zur Fortfplanzungsreife, zuvor wird er meist weggefangen.

Folie 89: Insgesamt hiflt es Zusammenhänge gerade beim Essen besser zu reflektieren. In der Küche haben wir nicht nur den Kochlöffel, sondern auch den Schalthebel der Globalisierung, aber auch der Nachhaltigkeit in der Hand an  (Dank an Florian Bayer für die schöne Grafik rechts zur Produktions-, Transport und Konsumkette von Thunfisch)

Folie 90: Zur Wertschätzung für die Natur gehört auch die Wertschätzung für die Erdgeschichte. Schon viele Organismen haben die Erde komplett umgekrempelt, sie haben allerdings dadurch immer besserer Bedingungen für die Weiterentwicklung des Lebens geschaffen und uns so ganz nebenbei Ressourcen, wie Eisenerze, Kalk, Kohle, Öl, Gas, Phosphat hinterlassen, aber auch unsere Atmosphäre mit Sauerstoff versorgt, und uns die Grundlagen für die Sesshaftwerdung, für Ackerbau und Viehzucht geschaffen (Gräser). Wir haben den Planeten wiederum komplett umgekrempelt, aber wir machen dies schneller als alle anderen zuvor und scheinen nichts für die Nachwelt zu hinterlassen, sondern brauchen alles auf, was uns die Erdgeschichte über Milliarden von Jahren generiert hat (Abb. aus Leinfelder 2018).

Folie 91: Hier noch ein paar positive Beispiele: Unterstützen Sie gut geführte Riffparks, wie etwa diesen hier auf den Philippinen, machen Sie gerne dort Urlaub …  (Quelle für Beispiel).


Folie 92: … oder unterstützen Sie local community Projekte, bei denen der einheimischen Bevölkerung ihre Schätze nähergebracht werden. Auf diesem Beispiel mussten die Eltern der jungen Mädchen überzeugt werden, dass es mit der Religion kompatibel ist, ohne Kopftuch zu schwimmen.

Folie 93: Da Schwimmunterricht oft fehlt, helfen alte Autoreifenschläuche. Zwischenzeitlich sind die Jugendlichen begeisterte Riffschützer geworden und wollen alle im nachhaltigen Tourismus arbeiten (siehe auch hier).

Folie 94: Beteiligen Sie sich bei ReefCheck, das macht viel Spaß und hilft den Wissenschaften, die Korallenriffe zu schützen!

Folie 95: Wir werden versuchen, hier auch einen Schritt nach vorne zu machen, indem neue Bewertungskriterien mit aufgenommen werden.

Folie 96: oben nochmals eine Take-Home-Message-Liste.


Folie 97: Und für die echten Rifffans bitten wir auch um Mitarbeit auf diese Weise.

Folie 98: Mein Fazit wäre: Das klassische nachhaltigkeitsmodel (Brundtlandt-Kommission war gut gemeint (a), verkommt aber oft zur „MIkey-Maus-Ökomonmie“ (b, sensu Johan Rockström) oder zur Externalisierung der Umwelt (“nice to have, aber es gibt wichtigere Dinge”) und zur “Mitochondrialisierung“ des Sozialen zugunsten der Ökonomie (c).
Wichtig wäre ein systemisches Verständnis der Natur, in der die Ökonomie in eine soziale und kulturelle Schicht eingebettet ist und sich beide  wiederum in ein funktionsfähiges Erdsystem integrieren („Unswelt“-Ansatz des Autors, siehe das Blog-Motto oder  hier, hier sowie Leinfelder 2018)

Folie 99: Vielen Dank!

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Vortrag gehalten am 27.1.2018 am Vortag der formalen IYOR-Eröffnung auf der Bundesausbildertagung des Verbands deutscher Sporttaucher. Weitere Redner waren Prof. Dr. Hans Fricke und Dr. Frank Hartig, siehe hier.

Dieser Beitrag illustriert und ergänzt meinen Essay von Juni 2017 auf diesem Blog.

Scilog-Version 1a vom 13. März 2018, Rohversion, (r)editierte Version 1b vom  17. März 2018

Für Quellen siehe verlinkte Artikel, sowie die Zitateliste des Essay von Juni 2017 . Abbildungen von zwei weiteren zitierten, zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugängliche Arbeiten:

Leinfelder, R. (2019,  in press): Using the state of reefs for Anthropocene stratigraphy: an ecostratigraphic approach. In: Zalasiewicz, J., Waters, C., Williams, M. &  Summerhayes, C. (eds), The Anthropocene as a geological time unit: an analysis,  Cambridge University Press.
Nachtrag: Inzwischen erschienen: Leinfelder, R. (2019), weitere Info siehe hier. (Sonderdruck-Anfrage ggf. via Researchgate)

Leinfelder, R. (2018): Nachhaltigkeitsbildung im Anthropozän – Herausforderungen und Anregungen. In: LernortLabor – Bundesverband der Schülerlabore e.V. (Hrsg), MINT-Nachhaltigkeitsbildung in Schülerlaboren – Lernen für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesellschaft, S. 130-141, Berlin.  ISBN 978-3-946709-02-2 (-> ResearchGate-Version)

Die Podiumsdiskussion zur formalen Eröffnung von IYOR am 28.1.2019 wurde durch Heinz Krimmer dokumentiert,
-> youtube, 32 Min.

Mehr zu IYOR: www.iyor2018.de , www.iyor2018.org


Reinhold Leinfelder ist Geologe, Geobiologe und Paläontologe. Er ist Professor an der Freien Universität zu Berlin (Arbeitsgruppe Geobiologie und Anthropozänforschung) sowie (seit Okt 2018) zusätzlich Senior Lecturer am Institut Futur der FU. Seit April 2022 ist er formal im Ruhestand. Seit 2012 ist er Mitglied der Anthropocene Working Group der International Stratigraphic Commission. Von 2006-2010 war er Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin, von 2008-2013 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), von 2011-2014 Research Fellow und affiliate Carson Professor am Rachel Carson Center an der LMU, München, von 2012-2018 Principal Investigator am Exzellenzcluster "Bild-Wissen-Gestaltung" der Humboldt-Universität zu Berlin, von 1. Sept. 2014 bis 15. Sept. 2016 Gründungsdirektor der Futurium gGmbH in Berlin. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte liegen beim Anthropozän, Korallenriffen, neuen Methoden und Herausforderungen des Wissenstransfers und Museologie | Homepage des Autors | blog in english, via google translate

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